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Es ist merkwürdig, ganz unmerklich ist eine Zeit der Erweckung in der Umgegend angebrochen.
Das heißt, Vorboten des Frühlings, wie Vater es nennt, hat es den ganzen Sommer hindurch gegeben, von da an, wo Per Olsen sich bekehrte und den Küster nachzog. Aber jetzt ist es wie zu der Zeit, wo der Wald über Nacht grün wird – auf einmal ist das Leben da, und überall zugleich.
Die Alten erwachen aus der trägen Ruhe, der sie sich hingegeben hatten, und jene Unruhe hat sie ergriffen, die nur durch den Frieden von oben gestillt werden kann. Die Jungen bleiben stehen, schauen sich um und bekennen laut, ihr eigener Weg habe sie wie den verlorenen Sohn zwischen die Schweine geführt. Männer und Frauen, deren einzige Sorge gewesen war, wie sie diesen Leib, der doch im Grabe verwesen wird, nähren und kleiden sollten, entdecken nun, daß sie eine Seele haben, die hungern und dürsten mußte, und die doch in alle Ewigkeit nicht vergehen kann, sodaß es gilt, für sie den richtigen Ort zu wählen, damit sie nicht zu kurz komme.
Der eine in seinem Bett, der andere auf dem Felde, und der dritte in seinem Laden zwischen Heugabeln und grüner Seife und gesalzenen Heringen, sie alle haben den Ruf vernommen, und aller Lippen sprechen jetzt von Dingen, die man sonst nur am Sonntag hörte, und die dann für die ganze Woche abgetan waren; Dinge, von denen man sonst nie sprach, weil man nichts darüber zu sagen wußte, sind jetzt auf aller Lippen.
Eine kleine Gemeinde Gläubiger war ja immer dagewesen, aber die andern hatten diese nie anhören wollen. Jetzt sind sie überall dabei, um zu leiten und zu stützen. Etwas Eifer ohne Verstand entfaltet sich natürlich auch, sodaß einzelne verscheucht und andere zurückgeschreckt, anstatt auf bessere Wege geführt werden. »Aber dies ist doch dem Verstand ohne Eifer weit vorzuziehen, von dem auch genug da ist,« sagt Vater.
Vater selbst ist es nicht überraschend gekommen; er hat seit vierzehn Jahren darum gebetet und diese geistliche Erweckung auch vorzubereiten, aber nicht hervorzurufen gesucht; denn dies letzte hält Vater für durchaus ungeistlich.
Vater ist den ganzen Tag in Anspruch genommen; es ist ein beständiges Kommen und Gehen in seinem Zimmer, und am Abend sind oft noch Versammlungen. Eine der ersten, die erweckt wurde, war des Schenkwirts Florgine, wie sie komischerweise einem Paten nach heißt, und das hat einen großen praktischen Wert. Früher machte sie sich nicht viel aus dem Christentum, jetzt aber hat sie sich bekehrt und den Wirtshaussaal für die Bibelstunden geöffnet. Ihren dicken Vater steckt sie einfach in die Tasche, und die Knechte bringt sie auch herbei; denn Florgine versteht es, ihnen zu sagen, woher sie sind, da hilft kein Sträuben.
Vater ist beschäftigt, aber bei Else herrscht Ruhe, tiefe Ruhe. Arme, liebe Mathilde, die frohe Nachbarschaft mit ihr unterbricht diese Ruhe noch nicht!
Nach ein paar herrlichen Wochen in der Schweiz war Mathilde mit Fritz nach Paris gereist, wo dieser aber gleich am ersten Tage schwer erkrankte und nun schon seit drei Wochen am Typhus darniederliegt. Es sei jetzt besser, aber der Arzt meint, es werde noch lange dauern, bis er ganz hergestellt sei. Mathilde schreibt, sie dürften froh sein, wenn sie um Weihnachten herum heimkommen könnten »zu Kartoffeln und Gänseschmalz«, denn von etwas anderem könne keine Rede sein nach all den Ausgaben. Aber sie würde sich mit noch viel weniger begnügen, wenn sie nur ihren geliebten Jungen behalten dürfe.
»... Was ich hier ausgestanden habe, kann ich gar nicht beschreiben,« steht in dem Brief. »Nach einem ganz kurzen Unwohlsein wurde er mit einem Schlage todkrank. Du weißt, ich habe den Tod noch nie in der Nähe gesehen und so wenig wie möglich an ihn gedacht, das will ich ehrlich gestehen. Jetzt aber schien er mir aus Fritzens Gesicht heraus plötzlich entgegen zu starren.
Man hat mich immer für mutig gehalten, und ich hielt mich selbst auch dafür, weil ich beim Anblick von einer Maus nicht schreie und auch nicht bebe, wenn ich Kühen oder verdächtigen Subjekten begegne; aber jetzt weiß ich, daß ich keinen Funken von Mut besitze, denn ich hatte wahnsinnig Angst, ja, ganz wahnsinnig Angst, ich war geradezu wirr im Kopf. Und hinter der Angst um ihn lauerte das Entsetzen, daß ich auch sterben könnte – ja, daß ich einmal sterben müsse. Das hatte ich freilich vorher gewußt, ich hatte es bloß nicht geglaubt.
