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Nach dem Mahle, das sich Frühstück nannte und zu dem die beiden Freunde sich zu einer Zeit niedersetzten, wo gewöhnliche Sterbliche ihr mittägliches Prandium schon längst eingenommen hatten, schlug Petronius vor, etwas zu ruhen, da es nach seiner Meinung zu früh war, um schicklicherweise Besuche machen zu können. Es gebe allerdings Leute, welche ihre Bekannten schon bei Sonnenaufgang zu besuchen pflegen, weil sie glauben, das gehöre zur alten römischen Sitte. Er aber, Petronius, halte dies für barbarisch. Die Nachmittagsstunden seien dazu am geeignetsten, wenn die Sonne auf ihrer Bahn bis über den Tempel des kapitolinischen Jupiter gelangt sei und in schräger Richtung auf das Forum niederschaue. Im Herbste sei es noch heiß, und die Menschen schlafen gern nach dem Essen. Dann sei es angenehm, dem Plätschern des Springbrunnens im Atrium zuzuhören und, nachdem man die vorgeschriebenen tausend Schritte gegangen sei, in dem roten Lichte einzuschlummern, das durch den halbzusammengezogenen purpurnen Bettvorhang dringe.
Vinicius erkannte das Zutreffende seiner Worte an, und sie begannen auf und nieder zu gehen, plauderten gemächlich über die Vorgänge auf dem Palatin und in der Stadt und fingen allmählich an, über das menschliche Leben zu philosophieren. Dann begab sich Petronius ins Cubiculum, schlief aber nicht lange. Nach Verlauf einer halben Stunde trat er wieder heraus, ließ sich Verbenenöl bringen und begann daran zu riechen und sich Hände und Schläfen damit zu reiben.
»Du glaubst gar nicht,« sagte er, »wie sehr dies belebt und erquickt. Jetzt bin ich bereit.«
Die Sänfte wartete ihrer schon längst; sie setzten sich hinein und ließen sich nach dem Vicus patricius, zu dem Hause des Aulus tragen. Die »Insula« des Petronius lag am Südabhange des Palatins in der Nähe der sogenannten Carinae; ihr kürzester Weg hätte daher unterhalb des Forums hingeführt, da aber Petronius zugleich bei dem Goldschmiede Idomeneus vorsprechen wollte, so gab er den Befehl, sie über den Vicus Apollinis und das Forum nach dem Vicus Sceleratus zu tragen, auf welchem Wege sie bei Läden aller Art vorüberkamen.
Riesige Neger hoben die Sänfte empor und setzten sich in Bewegung; ihnen folgten Sklaven, die man Pedisequi nannte. Eine Zeitlang hielt Petronius schweigend seine nach Verbenenöl duftenden Hände an die Nase und schien über etwas nachzudenken. Nach einer Weile sagte er: »Es fuhr mir eben durch den Kopf, daß, da deine Waldgöttin keine Sklavin ist, sie ja das Haus des Plautius verlassen und in das deinige übersiedeln kann. Du würdest sie mit Liebe umgeben und mit Reichtum überschütten, wie ich meine angebetete Chrysothemis, der ich – unter uns gesagt – ebenso im höchsten Grade überdrüssig bin, wie sie meiner.«
Marcus schüttelte den Kopf.
»Nicht?« fragte Petronius. »Im schlimmsten Falle dürfte die Sache vom Caesar abhängen, und du kannst versichert sein, daß der Rotbart dank meinem Einflusse auf deiner Seite stehen wird.«
»Du kennst Lygia nicht!« entgegnete Vinicius.
»Dann gestatte mir die Frage, ob du sie anders kennst, als von Gesicht. Hast du mit ihr gesprochen? Hast du ihr deine Liebe gestanden?«
»Ich sah sie zum erstenmal am Springbrunnen und habe sie später zweimal getroffen. Du mußt wissen, daß ich während meines Aufenthaltes in Aulus' Hause in einer Seitenvilla wohnte, die zur Aufnahme von Gästen bestimmt ist, und infolge meiner Handverstauchung nicht an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teilnehmen konnte. Erst am Abend des Tages, an welchem ich meine Abreise ankündigte, traf ich Lygia beim Essen, konnte aber kein Wort mit ihr sprechen. Ich mußte Aulus und seinen Erzählungen über die Siege, die er über die Britannier davongetragen hat, zuhören und dann seinen Darlegungen über den Untergang der kleinen Gutsbesitzer in Italien, den schon Licinius Stolo aufzuhalten versucht hat. Ich weiß überhaupt nicht, ob Aulus von etwas anderem sprechen kann; glaube auch ja nicht, daß wir davon loskommen, du müßtest denn wünschen, etwas über die Verweichlichung der heutigen Zeit zu hören. Es werden dort Fasanen auf dem Geflügelhof gehalten, aber nicht gegessen, da Aulus fest davon überzeugt ist, daß durch den Tod eines jeden Fasans der Untergang des römischen Reiches beschleunigt werde. Das zweite Mal traf ich Lygia an der Gartenzisterne; sie hielt einen frisch abgebrochenen Zweig in der Hand, tauchte dessen oberes Ende ins Wasser und besprengte damit die ringsherum stehenden Schwertlilien. Sieh dir meine Kniee an. Beim Schilde des Herakles, ich versichere dich, sie haben nicht gewankt, wenn die Parther wie Wetterwolken gegen unsere Manipeln anstürmten; an jener Zisterne haben sie aber gewankt. Und schüchtern wie ein Knabe, der noch das Amulett auf der Brust trägt, flehte ich nur mit den Augen um Erhörung, lange Zeit außer stande, ein Wort hervorzubringen.«
Petronius betrachtete ihn mit einer Art Neid.
