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Elftes Kapitel.

In dieser ganzen Nacht ging Vinicius nicht zur Ruhe. Einige Zeit nach Petronius' Weggang sammelte er, da die Schmerzenslaute der gepeitschten Sklaven weder seinen Schmerz noch seinen Zorn zu lindern vermochten, eine Schar anderer Diener um sich und begab sich an ihrer Spitze, obgleich es schon spät in der Nacht war, auf die Suche nach Lygia. Er durchforschte das esquilinische Viertel, dann die Subura, den Vicus Sceleratus und sämtliche benachbarte Straßen. Dann umschritt er das Kapitol, ging über die fabricische Brücke nach der Insel und durchlief dann einen Teil der Stadt jenseits des Tiber. Aber es war ein zweckloses Unternehmen, da er selber keine Hoffnung hatte, Lygia aufzufinden, und wenn er sie trotzdem suchte, so geschah dies hauptsächlich in der Absicht, die schreckliche Nacht mit irgend etwas auszufüllen. In der Tat kehrte er erst gegen Tagesanbruch zurück, als die Karren und Maulesel der Gemüsekrämer sich in der Stadt zu zeigen begannen und die Bäcker schon ihre Läden öffneten. Als er zurückgekehrt war, befahl er, die Leiche Gulos wegzuschaffen, die bisher niemand zu berühren gewagt hatte, dann ordnete er an, daß die Sklaven, denen Lygia entkommen war, in das Arbeitshaus auf seinen Gütern geschickt werden sollten, was eine beinahe furchtbarere Strafe war als der Tod; endlich warf er sich auf eine Polsterbank im Atrium und begann planlos darüber nachzudenken, auf welche Weise er Lygia auffinden und wieder in seine Gewalt bringen könne.

Auf sie zu verzichten, sie zu verlieren, sie nicht wiederzusehen, erschien ihm als ein Ding der Unmöglichkeit, und bei dem bloßen Gedanken daran packte ihn der Wahnsinn. Die eigenwillige Natur des jungen Kriegers war zum erstenmal in seinem Leben auf Widerstand, auf einen anderen unbezwinglichen Willen gestoßen, und er konnte es gar nicht fassen, wie es zugehe, daß jemand es wagen könne, sich seinen Wünschen zu widersetzen. Vinicius hätte es lieber gesehen, daß die ganze Welt und Rom in Trümmer fielen, als daß er nicht zum Ziele seiner Wünsche gelangte. Man hatte ihm den Becher des Genusses beinahe von den Lippen weggerissen; es kam ihm daher vor, als sei etwas Unerhörtes geschehen, das nach göttlichem und menschlichem Recht die Rache herausfordere.

Vor allem aber wollte und konnte er sich nicht in sein Schicksal fügen, weil er nie zuvor in seinem Leben etwas so heiß begehrt hatte wie Lygia. Es war ihm, als ob er ohne sie nicht leben könne. Er konnte es sich nicht vorstellen, was er morgen ohne sie beginnen, wie er die folgenden Tage zubringen sollte. Bisweilen geriet er in einen Zorn über sie, der an Wahnsinn grenzte. Er wünschte sie in seine Gewalt zu bekommen, um sie zu schlagen, sie an den Haaren ins Cubiculum zu schleppen und seine Rache an ihr zu kühlen, bald erfaßte ihn eine grenzenlose Sehnsucht nach ihrer Stimme, ihrer Gestalt, ihren Augen, und er fühlte, er sei imstande, sich ihr zu Füßen zu werfen. Er rief nach ihr, zerbiß sich die Finger und schlug sich mit den Händen vor den Kopf. Er bemühte sich aus allen Kräften, ruhig nachzudenken, wie er sie wiedererlangen könnte, und vermochte es nicht. Tausende von Mitteln und Wegen schossen ihm durch den Kopf, aber die einen waren immer toller als die anderen. Schließlich blitzte der Gedanke in ihm auf, kein anderer könne sie geraubt haben als Aulus, im schlimmsten Falle müsse Aulus wissen, wo sie sich verborgen halte.

