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Petronius an Vinicius.
»Habe Erbarmen mit mir, carissime, und ahme in deinen Briefen weder die Lacedämonier noch Julius Caesar nach. Könntest du wenigstens wie dieser schreiben: veni, vidi, vici! Ich kam, sah, siegte. so würde ich noch deinen Lakonismus verstehen. Aber dein Brief bedeutet in Wirklichkeit: veni, vidi, fugi! Ich kam, sah, floh. Da aber ein solcher Abschluß geradezu im Widerspruch zu deiner Natur steht, da du verwundet bist und dir schließlich außergewöhnliche Dinge begegnet sind, so bedarf dein Brief der Erläuterung. Ich traute kaum meinen Augen, als ich las, daß dieser Lygier Kroton so leicht abgewürgt hat wie ein kaledonischer Hund einen Wolf in den Schluchten Hiberniens. Dieser Mann ist soviel Gold wert, wie er selbst wiegt, und es würde nur von ihm abhängen, der Liebling des Caesars zu werden. Sobald ich nach der Stadt zurückgekehrt bin, muß ich seine nähere Bekanntschaft machen und ihn für mich in Bronze gießen lassen. Der Rotbart wird vor Neugierde bersten, wenn ich ihm sage, daß die Statue nach der Natur gearbeitet ist. Wirkliche Athletengestalten werden jetzt in Italien und Griechenland immer seltener, vom Orient kann gar keine Rede sein, die Germanen sind zwar groß, haben aber von Fett überwachsene Muskeln und sehen daher stärker aus, als sie sind. Erkundige dich doch bei dem Lygier, ob er eine Ausnahme bildet oder ob sich in seinem Lande noch mehr Leute finden, die ihm gleichen. Denn wenn dir oder mir einmal die Aufgabe zufällt, Spiele abzuhalten, so wäre es gut, wenn man wüßte, wo man die besten Athleten zu suchen hat.
»Aber Lob und Dank den Göttern des Morgen- wie des Abendlandes, daß du lebend solchen Händen entkommen bist! Das ist dir offenbar nur deshalb gelungen, weil du ein Patrizier und der Sohn eines gewesenen Konsuls bist; aber alles, was dir begegnet ist, hat mein Erstaunen im höchsten Grade erregt; jener Friedhof, auf dem du zusammen mit den Christen gewesen bist, diese selbst und ihr Verhalten gegen dich, dann Lygias Flucht und endlich diese Niedergeschlagenheit und Unruhe, die aus deinem kurzen Briefe spricht. Teile mir näheres mit, denn ich verstehe vieles nicht, und wenn du die Wahrheit wissen willst, so muß ich dir offen sagen, daß ich weder die Christen noch dich noch Lygia verstehe. Wundere dich nicht darüber, daß ich, der ich mich mit Ausnahme meiner eigenen Person um weniges in der Welt kümmere, mich so eingehend nach alldem erkundige. Ich habe alles, was geschehen ist, veranlaßt; daher ist es einigermaßen mein Werk. Schreibe bald, denn ich kann dir nicht genau sagen, wann wir uns wiedersehen. Im Kopfe des Rotbarts wechseln die Entschlüsse wie die Winde im Herbst. Jetzt sitzt er in Benevent, wünscht aber geradeswegs nach Griechenland zu gehen und nicht nach Rom zurückzukehren. Tigellinus rät ihm aber, wenigstens auf kurze Zeit zurückzukehren, weil sich sonst das Volk, das sich so sehr nach dem Anblick des Caesars (lies: nach Spielen und Brot) sehnt, am Ende noch empören könnte. Daher weiß ich nicht, was werden wird. Sollte Achaja den stärkeren Reiz ausüben, dann werden wir vielleicht auch aus Ägypten Lust bekommen. Ich möchte dich auf das dringendste bitten, herzukommen, da ich überzeugt bin, daß in deinem Seelenzustande Reisen und unsere Vergnügungen für dich Arznei, sind; aber möglicherweise triffst du uns nicht mehr an. Überlege, ob du in diesem Falle nicht besser daran tätest, dich auf deine sizilischen Güter zurückzuziehen, als in Rom zu bleiben. Schreibe mir ausführlich über dich – und gehab dich wohl. Ich füge diesmal keinen anderen Wunsch bei, als daß du gesund werden mögest, denn beim Pollux, ich wüßte auch nicht, was ich dir sonst noch wünschen sollte.«