»Du Glücklicher!« sprach er, »mögen Welt und Leben auch noch so erbärmlich sein, eins trifft man in ihnen an, das ewig schön sein wird – die Jugend.«
Nach einer Weile fragte er wieder: »Und du hast nicht mit ihr gesprochen?«
»Allerdings. Als ich mich etwas erholt hatte, erzählte ich ihr, daß ich auf der Rückkehr aus Asien begriffen sei, daß ich mir die Hand vor der Stadt verstaucht und Schmerzen gelitten habe, daß ich aber in dem Augenblicke, wo ich dieses gastliche Haus verlassen müsse, fühle, daß Schmerzen in ihm der Freude anderswo vorzuziehen seien, daß hier krank zu liegen besser sei, als anderswo gesund zu sein. Sie hörte meine Worte voller Verwirrung und gesenkten Hauptes an und zeichnete mit dem Zweige etwas in den safrangelben Sand. Dann schlug sie die Augen auf und richtete sie bald auf ihre Zeichnung, bald auf mich, als wollte sie noch etwas fragen und flüchtete dann wie eine Nymphe vor einem häßlichen Faun.«
»Sie muß schöne Augen haben.«
»Wie das Meer, und ich versank in ihnen wie im Meer. Glaube mir, der Archipelagos ist von einem matteren Blau. Bald darauf erschien der kleine Plautius und begann nach etwas zu fragen. Aber ich verstand nicht, was er wollte.«
»O Athene!« rief Petronius aus, »nimm diesem Jüngling die Binde von den Augen, die ihm Eros angelegt hat, denn sonst zerschmettert er am Ende noch seinen Kopf an den Säulen des Venustempels.«
Dann wandte er sich zu Vinicius und sagte: »O du Lenzknospe am Baume des Lebens, du erster grüner Sproß am Weinstock! Ich sollte dich anstatt in das Haus des Plautius nach dem Hause des Gelocius schaffen lassen, in dem sich eine Schule für des Lebens unkundige Knaben befindet.«
»Warum denn eigentlich?«
»Was zeichnete sie in den Sand? War es nicht der Name Amors oder ein von seinem Pfeile durchbohrtes Herz oder etwas ähnliches, aus dem du entnehmen konntest, daß die Satyrn deiner Nymphe schon manche Geheimnisse des Lebens ins Ohr geraunt haben? Wie war es möglich, daß du jene Zeichen nicht ansahst?«
»Ich trage die Toga schon länger, als du glaubst,« versetzte Vinicius, »und bevor der kleine Aulus zu mir kam, sah ich mir diese Zeichen genau an, denn ich weiß ja, daß liebende Jungfrauen in Griechenland und Rom häufig Geständnisse in den Sand schreiben, die ihre Lippen nie aussprechen würden. Rate einmal, was sie zeichnete.«
»Wenn es etwas anderes ist, als ich vermute, so will ich nicht erst raten.«
»Einen Fisch.«
»Wie sagst du?«
»Ich sage: einen Fisch. Was hatte das anderes zu bedeuten, als daß in ihren Adern ebenso kaltes Blut fließt? Ich weiß es nicht. Aber du, der du mich eine Lenzknospe am Baume des Lebens nanntest, wirst gewiß besser imstande sein, mir die Bedeutung dieses Zeichens zu erklären.«
»Mein Lieber, danach mußt du Plinius fragen. Er versteht sich auf Fische. Lebte der alte Apicius noch, so könnte er dir vielleicht auch etwas darüber sagen, da er in seinem Leben mehr Fische gegessen hat, als der Meerbusen von Neapel fassen kann.«
Das weitere Gespräch wurde abgebrochen, denn sie kamen in belebte Straßen, in denen der Lärm der Menschen es unmöglich machte. Über den Vicus Apollinis hinweg wandten sie sich nach dem Forum Romanum, wo an heiteren Tagen vor Sonnenuntergang Scharen von Müßiggängern zusammenströmten, um zwischen den Säulen auf und ab zu gehen, Neuigkeiten zu erzählen und sich erzählen zu lassen, Sänften mit bekannten Persönlichkeiten vorübertragen zu sehen und schließlich in die Gewölbe der Goldschmiede, in Buchhandlungen, in Läden, in denen Geld gewechselt wurde, in Seidenhandlungen, Bronzehandlungen und andere derartige Hallen hineinzugaffen, von denen sich viele in den Häusern befanden, die den dem Kapitol gegenüberliegenden Teil des Platzes umgaben. Die eine Hälfte des Forums, unterhalb des überhängenden Burgfelsens, lag bereits im Schatten; die höher gelegenen Tempelsäulen dagegen hoben sich noch hellschimmernd vom blauen Himmel ab. Die tieferstehenden warfen lange Schatten auf die Marmorplatten – überall stand eine solche Menge von Säulen, daß das Auge sich darin wie in einem Walde verirrte. Es hatte den Anschein, als seien Häuser und Säulen zusammengedrängt. Sie türmten sich übereinander, dehnten sich nach rechts und links aus, zogen sich die Berglehne hinauf, schmiegten sich an die Felswand oder aneinander an wie kleinere und größere, stärkere und schwächere, gelbe und weiße Stämme, die bald mit Architraven und Akanthosblüten geziert, bald mit ionischen Voluten bedeckt waren, bald in eine rechteckige skulpturengeschmückte Steinplatte ausliefen. Oberhalb jenes Säulenwaldes glänzten bemalte Triglyphen, aus den Tympana traten plastische Göttergestalten hervor, auf den Giebelspitzen schienen geflügelte vergoldete Quadrigen sich in die Höhe zu schwingen in den blauen Himmelsraum, der sich so friedlich über der ewigen Stadt wölbte. In der Mitte und an den Seiten des Platzes wogten die Menschen hin und her: scharenweise strömten sie unter die Arkaden der Basilika Julius Caesars, scharenweise saßen sie auf den Stufen der Standbilder des Castor und Pollux und drängten sich um den Vestatempel, von dessen aus riesigen Marmorplatten bestehenden Wänden sie sich gleich Schwärmen von buntfarbigen Schmetterlingen oder Käfern abhoben. Über die mächtigen Stufen zur Seite des dem Jupiter Optimus Maximus geweihten Tempels fluteten neue Menschenmassen herab; vor den Rostra lauschte man den Worten einiger Gelegenheitsredner; hier und da ertönte das Geschrei von Händlern, die Früchte, Wein oder mit Feigensaft vermischtes Wasser feilboten, von Scharlatanen, die wunderwirkende Arzneien anpriesen, von Wahrsagern, die verborgene Schätze verrieten, von Traumdeutern. Bisweilen mischten sich in den Lärm und das Stimmengetöse die Klänge einer Sistra, ägyptischen Sambuka oder griechischer Flöten. Hier und dort brachten fromme oder betrübte Beter Opfergaben zu den Tempeln. In der Mitte der Menschenmenge sammelten sich auf den Steinplatten, voller Begier nach dem verstreuten Opfergetreide, Scharen von Tauben gleich beweglichen hell- und dunkelfarbigen Punkten, schwangen sich hier flügelrauschend empor und ließen sich dort an einem leeren Platz mitten im Gedränge von neuem nieder. Von Zeit zu Zeit öffneten sich die Menschenmassen, um Sänften vorbeizulassen, in denen geputzte Frauenköpfe oder die Gesichter von Senatoren und Rittern mit müden und lebensüberdrüssigen Gesichtern sichtbar wurden. Die vielsprachige Menge rief laut ihre Namen unter Hinzufügung von Spitznamen aus, die entweder Spott oder Anerkennung ausdrückten. Hin und wieder marschierten Abteilungen von Söldnern oder Wachtsoldaten gemessenen Schrittes durch das Gedränge, um die Ordnung auf den Straßen aufrechtzuerhalten. Ringsherum war die griechische Sprache ebenso häufig zu hören, wie die lateinische.