Ich warf mich an seinem Bett nieder und lag da die ganze erste Nacht hindurch, wenn ich nicht, um Hilfe herbeizurufen, umherrannte. Im ersten Augenblick konnte ich nicht einmal einen von den Automaten finden, die man sonst mit einem elektrischen Knopf zitiert. Endlich stand da eine halbverschlafene Kellnerseele, der ich beinahe um den Hals gefallen wäre; aber er starrte mich mit so teilnahmlos glasartigen Augen an, daß ich förmlich erstarrte. Als der Arzt kam und nicht verhehlte, wie ernst er es nahm, verwandelte sich indes diese gläserne Ruhe sogleich in mißtrauische Feindseligkeit – denn jetzt waren wir eine Gefahr, die man sich vom Halse schaffen mußte.
Es ist merkwürdig, daß der Gedanke, wie nahe der Tod jedem an den Fersen sitzt, nicht eine ganz andere Kameradschaft zwischen uns Menschen bewirkt.
Bei Fritz selbst drückte sich eine solche Todesangst in seinen Fieberphantasien aus, daß es nicht zum Anhören war; aber wenn er nur einen Schimmer von Bewußtsein hatte, hieß es sogleich: »Liebe Thild!« und »Arme Thild!« Er quälte sich auch mit einem Telegramm, das an Mutter geschickt werden müsse, damit ich nicht ganz allein sei. Ein paarmal mußte ich das Vaterunser mit ihm beten – er kam selbst darauf, nicht ich – und er legte seine Hand auf die meinige und sagte: »Es ist doch gut, daß du's nicht bist, denn dies ist ernst, ja, bei Gott, es ist ernst.«
Denk, Else, als er dies sagte, ja, da durchfuhr es mich wirklich wie eine Erleichterung, daß ich es nicht war. Ich kann deswegen ganz wütend über mich werden! Ich liebe ihn – ja ich liebe, liebe jeden Zoll an ihm, jedes Atom seiner Person, und doch weiß ich, daß es so war. Ganz unwillkürlich dachte ich eben doch, es sei besser, daß er es sei.
Aber kannst du begreifen, was Fritz sagt? Er habe gar nicht geahnt, daß ich so aufopfernd sein könne, so gut und so stark, und er werde es mir nie vergessen. Ich könnte laut weinen, so oft er damit kommt, – denn ich erinnere mich doch auch an jene Nacht.
Grüße Onkel Jakob und sag ihm, daß ich schon eine Enttäuschung nach der andern in meiner Ehe erlebt habe – wie er es mir prophezeit hat – aber freilich nur an mir selbst. Ich weiß jetzt, was mein Mut und meine Liebe wert sind. Es sind unerwartete Enttäuschungen gewesen, an die ich denken werde, wenn einmal die erwarteten kommen, die Fritz mir bereiten soll. Vorläufig weiß ich nur, daß er viel besser ist als ich.
Es geht ihm jetzt auch besser, Gott sei Dank! Er sagt selbst, jetzt bin ich ›wieder der Tell‹, denn er fängt an, verliebt zu sein – in die süße blaue Schwester, die ihn im Spital pflegt, und ihr werdet bald von einem netten Skandal hören, über den ihr euch tüchtig entsetzen müßt.
Ja, es war eine schrecklich schwere Zeit – aber doch möchte ich manches davon nicht entbehren, wenn ich es mir auch nie gewählt hätte. Fritz und ich haben einander und uns selbst so tief in die Augen geschaut wie noch nie. Das tut einem gut, und es hat uns fester verbunden, als irgend etwas anderes es je gekonnt hätte.«
Bei Else herrscht tiefe Ruhe, aber die Bewegung, die durch die Gemeinde geht, zieht auch sie in ihre Kreise hinein, wie der Sturm der Tag- und Nachtgleiche, und reißt sie mit sich fort.
Es geht ihr, wie es der Gemeinde gegangen ist und wie es der Natur draußen geht, das Leben kommt von innen heraus, die Säfte steigen im Stamm und in alle Zweige empor – aber die Bestätigung von außen, der Frühlingsregen und die Sonne gehören dazu, ehe der Wald grüne Blätter bekommen kann.
Schon lange ist Else in ihrem Herzen klar und sicher gewesen. Aber jetzt bekommen ihre Gedanken Leben und Flugkraft, die Gedanken, die an und für sich gar langsam sind; der Entschluß steigt in ihr auf, und was sich so stark um sie her regt, was durch aller Seelen geht, hilft ihm weiter.