Er sprang auf, um in Aulus' Haus zu stürmen. Sollte dieser sie ihm nicht herausgeben, sollte er seine Drohungen verlachen, so würde er zum Caesar eilen, den alten Feldherrn des Ungehorsams zeihen und ein Todesurteil gegen ihn auswirken; zuvor aber wollte er ihm und seiner Gattin das Geständnis entreißen, wo sich Lygia befinde. Aber auch dann, wenn sie Lygia freiwillig auslieferten, würde er sich rächen. Zwar hatten sie ihn einst in ihr Haus aufgenommen und gepflegt, aber das galt nichts mehr. Mit dieser einen Kränkung hatten sie ihn jeder Dankbarkeit gegen sie überhoben. In seiner Rachsucht und Wut begann er sich mit Behagen in dem Gedanken an Pomponia Graecinas Verzweiflung zu gefallen, wenn der Centurio dem alten Aulus das Todesurteil überbringen würde. Er war beinahe sicher, ein solches zu erlangen. Petronius würde ihm darin unterstützen. Überdies versage auch der Caesar seinen Freunden, den Augustianern, keinen Wunsch, es sei denn, daß persönliche Abneigung oder eigenes Verlangen ins Spiel käme.

Und plötzlich blieb ihm das Herz beinahe stehen unter dem Eindruck eines fürchterlichen Argwohns.

Wenn nun der Caesar selbst Lygia geraubt hätte?

Jedermann wußte, daß der Caesar oft in nächtlichen Überfällen einen Zeitvertreib suchte, wenn ihn die Langeweile plagte. Selbst Petronius nahm an solchen Abenteuern teil. Ihr Hauptvergnügen dabei war es allerdings, Weiber aufzugreifen und auf einem Soldatenmantel so lange emporzuschnellen, bis sie ohnmächtig wurden. Jedoch nannte Nero selbst jene Ausflüge »Perlenfischerei,« denn es kam mitunter vor, daß sie in Stadtteilen, die von zahlreichen armen Leuten bewohnt waren, auf eine wahre Perle von Schönheit und Jugend stießen. Dann verwandelte sich die »Sagatio,« wie man das Werfen mit dem Soldatenmantel nannte, in eine wirkliche Entführung, und die Perlen wurden entweder auf den Palatin oder in eine der zahllosen Villen des Caesars gebracht, oder Nero schenkte sie endlich einem seiner Gefährten. So mochte es auch mit Lygia geschehen sein. Der Caesar hatte sie bei Gelegenheit des Festes erblickt, und Vinicius zweifelte keinen Augenblick, daß sie ihm als das schönste Weib, das er bis dahin gesehen habe, erschienen sei. Wie konnte es anders sein! Freilich hatte Nero sie in seinem Hause auf dem Palatin gehabt und hätte sie offen zurückhalten können, aber der Caesar hatte, wie Petronius richtig bemerkte, keinen Mut zu Verbrechen und zog, selbst wo er offen handeln konnte, es stets vor, im geheimen zu handeln. Diesmal mochte ihn auch die Furcht vor Poppaea dazu veranlaßt haben. Vinicius kam nun die Überlegung, daß Aulus wohl nicht gewagt haben dürfte, ein ihm vom Caesar überlassenes Mädchen gewaltsam zu entführen. Wer würde dies überhaupt wagen? Vielleicht jener riesenhafte Lygier mit den blauen Augen, der sich erdreistet hatte, ins Triclinium zu treten und Lygia auf dem Arme aus dem Saale zu tragen? Wohin konnte dieser aber mit ihr fliehen, und wohin konnte er sie führen? Nein! Eine solche Frechheit würde kein Sklave besitzen. Somit konnte es niemand anders als der Caesar getan haben.