Vinicius, der lange Zeit nicht in Rom gewesen war, betrachtete mit einer gewissen Neugier jene Volksmenge und jenes Forum Romanum, welches im Sturme die Welt erobert hatten, so daß Petronius, welcher die Gedanken seines Gefährten erriet, es ein Quiritennest – ohne Quiriten nannte, In der Tat war das heimische Element beinahe in Gefahr, unter dieser Menge zu verschwinden, die sich aus allen Rassen und Völkern zusammensetzte. Es waren dort Äthiopier zu erblicken, riesige, blonde Gestalten aus dem fernen Norden, Britannier, Gallier und Germanen, schiefäugige Bewohner Sericums, Chinas. Leute vom Euphrat und Leute vom Indus mit rotgefärbten Bärten, Syrier von den Ufern des Orontes mit schwarzen, sanften Augen, bis auf die Knochen ausgedörrte Bewohner der arabischen Wüste, Juden mit eingefallener Brust, Ägyptier mit ihrem ewig gleichmütigen Lächeln im Gesicht, Numidier und Afrikaner, Griechen aus Hellas, welche ebenso angesehen in der Stadt waren wie die Römer selbst, aber in Wissenschaft, Kunst, Geist und List diesen überlegen waren, Griechen von den Inseln und aus Kleinasien, aus Ägypten, aus Italien, aus Gallia Narbonensis. Neben den massenhaften Sklaven mit durchbohrten Ohrläppchen fehlten aber weder die Freigelassenen, Müßiggänger, für deren Unterhaltung, Nahrung und selbst Kleidung der Caesar sorgte – noch auch freie Fremdlinge, welche die Aussicht auf Lebensgenuß und Reichtum nach der Riesenstadt gelockt hatte, ebensowenig fehlte es an bestechlichen Personen, an Serapispriestern mit Palmzweigen in den Händen, an Priestern der Isis, auf deren Altar mehr Opfergaben niedergelegt wurden als im Tempel des kapitolinischen Jupiter – an Priestern der Kybele mit goldenen Reisähren in den Händen, an Priestern wandernder Götter, an orientalischen Tänzern mit grellfarbigen Mitren, an Amulettenverkäufern, an Schlangenbändigern und chaldäischen Magiern, endlich an Leuten ohne jegliche Beschäftigung, welche sich jede Woche in den Speichern am Tiber Getreide holten, sich um Einlaßkarten zum Zirkus schlugen, die Nächte beständig in den verfallenen Häusern am Tiberufer zubrachten und an heiteren, warmen Tagen unter bedeckten Torbogen, in den schmutzigen Schenken der Subura, auf der Milvischen Brücke oder vor den »Insulae« der Reichen verweilten, wo ihnen von Zeit zu Zeit Reste von den Mahlzeiten der Sklaven zugeworfen wurden.
Petronius war der Volksmenge wohlbekannt. Fortwährend drang an Vinicius' Ohren der Ruf: » Hic est!« – »Da ist er!« Er war seiner Freigebigkeit wegen beliebt; namentlich aber war seine Popularität seit der Zeit gestiegen, wo er vor dem Caesar gegen ein Todesurteil gesprochen hatte, das über die ganze »Familia,« das heißt über sämtliche Sklaven des Präfekten Pedanius Secundus ohne Unterschied des Geschlechts und Alters verhängt worden war, weil einer von ihnen in einem Anfalle der Verzweiflung diesen Wüterich getötet hatte. Petronius erklärte zwar wiederholt laut, daß ihm dies alles gleichgültig gewesen sei und daß er mit dem Kaiser nur als Privatmann, als arbiter elegantiarum gesprochen habe, dessen ästhetisches Gefühl sich gegen dieses barbarische Abschlachten, das sich wohl für Skythen, aber nicht für Römer schicke, empöre. Nichtsdestoweniger war Petronius seit dieser Zeit beim Volke, das über dieses Blutbad entrüstet war, beliebt.
Aber er kümmerte sich nicht darum; er mußte daran denken, daß dieses Volk auch den Britannicus, welchen Nero vergiftete, geliebt hatte, ebenso Agrippina, die dieser hatte ermorden lassen, Octavia, die man zu Pandataria in heißem Dampfe erstickte, nachdem ihr vorher die Adern geöffnet worden waren – Rubelius Plautius, den Verbannung getroffen hatte, und Thrasea, dem jeden Tag das Todesurteil gesprochen werden konnte. Die Liebe des Volkes konnte daher eher als schlechtes Zeichen gelten, und der Skeptiker Petronius war zugleich abergläubisch. Die Menge betrachtete er aus einem doppelten Gesichtspunkte: als Aristokrat und als Ästhetiker. Leute, die nach gerösteten Bohnen rochen, welche sie auf der Brust mit sich herumtrugen und außerdem vom Moraspielen an den Straßenecken und Peristylen beständig heiser und schweißbedeckt waren, verdienten in seinen Augen nicht den Namen Menschen.
Er kümmerte sich daher weder um die Beifallsrufe, noch um die Kußhände, die ihm von hier und da zugeworfen wurden, und erzählte Marcus den Fall des Pedanius, wobei er über den Wankelmut des Straßenpöbels spottete, der am Tage nach der schrecklichen Metzelei Nero bei seiner Fahrt nach dem Tempel des Jupiter Stator jubelnd begrüßt hatte. Bei der Buchhandlung des Avirnus ließ er jedoch halten, stieg aus und kaufte ein schön geschriebenes Manuskript, welches er Vinicius überreichte.