Vinicius hatte anfangs keine Lust, diesen Brief zu beantworten. Er hatte eine undeutliche Ahnung davon, daß es sich nicht verlohne, darauf zu erwidern, daß dies keinem Teile Nutzen bringe, nichts erkläre oder zur Lösung der vorhandenen Rätsel beitrage. Es ergriff ihn ein Gefühl des Unbehagens und die Erkenntnis der Unzulänglichkeit des Daseins. Außerdem kam es ihm vor, als verstehe ihn Petronius auf keinen Fall und als sei etwas Trennendes zwischen sie getreten. Nicht einmal mit sich selbst konnte er ins reine kommen. Als er aus der Gegend jenseits des Tibers nach seiner prächtigen »Insula« an den Carinae zurückgekehrt war, fühlte er sich noch schwach und elend und empfand in den ersten Tagen an der Ruhe, Behaglichkeit und dem Reichtum, die ihn umgaben, eine gewisse Befriedigung. Aber diese Befriedigung schwand bald. Binnen kurzer Zeit wurde er sich der Leere seines Daseins bewußt und fühlte, daß alles, was bisher sein Interesse am Leben ausgemacht hatte, entweder überhaupt nicht mehr für ihn in Betracht kam oder doch zu ganz unmerklicher Bedeutung eingeschrumpft war. Er hatte die Empfindung, als ob die Fäden in seinem Innern, die ihn bisher mit der Außenwelt verknüpft hatten, zerrissen und durch neue nicht ersetzt worden seien. Bei der Vorstellung, möglicherweise nach Benevent und von da nach Achaja gehen und sich in ein Leben voller Ausschweifungen und wahnsinniger Launen stürzen zu müssen, wurde er von Ekel erfüllt. »Wozu? Welcher Vorteil erwächst mir daraus?« – das waren die ersten Fragen, die ihm durch den Kopf gingen. Ebenso mußte er zum erstenmal in seinem Leben daran denken, daß, wenn er hinginge, Petronius' Unterhaltung, sein Witz, seine Lebendigkeit, seine kunstvoll abgezirkelten Gedanken und seine wohlerwogene Wahl des Ausdrucks ihm möglicherweise lästig fallen könnten.
Andererseits fing er aber auch an, der Einsamkeit überdrüssig zu werden. Seine sämtlichen Bekannten waren mit dem Caesar in Benevent, er mußte daher allein zu Hause sitzen mit einem Kopf voller Gedanken und einem Herzen voller Gefühle, von denen er sich keine Rechenschaft abzulegen vermochte. Er hatte aber auch Stunden, in denen er wünschte, mit irgend jemand über alles, was in ihm vorging, sprechen zu können, um diese flüchtigen Empfindungen gleichsam zu fassen, zu ordnen, zu untersuchen. Unter dem Eindrucke dieser Hoffnung entschloß er sich nach einigen Tagen des Zauderns, Petronius zu antworten, und obgleich er noch nicht genau wußte, ob er den Brief absenden werde, schrieb er eines Tages Folgendes: »Du wünschest, ich möchte ausführlicher schreiben; ich willfahre dir daher; ob ich mich allerdings klarer ausdrücken werde, weiß ich nicht, denn ich selbst vermag viele der vorhandenen Knoten nicht aufzulösen. Ich schrieb dir über meinen Aufenthalt bei den Christen, über ihr Verhalten gegen Feinde, zu denen sie mich und Chilon mit vollem Recht zählen konnten, endlich über die Güte, mit der ich gepflegt wurde, und über Lygias Verschwinden. Nein, lieber Freund; nicht deswegen schonten sie mich, weil ich der Sohn eines gewesenen Konsuls bin. Solche Rücksichten sind ihnen völlig unbekannt; denn sie verziehen selbst Chilon, obgleich ich selbst ihnen riet, ihn im Garten zu begraben. Es sind Leute, wie sie die Welt bisher noch nie gesehen hat, und ihre Lehre ist derart, wie die Welt sie bisher noch nie gehört hat. Ich kann nichts anderes sagen, und wer unseren Maßstab an sie anlegt, der befindet sich im Irrtum. Ich versichere dich, wenn ich mit gebrochenem Arme in meinem eigenen Hause gelegen hätte und von meinen eigenen Leuten, ja von meinen Angehörigen gepflegt worden wäre, so würde ich unzweifelhaft mehr Bequemlichkeit gehabt, aber