Bei diesem Gedanken wurde es Vinicius dunkel vor den Augen, und kalter Schweiß trat auf seine Stirn. In diesem Falle war ihm Lygia für immer verloren. Aus jedem anderen Arme hätte er sie gerissen, aus diesem nicht. Jetzt konnte er mit besserem Rechte als früher wiederholen: »Wehe mir Unglücklichem!« Seine Phantasie zeigte ihm Lygia in Neros Armen, und zum erstenmal in seinem Leben erkannte er, daß es Vorstellungen gibt, denen schlechterdings kein Mensch gewachsen ist. Erst jetzt fühlte er, wie heiß und innig er sie liebte. Wie einem Ertrinkenden blitzschnell sein ganzes vorheriges Leben im Geiste vorüberzieht, so begann ihm Lygia vorzuschweben. Er sah sie, er hörte jedes ihrer Worte. Er sah sie am Springbrunnen, er sah sie in Aulus' Hause und beim Feste. Er fühlte von neuem ihre Nähe, sog den Duft ihres Haares ein, empfand die Wärme ihres Körpers, die Wonne der Küsse, mit denen er während des Festes ihre unschuldsvollen Lippen bedeckt hatte. Sie erschien ihm noch tausendmal schöner, begehrenswerter, lieblicher, tausendmal mehr die einzige Auserwählte aus der Zahl sämtlicher Sterblichen und sämtlicher Götter als je. Und wenn er daran dachte, daß dies alles, was ihm so ans Herz gewachsen, ihm so in Fleisch und Blut übergegangen war, möglicherweise in Neros Besitze sei, ergriff ihn ein rein physischer, aber so furchtbarer Schmerz, daß er den Wunsch hegte, mit dem Kopfe gegen die Wände des Atriums so lange zu rennen, bis er zerschelle. Er fühlte, er könne wahnsinnig werden und würde es sicher werden, wenn ihm nicht die Rache übrig bliebe. Und wie er früher geglaubt hatte, nicht leben zu können, wenn er Lygia nicht wiedererlangte, so glaubte er jetzt nicht sterben zu können, bevor er sie gerächt habe. Dieser einzige Gedanke gewährte ihm eine Art Erleichterung. »Ich will dein Cassius Chaerea werden!« sprach er zu sich selbst, wenn er an Nero dachte. Nach einer Weile ergriff er mit der Hand Erde aus den Blumentöpfen, die um das Impluvium herumstanden, und schwur einen furchtbaren Eid bei Erebos, Hekate und seinen eigenen Hausgöttern, seine Rache bis zu Ende durchzuführen.

In der Tat empfand er Erleichterung. Er hatte wenigstens etwas, wofür er lebte und was ihn Tag und Nacht beschäftigen sollte. Dann gab er die Absicht, sich zu Aulus zu begeben, auf und ließ sich nach dem Palatin tragen. Auf dem Wege dorthin überlegte er es sich, daß, wenn man ihm den Zutritt zum Caesar verweigere oder ihn untersuche, ob er keine Waffen bei sich habe, dies ein Beweis dafür sei, daß der Caesar Lygia geraubt habe. Doch er trug keine Waffen bei sich. Er hatte überhaupt alle Besonnenheit verloren, aber wie Menschen, die ausschließlich mit einem Gedanken beschäftigt sind, beharrte er auf seiner Rache. Er wollte nicht, daß sie ihm vor der Zeit vereitelt werde. Daher bemühte er sich vor allem, Akte zu sprechen, weil er von ihr die Wahrheit zu erfahren wünschte. Zuweilen durchzuckte ihn die Hoffnung, vielleicht auch Lygia zu sehen, und bei diesem Gedanken begann er zu zittern. Wenn der Caesar sie nur entführt hatte, ohne zu wissen, was er geraubt habe, und sie ihm heute noch zurückgäbe! Aber nach einiger Überlegung wies er diese Vermutung von sich. Wenn man sie ihm hätte zurückgeben wollen, so hätte man dies schon gestern getan. Akte allein konnte alles aufklären, und sie mußte er vor allem sprechen.

Als er zu diesem Entschlusse gekommen war, befahl er den Sklaven, ihre Schritte zu beschleunigen, und dachte unterwegs in buntem Durcheinander bald an Lygia, bald an seine Rache.

Er hatte gehört, die Priester der ägyptischen Göttin Pacht könnten mit Krankheit schlagen, wen immer sie wollten, und beschloß, sie um ein solches Mittel zu ersuchen. Im Orient hatte man ihm auch gesagt, die Juden seien im Besitze gewisser Beschwörungen, mit deren Hilfe sie den Körper ihrer Feinde mit Geschwüren bedeckten. Unter seinen Sklaven hatte er zu Hause einige Juden; er nahm sich daher vor, sie nach seiner Rückkehr so lange foltern zu lassen, bis sie ihm ihr Geheimnis verrieten. Mit der größten Genugtuung dachte er aber an das kurze römische Schwert, das einem ebensolchen Blutstrome den Weg bahnt, wie er aus Gajus Caligulas Adern geflossen war und auf den Säulen des Portikus unvertilgbare Flecke zurückgelassen hatte. Er war jetzt bereit, sämtliche Bewohner Roms hinzumorden, und hätten ihm die Rachegötter verheißen, alle Menschen, er und Lygia ausgenommen, sollten untergehen, er würde mit Freuden zugestimmt haben.