»Dies ist ein Geschenk für dich,« sagte er.
»Ich danke dir,« entgegnete Vinicius. Dann sah er auf den Titel und fragte: »Satyrikon? Das ist etwas Neues. Von wem ist es?«
»Von mir. Ich sehne mich aber durchaus nicht nach demselben Schicksale wie Rufinus, dessen Geschichte ich dir erzählen wollte, oder wie Fabricius Vejento; deswegen weiß niemand etwas davon, und auch dich möchte ich bitten, nicht darüber zu sprechen.«
»Du erklärtest, keine Verse zu schreiben,« sagte Vinicius, indem er das Buch in der Mitte aufschlug, doch sehe ich hier die Prosa stark mit ihnen gemischt.«
»Wenn du es liest, so beachte das Gastmahl des Trimalchio. Was die Verse betrifft, so sind sie mir zuwider, seit Nero ein Epos schreibt. Wenn Vitellius, mußt du wissen, sich erbrechen will, so gebraucht er Elfenbeinstäbchen, die er sich in den Schlund steckt, andere bedienen sich in Olivenöl oder eine Thymianabkochung getauchter Flamingofedern – ich jedoch lese Neros Gedichte – und der Erfolg tritt sofort ein. Ich kann sie nachher wieder loben, zwar nicht mit leichtem Gewissen, doch mit leichtem Magen.«
Nach diesen Worten ließ er die Sänfte bei dem Goldschmied Idomeneus von neuem anhalten, und gab, nachdem er die Angelegenheit mit den Gemmen geordnet hatte, den Befehl, die Sänfte direkt zum Hause des Aulus zu tragen.
»Unterwegs will ich dir zum Beweise, wie groß die Eitelkeit eines Schriftstellers sein kann, die Geschichte des Rufinus erzählen,« sagte er.
Ehe er aber beginnen konnte, bogen sie in den Vicus Patricius ein und hielten nach kurzer Zeit vor Aulus' Wohnung. Ein junger kräftiger Janitor öffnete ihnen die zum Ostium führende Tür, über der eine in einem Bauer eingesperrte Elster sie mit dem lauten Rufe: »Salve« begrüßte.
Auf dem Wege vom zweiten Zimmer, Ostium genannt, nach dem Atrium sagte Vinicius: »Hast du bemerkt, daß hier die Türhüter nicht mit Ketten gefesselt sind?«
»Ein sonderbares Haus,« antwortete Petronius leise. »Ohne Zweifel ist es dir bekannt, daß Pomponia Graecina in dem Verdachte steht, Anhängerin eines orientalischen Aberglaubens zu sein, der in der Verehrung eines gewissen Chrestos besteht. Es scheint, daß Crispinella dieses Gerede über sie aufgebracht hat, die es Pomponia nicht verzeihen kann, daß ihr ein Mann fürs ganze Leben genügt. Univira! Es ist heutzutage leichter, in Rom eine Schüssel norischer Pilze zu bekommen. Man hat Pomponia vor ein Familiengericht gestellt …«
»Du hast recht, es ist ein sonderbares Haus. Später werde ich dir erzählen, was ich hier sah und hörte.«
Unterdessen waren sie bis ins Atrium gelangt. Der hier angestellte Sklave, Atriensis genannt, befahl dem Nomenclator, die Gäste anzumelden, und schob diesen Lehnstühle und Fußbänke hin. Petronius, der erwartet hatte, in diesem ernsten Hause beständigen Trübsinn anzutreffen, war noch nie hier gewesen und sah sich daher mit einer gewissen Überraschung und einem Gefühl der Enttäuschung um, denn das Atrium machte eher einen heiteren Eindruck. Eine Flut strahlenden Lichtes ergoß sich durch eine große Öffnung von oben und spiegelte sich tausendfach in einem Springbrunnen wider. Ein viereckiges Becken in der Mitte, das zur Aufnahme des bei schlechtem Wetter durch die Öffnung im Dach einfallenden Regens bestimmt war und Impluvium hieß, war von Anemonen und Lilien umgeben. Namentlich die Lilien schienen im Hause beliebt zu sein; denn es standen da ganze Beete voll weißer und roter Lilien, außerdem blaue Schwertlilien, deren zarte Blätter vom Wasserstaube wie versilbert waren. Mitten in dem nassen Moose, in welchem die Töpfe mit den Lilien verborgen waren, und dem Blättergewirr standen kleine Statuen aus Bronze, Kinder und Wasservögel darstellend. In der einen Ecke beugte eine ebenfalls in Bronze gegossene Hirschkuh ihren von der Feuchtigkeit grün angelaufenen Kopf zum Wasser nieder, als wolle sie trinken. Der Fußboden des Atriums bestand aus Mosaik; die Wände, teils mit rotem Marmor ausgelegt, teils mit Fischen, Vögeln und Greifen auf Holz bemalt, ergötzten die Augen durch ihr Farbenspiel. Die Türen der Nebenzimmer waren mit Verzierungen aus Schildpatt oder sogar aus Elfenbein geschmückt; an den Wänden zwischen den Türen standen die Statuen von Aulus' Ahnen. Im ganzen konnte man gediegenen Reichtum erkennen, der fern von Luxus, aber vornehm und selbstbewußt war.
Petronius, dessen Haus ungleich größer und prunkvoller war, konnte hier jedoch nichts aufdringliches entdecken, was seinen Geschmack beleidigt hätte – und wollte sich eben mit dieser Bemerkung an Vinicius wenden, als ein Sklave, der Velarius, den Vorhang, der das Atrium vom Tablinum trennte, auseinander schlug, und im Innern des Gemaches lud Aulus Plautius sie ein, näher zu treten.
Dieser war ein Mann, der sich dem Abende seines Lebens näherte, mit schneeweißem Haupte, aber kräftig, mit energischem Gesichte, das etwas klein war, aber auch etwas an den Kopf eines Adlers erinnerte. Jetzt malte sich in seinen Zügen etwas wie Verwunderung, ja Unruhe über die unvermutete Ankunft des Freundes, Genossen und Vertrauten Neros.