nicht die Hälfte jener Sorgfalt gefunden haben, die sie mir zu teil werden ließen. Wisse auch, daß Lygia sich nicht von den anderen unterscheidet. Wäre sie meine Schwester oder meine Gattin, so hätte sie mich nicht sorgsamer pflegen können. Mehr als einmal wurde mein Herz von Freude erfüllt, weil ich glaubte, nur die Liebe könne eine solche Hingabe bewirken. Mehr als einmal las ich sie auch in ihrem Antlitz und in ihren Augen, und dann fühlte ich mich – willst du es mir glauben? – inmitten jener einfachen Leute, in dem armseligen Zimmer, das Küche und Triclinium zugleich war, glücklicher als irgendwo anders. Nein! ich war ihr nicht gleichgültig, und noch heute erscheint es mir unmöglich, das Gegenteil anzunehmen. Und doch verließ ebendieselbe Lygia gerade meinetwegen Mirjams Haus. Ich sitze jetzt ganze Tage da, den Kopf in die Hand gestützt, und frage mich: warum tat sie dies? Habe ich dir geschrieben, daß ich mich erbot, sie zu Aulus zurückzubringen? Sie erklärte mir zwar, dies sei für jetzt unmöglich, sowohl mit Rücksicht darauf, daß Aulus mit seiner Familie nach Sizilien gegangen sei, wie auch aus Rücksicht auf die Nachrichten, welche durch die Sklaven von Haus zu Haus getragen und so auch bis auf den Palatin gelangen würden. Der Caesar könnte sie dann möglicherweise abermals von Aulus entfernen. Darin hat sie recht! Sie wußte aber, daß ich sie nicht länger verfolgen lasse, daß ich den Weg der Gewalt verlassen habe, daß ich aber nicht aufhören kann, sie zu lieben, daß ich sie nicht zu entbehren vermag, daß ich sie durch das bekränzte Tor in mein Haus führen und ihr den Platz an der geheiligten Stelle bei meinem Herde einräumen will. Und doch ist sie geflohen? Weshalb? Es drohte ihr keine Gefahr mehr. Wenn sie mich nicht liebte, dann hätte sie mich verlassen können. Den Tag zuvor lernte ich einen wunderbaren Mann kennen, einen gewissen Paulus aus Tarsos, der mit mir von Christus und seiner Lehre sprach, und zwar mit solchem Nachdruck, daß es mir war, als ob jedes seiner Worte, ohne daß er es beabsichtigte, die gesamten Grundlagen unserer Weltanschauung bis in ihre Tiefen erschüttern müßte. Dieser selbe Mann besuchte mich nach Lygias Flucht und sagte mir: Wenn Gott deine Augen dem Lichte erschließt und die Verblendung von ihnen nimmt wie von den meinigen, dann wirst du einsehen, daß sie recht gehandelt hat, und sie vielleicht auch finden. Und jetzt zerbreche ich mir den Kopf über diese Worte, als ob ich sie aus dem Munde der Pythia in Delphi gehört hätte. Mitunter will es mir scheinen, als verstände ich sie schon einigermaßen. Sie, die Menschenfreunde, sind Feinde unseres Landes, unserer Götter und … unserer Laster; darum ist sie vor mir geflohen wie vor einem Menschen, der dieser Welt angehört und mit dem sie ein Leben teilen müßte, welches bei den Christen als sündhaft gilt. Du wirst sagen, daß sie, um mich abzuweisen, nicht zu fliehen brauchte. Aber wenn sie mich liebt? In diesem Falle würde sie wegen ihrer Liebe geflohen sein. Bei dem bloßen Gedanken daran möchte ich Sklaven in alle Gassen Roms senden und sie in die Häuser rufen lassen: Kehre zurück, Lygia! Aber ich begreife nicht mehr, warum sie floh. Ich hätte ihr gewiß nicht verwehrt, an Christus zu glauben, und hätte ihm selbst einen Altar im Atrium errichtet. Was könnte es mir auch schaden, wenn ich diesen einen neuen Gott auch noch verehre, und weshalb sollte ich nicht an ihn glauben, der ich an die alten nicht mehr allzufest glaube? Ich weiß mit voller Bestimmtheit, daß die Christen nicht lügen, und doch behaupten sie, er sei auferstanden. Ein Mensch kann sicher nicht zurückkehren. Jener Paulus von Tarsos, der römischer Bürger ist, aber als Jude die alten hebräischen