Sie schlägt nicht aufs Geratewohl in ihre Bibel auf und legt dann den Finger auf irgend eine Stelle, wie Hansine es macht, um ein Zeichen und die Entscheidung zu suchen. Die Worte kommen zu ihr, eins nach dem andern, die Worte, die für sie dastehen. Ganz von selber kommen sie in ihre Gedanken und senken etwas von dem Geheimnis, das das große Buch für sie enthält, tiefer in ihr Herz hinein. Denn es ist merkwürdig in dieser Zeit, das ganze flimmernde weite Himmelsgewölbe ist wie mit Worten erfüllt, mit lebendigen heiligen Worten, und sie senken sich wie Sonne und Regen auf ihre Gedanken, sie fallen wie Lichtstrahlen auf den Weg, den sie gehen soll –
»Sie können ohne Worte gewonnen werden, wenn sie euren Wandel sehen – –« Um die Männer handelt es sich, und sie, die also gewinnen kann, das ist die Frau.
Das heißt, als Gattin.
Hat nicht gerade dieses Wort eine Botschaft für eine, die keine so klugen, kräftigen Worte bei der Hand hat, daß sie mit ihnen gewinnen könnte? Und ist dabei nicht an einen Mann gedacht, bei dem Worte gleich andere Worte erwecken, die des Widerspruchs? Schweigen, inneres Schweigen gehört her, ehe man erhält. Ohne Worte – ja ja, so müßte man zu ihm kommen. Mit dem Herzen glaubt man. Mit dem Herzen … Ja, sonst könnte niemand ohne Worte für den Glauben gewonnen werden.
Mit dem Herzen – dahin soll man gelangen! Deshalb muß man einem Menschen so innig, so lebendig nahe kommen, daß er jeden Vorbehalt aufgibt, man muß das Beste, was man besitzt, mitbringen – sich selbst so ganz, daß der andere nur noch daran denkt, sich zu erschließen, ganz zu erschließen – sodaß man hineindringen kann – – tiefer und tiefer – – vorwärts in Nacht und Dunkelheit, über große, sonnverbrannte durstige Ebenen hin, wo man vorsichtig, vorsichtig, mit nackten Füßen wandeln muß, um die schlummernden Worte nicht zu wecken, die bereit sind, aufzustieben und den Weg zu versperren – vorsichtig, um nicht einen einzigen kleinen Keim zu zertreten – wo gehen so viel bedeutet, als sich vorwärts fühlen – weiter, weiter, bis zu der guten Stelle hin, wo ein lebendiger Strom durch die Nacht dahinfließt …
Ein schmaler, schmaler Streifen, der sich wie in Angst vor dem Austrocknen windet, der aber mit melodischem Wogenschlag weit über seine Ufer wallen und die vertrockneten Felder bewässern könnte, sodaß sie der Boden für neues Leben wären.
Der Tropfen aus dem Becher Gottes, wo ist er? Ist sie wohl der Engel, dem er an der Spitze des Fingers hängt?
Ach nein – nein! Und doch ist ihr, als habe sie ihn. Tief in ihrer Brust glaubt sie ihn beben und klopfen zu fühlen – den Tropfen aus dem Becher Gottes, der ihr anvertraut ist – für einen andern – und den sie ihm nicht vorzuenthalten wagt.
Wenn sie sich aber täuschte? Wenn er es gar nicht wäre? Viele Tropfen fallen in den Fluß wie dichte Perlen – sie rufen auf der blanken Fläche kaum ein paar matte Ringe hervor – und schmal und schweigend gleitet der Fluß weiter.
Und das Ganze ist nur eine Sage!
Nein, es ist mehr als eine Sage. Es ist einmal geschehen. So groß, so groß ist dies, daß der menschliche Gedanke es nicht zu fassen vermag!
Und neue Worte kommen zu ihr, mehr und immer mehr, von dem lebendigen Wasser, das in einem Menschen aufquillt wie eine Quelle, und aus seinem Leben herausfließen kann – wie lebendige Tropfen – –
9. Oktober.
Geliebter teurer Paul!
Ich weiß zwar nicht, wie Du jetzt gesonnen bist. Ich meine, ich könne an mir selbst fühlen, daß Du mich noch wie früher lieb hast. Aber ich weiß es nicht. Ich möchte Dir nur sagen, wenn Du mich noch haben willst, dann kann ich jetzt Ja sagen und zu Dir kommen und bei Dir bleiben.
10. Oktober.
Liebe Else!
Es ist vorerst keine Veränderung in meinen Verhältnissen eingetreten. Der Platz an meiner Seite ist noch frei – und Du kannst ihn haben.
Aber vorher muß ich etwas wissen. Was ist der Grund, daß Du jetzt, nachdem ein ganzes Jahr vergangen ist, so plötzlich alle Deine Bedenken los geworden bist?
Ich kann nicht annehmen, daß in Deinen Ansichten irgend eine Veränderung eingetreten sei. Nach dem zu urteilen, was ich gehört habe, muß ich eher annehmen, Du seiest noch mehr darin befestigt worden. Wenn Du Dich trotzdem mit mir einlassen willst, liegt der Gedanke nahe, Dein Gefühl für mich sei von einem schwärmerischen, fanatischen Drang erfüllt, mich in religiöser Hinsicht zu beeinflussen.
Deshalb frage ich: Ist es Deine Absicht, mich zu bekehren? Und meinst Du, durch die Ehe eine Gelegenheit zu bekommen, die Du Dir nicht entgehen lassen dürfest?
