Mendele Moicher Sforim
Schloimale
Mendele Moicher Sforim

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Siebentes Kapitel

In Ss . . . k wurde Schloimale von Mechel in den Gasthof gebracht, wo die Leute aus Kapulje abzusteigen pflegten. Hier sprach es sich herum, wie Schloimale das Väterverdienst geholfen habe. Der Wirt und seine Frau, beides gute, ehrliche Seelen, hatten Reb Chajem Kapuljer als angesehenen Mann gekannt und beschlossen darum, den Waisenknaben um seines Vaters willen zwei Tage an ihren Tisch zu nehmen, am Freitag und am Schabbes! So fehlten ihm also noch fünf Tage – und wieder fand er Hilfe um der Väter willen. Die beiden jungen Männer, die Brüder, die oben erwähnten Schreiber, steckten sehr oft ihre Nase in den Gasthof, um irgendwelche führenden Leute als Gäste zu begrüßen. Als sie vom Sohne Reb Chajems erfuhren, zeigten sie freundliche Bereitwilligkeit, ihm in seiner Not nach jeder Möglichkeit beizustehen, erstens seinem Vater zuliebe, der Selige hatte es redlich um sie verdient, zweitens wollten sie die Bitte erfüllen, die in dem durch Mechel gebrachten Brief unter anderen Angelegenheiten enthalten war. Kurz und gut, zwei Tage, der Montag und der Donnerstag, bei Bekannten von ihnen, angesehenen Leuten, kamen dabei heraus, dazu ein Nachtlager, eine Schlafstätte bei einem guten Freunde von ihnen. Soweit war's gut. Nur das Problem des Essens war noch nicht erledigt. Aber Gott war ein gütiger Vater und Schloimale erinnerte sich an Dwoire-Golde, die Verwandte eines Verwandten, also gewissermaßen zur Familie gehörig. Er fragte sich zu ihr durch und fand sie auf dem Markt bei einem Tischlein mit Gebäck und Naschwerk – Birnen, Palästina-Äpfeln und ähnlichen Dingen. Sie empfing ihn an diesem Tisch mit den Kästen wie einen nahen Angehörigen und befragte ihn voll Freude und Lust um jeden einzelnen in der Familie, und schüttete ihm dabei ihr schwer bedrücktes Herz aus, zog ein erbarmenheischendes Gesicht und sagte schließlich mit einem herzlichen, innigen Lächeln: »Einen Tag kann ich dir nicht geben, Bub, ich komme nie von dem Tisch da weg, wie du siehst, in Hitze und Kälte, im Sommer und im Winter. Kaum, daß ich mich am Leben erhalte und noch schnaufen kann. Aber weißt du was? Jeden Mittwoch komm' zu mir her, dann werde ich dir ein Brötlein geben, du wirst für den Tag etwas zu essen haben, und ich werde von der Mizwe satt sein. Hörst du? Jeden Mittwoch! Bei einem Bäcker, bei dem eben, wo ich mein Gebäck nehme, werde ich sehen, ob ich was herausschnüffeln kann. Er ist selber ein armer Teufel, arbeitet im Schweiße für zwei und teilt seinen Bissen mit armen Gelehrten, Klous-Leuten, Jeschiwe-Schülern, jeden Tag mit einem andern. Und wenn er nur einen einzigen ›Tag‹ frei hat, oh, so kannst du sicher auf ihn rechnen. Rebhühner wirst du bei ihm nicht essen, das hat er nicht, aber dafür Brot und Graupensuppe. Er wird dich noch mit Freude antreiben und immer sagen: ›Iß doch, iß!‹ – Also was will ich sagen? Ja, denk' daran, jeden Mittwoch! Da hast du vielleicht ein Brötlein inzwischen, ach weh, du mußt ja hungrig sein, nimm, du Närrlein, brauchst dich gar nicht zu schämen!«

Es dauerte nicht lange und Schloimale war mit allen Tagen versorgt, auch mit allen Nächten, und das war eine sehr wichtige und bedeutende Sache, ein Glück, dessen sich nicht alle Schüler erfreuten. Sich auf Tischen und Bänken herumzuwälzen, mit der Faust als Kopfkissen, bei Nacht nicht zu ruhen, infolge der Leiden, mit denen man sich den Tag über gequält hatte, sich nach schwerem Fasten und hungrigen Tagen nicht genügend auszuschlafen und noch dazu von wilden Gesellen einen nassen Fetzen an den Kopf oder Stinkbomben unter die Nase zu kriegen? das waren Martern, wie sie die Hölle nicht schlimmer hat. Wie glücklich war also Schloimale, daß er damit nicht geprüft wurde, daß er einen Platz zur Nachtruhe hatte und wie ein Graf schlafen konnte.

»Wie ein Graf« heißt aber noch lange nicht, daß er einen Palast, ein Schlafgemach mit kostbarem Bettgewand und anderen schönen und guten Dingern dazu hatte. Nein! Das Haus, wo sich Schloimales Nachtlager befand, war nur klein, drei Zimmer groß, mit einem breiten Bankofen, auf dem es sich im Winter gar wunderbar schlief, und stand irgendwo im Winkel eines Hintergäßleins, so daß man während der Moräste kaum herankommen konnte. Aber wie ruhig und froh war es dort im Innern, wie friedlich hauste da die liebe, herrliche, gute Familie! Der Mann war ein herzensguter, redlicher Mensch, der gar keine Galle im Leibe hatte und von Gott mit einer langen Nase gesegnet war, derenthalben er in der Stadt der Nasen-Schoul hieß. Nicht, daß man ihn damit kränken wollte, es geschah in Liebe – alle liebten ihn und er liebte alle Leute. Schoul war ein rühriger Mensch. Seine Art zu gehen war flink und geschwind, als ob er jemandem atemlos nachsetzte. Ein Spottvogel, so erzählte man, der ihm einmal entgegenkam, packte ihn an der Nase und sagte: »Reb Schoul, Ihr lauft wahrscheinlich Eurer Nase nach! Da habt Ihr sie!«

Das Haus Schouls war durch einen besonderen Korridor und eine Wand von einem ebensolchen Haus getrennt, beide standen unter einem Dach. Das andere Haus bestand aus zwei ziemlich großen Zimmern, in denen Frauen wohnten – eine Schwester Schouls und im zweiten eine Nachbarin, von der noch viel die Rede sein wird. Vorläufig sei so viel gesagt, daß in dem Hause ein ständiges Minjen mit einer Thora-Rolle war, aus einigen gezählten Menschen bestehend, darunter jeden Monat gegen Belohnung einige Jeschiwe-Schüler, die Aristokratie, die Crème der Gesellschaft. Da die ganze Sache von Schoul abhing, brachte er Schloimale unter diese Schüler. Einen derartigen Aufstieg, einen so ehrenvollen Beruf für einen eben erst Gekommenen konnten die alteingesessenen Schüler nicht hinunterschlucken, und darum war der oberste Rädelsführer, der Pinsker, bei der ersten Gelegenheit so heftig gegen Schloimale losgebrochen und hatte seinen Zorn über ihn ergossen, und darum hatte ihn der »Windhund«, der Unterführer, der Kletzker mit einem feuchten Fetzen traktiert!


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