Schriften kennt, sagte mir, daß Christi Ankunft schon vor einem vollen Jahrtausend von den Propheten vorherverkündet worden ist. Alles dies sind außergewöhnliche Dinge, aber stoßen wir nicht nach allen Richtungen hin auf Außergewöhnliches? Man spricht doch noch jetzt von Apollonias von Tyana. Paulus' Behauptung, es gebe nicht eine ganze Schar Götter, sondern nur einen Gott, scheint mir ganz vernünftig zu sein. Vielleicht ist auch Seneca dieser Ansicht und außer ihm noch viele andere. Christus lebte, starb freiwillig den Tod am Kreuze für die Erlösung der Welt und stand von den Toten auf. Dies alles ist völlig gewiß, und ich sehe daher keinen Grund, warum ich die entgegengesetzte Ansicht festhalten oder Christus keinen Altar weihen sollte, da ich doch bereit wäre, zum Beispiel dem Serapis einen zu errichten? Es würde mir auch nicht schwer fallen, den anderen Göttern zu entsagen, denn kein verständiger Mensch glaubt mehr an sie. Es will mir jedoch scheinen, als sei dies alles den Christen noch nicht genug. Es genügt nicht nur Christum zu verehren, man muß auch nach seiner Lehre leben; und das ist soviel, wie wenn du am Gestade eines Meeres ständest und diese Lehre dir geböte, es zu Fuß zu durchschreiten. Gelobte ich es ihnen, so würden sie selbst herausfühlen, daß dieses Versprechen in meinem Munde nur ein leerer Wortschall wäre. Paulus sagte mir dies offen. Du weißt, wie ich Lygia liebe, und du weißt auch, daß es nichts gibt, was ich für sie nicht täte. Aber ich könnte doch, selbst aus ihren Wunsch hin, weder den Soracte noch den Vesuv auf meine Arme nehmen, den Thrasymenischen See in meiner Hand halten oder meine schwarzen Augen in blaue verwandeln, wie die Lygier sie haben. Verlangte sie derartiges, so könnte ich dies zwar tun wollen, aber es läge nicht in meiner Macht. Ich bin kein Philosoph, aber doch nicht so ungebildet, wie du vielleicht schon des öfteren geglaubt hast. Und so erkläre ich dir Folgendes: Wie es die Christen anfangen, zu leben, weiß ich nicht; aber ich weiß, wenn ihre Lehre siegt, so verschwindet das römische Reich, Rom, das Leben, der Unterschied zwischen Siegern und Besiegten, reich und arm, Herr und Sklaven, es verschwinden unsere staatlichen Einrichtungen, es verschwindet der Caesar, das geltende Recht und die gesamte Gesellschaftsordnung; an die Stelle von alledem tritt Christus und eine Liebe, wie es sie bisher noch nie gegeben hat, eine Güte, die den menschlichen und unseren römischen Instinkten geradezu entgegengesetzt ist. Mir gilt Lygia wahrlich mehr als ganz Rom und seine Herrschaft; die ganze Welt könnte zugrunde gehen, wenn ich sie nur in meinem Hause hätte. Aber es ist noch etwas anderes dabei. Für sie, die Christen, genügt es nicht, daß man seine Zustimmung mit Worten erklärt; man muß auch im innersten Herzen überzeugt sein, daß ihre Lehre allein zur Seligkeit hinreicht, und darf neben ihr nichts anderes in seinem Herzen tragen. Und das – die Götter sind meine Zeugen – kann ich nicht. Verstehst du, was ich damit sagen will? In meiner Natur liegt etwas, was sich gegen diese Religion sträubt; wollte ich sie mit meinen Lippen bekennen und mein Leben nach ihren Vorschriften einrichten, so würden mir Kopf und Herz sagen, daß dies nur der Liebe wegen, nur Lygias wegen geschehe und daß, wenn sie nicht wäre, mir nichts in der Welt mehr zuwider sein könne. Und seltsam genug – Paulus von Tarsos versteht dies und trotz seiner Schlichtheit und niedrigen Herkunft auch jener alte Theurg, der größte unter ihnen, Petrus, der ein Jünger Christi gewesen ist. Und weißt du, was sie tun? Sie beten für mich und zwar um etwas, was sie Gnade nennen. Aber nur Unruhe überfällt mich und immer größere Sehnsucht nach Lygia.