Als er jedoch vor dem Torbogen stand, kehrte ihm seine ganze Geistesgegenwart zurück, und beim Anblick der Pretorianerwache dachte er wiederum daran, daß, wenn man ihm beim Eintritt auch nur die geringste Schwierigkeit mache, dies ein Beweis dafür sei, daß sich Lygia mit dem Willen des Caesars im Palaste befinde. Aber der wohlhabende Centurio lächelte ihm freundlich zu, ging ihm ein paar Schritte entgegen und sagte: »Sei gegrüßt, edler Tribun. Wenn du vom Caesar eine Audienz wünschst, so bist du zu ungelegener Zeit gekommen, und ich weiß nicht, ob du ihn wirst sprechen können.«

»Was ist vorgefallen?« fragte Vinicius.

»Die göttliche kleine Augusta erkrankte gestern unerwartet. Der Caesar und die Augusta Poppaea sind bei ihr mit den Ärzten, die man aus der ganzen Stadt berufen hat.«

Dies war ein wichtiges Ereignis. Als man dem Caesar diese Tochter gebracht hatte, war er tatsächlich vor Freude außer sich gewesen und hatte sie mit übermenschlicher Freude empfangen. Vorher schon hatte der Senat Poppaeas Schoß mit der größten Feierlichkeit dem gnädigen Schutze der Götter empfohlen. Es wurden Gelübde getan und in Antium, wo die Entbindung stattfand, prächtige Spiele abgehalten; außerdem war den beiden Fortunen ein Tempel errichtet worden. Nero, der in nichts Maß zu halten verstand, liebte auch dieses Kind über alle Maßen; auch Poppaea hatte die Tochter lieb, obgleich nur aus dem Grunde, daß sie ihre Stellung befestigte und ihren Einfluß zu dem allbeherrschenden machte.

Von der Gesundheit und dem Leben der kleinen Augusta konnte möglicherweise das Geschick des gesamten Reiches abhängen; aber Vinicius war so mit sich selbst, seiner eigenen Angelegenheit und seiner Liebe beschäftigt, daß er auf den Bericht des Centurios kaum achtete und sagte: »Ich wünsche nur mit Akte zu sprechen.«

Dann trat er ein.

Aber Akte war ebenfalls bei dem Kinde, und er mußte lange Zeit aus sie warten. Erst gegen Mittag erschien sie, mit abgespannten und bleichen Zügen, die bei Vinicius' Anblick noch bleicher wurden.

»Akte,« rief Vinicius, sie bei der Hand ergreifend und in die Mitte des Atriums ziehend, »wo ist Lygia?«

»Danach wollte ich dich fragen,« entgegnete sie, ihm vorwurfsvoll ins Gesicht blickend.

Trotzdem er sich vorgenommen hatte, sich ruhig nach Lygia zu erkundigen, faßte er sich doch von neuem mit beiden Händen an den Kopf und begann mit vor Schmerz und Wut verzerrten Zügen: »Sie ist fort! Sie wurde mir unterwegs geraubt!«

Nach einer Weile faßte er sich jedoch, näherte sein Gesicht dem Aktes und sagte mit zusammengepreßten Zähnen: »Akte, wenn dir dein Leben lieb ist, wenn du nicht ein Unglück veranlassen willst, dessen Tragweite du nicht zu ahnen vermagst, antworte mir offen: hat der Caesar sie entführt?«

»Der Caesar hat gestern den Palast nicht verlassen.«

»Beim Schatten deiner Mutter, bei allen Göttern! ist sie nicht im Palast?«

»Beim Schatten meiner Mutter, Marcus, sie ist nicht im Palaste, und der Caesar hat sie nicht entführt. Seit gestern ist die kleine Augusta krank, und Nero ist nicht von ihrer Wiege gewichen.«

Vinicius atmete auf. Das, was ihm als das Schrecklichste erschienen war, hatte sich nicht bewahrheitet.

»Somit,« sprach er, sich auf eine Bank niederlassend und die Fäuste ballend, »haben Aulus und Pomponia sie geraubt, und in diesem Falle Gnade ihnen!«

»Aulus Plautius war heut morgen hier. Er konnte mich nicht sprechen, weil ich mit dem Kinde beschäftigt war, aber er hat sich bei Epaphroditus und anderen Dienern des Caesars erkundigt, und ihnen dann erklärt, er werde noch einmal wiederkommen, um mich zu sprechen.«

»Er wollte den Verdacht von sich ablenken. Wüßte er nicht, was aus Lygia geworden ist, so würde er sie bei mir gesucht haben.«

»Er hat mir einige Worte auf einer Schreibtafel hinterlassen, aus denen du entnehmen wirst, daß er wußte, Lygia sei auf deine und Petronius' Veranlassung auf des Caesars Befehl aus seinem Hause abgeholt worden, und daher in der Erwartung, sie werde zu dir geschickt werden, heut früh in deinem Hause war, wo man ihm mitteilte, was geschehen sei.«

Bei diesen Worten ging sie in ihr Cubiculum und kehrte nach einiger Zeit mit dem Täfelchen zurück, das ihr Aulus zurückgelassen hatte.