Petronius war zu sehr Weltmann und zu scharfsinnig, um dies nicht zu bemerken; er erklärte daher sofort nach der ersten Begrüßung mit der ganzen Beredsamkeit und Offenheit, die ihm zu Gebote stand, daß er komme, um für die Hilfe zu danken, welche der Sohn seiner Schwester in diesem Hause gefunden habe, und allein Dankbarkeit sei der Grund seines Besuches, zu dem ihn übrigens seine alte Bekanntschaft mit Plautius ermutigt habe.
Aulus versicherte ihn seinerseits, der Gast sei willkommen, und was die Dankbarkeit betreffe, so habe auch er diese Empfindung, wenn auch Petronius gewiß nicht die Veranlassung dazu errate.
Petronius erriet es in der Tat nicht. Vergebens richtete er seine braunen Augen nach oben und bemühte sich, sich den geringsten Dienst, den er Aulus oder sonst jemandem geleistet hatte, ins Gedächtnis zurückzurufen. Er erinnerte sich an keinen, es müßte denn der Gefalle sein, den er Vinicius zu tun im Begriffe stand. Doch so etwas konnte allerdings absichtslos geschehen sein, aber auch nur absichtslos.
»Ich liebe und achte Vespasianus sehr,« antwortete Aulus, »dem du das Leben gerettet hast, als es ihm einmal passierte, daß er unglücklicherweise beim Anhören der Verse des Kaisers einschlief.«
»Es war ein Glück für ihn, daß er sie nicht hörte,« entgegnete Petronius; »doch will ich nicht leugnen, es hätte unglücklich ablaufen können. Der Rotbart wollte durchaus einen Centurio mit der freundlichen Aufforderung zu ihm schicken, sich die Adern zu öffnen.«
»Doch du, Petronius, hast ihn ausgelacht.«
»So ist es, oder vielmehr im Gegenteil: ich sagte Nero, daß, wenn Orpheus es verstanden habe, durch seinen Gesang wilde Tiere einzuschläfern, er einen ebenso großen Triumph davongetragen habe, da es ihm gelungen sei, Vespasian zum Einschlafen zu bringen. Den Rotbart kann man unter dem Vorbehalt tadeln, daß man dem leichten Tadel eine größere Dosis Schmeichelei beimischt. Unsere gnädige Augusta Poppaea versteht dies ausgezeichnet.«
»Leider, so sind die Zeiten,« antwortete Aulus. »Mir fehlen zwei Vorderzähne, die mir ein Stein, von der Hand eines Briten geschleudert, eingeschlagen hat, und daher kommen meine Worte zischend heraus. Aber doch habe ich die schönste Zeit meines Lebens bei den Briten zugebracht.«
»Weil es eine siegreiche Zeit war,« setzte Vinicius hinzu.
Aber Petronius, welcher fürchtete, der alte Feldherr könne anfangen von seinen früheren Kriegen zu erzählen, gab dem Gespräche eine andere Wendung. In der Nähe Praenestes hätten Landleute einen toten jungen Wolf mit zwei Köpfen gefunden, und bei einem Gewitter hätte jüngst der Blitz einen Flügel des Lunatempels zerstört – ein Vorfall, der namentlich im Spätherbste unerhört sei. Ein gewisser Cotta, der ihm dieses erzählt habe, habe zugleich hinzugefügt, daß die Priester dieses Tempels auf Grund dieses Ereignisses den Untergang der Stadt oder mindestens den Fall eines großen Hauses prophezeit hätten, der nur durch außerordentliche Opfer abgewendet werden könne.
Aulus drückte nach Anhörung dieser Erzählung seine Ansicht dahin aus, daß man solche Wunderzeichen nicht leicht nehmen dürfe und daß vielleicht die Götter über die furchtbare Zunahme der Lasterhaftigkeit erzürnt seien; dies sei auch gar nicht verwunderlich, und in einem solchen Falle seien Sühnopfer völlig am Platze.
»Dein Haus, Plautius, ist nicht groß,« entgegnete Petronius, »obgleich ein großer Mann darin wohnt; das meinige ist aber in Wahrheit viel zu groß für einen solchen Taugenichts von Eigentümer, obgleich es ebenso klein ist. Wenn es sich aber um den Untergang einer so bedeutenden Sache wie zum Beispiel des Palastes des Caesars, der domus transitoria, handelte, würde es sich für uns wohl lohnen, Opfer darzubringen, um deren Untergang abzuwehren?«
Plautius gab auf diese Frage keine Antwort, eine Vorsicht, die Petronius etwas verdroß, denn trotz seiner völligen Unfähigkeit, Gutes und Böses unterscheiden zu können, war er niemals ein Angeber gewesen, und man konnte mit ihm ohne alle Gefahr sprechen. Daher gab er dem Gespräch abermals eine andere Wendung und begann Plautius' Wohnung und den guten Geschmack, der in dem Hause herrsche, zu rühmen.
»Es ist ein alter Familiensitz,« antwortete Plautius, »auf dem ich nichts geändert habe, seitdem er mir als Erbteil zugefallen ist.«
Nachdem der Vorhang, der das Atrium vom Tablinum trennte, weggezogen worden war, konnte man das ganze Haus übersehen, so daß der Blick durch das Tablinum, das daran stoßende Peristyl und den jenseits von diesem liegenden Saal bis zum Garten schweifte, der sich von fern wie ein helles Bild, umgeben von einem dunklen Rahmen, ausnahm. Fröhliches Kindergelächter drang von dort bis ins Atrium herüber.
»Ach, Feldherr,« sagte Petronius, »gestatte uns, diesem heiteren Lachen, das anzustimmen heute so schwer ist, in der Nähe zu lauschen.«
»Gern,« erwiderte Plautius, indem er sich erhob. »Mein kleiner Aulus und Lygia spielen dort Ball. Was jedoch das Lachen betrifft, so meine ich, Petronius, daß es unserem ganzen Leben daran mangelt.«
»Das Leben ist des Lachens wert; also lache ich darüber,« versetzte Petronius; »aber hier klingt das Lachen ganz anders.«
»Petronius,« fügte Vinicius hinzu, »lacht übrigens oft tagelang nicht, dafür aber dann mitunter ganze Nächte hindurch.«
Bei diesen Worten durchschritten sie das Haus der Länge nach und gelangten in den Garten, wo Lygia und der kleine Aulus mit Bällen spielten, während eigens in diesem Spiele unterwiesene Sklaven, Sphaeristae genannt, diese von der Erde aufhoben und ihnen wieder in die Hand gaben. Petronius warf einen raschen, flüchtigen Blick auf Lygia, und der kleine Aulus sprang, als er Vinicius erblickte, herbei, um ihn zu begrüßen. Dieser schritt jedoch weiter und verneigte sein Haupt vor dem schönen Mädchen, welche mit einem Balle in der Hand errötend dastand, mit aufgelöstem Haar und beinahe atemlos.