Ich habe dir ja geschrieben, daß sie sich im geheimen entfernt hat, aber bei ihrem Weggange ließ sie mir ein Kreuz zurück, das sie selbst aus Buchsbaumzweigen angefertigt hat. Beim Erwachen fand ich es vor meinem Lager. Es befindet sich jetzt im Lararium, und ich kann es mir selbst nicht erklären, warum ich mich ihm mit einem Gefühle nähere, als sei es etwas Göttliches, das heißt warum ich es mit heiliger Scheu verehre. Ich liebe es, weil ihre Hand es zusammengefügt hat, und hasse es, weil es uns trennt. Manchmal kommt es mir vor, als stecke ein Zauber in dem allen und als sei der Theurg Petrus, trotzdem er von Abkunft ein einfacher Fischer ist, größer als Apollonios und alle, die vor ihm gelebt haben, und habe sie alle hier, Lygia, Pomponia und mich selbst umgarnt.
»Du schreibst, man könne aus meinem letzten Briefe Unruhe und Niedergeschlagenheit herauslesen. Niedergeschlagenheit mußte darin liegen, da ich Lygia von neuem verloren habe, und Unruhe deshalb, weil eine Wandlung mit mir vorgegangen ist. Ich sage dir offen, nichts ist meiner Natur mehr zuwider als diese Religion, und doch kann ich mich selbst nicht mehr begreifen, seit ich sie kennen gelernt habe. Ist es ein Zauber, ist es Liebe? … Kirke verwandelte durch ihre Berührung die Körper, aber in mir ist die Seele verwandelt. Nur Lygia konnte dies bewirken oder vielmehr Lygia vermittelst jener wunderbaren Lehre, zu der sie sich bekennt. Als ich von den Christen nach Hause zurückkehrte, erwartete mich niemand. Man glaubte, ich sei in Benevent und werde nicht sobald wiederkommen; daher traf ich im Hause Unordnung, betrunkene Sklaven und ein Fest an, das sie in meinem Triclinium feierten. Sie hätten eher den Tod erwartet als mich und wären nicht so erschrocken über ihn gewesen. Du weißt, mit wie starker Hand ich mein Haus regiere, daher stürzte alles, was lebendigen Odem in sich hatte, auf die Kniee, und einige wurden vor Schreck ohnmächtig. Und weißt du, was ich tat? Im ersten Augenblick wollte ich nach der Peitsche und glühendem Eisen rufen, aber sofort ergriff mich eine Art Scham und willst du mir glauben? – etwas wie Mitleid mit diesen bejammernswerten Menschen; es befinden sich alte Sklaven darunter, die mein Großvater Marcus Vinicius zu Augustus' Zeiten vom Rheine mitgebracht hat. Ich schloß mich einsam in der Bibliothek ein, und hier schossen mir noch wunderlichere Gedanken durch den Kopf, nämlich, daß ich nach dem, was ich bei den Christen gesehen und gehört hatte, die Sklaven nicht mehr so behandeln dürfe wie bisher und daß sie auch Menschen seien. Die beiden folgenden Tage hindurch schwebten diese in Todesangst, da sie glaubten, ich zögere nur deswegen, um mir eine recht grausame Strafe auszusinnen; aber ich strafte nicht und strafte nicht, weil ich es nicht vermochte. Am dritten Tage rief ich sie zusammen und sprach zu ihnen: Ich verzeihe euch; sucht durch verdoppelten Diensteifer euren Fehler wieder gut zu machen! Sie fielen auf die Kniee, Tränen strömten aus ihren Augen, sie breiteten unter unartikulierten Lauten die Arme nach mir aus, nannten mich Herr und Vater, und ich – ich schäme mich, es dir zu gestehen – war ebenfalls bewegt. Mir war es in diesem Augenblicke, als sehe ich Lygias liebliches Antlitz vor mir und als danke sie mir unter Tränen für meine Handlungsweise. Und, pro pudor! ich fühlte, wie auch meine Lider feucht wurden … Weißt du, was ich dir noch mitteilen muß? Daß ich nichts ohne Lygias Zustimmung unternehmen kann, daß es schlecht um mich bestellt ist, wenn ich allein bin, daß ich geradezu unglücklich bin und daß meine Niedergeschlagenheit größer ist, als du denkst … Was aber meine Sklaven betrifft, so befremdete mich eine Tatsache. Die Verzeihung, die sie erhielten, machte sie nicht übermütig, auch lockerte sich