Vinicius las es und schwieg; Akte aber schien seine Gedanken von seinem finsteren Gesichte abzulesen; denn nach einer Weile sagte sie: »Nein Marcus, Lygia selbst hat gewünscht, was geschehen ist.«

»Du wußtest es, daß sie entfliehen wollte!« rief Vinicius.

Sie blickte ihn mit ihren kurzsichtigen Augen beinahe feindselig an.

»Ich wußte es, daß sie nicht deine Konkubine werden wollte.«

»Und was bist du denn dein ganzes Leben lang gewesen?«

»Ich war früher eine Sklavin.«

Aber Vinicius hörte nicht auf zu rasen; der Caesar habe ihm Lygia geschenkt, daher brauche er nicht zu fragen, was sie früher gewesen sei. Er werde sie finden, selbst wenn sie sich unter die Erde verborgen habe, und dann werde er mit ihr machen, was ihm beliebe. Ja, sie solle seine Konkubine werden. Er wolle sie peitschen lassen, so oft es ihm beliebe. Sei er ihrer einmal überdrüssig, so werde er sie dem niedrigsten seiner Sklaven geben oder auf einem seiner Güter in Afrika eine Handmühle treiben lassen. Er werde sie jetzt suchen und finden, aber nur in der Absicht, um sie zu peinigen, mit Füßen zu treten und ihren Trotz zu brechen.

Er geriet immer mehr in Wut und verlor so sehr alles Maß, daß selbst Akte erkannte, er stoße stärkere Drohungen aus, als er ausführen könne, und daß Zorn und Schmerz aus ihm sprachen. Mit seinem Schmerz hatte sie Mitleid gefühlt, doch seine Übertreibungen erschöpften ihre Geduld, so daß sie ihn endlich fragte, weshalb er zu ihr gekommen sei.

Vinicius fand nicht sogleich eine Antwort. Er sei zu ihr gekommen, weil er so gern wünschte, Nachricht von ihr zu erhalten; eigentlich aber habe er nur zum Caesar gewollt, und da er diesen nicht sprechen konnte, sei er zu ihr gekommen. Lygia habe sich durch ihre Flucht dem Willen des Caesars widersetzt; daher wollte er ihn bitten, nach ihr in der ganzen Stadt und im ganzen Reiche suchen zu lassen, sollte es dazu auch sämtlicher Legionen bedürfen und jedes Haus im Reiche durchforscht werden müssen. Petronius werde seine Bitte unterstützen, und noch am heutigen Tage solle das Suchen seinen Anfang nehmen.

Akte antwortete ihm: »Gib acht, daß du sie nicht dann erst für immer verlierst, wenn man sie auf Befehl des Caesars gefunden hat.«

Vinicius runzelte die Brauen.

»Was bedeutet dies?« fragte er.

»Höre mich an, Marcus. Gestern war ich mit Lygia hier im Garten, und wir trafen Poppaea mit der kleinen Augusta, welche von der Negerin Lilith getragen wurde. Abends wurde das Kind krank, und Lilith behauptet, es sei behext worden und zwar von jenem fremden Mädchen, dem sie im Garten begegnet seien. Wird das Kind gesund, so wird man den Vorfall vergessen, im entgegengesetzten Falle aber wird Poppaea die erste sein, welche Lygia der Zauberei beschuldigt, und dann gibt es für sie keine Rettung, man mag sie finden, wo man will.«

Es entstand eine kurze Pause; dann sagte Vinicius: »Vielleicht hat sie das Kind behext, wie sie mich behext hat.«

»Lilith behauptet, das Kind habe sofort zu schreien angefangen, als es bei uns vorübergetragen worden sei. Und in der Tat, es schrie. Unzweifelhaft war es schon krank, als man es in den Garten trug. Marcus, suche Lygia selber, wo du willst; aber sprich, solange die kleine Augusta nicht wieder gesund ist, über sie nicht mit dem Caesar, denn du würdest die Rache Poppaeas auf sie herabbeschwören. Ihre Augen haben deinetwegen schon genug geweint, und alle Götter mögen das Haupt der Armen beschützen!«

»Du liebst sie, Akte?« fragte Vinicius finster.