In dem von Efeu, Wein und Geißblatt beschatteten Gartentriclinium saß Pomponia Graecina, und die Gäste näherten sich ihr, um sie zu begrüßen. Obgleich Petronius in Plautius' Hause nicht verkehrte, kannte er sie doch, denn er hatte sie bei Antistia, der Tochter von Rubelius Plautus, und ferner in Senecas und Pollios Hause gesehen. Er konnte sich der Bewunderung nicht entschlagen, welche ihm ihr ernstes und dabei freundliches Gesicht, die Vornehmheit ihrer Haltung, ihrer Bewegungen, ihrer Sprache einflößten. Pomponia widersprach seiner Meinung über die Frauen in solchem Grade, daß dieser Mann, der bis ins Mark verderbt und selbstbewußt war wie niemand sonst in Rom, nicht nur für sie eine gewisse Hochachtung empfand, sondern auch ihr gegenüber etwas von seinem Selbstvertrauen einbüßte. Und als er ihr nun für ihre Sorge um Vinicius dankte, entschlüpfte ihm wie unwillkürlich der Ausdruck » domina,« den er sonst nie in den Mund nahm, wenn er zum Beispiel mit Calvia, Crispinella, mit Scribonia, mit Valeria, Solina und anderen Frauen der großen Welt sprach. Nachdem die Begrüßungen und Danksagungen vorüber waren, begann er sein Bedauern auszusprechen, daß er Pomponia so selten sehe und sie niemals im Zirkus oder im Amphitheater treffe, worauf sie ihm ruhig, ihre Hand in die ihres Gatten legend, antwortete: »Wir sind alt und lieben beide immer mehr die häusliche Ruhe.«
Petronius wollte widersprechen, aber Aulus Plautius fügte mit zischender Stimme hinzu: »Und wir fühlen uns immer fremder unter Menschen, die sogar unsere römischen Götter mit griechischen Namen benennen.«
»Die Götter sind schon längst zu bloßen rhetorischen Figuren geworden,« erwiderte Petronius gleichgültig; »seitdem aber griechische Rhetoren uns unterrichten, fällt es mir zum Beispiel selbst leichter, Hera an Stelle von Juno zu sagen.«
Bei diesen Worten richtete er seine Blicke auf Pomponia, wie um auszudrücken, daß er in ihrer Gegenwart an keine andere Gottheit denken könne, und machte dann seine Einwendung gegen das, was sie über ihr Alter gesagt hatte: »Gewiß, die Menschen altern rasch; aber es gibt auch solche, welche ein völlig anderes Leben genießen, und auch Gesichter, welche Saturn vergessen zu wollen scheint.« Petronius sagte dies mit einer gewissen Aufrichtigkeit, weil Pomponia Graecina, obgleich sie über den Mittag des Lebens hinaus war, sich eine ungewöhnliche Frische der Gesichtsfarbe bewahrt hatte und, da ihr Kopf klein und ihre Züge feingeschnitten waren, trotz ihrer schwarzen Kleidung und trotz ihres ernsten Wesens daher mitunter den Eindruck einer bedeutend jüngeren Frau machte.
Unterdessen hatte sich der kleine Aulus, der sich mit Vinicius während dessen Aufenthaltes im Hause eng befreundet hatte, diesem genähert und ihn eingeladen, am Ballspiele teilzunehmen. Hinter dem Knaben war auch Lygia in das Triclinium getreten. Unter dem rankenden Efeu, mit den über ihr Gesicht dahinhuschenden Lichtstrahlen, erschien sie jetzt Petronius noch reizender als auf den ersten Blick und wirklich einer Nymphe ähnlich. Da er sie aber noch nicht angeredet hatte, erhob er sich von seinem Sitze, neigte das Haupt vor ihr und begann statt der gewöhnlichen Begrüßungsformel die Worte zu zitieren, mit denen Odysseus die Nausikaa begrüßte:
Bist du der Sterblichen eine, die rings umwohnen das Erdreich,
Dreimal selig dein Vater fürwahr und die würdige Mutter,
Dreimal selig die Brüder zugleich!
Selbst Pomponia gefiel die auserlesene Höflichkeit des weltgewandten Mannes. Lygia hörte ihm ihrerseits verwirrt und errötend zu, ohne den Mut zu besitzen, die Augen aufzuschlagen. Aber allmählich zuckte ein mutwilliges Lächeln um ihre Mundwinkel, und in ihren Zügen war der Kampf zwischen mädchenhafter Scheu und dem Wunsche, zu antworten, deutlich zu erkennen; augenscheinlich überwog jener Wunsch, denn sie erhob plötzlich die Augen zu Petronius und erwiderte mit den Worten Nausikaas, die sie in einem Atem und fast wie eine auswendig gelernte Lektion hersagte:
Fremdling, dieweil kein schlechter noch törichter Mann du erscheinest …
Dann wandte sie sich um und flog davon wie ein erschrecktes Vöglein.
Die Reihe zu erstaunen war diesmal an Petronius, denn er hatte nicht erwartet, homerische Verse aus dem Munde eines Mädchens zu vernehmen, über dessen barbarische Abkunft er von Vinicius unterrichtet worden war. Er warf daher einen fragenden Blick auf Pomponia; doch konnte ihm diese nicht antworten, da sie soeben lächelnd den stolzen Ausdruck beobachtete, der sich auf dem Gesichte des alten Aulus zeigte.
Dieser konnte seinen Stolz nicht verbergen. Erstens liebte er Lygia wie seine eigene Tochter, und zweitens betrachtete er trotz seiner altrömischen Vorurteile, die ihn veranlaßten, gegen die griechische Sprache und ihre Verbreitung zu donnern, diese für den Gipfel gesellschaftlicher Bildung. Er selbst hatte sie nicht recht erlernen können, und das verdroß ihn im stillen. Er war daher froh, daß dieser anspruchsvolle Mann, der zugleich eine hohe literarische Bildung besaß und geneigt war, das Haus, in dem er sich befand, für barbarisch zu halten, eine Antwort in dieser Sprache und in homerischen Versen bekommen hatte.