ihre Zucht nicht – nein! nie hatte die Furcht ihren Diensteifer so angespornt wie jetzt die Dankbarkeit. Sie bedienen mich nicht nur, sondern bemühen sich um die Wette, meine Gedanken zu erraten. Ich teile dir dies deshalb mit, weil ich am Tage vor meinem Weggange von den Christen zu Paulus sagte, daß nach Einführung seiner Lehre die Gesellschaft auseinanderfallen müsse wie ein Faß ohne Reifen, woraus er mir entgegnete: Die Liebe ist ein stärkerer Reifen als die Furcht. Und jetzt sehe ich, daß in gewissen Fällen diese Auffassung richtig sein kann. Ich habe diese Erfahrung auch bei meinen Klienten gemacht, die sich auf die Kunde von meiner Rückkehr hin beeilten, mir ihre Aufwartung zu machen. Du weißt, ich war nie allzu hart gegen sie, aber mein Vater behandelte sie aus Grundsatz von oben herab und hielt mich zur gleichen Handlungsweise an. Jetzt aber erfaßte mich beim Anblick ihrer abgetragenen Mäntel und eingefallenen Gesichter von neuem das Gefühl des Mitleids. Ich ließ ihnen zu essen geben und sprach auch mit ihnen; ich redete die einen mit ihrem Namen an, die anderen fragte ich nach Weib und Kind und sah abermals Tränen in ihren Augen, und wiederum war es mir, als sehe Lygia dies, freue sich darüber und belobige mich. Ob mein Geist anfängt sich zu verwirren oder mir die Liebe das klare Denken trübt, weiß ich nicht; ich weiß nur, ich habe beständig das Gefühl, als beobachte sie mich von weitem, und ich scheue mich, etwas zu tun, was vielleicht ihre Mißbilligung oder ihren Unwillen erregen könnte. Ja, Gajus! mir ist die Seele wie umgetauscht, und bald freue ich mich darüber, bald quält mich wiederum dieser Gedanke, weil ich fürchte, meine frühere Männlichkeit, meine Tatkraft sei von mir genommen und ich werde unbrauchbar für die Ratsversammlung, für das Richteramt, für Gelage und sogar für den Krieg. Das rührt unzweifelhaft von Bezauberung her. Und so sehr bin ich umgewandelt, daß ich dir auch das mitteilen muß, was mir während meines Krankenlagers durch den Kopf ging: wäre Lygia so wie Nigidia, Poppaea, Crispinilla und andere unserer geschiedenen Frauen, wäre sie ebenso gemein, ebenso herzlos und ebenso leichtsinnig, wie sie, so würde ich sie nicht so heiß lieben, wie ich es tue. Aber weil ich sie um dessen willen liebe, was uns trennt, so kannst du dir denken, welches Chaos in meinem Innern herrscht, in welchem Dunkel ich lebe, daß ich keinen bestimmten Weg vor mir sehe und nicht weiß, was ich beginnen soll. Wenn man das Leben mit einer Quelle vergleichen kann, so strömt in meiner Quelle anstatt des Wassers Unruhe. Ich zehre nur von der Hoffnung, Lygia wiederzufinden, und bisweilen ist es mir, als müsse mir dies gelingen … Aber was aus mir in ein paar Jahren werden soll, weiß ich nicht und kann es mir auch nicht denken. Rom werde ich nicht verlassen. Ich könnte die Gesellschaft der Augustianer nicht ertragen, und zudem gewährt mir in all meiner Trauer und Unruhe einzig der Gedanke Trost, daß ich Lygia nahe bin, daß ich durch den Arzt Glaukos, der mir Nachricht zu geben versprach, oder durch Paulus von Tarsos etwas über sie erfahre. Nein! ich würde Rom nicht verlassen, selbst wenn man mir die Würde eines Statthalters von Ägypten anböte. Wisse auch noch, daß ich einen Bildhauer damit beauftragt habe, einen Grabstein für Gulo, den ich im Jähzorn erschlagen habe, anzufertigen. Zu spät fiel es mir ein, daß er mich auf seinen Armen getragen und zuerst unterwiesen hat, wie man einen Pfeil auf den Bogen legt. Ich weiß nicht, warum sich jetzt in mir die Erinnerung an ihn regt und eine Ähnlichkeit mit Schmerz und Reue hat … Wenn du dich über das, was ich geschrieben habe, wunderst, so sage ich dir, daß ich mich nicht weniger darüber wundere, aber ich schreibe dir die reine Wahrheit. Gehab dich wohl.«