In den Augen der Freigelassenen glänzten Tränen.

»Ja,« antwortete sie.

»Sie hat dir auch nicht mit Haß vergolten wie mir.«

Akte betrachtete ihn eine Weile, als zaudere sie oder als wolle sie erfahren, ob er im Ernste spreche; dann entgegnete sie: »O du ungestümer, verblendeter Mann: sie liebte dich ja.«

Vinicius sprang unter dem Eindruck dieser Worte wie besessen empor. »Das ist nicht wahr.« Sie hasse ihn. Woher könne Akte es wissen? Habe Lygia ihr am zweiten Tage ihrer Bekanntschaft ein Geständnis gemacht? Was sei das für eine Liebe, die ein unstetes Leben, schmachvolle Armut, Ungewißheit, was der morgende Tag bringen könne, oder gar einen elenden Tod einem bekränzten Hause vorzieht, in welchem der Geliebte sie zum Feste erwartet? Es sei besser für ihn, wenn er derartiges gar nicht höre, denn er sei im Begriffe, wahnsinnig zu werden. Er hatte das Mädchen nicht gegen alle Schätze dieses Palastes hergegeben, und es habe fliehen können! Was sei dies für eine Liebe, die sich vor der Freude fürchte und sich und dem Geliebten Schmerz zufüge? Wer könne dies fassen, wer begreifen? Hätte er nicht noch die Hoffnung, sie wiederzufinden, so würde er sich in sein eigenes Schwert stürzen. Liebe ergibt sich, sie leistet keinen Widerstand. In Aulus' Hause habe es Augenblicke gegeben, in denen er an sein nahes Glück geglaubt habe, aber jetzt wisse er, daß sie ihn gehaßt habe, ihn noch hasse und mit Haß gegen ihn im Herzen sterben werde.

Aber jetzt machte die für gewöhnlich so schüchterne, milde Akte ihrem Unwillen Luft: Auf welche Weise habe er versucht, sie zu gewinnen? Statt bei Aulus und Pomponia um sie zu werben, habe er sie ihren Eltern durch Betrug und List geraubt. Er habe sie nicht zu seiner Gattin, sondern zu seiner Konkubine machen wollen, sie, das Pflegekind eines vornehmen Hauses, sie, die Tochter eines Königs. Und er habe sie in dieses Haus des Lasters und der Schande gebracht, habe ihre unschuldsvollen Augen durch den Anblick eines schamlosen Gelages beleidigt, habe sie wie eine Dirne behandelt. Habe er vergessen, wie es in Aulus' Hause zugehe und wer Pomponia Graecina sei, die Lygia erzogen habe? Besitze er denn nicht soviel Verstand, um zu wissen, daß es auch andere Frauen gebe als Nigidia, als Calvia Crispinella, als Poppaea und als alle, die er im Hause des Caesars antreffe? Habe er beim Anblicke Lygias nicht sofort erkannt, daß sie ein reines Mädchen sei, das den Tod der Schande vorziehe? Woher wisse er, zu welchen Gottheiten sie bete, und ob diese nicht keuscher, nicht besser seien als die unzüchtige Venus oder als Isis, welche von den der Ausschweifung ergebenen Frauen Roms verehrt werde? Nein! Lygia habe ihr kein Geständnis gemacht, habe ihr aber gesagt, sie suche Rettung bei ihm, bei Vinicius: sie habe die Hoffnung gehegt, er werde beim Caesar für sie die Heimkehr erwirken und sie zu Pomponia zurückführen. Und bei diesen Worten sei sie errötet wie ein liebendes und vertrauendes Mädchen. Ihr Herz habe für ihn geschlagen, er aber habe sie erschreckt, verletzt und mit Abscheu vor ihm erfüllt. Jetzt solle er sie nur mit Hilfe der Soldaten des Caesars suchen, aber er solle auch wissen, daß, wenn Poppaeas Kind sterbe, der Verdacht auf Lygia falle und ihr Untergang unvermeidlich sei.