»Es ist ein Pädagoge im Hause, ein Grieche,« sagte er, indem er sich an Petronius wandte, »der unseren Sohn unterrichtet, und das Mädchen hört bei den Lektionen zu. Sie ist zwar noch eine Bachstelze, aber eine liebliche Bachstelze, die wir beide in unser Herz geschlossen haben.«
Petronius blickte durch die Efeu- und Caprifoliumranken hinaus in den Garten und auf die drei, die dort spielten. Vinicius hatte die Toga abgelegt und warf nun, nur mit der Tunika bekleidet, den Ball in die Höhe, den Lygia, die ihm gegenüber stand, mit erhobenen Armen aufzufangen bemüht war. Das Mädchen hatte auf den ersten Blick keinen großen Eindruck auf ihn gemacht. Es erschien ihm zu schlank. Aber von dem Augenblicke an, wo er Lygia im Triclinium näher betrachtet hatte, dachte er bei sich, daß so vielleicht Aurora aussehen könnte, und es entging ihm als Kenner nicht, daß sie keine alltägliche Erscheinung sei. Alles betrachtete und alles würdigte er: sowohl ihr klares, rosiges Antlitz, die frischen, wie zum Kusse geöffneten Lippen, die in tiefem Meeresblau erstrahlenden Augen, die alabasterweiße Stirn, die Fülle der dunklen Haare, die im durchscheinenden Lichte wie Bernstein oder korinthisches Erz leuchteten, den schlanken Hals, die herrlich herabfallenden Schultern und die ganze geschmeidige, anmutige, in der Maienblüte der Jugend prangende und blumenfrische Gestalt. Es erwachte in ihm der Künstler und Verehrer der Schönheit, und er fühlte, daß man unter das Standbild dieses Mädchens »Frühling« schreiben könne. – Mit einem Male dachte er an Chrysothemis und mußte spöttisch lachen. Sie kam ihm mit ihrem Goldpuder in den Haaren und mit ihren geschwärzten Brauen völlig verwelkt vor wie ein Rosenstrauch und eine Rose, die ihre Blätter verliert. Und dennoch beneidete ihn ganz Rom um diese Chrysothemis. Dann rief er sich Poppaea ins Gedächtnis zurück, und auch diese berühmte Poppaea kam ihm wie eine seelenlose Wachspuppe vor. In diesem Mädchen, das einer Tonfigur aus Tanagra glich, wohnte nicht nur der Frühling, sondern auch eine strahlende »Psyche,« die durch ihren rosigen Leib hindurchleuchtete wie die Flamme durch den Schirm der Lampe.
»Vinicius hat recht,« dachte er, »und meine Chrysothemis ist alt, alt … wie Troja!«
Dann wandte er sich an Pomponia Graecina und sagte, nach dem Garten deutend: »Jetzt verstehe ich, Domina, daß ihr in der Gesellschaft dieser beider das Haus den Festen auf dem Palatin und im Zirkus vorzieht.«
»Ja,« erwiderte sie, den Blick auf den kleinen Aulus und Lygia richtend.
Der alte Feldherr fing nun an, die Geschichte des Mädchens zu erzählen und das, was er vor langen Jahren von Atelius Hister über das im äußersten Norden wohnende Volk der Lygier gehört hatte.
Unterdessen hatten die drei mit dem Ballspiel aufgehört und wandelten eine Zeitlang im Sande des Gartens auf und ab, wobei sie sich von dem dunklen Hintergrunde der Myrten und Cypressen wie drei weiße Statuen abhoben. Lygia führte den kleinen Aulus an der Hand. Nachdem sie etwas umhergegangen waren, setzten sie sich auf eine Bank bei dem Fischteich, der in der Mitte des Gartens lag. Aber bald sprang Aulus davon, um die Fische in dem klaren Wasser zu necken. Vinicius aber fuhr in dem Gespräche fort, das er kurz vorher begonnen hatte.
»Ja,« sagte er mit leiser, bebender Stimme, »ich hatte die Praetexta kaum abgelegt, als man mich zu den asiatischen Legionen sandte. Die Stadt kannte ich nicht – weder das Leben noch die Liebe. Ich wußte zwar einiges aus Anakreon und Horaz auswendig, aber ich konnte nicht wie Petronius beliebig Verse zitieren, wenn das Herz vor Bewunderung verstummt und keine eigenen Worte finden kann. Als Knabe ging ich zu Musonius in die Schule, der uns sagte, das Glück beruhe darauf, daß man sich in den Ratschluß der Götter füge, und hänge somit von unserem Willen ab. Ich glaube jedoch, daß es etwas anderes ist, größer und herrlicher, was nicht von unserem Willen abhängt, denn nur die Liebe kann es verleihen. Die Götter selbst streben nach diesem Glücke; daher folge auch ich, Lygia, der ich die Liebe bisher nicht gekannt habe, ihrem Vorbilde und suche die, die mir dieses Glück verleihen könnte.«
Er schwieg – und einige Zeit hindurch ließ sich nichts hören als das leise Plätschern des Wassers, in das der kleine Aulus Steinchen warf, um die Fische damit zu necken. Nach einer Weile jedoch begann Vinicius von neuem mit noch sanfterer und leiserer Stimme zu sprechen: »Du kennst doch Vespasians Sohn Titus? Man erzählt, daß er, kaum dem Knabenalter entwachsen, Berenike so liebte, daß der Gram um sie ihm beinahe das Leben kostete. So würde auch ich zu lieben vermögen, Lygia. Reichtum, Ruhm, Macht sind wesenloser, vergänglicher Rauch. Der Reiche findet einen, der reicher ist als er; den Berühmten verdunkelt der noch größere Ruhm eines anderen, den Mächtigen besiegt ein noch Mächtigerer. Kann aber der Caesar, kann selbst ein Gott größere Wonne genießen oder glücklicher sein als der gewöhnliche Sterbliche, wenn an seiner Brust ein anderes teures Wesen atmet oder wenn er die Lippen der Geliebten küßt? Darum macht die Liebe uns den Göttern gleich, Lygia!«
Sie hörte voller Unruhe und Staunen zu und doch zugleich mit dem Gefühle, als vernehme sie den Klang einer griechischen Flöte oder Laute. Es erschien ihr in diesem Augenblicke, als ob Vinicius ein wundervolles Lied sänge, das schmeichelnd an ihr Ohr drang, ihr Blut in Wallung brachte und zugleich ihr Herz mit Furcht und Zagen, aber auch mit ungeahnter Wonne erfüllte … Es kam ihr vor, als spreche er von etwas, was schon vorher in ihr gelegen habe, von dem sie sich aber keine Rechenschaft zu geben vermochte. Sie fühlte, daß er in ihr etwas wecke, das bis jetzt geschlummert hatte, und daß in diesem Augenblicke ein verschwommener Traum sich in eine immer klarere, schönere und herrlichere Gestalt verwandle.