Wenn dies der Fall ist, dann müssen unsere Wege auch ferner getrennt bleiben.
Laß mich Dir zum voraus sagen, ich will in meinem Hause von allen solchen Versuchen verschont bleiben. Selbstverständlich sollst Du die volle Gedanken- und Wortfreiheit haben, die ich auch verlange; aber ebenso wenig, wie es meine Absicht ist, Dich in Deinen Ansichten zu erschüttern, ebenso wenig wünsche ich der Gegenstand irgend eines Planes in dieser Richtung von Deiner Seite zu sein. Denn ich bin in diesem Sommer im Hause meines Vaters solchem ausgesetzt gewesen, und es hat mich ihm nur entfremdet.
Die Lebensanschauung eines Menschen ist der Ausdruck seiner Persönlichkeit, sie ist die Widerspiegelung seines Lebens in dem Bewußtsein. Wenn andere kommen, sie mit der Wurzel herausreißen und mit etwas anderem überkleben wollen, was zwar zu ihren eigenen Voraussetzungen, nicht aber zu den meinigen paßt, dann habe ich nur eine Aufnahme – eine absolut abweisende.
Aber Else, Dich könnte ich nicht bei mir haben, als die, die meinem Herzen am nächsten steht, und doch gleichzeitig als jemand, den ich zurückweisen müßte, weil Du Dich zum Richter von dem machen wolltest, was die tiefste Wertschätzung, das feinste unbegrenzteste Verständnis verlangt.
Deshalb muß ich eine Erklärung haben – eine rückhaltlose – über den Grund Deines veränderten Entschlusses.
Und nun danke ich Dir für Deinen Brief, Jungfrau Else!
Dein Paul.
11. Oktober.
Geliebter Paul!
Es gibt nur einen einzigen Grund: Ich liebe Dich!
Das tat ich auch damals, wo ich es nicht wagte – ja, ich liebte Dich so sehr, daß es mich unmöglich dünkte, Dich noch mehr lieben zu können. Trotzdem liebe ich Dich jetzt ganz anders. Deshalb komme ich – deshalb darf ich kommen …
Meinst Du nicht, das sei Grund genug?
Deine Jungfrau Else.
– Die ganze Nacht hindurch und noch am Morgen lag ein dichter, eiskalter Nebel über der Erde. Gegen Mittag hebt er sich ein wenig, und die Sonne glänzt an einem frühlingsblauen Himmel. Nur der Wald hält den Nebel noch fest und hüllt sich darein wie in einen Schleier. Plötzlich läßt er den Schleier los … eine herrliche Überraschung war darunter verborgen.
Der Wald hat ausgeschlagen in dieser einen Nacht – aber er glänzt in Gold, im reinsten Gold!
Else hat dem Holzschuhmacher einen Auftrag von Vater ausgerichtet und bleibt ganz geblendet vor der Tür stehen. Sie muß ein wenig in den Wald, wenn es eigentlich auch verboten ist.
Die Buche schimmert in einem roten Gold mit einem tiefen, glühenden Schimmer. Aber der Ahorn, die Birke, die Linde sind hellglänzend, klingend in hellem Golde. Es ist wie eine ganze Fanfare von Goldfarben. Und die Sonne taucht wie ausgelassen in all die Pracht hinein, schlüpft lachend hinter jedes Blatt und strahlt mitten hindurch.
Der goldene Wald ist gut, er ist nicht neidisch wie der grüne, der jedes noch so kleine Blatt zurückhält. Hier aber geht es wie bei der Krönung der alten Könige, wo Gold unter die Leute gestreut wurde. Der Wald feiert das Krönungsfest! Und er streut Gold aus mit vollen Händen – glänzendes Gold auf alle Wege! Er breitet seine goldrote Schleppe auf dem ganzen dunklen Waldboden aus.
Der kleine schmale Bach, der den ganzen Sommer dunkel und glänzend sachte dahinfließt, als wisse er nichts von einem Lächeln – rieselt nun wie flüssiges Gold daher.
Und Gold bedeutet Freude –
Else bleibt stehen und nimmt rasch den Hut ab. Sie will versuchen, ob sie etwas von dem herabrieselnden Gold in ihrem Haar auffangen kann.
Und auf einmal schickt sie ein paar helle, klare Töne in die Luft hinaus. Es ist ihr, als müsse ihr Herz zerspringen von Lebenskraft und Lebensfreude. Dies ist Lenz, goldener Lenz – auch in ihr! Etwas in ihr, was früher nur in stillem dunklem Glanz dahinrann, bricht nun hervor, es sprengt alle Deiche – sprudelnd, jubelnd, übermütig – –
Sie ist so willensfest jetzt, ihrer selbst so sicher, gar nicht mehr verzagt! Sie hätte die größte Lust, die ganze Welt herauszufordern und es mit ihr aufzunehmen. Sie lacht bei dem Gedanken.
Jemand biegt um die Ecke und in den Pfad herein – er kommt auf sie zu –
Alle ihre Gedanken stehen still – ihr schwindelt –
Es ist nicht – nein, es ist nicht möglich! … Doch, doch, ja, es ist nicht anders möglich!