In Vinicius stritten Zorn und Schmerz und setzten sein Herz in wilden Aufruhr. Die Nachricht, Lygia liebe ihn, erschütterte seine Seele bis in ihre Tiefen. Er erinnerte sich ihrer, wie sie in Aulus' Garten mit errötenden Wangen und strahlenden Augen seinen Worten lauschte. Es war ihm, als habe sie damals in der Tat begonnen, ihn zu lieben, und plötzlich ergriff ihn bei diesem Gedanken das Gefühl einer Seligkeit, die tausendmal größer war als die, welche er erstrebt hatte. Er mußte daran denken, daß er sie in der Tat mit ihrer Zustimmung und noch dazu als liebendes Weib hätte besitzen können. Sie würde die Tür seines Hauses bekränzt und mit Wolfsfett gesalbt und sodann als Gattin auf dem Schaffell am Herde gesessen haben. Er würde aus ihrem Munde das Gelübde vernommen haben: »Wo du Gajus bist, dort bin ich Gaja,« und sie wäre aus ewig sein gewesen. Warum hatte er nicht so gehandelt? Er war allerdings dazu bereit gewesen. Jetzt war sie fort, und vielleicht konnte er sie nicht finden, wenn er sie aber fände, so war er möglicherweise an ihrem Tode schuld, und selbst wenn ihm dies erspart bliebe, würden weder Aulus und Pomponia noch sie selbst ihn wieder zu Gnaden annehmen. Dann begannen sich seine Haare von neuem vor Zorn zu sträuben, aber dieser richtete sich nicht mehr gegen Aulus oder Lygia, sondern gegen Petronius. Dieser war an allem schuld. Wäre er nicht gewesen, so brauchte Lygia nicht umherzuirren, sie wäre jetzt seine Gattin, und keine Gefahr würde über ihrem teuren Haupte schweben. Und nun war es geschehen, und es war zu spät, das Unheil wieder gutzumachen, das sich nicht wieder gutmachen ließ.

»Zu spät!«

Es war ihm, als öffne sich ein Abgrund vor seinen Füßen. Er wußte nicht, was er beginnen, was er tun, wohin er sich wenden sollte. Akte wiederholte wie ein Echo die Worte: »Zu spät,« welche ihm aus fremdem Munde wie ein Todesurteil klangen. Nur das eine war ihm klar: er mußte Lygia wiederfinden, denn sonst würde ein Unglück geschehen.

Er hüllte sich mechanisch in seine Toga und wollte sich eben entfernen, ohne sich von Akte zu verabschieden, als der Vorhang, der die Eingangshalle von dem Atrium trennte, zurückgeschlagen wurde und plötzlich die trauernde Gestalt Pomponia Graecinas vor ihm sichtbar wurde.

Offenbar hatte auch sie von dem Verschwinden Lygias gehört und kam nun, weil sie glaubte, es werde für sie leichter sein als für Aulus, Akte zu sprechen, zu dieser, um Erkundigungen einzuziehen.

Als sie jedoch Vinicius erblickte, wandte sie ihm ihr zartes, blasses Antlitz zu und sagte nach einiger Zeit: »Marcus, möge Gott dir das Unrecht vergeben, das du uns und Lygia zugefügt hast.«

Er stand mit gesenkter Stirn in dem Gefühl des selbstverschuldeten Unglücks da und wußte nicht, welcher Gott ihm vergeben sollte, noch weshalb Pomponia von Vergebung sprach, da sie doch hätte von Rache sprechen müssen.

Endlich entfernte er sich ratlos, schwer bekümmert, betäubt von Gram und Staunen.

Im Hofe und unter den Galerien standen Scharen besorgter Menschen. Mitten unter den Palastsklaven erblickte man Ritter und Senatoren, welche gekommen waren, um sich nach dem Befinden der kleinen Augusta zu erkundigen, sich zugleich im Palast zu zeigen und einen Beweis ihrer besorgten Teilnahme zu geben, sei es auch nur vor den Sklaven des Caesars. Die Nachricht von der Erkrankung des »göttlichen« Kindes hatte sich augenscheinlich rasch verbreitet, denn vor den Toren zeigten sich immer neue Gestalten, und vor dem Eingange waren ganze Scharen zu sehen. Einige der Anwesenden, welche Vinicius aus dem Palaste kommen sahen, baten ihn um Nachricht; doch er ging weiter, ohne auf die Fragen zu achten, bis Petronius, der ebenfalls gekommen war, um sich zu erkundigen, ihn leicht vor die Brust stieß und anhielt.

