Mendele Moicher Sforim
Schloimale
Mendele Moicher Sforim

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Zwölftes Kapitel

Asek der Schmied und Herzel Kejles der Tischler, die bei den Leuten im Städtlein als ansehnliche Bürger galten, waren hierin eine ungewöhnliche Erscheinung unter allen andern Handwerkern jenes Ortes – genau so wie ein Jude mit einer Medaille zu jener Zeit, oder wie ein Jude mit Staatsbürgerrecht später, oder wie ein Jude mit dem Ratstitel heute; das waren Leute, denen in jenen Zeiten Amtsschreiber die Ehre erweisen konnten, am Schabbes ihre Fische zu essen und denen gegenüber in unsern Tagen Grafen sich herbeilassen dürfen, ein paar Stunden zu ihren Bällen zu kommen und mit ihren Frauen und Töchtern zu tanzen. Und es ist ja wirklich ein Wunder: Handwerker – und richtige Bürger! Juden – und Vollmenschen und solch eine Ehre!!

Ja, so war es. Die Handwerker waren bei den Juden in so verachteter Stellung, wie die Juden unter den Völkern. Dies ist vielleicht auch heute noch so, aber wenigstens nicht mehr in so starkem Maße wie damals. Heute sind die Handwerker doch wenigstens nicht verhaßt. Man behandelt sie gut und freundlich, wie es sich gehört. Nur doppelzüngige, adelsstolze Menschen sind im Herzen anders als mit dem Munde, wie es eben ihrer Natur entspricht. Aber einst, und besonders an einer solchen Thora- und Adelsstätte wie in unserm Städtlein, waren die Handwerker ganz schrecklich verachtet und verhaßt. Einen Handwerker in der Familie zu haben, einen Schneider oder einen Schuster etwa, das war ein Fleck, eine Schande. Es schadete sehr oft beim Heiraten. Das Bürgertum verlangte beim Heiraten gute Abstammung. Man holte Rabbinen, Thoragelehrte, Schächter, Vorbeter und Batlunem aus dem Grabe und begrub den Handwerker, der sich vielleicht in der Familie befand; das heißt, man verleugnete ihn: »Ach was, was weiß ich, das hat nichts auf sich, Großmuttersonkelschwägerschaft!«

Ein Dorfschenkwirt, ein Stadtgastwirt, ein Pächter, ein Krämer, ein Geldverleiher dagegen waren nicht bloß ganz passabel, nein, waren sogar sehr feine Schwagersleute. Das waren angesehene Bürger der Stadt, sie hatten die Ehrenplätze bei Festen inne, und ihre Meinung galt in der Schiehl, im Bad und auf der Gemeindestube. Das läßt sich damit erklären, daß den Juden außer diesen keine andern Erwerbszweige zugänglich waren. Die, welche sie innehatten, reichten für sie zum Leben und mitunter auch für andere – für eine milde Gabe, eine Wohltat und ein gutes Wort. Da manche in ihren Geschäften mit christlichen Gutsbesitzern und Adligen bekannt waren, hatten sie die Möglichkeit, mit Hilfe dieser einflußreichen Leute einzelnen oder der Gesamtheit in einer Notlage zu helfen. Mehr als einmal kam das Heil von dem Wirt eines Gasthofes für Edelleute, von einem Pächter oder von einem Geldverleiher, Bankier heißt man's heute. Ein Pächter auf einem Dorf hatte das Haus für arme Reisende offen, gab ihnen Essen und Trinken und auch eine milde Gabe und auch eine Wegzehrung. Meistens pflegten die Pächter die besten Schüler einer Jeschiwe als Männer für ihre Töchter auszuwählen. In dieser Weise waren sie das, was Issachar und Sebulun einst in ihrer Zeit, Sebulun trieb Handel und unterstützte den Stamm Issachar, der sich mit der Lehre beschäftigte.

Die Gemeindeleitung hielt die Handwerker in Furcht und unterschied sie in vielen Dingen der Lebensführung von den Bürgern. Ein Handwerker durfte am Schabbes keinen seidenen Rock anziehn und kein Stramel auf dem Kopfe tragen. Sein Platz im Beßmeddresch und in der Klous war in der letzten Bank hinter dem Balemmer. Zur Thora wurde er nur als »Chuwer« und nicht als »Merejne« aufgerufen, und zwar auch nur sehr selten, ganz zum Schluß, unter den eingeschobenen Vorlesungen. Dafür kriegte er die beiden großen Strafreden in der Thora mit allen ihren Flüchen vollständig in ihrer ganzen Größe. Die Versammlungen der noblen Leute in Stadtangelegenheiten durfte sein Fuß nicht betreten und um seine Ansicht wurde er nicht befragt. Für Frechheit und ähnliche Verbrechen wurde er heruntergemacht, auch geohrfeigt, und bei öffentlicher Frechheit wurde er zu Prügeln auf der Gemeindestube verdammt. Seine Kinder wurden zum Militär gepreßt und als Lösegeld für Beßmeddresch-Kinder, für Söhne guter Eltern in den Dienst gesteckt. Das Wort Eltern paßt hier wirklich, weil man manchmal arme Kinder als Brüder von Bürgerskindern eintragen ließ, um sie später als Lösegeld für sie zu benutzen. Sie hatten dieselben Eltern und waren doch nicht die Brüder ihrer Brüder . . .