»Paul – Paul!« Ihre Füße berühren kaum die goldenen Blätterhaufen auf dem Weg, während sie darüber hinfliegt.
Sie hängt an seinem Hals; sie lacht, sie lacht an seiner Brust.
»Else, Jungfrau Else! – Wie in aller Welt kommst du hierher?«
»Und du – Und du? Bist du es, Paul, bist du es wirklich? Ich bin hier, weil ich eigentlich gar nicht hier spazieren gehen darf, aber ich mußte, das kannst du dir denken.«
»Und ich kann nicht – ich kann heute gar nicht auswärts sein – aber ich konnte nicht anders. Else, Jungfrau Else! Ich habe nur eine Stunde Zeit, ich wollte nur hier durch den Wald gehen, um die Ecke deines Gartens zu sehen … Aber du mußtest ja hier sein – du mußtest – denn ich wollte dich haben!«
»Paul!« – Sie macht sich plötzlich aus seinen Armen frei. – »Weißt du, was ich jetzt kann, was ich jetzt gut kann? Willst du es wissen?«
Sie tritt einen Schritt zurück. »Ich liebe dich – ich liebe dich!«
Ihre Stimme wird lauter, klarer; dann hält sie plötzlich inne und schaut ihm tief in die Augen.
»Sag es noch einmal!« – Seine Arme umschließen sie. – »Sag es noch einmal!« Aber vorläufig kann sie nicht sprechen, ja nicht einmal atmen. Ihre kleinen Hände umschließen seine Wangen. »Paul – deine Augen sahen mir so sonderbar aus, wie wenn sie dürsteten.«
Er legt sich ihre Hände auf seine Augen.
»Sie haben auch gedürstet.«
»Aber jetzt, Paul – jetzt hast du mich ja!«
»Nicht ganz, noch nicht ganz.«
»Doch, mich kannst du nie nur halb bekommen – selbst nicht, wenn du wolltest. Und sobald du nur willst, komm ich zu dir, gleich heute, wenn es sein sollte. Niemand anders auf der Welt soll das bestimmen, hörst du?«
Mit seinen Händen umschließt er ihr Gesichtchen. »Ob ich es höre? Nein, daß man so närrisch an so einem kleinen Ding hängen kann, an so einem winzig kleinen Ding! Aber was ist denn mit dir geschehen? Du bist ja so selbstbewußt geworden, so keck!«
»Ich bin jetzt erwachsen, seither, Paul. Aber etwas mußt du in erster Linie wissen. Ich bin gar nicht begabt.«
Er betrachtet das Gesichtchen zwischen seinen Händen. »Nein, das bist du wohl nicht,« sagte er, »wahrscheinlich nicht.«
»Ich kann nur alles verstehen.«
Er lacht laut und drückt ihr Gesicht fest, fest an das seinige.
»Nein, laß mich los, denn ich habe noch mehr zu sagen. Du darfst mir alles sagen, was es auch sein mag, was du hörst, liest oder denkst – selbst wenn du in schweren Worten denkst. Ich werde schon fühlen, was es bedeutet, und zwar sogleich.«
Er preßt seine Lippen auf die ihrigen.
»Kannst du fühlen, was das bedeutet – und das – und das?«
Sie lacht in seinen Armen. »Paul, weißt du – es war mir immer unangenehm, wenn mich jemand anrührte. Und – wenn ein Mann mich nur ein bißchen richtig ansah – – oder wenn Julius meine Hand hielt – obgleich er es nur gut meinte, dann konnte ich ganz krank vor Angst werden … Aber jetzt – selbst wenn du mich fast zerdrückst – – werde ich nur immer froher – – es macht mich so sicher – wie damals bei Mutter … Nein, ersticke mich doch nicht, du mußt auch für ein anderesmal noch etwas von mir übrig lassen – für dich selbst, meine ich nur.«
»Else, Jungfrau Else! Aber es ist schlimm, sehr schlimm, daß wir nicht ein wenig vernünftig mit einander darüber reden, wie wir es anfangen sollen –«
»Jetzt nicht, Paul, wenn du gleich wieder gehen mußt. Von der Vernunft und wie wir es anfangen sollen, das wollen wir lieber schriftlich abmachen. Es wäre schade, wenn wir die Zeit jetzt damit vergeudeten. Hast du gehört, daß ich dich liebe? Heute mehr als gestern, und morgen am allermeisten.«
»Dann ist es ja schade, daß ich mit meinem Kommen nicht bis morgen gewartet habe.«
»Nein, nein, denn heute liebe ich dich mehr, mehr als du begreifen kannst, mehr als überhaupt möglich ist. Was sagst du nun, Paul?«
Er neigt seine Lippen zu ihrem Ohre. »Ich liebe dich!«
»Warum flüsterst du? Wir sind ganz allein im Wald. Hast du den goldenen Lenz gesehen? Es ist nicht Herbst, sondern goldener Lenz, und Gold bedeutet Freude.«