Vinicius hätte sich bei seinem Anblick unzweifelhaft hinreißen lassen und sich im Palaste des Caesars einer gesetzwidrigen Handlung schuldig gemacht, wenn er nicht, als er Akte verließ, so gebrochen, erschöpft und verzweifelt gewesen wäre, daß ihn in diesem Augenblicke sogar sein angeborener Jähzorn verlassen hatte. Er stieß Petronius zur Seite und wollte vorübergehen, aber dieser hielt ihn fast mit Gewalt zurück.

»Wie befindet sich die Göttliche?« fragte er.

Doch jener erzwungene Aufenthalt erbitterte Vinicius von neuem, und im Nu flammte sein Zorn wieder empor.

»Der Hades soll sie und dieses ganze Haus verschlingen!« erwiderte er zähneknirschend.

»Still, Unglückseliger!« rief Petronius, und sich nach allen Seiten umsehend, fuhr er hastig fort: »Wenn du etwas über Lygia erfahren willst, so komm mit mir. Nein! Hier sage ich dir nichts. Komm mit mir; dann werde ich dir meine Ansicht über die Sache in der Sänfte mitteilen.«

Er legte seinen Arm um seinen jungen Neffen und führte ihn eilig aus der Nähe des Palastes hinweg.

Darauf kam es ihm am meisten an, denn Nachrichten hatte er keine. Da er ein kluger Mann war und trotz seines gestrigen Unwillens große Zuneigung zu Vinicius empfand, sich endlich auch für alles Geschehene verantwortlich fühlte, so hatte er schon seine Vorkehrungen getroffen. Als sie in der Sänfte Platz genommen hatten, sagte er: »Ich habe meinen Sklaven Auftrag gegeben, an allen Toren zu wachen, auch gab ich ihnen eine Beschreibung des Mädchens und jenes Riesen, der sie beim Caesar aus dem Festsaale trug; denn es unterliegt keinem Zweifel, daß er es ist, der sie entführt hat. Höre mich an! Es ist möglich, daß Aulus sie aus einem seiner Güter verbergen will, und in diesem Falle werden wir erfahren, nach welcher Richtung man sie fortbringt. Wenn sie sie aber an keinem Tore bemerken, so ist dies ein Beweis dafür, daß sie noch in der Stadt ist und daß wir noch heute mit der Nachforschung in der Stadt beginnen können.«

»Aulus weiß nicht, wo sie sich befindet,« entgegnete Vinicius.

»Bist du sicher, daß dem so ist?«

»Ich habe Pomponia gesehen. Auch sie sucht sie.«

»Gestern konnte sie die Stadt nicht verlassen, denn nachts sind die Tore geschlossen. Zwei von meinen Leuten stehen jetzt an jedem Tore. Der eine muß der Spur Lygias und des Riesen folgen, der andere sofort zurückkehren, um Nachricht zu bringen. Wenn sie in der Stadt ist, so werden wir sie schon finden, denn jener Lygier ist wegen seiner Größe und Stärke leicht erkennbar. Du hast von Glück zu sagen, daß der Caesar sie dir nicht raubte; ich kann dich versichern, daß er es nicht getan hat, denn auf dem Palatin gibt es für mich keine Geheimnisse.«

Aber Vinicius empfand noch größeren Schmerz als Zorn, und mit vor Erregung zitternder Stimme begann er Petronius zu erzählen, was er von Akte erfahren hatte und welche neue Gefahren über Lygias Haupte schwebten. Diese seien so furchtbar, daß es notwendig sei, falls man die Flüchtlinge entdecke, sie auf das sorgfältigste vor Poppaea zu verbergen. Dann begann er Petronius wegen seines Rates heftige Vorwürfe zu machen. Wäre er nicht gewesen, so könnte alles anders sein. Lygia befände sich noch bei Aulus, und er, Vinicius, könnte sie täglich sehen und heut glücklicher sein als der Caesar. Je weiter er in seiner Erzählung kam, in desto heftigere Erregung geriet er, und endlich begannen ihm Tränen des Schmerzes und des Zorns aus seinen Augen zu tropfen.

Als Petronius, der überhaupt nie geglaubt hatte, daß sein junger Neffe so heiß lieben und von solchem Verlangen ergriffen werden könne, diese Tränen der Verzweiflung erblickte, sagte er mit einem gewissen Erstaunen zu sich selber: »O mächtige Gebieterin von Cypern, du allein beherrschst die Götter und Menschen!«


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