Die Sonne stand längst über dem westlichen Ufer des Tiber und versank allmählich hinter dem Janiculus. Auf den unbewegten Zypressen leuchtete das Abendrot und die ganze Luft war von ihm erfüllt. Lygia erhob ihre blauen Augen zu Vinicius, als erwache sie aus dem Schlafe, und plötzlich kam er, der sich im Abendschimmer mit flehendem Blicke über sie beugte, ihr schöner vor als alle Männer und alle griechischen und römischen Götter, deren Statuen sie an den Tempelfassaden gesehen hatte. Zart umschloß er mit seinen Fingern ihre Hand oberhalb des Gelenkes und fragte: »Errätst du nicht, Lygia, wovon ich zu dir spreche?«
»Nein,« entgegnete sie so leise, daß Vinicius es kaum hören konnte.
Er glaubte es ihr aber nicht, sondern ihre Hände immer näher an sich ziehend, hätte er sie an sein Herz geschlossen, das unter dem Einfluß des von dem schönen Mädchen in ihm erweckten Verlangens wie ein Hammer schlug, und sie mit glühenden Worten bestürmt, wenn nicht in diesem Augenblicke der alte Aulus aus dem von Myrten beschatteten Fußpfade erschienen wäre und, näher gekommen, ihnen zugerufen hätte: »Die Sonne geht unter; hütet euch daher vor der Abendkühle und scherzt nicht mit Libitina …«
»Nein,« antwortete Vinicius, »ich habe die Toga noch nicht wieder angelegt und spüre die Kühle nicht.«
»Aber sieh doch, schon ist beinah die Hälfte der Sonnenscheibe hinabgesunken,« entgegnete der alte Krieger. »Wollten die Götter, ich könnte das milde Klima Siziliens genießen, wo sich abends die Leute auf den Straßen versammeln, um mit Chorgesängen den scheidenden Phoebus zu feiern.«
Und vergessend, daß er selbst eben erst vor Libitina gewarnt hatte, begann er von Sizilien zu erzählen, wo er Güter und ausgedehnte Ländereien besaß, auf denen er gern verweilte. Auch erwähnte er, daß ihm bisweilen der Gedanke gekommen sei, sich nach Sizilien zurückzuziehen und dort sein Leben in Ruhe zu genießen. Wem der Winter das Haar gebleicht habe, der habe genug an der winterlichen Kälte. Noch sei das Laub nicht von den Bäumen gefallen und über der Stadt lächle noch der blaue Himmel; wenn aber der Weinstock gelbe Blätter bekomme, wenn Schnee auf den Albanerbergen falle und die Götter die Campania mit rauhen Winden heimsuchten, dann sei es leicht möglich, daß er mit seinem ganzen Haushalt auf seinen ländlichen Ruhesitz ziehe.
»Du willst Rom verlassen, Plautius?« fragte Vinicius in plötzlichem Schreck.
»Schon lange hege ich diesen Wunsch,« entgegnete Aulus; »denn man lebt dort ruhiger und sicherer.«
Und von neuem rühmte er seine Gärten, seine Viehherden, sein im Grünen verstecktes Haus und die mit Thymian und Pfefferkraut überwachsenen Hügel, in denen Bienenschwärme summten. Aber Vinicius achtete nicht auf diese bukolischen Gesänge, er dachte nur daran, daß er Lygia verlieren solle, und blickte nach Petronius aus, als ob er einzig und allein von ihm Hilfe erwarte.
Petronius hatte unterdessen neben Pomponia Platz genommen und sich an dem Anblicke des Sonnenuntergangs, des Gartens und des am Fischteich sitzenden Paares erfreut. Die weißen Gewänder der beiden erglänzten vor dem dunklen Hintergründe der Myrten in der Abendsonne wie Gold. Am Himmel begannen sich die Wolken purpurn und violett zu färben und opalartig in verschiedenen Tönen zu schimmern. Ein Streifen am Himmel war lilienweiß. Die schwarzen Umrisse der Zypressen traten noch deutlicher hervor als am hellen Tage, während sich die Menschen, die Bäume und der ganze Garten an dem Abendfrieden erlabten.
Petronius wurde von dieser Stille in der Natur und namentlich von der Seelenruhe dieser Menschen seltsam berührt. Aus dem Antlitz Pomponias, des alten Aulus, ihres Sohnes und Lygias lag etwas, was er auf den Gesichtern, von denen er alle Tage oder, besser gesagt, alle Nächte umgeben war, nie bemerkt hatte: es lag eine gewisse Heiterkeit, Ruhe, Milde auf ihnen, die eine unmittelbare Folge des Lebens waren, das hier alle führten. Und mit einer gewissen Verwunderung dachte er daran, daß hier möglicherweise eine Schönheit und eine Genußfreudigkeit herrschten, von denen er, der beständig nach Schönheit und Genuß verlangte, keine Ahnung habe. Er konnte diese Gedanken nicht in sich verschließen und sagte, sich zu Pomponia wendend: »Ich dachte im stillen darüber nach, wie verschieden doch eure Welt von der Welt ist, über die Nero herrscht.«
Sie hob ihr feines Antlitz zum dämmernden Abendhimmel und sagte ruhig: »Nicht Nero regiert die Welt, sondern Gott.«
Es trat für einen Augenblick Schweigen ein. Jetzt hörte man in der Allee dicht beim Triclinium die Schritte des alten Feldherrn, des Vinicius, Lygias und des kleinen Aulus, aber bevor diese anlangten, fragte Petronius noch: »Du glaubst also an die Götter, Pomponia?«
»Ich glaube an den einen allgerechten und allmächtigen Gott,« entgegnete die Gattin des Aulus Plautius.