»Ja – und von solcher goldenen Freude habe ich Jahre lang mit heißem Sehnen geträumt« – –
»Warum flüsterst du denn immer, Paul?«
»Weil ich noch nie jemand gehabt habe, mit dem ich hätte flüstern können!«
»Hast du noch nie jemand ins Ohr geflüstert?«
»Nein – ja, vielleicht einem Schulkameraden etwas, was der Lehrer nicht hören durfte, das weiß ich wirklich nicht mehr, aber nie an jemandes Hals.«
Niemals jemand ins Ohr geflüstert! Und ihre ganze Jugend ist ein einziges Flüstern am Halse der Mutter gewesen! Nur laut gesprochen! Ach, daher kommt es vielleicht, daß er das Flüstern im tiefsten Innern nicht verstanden hat. Sie schlingt ihre schmächtigen Arme um seinen starken Nacken – mutterzärtlich – beschützend. »Geliebter Paul, geliebter Paul, wir wollen immer, immer nur mit einander flüstern.« –
In der Schenke ist eine gesegnete Versammlung gehalten worden. Vater hat wie gewöhnlich über eines der weniger in die Augen fallenden Worte gesprochen, über »seine Erwählung fest machen«. Die Erwählung, sagt er, gehe an alle, es sei die große Einladung ins Reich Gottes, die der ganzen Welt und allen Menschen gelte, aber die Berufung ergehe an die einzelnen, es sei die Gnadengabe, die jedem ihren Platz anweise. Die Erlösung des Menschen bestehe darin, daß er die Erwählung ergreife. Aber die Berufung sei der Wille Gottes in Beziehung auf den einzelnen zu seinem Dienst, seiner Aufgabe.
Vater legt besonderen Nachdruck darauf, denn im allgemeinen übersähen die Menschen, sobald sie die Erlösung ergriffen hätten, daß diese sich in ihrem Leben auf ganz besondere Weise entwickeln solle, und meinten, alle Menschen müßten und könnten ganz dasselbe tun.
In dieser Gegend habe sich ein auffallender Drang gezeigt, fährt Vater fort, sobald sich einer bekehrt habe, wolle er sich auch sogleich in den Dienst der Mission stellen, und Vater sei nicht überzeugt, daß alle dazu geschickt seien. Else weiß, daß der letzte, der sich gemeldet hat, der Laufjunge des Kaufmanns ist, der von allen seinen Flaschenkörben weg direkt zu den Mohammedanern gehen möchte, weil er gehört habe, daß man diesen am schwersten nahe komme.
Vater sagt, er könne solche Leute nicht genug bitten, sich zu befestigen, oder zuerst ihren eigentlichen Beruf ausfindig zu machen. Und wenn dann der eine oder der andere ganz ruhig »bei seiner Last« bleibe, so werde es sich doch zeigen, daß da, wo man mit einem neuen Herzen wohne, auch neues Leben hervorsprieße. Wenn aber die Berufung wirklich in die Ferne deute, dann müsse man natürlich gehen, denn das Wichtigste sei, auf seinem Posten erfunden zu werden und seine Aufgabe zu erfüllen.
– Hell scheint der Mond, als Else mit Vater heimwärts geht. Vater will noch über den Kirchhof.
Das Kreuz auf Mutters Grab schimmert weiß und groß; man kann fast die Inschrift darauf lesen.
Als Mutter einmal auf dem Kirchhof umherging, kamen ihr zwei Strophen in den Sinn, die sie aber nie vollendete, weil sie, wie sie sagte, »im Dichten ein Stümper sei« oder »weil sie hier unten doch nicht vollendet werden könnten.« – »Aber in der Ewigkeit vielleicht,« fügte sie hinzu.
Die beiden Strophen hat Vater auf den Stein setzen lassen. Da steht: »Also hat Gott geliebet,« und darunter:
»Wer einmal darf erfahren,
Wie Gottes Herze schlägt ….«
Wie zärtlich Vater das taufeuchte, eiskalte, eiserne Gitter anfaßt!
»Mutter liebte den Mondschein eigentlich nicht,« sagt Else. »Sie meinte, er sei so kalt und tot – daß man einen Schnupfen davon bekommen könnte!« Else besinnt sich, wo doch der Vers vorkommt, in dem es heißt: »Dies Sonnenkind«. – Ach, liebe Mutter!
Vater spricht kein Wort. Ach, aber der Seufzer – der Seufzer, den sie mehr fühlt als hört, womit er das Gitter losläßt und mit ihr weitergeht!
Zu Hause angekommen, macht er Miene, sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Er geht spät zu Bett.
»Ich habe mich über das, was du drunten sagtest, sehr gefreut, Vater.«
»Wirklich?« Vater sieht aus, als wisse er es selbst nicht mehr recht, als stehe er noch draußen, die Hand auf dem eisernen Gitter.
»Ja, ich glaube, daß du ganz recht hast. Zuerst müssen wir den lieben Gott finden, und dann die Arbeit, die er für uns hat, zuerst ihn selbst, dann den Beruf.«
»Ja,« sagt Vater, »ja, so ist es.«
»Vater – jetzt habe ich den meinigen gefunden.«
Vater sieht sie an, und er kann sich das Missionsfeld, wo sie zu gebrauchen wäre, nicht recht vorstellen. »Ich dächte, du hättest vorerst Arbeit genug hier im Hause – und auch in der Gemeinde.«
»Nein, er liegt wo ganz anders.«
»Du weißt, daß ich dich nicht hindern werde, wenn es sich wirklich um eine göttliche Berufung handelt. Aber wir können ja einmal darüber reden.«
»Ich möchte es lieber heute abend nicht sagen – wenn du mir nur deinen Segen dazu geben wolltest.«
»Wenn ich nicht weiß, was es ist.« Aber er umschließt doch ihren Kopf, als sich plötzlich zwei Arme bittend um seinen Hals legen. »Vater, es ist Paul.«
Er fährt zurück. »Was soll das heißen? Was meinst du? Das hattest du ja aufgegeben – um des Herrn willen.«
»Ja, aber jetzt hab ich es wieder aufgenommen.«
»Na, so also!« Vater runzelt die Stirne ein wenig. »Das erinnert ja fast an den Mann, der ins Wirtshaus zurückging, als er gesehen hatte, daß er vorbeigekommen war.«
Sie richtet sich mit glühenden Wangen auf. »Sage lieber, es erinnere an Abraham, der mit Isaak ausgezogen war, ihn aber nachher behalten durfte.«
Nein, sie erinnert ihn nicht an einen großen weißbärtigen Patriarchen. Aber eine Ähnlichkeit taucht auf, die ihm viel sicherer ans Herz faßt ….
»Ich habe alles getan, was du verlangtest, Vater, und daraus ist geworden – daß ich Paul nicht aufzugeben wage, weil ich glaube, daß er mein mir vom Herrn zugeteilter Beruf ist. – Damals, ja da mußte ich ihn aufgeben, denn da konnte ich ihn nicht vollbringen, aber jetzt.«
Vater setzt sich mit ihr auf das Ecksofa. »Du meinst also, jetzt werdest du imstande sein, auf ihn einzuwirken? Ich aber bin noch derselben Ansicht wie früher, daß eine solche Aufgabe deine Kräfte weit übersteigt – gerade in diesem Verhältnis. Ein Ehegatte – das mag noch schwieriger sein als ein Mohammedaner.«
»Ich will es auch gar nicht versuchen, Vater.«
»Nicht. Kümmerst du dich nicht um den Zustand seiner Seele?«
»O Vater, du kannst dir denken, daß mir der Tag und Nacht auf dem Herzen liegt. Bedenke, bedenke, da wo wir den Einen haben, den wir lieben, da hat er nichts als eine Lebensanschauung, die ihm nicht einmal das Herz warm halten oder auch nur das kleinste bißchen von Schuld oder Angst abnehmen kann. Und wenn der Tod kommt – dann kümmert sich der nicht das geringste um seine Lebensanschauung – – Aber wenn er bekehrt werden soll, Vater, dann muß es von innen heraus kommen. Von außen her geht es nun und nimmer.«
»Ja, liebe Else, aber was willst du denn dann? Was willst du damit sagen, er sei dein dir vom Herrn zugeteilter Beruf?«
»Das kann ich nicht so recht erklären, Vater. Und wenn ich es könnte, dann würde ich es nicht tun. Ich weiß nur, daß ich muß.«
»Woher weißt du das? Ist es nicht am Ende nur deine eigene Lust, die du mit dem Willen des Herrn verwechselst?«
»Wie merkwürdig, Vater – gerade dies habe ich als Kind nie verstehen können. Wenn es sich um Begräbnis handelt, da glaubt ihr alle gleich an den Willen Gottes, aber bei Hochzeit nicht.«
»O doch, aber es klingt doch recht merkwürdig, daß seine Berufung dich an die Seite des Bekämpfers des Christentums stellen soll – womit du dem Christentum eher schaden wirst. Du denkst dir wohl so ein über den Wolken Schweben mit ihm, als die kleine Heilige neben ihm. Aber so ist es in der Ehe nicht. Das Alltagsleben ist es, und das nützt den Heiligenschein ab, ein Zusammenleben, das uns ganz vor einander entblößt und entschleiert. Und dann bedenke, wie alle die Schwachheiten, die er bei dir entdecken wird, ihn noch weiter vom Glauben zurückstoßen werden.«
»Das werde ich mir nicht so sehr zu Herzen nehmen, Vater. Er soll nur sehen, wie viel Böses an mir ist – etwas ist doch da, worüber er sich noch mehr wird verwundern müssen.«
»Was denn?«
»Vater, weißt du nicht mehr, was du Onkel Rektor geantwortet hast, als er damals sagte, bei Mutter könne man den Glauben an den Werken erkennen? Du sagtest, für dich sei dies nicht die Hauptsache gewesen, denn diese Werke seien auch mit Mängeln behaftet gewesen, und andere könnten dasselbe auch tun. Aber ›ihr Glaube war ihr Herzschlag‹, sagtest du. ›Denn so wie ihr Herz schlug – hinter Fleisch und Blut und Staub und Asche – das war der Sieg vor dem Herrn.‹«
Vater hat seine Augen mit der Hand bedeckt. Else weckt die verstummende Frage, die ihn bei Tag und Nacht überfallen kann. Schlägt es – schlägt es noch? Sie neigt ihr Gesicht zu ihm hin. »Bei mir wird es nie werden wie bei Mutter, aber der Herzschlag ist doch da – nicht wahr?«
»Ja.« – Er denkt an die Worte: Wer einmal darf erfahren, wie Gottes Herze schlägt – der wird vielleicht wissen, daß er hier schon einen fernen, fernen Widerhall davon vernommen hat. »Ja, das ist das Kennzeichen. Der Herzschlag eines wahren Christen – der muß echt sein. Aber glaubst du, daß das göttliche Leben in deinem Herzen gesiegt hat?«
»Ich weiß nur, Vater, daß ich ihm mein Herz gegeben habe. Ich weiß nicht, ob andere sagen können, wie sie es gemacht haben, ich kann es nicht, Vater, und ich meine auch, man dürfe es gar nicht sagen. Aber von diesem Augenblicke an hat Gott mir eine solche Liebe zu Paul ins Herz gegeben, von der ich früher keine Ahnung gehabt habe. Und für ihn habe ich sie bekommen, für ihn. Ich habe nicht das geringste Recht, sie ihm vorzuenthalten, er muß sie nehmen dürfen und sie fühlen können. Ja, Vater, das muß er dürfen. – Und ich kann auch kein anderes Leben ergreifen, denn aus seinem Herzen soll man leben. Wenn du mir eine andere Aufgabe stellen willst, dann mußt du mir vorher ein anderes Herz geben können.«
»Es gibt einen, der das kann, Else.«
»Aber er hat es getan, er hat es ja getan! Es ist durchaus nicht mehr wie früher – selbst wenn es noch so aussieht. Damals handelte es sich gleichsam um mein eigenes Glück … Zuerst kam ich, dann erst Paul. Jetzt kommt zuerst Paul – und dann erst ich. Das heißt – nein, ich kann es nicht erklären. – Aber bete für mich, Vater – gerade wie damals – um ein neues Herz und einen neuen Willen – und um alles, was du willst. Das will ich selbst auch – aber alles mit einander weist mir diesen Weg.«
Vater steht auf. »Ich kann es nicht so ansehen wie du, Else. Du verläßt dich auf dein Gefühl – und dieses kann irreführen. Eine solche Ehe hat für mich gar keinen Sinn, scheint mir eigentlich eine Unmöglichkeit – und auch eine große Gefahr. Ich fürchte, du betrügst dich selbst, wenn du denkst, du handelst jetzt im Glauben, obgleich du es ja soweit ganz aufrichtig meinst. Meine Einwilligung kann ich dir nicht geben – ich kann ja nicht, Else, wenn es gegen meine Überzeugung ist. Aber ich will dich nicht hindern – im Gegenteil. Du hast den Namen Gottes so sehr dabei betont, daß ich jetzt eher wünsche, daß du nicht mehr zurücktrittst, sondern die Verantwortung ihm gegenüber auf dich zu nehmen wagst. Doch wir wollen morgen weiter darüber reden. Jetzt bin ich müde.«
Sie schlingt die Arme um seinen Hals. »O, du bleibst so allein, Vater!«
»Daran habe ich noch keinen Augenblick gedacht.«
»Nein, denn es ist dir eigentlich gar nicht unangenehm, nicht wahr?«
»Vielleicht doch! Ich sitze ja allerdings am liebsten ruhig da – wenn ich jemand um mich herum walten höre.«
»Jemand in Ringelschnallenschuhen?«
»Ja … Aber ich liebe auch deine kleinen, ruhigen Schritte, Else.«
Sie weint an seinem Hals, denn der Gedanke, daß er sie vermissen werde, ist ihr sehr schmerzlich.
Als sie in ihrem Stübchen allein ist, rollen noch ein paar Tränen über ihre Wangen hinab. Aber als sie das Fenster aufmacht und in die mondhelle Nacht hinaushorcht, muß sie vor lauter Herzensfreude tief seufzen. Heute abend will sie ihn gerne hören, den ewigen Juden. Tritt er nicht eben aus dem Walde heraus? Jetzt weiß sie, daß ihn jeder Schritt der Heimat näher bringt. Sie hat ihre Tür geöffnet …
Nicht, weil er gelernt hat, den Namen auszusprechen. Nein, ach nein – seine Lippen sind noch weit davon! Aber sie hat es gelernt, ganz, ganz anders als früher gelernt, ihn aus tiefstem Herzen zu stammeln.
Der Name, der Sieg bedeutet über den großen Kirchhof, der den Eingang zu der weiten Hochzeitswelt auftut. Sie »glaubt mit dem Herzen«, daß er für sie nach der Hochzeitsseite hindeutet, die sie schon als ganz kleines Mädchen so sehr geliebt hat. Deshalb wagt sie es auch, zu ihr hinüber zu gehen – ja, sie kann nicht anders.