Die jüdischen Handwerker jener Zeit standen auch in ihren eigenen Augen sehr niedrig. Um die Erlernung eines Handwerks war es von Anfang an schlecht bestellt und daraus ergaben sich sehr viel Nachteile. Ein Lehrling bei einem Handwerkerlein mußte jahrelang damit verbringen, die Mistkübel zu tragen, der Meisterin in der Wirtschaft zu helfen und Ohrfeigen und Püffe zu kriegen, soviel und so oft sie wollten. Und wenn er vom Handwerk der Teufel was lernte, woher hätte er was davon verstehen sollen? Er wurde ein Pfuscher und ein verbitterter und unglücklicher Mensch, der vor Gram zur Flasche griff. Seine Hand saß lose und schlug leicht zu. Sie machte keine Unterschiede und gab manchmal auch selbst der eigenen Frau was zu kosten. Bedauernswert die armen Lehrlinge, die ihm dann zu seiner Zeit in die Hände fielen! Und was waren denn das schon für Kinder, die zu einem solchen Menschen in die Lehre kamen? Arme, elende, verwahrloste, ungebildete Waisen, die nicht in der Schule gewesen waren und nicht einmal lesen konnten.

Aber so schlimm auch die Lage der Handwerker sein mochte, so gab es doch unter ihnen sehr viel gute und verständige Menschen, auch Männer von Herz und Gemüt, und gutlaunige Habenichtse. So arm und traurig die Wohnung des Handwerkers von außen aussah, so lustig und munter ging es dort bisweilen bei der Arbeit zu.

Da steht zum Beispiel Izzek der Schneider mit dem Bügeleisen in der Hand an einem Stück Arbeit und beginnt mit hohem Ton einen Marsch, indem er mit dem Bügeleisen den Takt schlägt. Die Burschen beim Tisch, die Gesellen, begleiten ihn, während ihre Nadeln rasch dahinfliegen, jeder nach seiner Stimme, so gut er's kann. Da wird ein munterer und prächtiger »Mejlech Eljen« zum Besten gegeben, daß sich selbst Engel freuen können. Gleich darauf fängt einer an, sein Gesicht zu einer Grimasse zu verziehen und ahmt mit trauriger Stimme dem Badchen nach, wie er bei einem Badeckens Reime macht. Einige begleiten ihn als die Musikanten mit einer leisen wehmütigen Weise, die übrigen weinen herzzerbrechend wie die Frauen. Sie jammern und heulen – und diese Katzenmusik geht schließlich in eine Tanzweise über. Da sie die Arbeit nicht liegen lassen dürfen, tanzen sie sitzend den Kuscher-Tanz mit der Braut. Statt »Schabbes« kneifen sie einander, schieben einander die Mützen von hinten herunter und rufen singend: Vivat! und Maseltoww! Die Meisterin, die Schneiderin, stellt eine große volle Schüssel mit abgekochten Kartoffeln auf den Tisch, sie sind noch in den Schalen und siedendheiß; da dürfte man Eintrittskarten nehmen, um zu sehen, mit welcher Schnelligkeit die Kartoffeln geschält, in den Mund gesteckt und verschlungen werden. Meisterhaft! Solche Künstler im Kartoffelessen wie Schneidergesellen und ähnliche Leute sind auf der Welt schwer zu finden. Sie haben sich darin ausgebildet und besitzen Erfahrung, weil die Kartoffeln ja ihre tägliche Nahrung sind, o weh!

Es gab sehr viel Lieder, welche die Arbeiter selber gemacht hatten und die dann in die Welt unter die Leute hinausgingen und Volkslieder wurden. Gesellen auf der Wanderschaft, die in den Dörfern bei Christen zu arbeiten pflegten, mischten deren Worte in ihre Lieder, so daß sie halb jüdisch und halb reußisch waren. Der Inhalt der Lieder war sehr verschieden. Es gab welche von der Liebe. Ein Dienstmädchen zum Beispiel wird in der Fremde von der Sehnsucht nach dem Geliebten erfaßt. Sie erinnert sich weinend der schönen, süßen Augenblicke, als sie wie zwei Tauben zusammen waren und spazieren gingen, in dichten Wäldern oder im Weizen und Korn. Oder ein Mädel schüttet sein Herz aus, seine Seele ruft nach dem Bräutigam, so wie ein kleines Kind die Händlein nach dem Mond ausstreckt. Es gab auch Lieder von der Schwiegertochter über ihre böse Schwiegermutter, von einer Waise über die Stiefmutter. Lieder jüdischer Rekruten, die von allen ihren Lieben Abschied nehmen, bevor sie auf lange, lange Jahre in den Dienst ziehen. Verheiratete nehmen von Frau und Kindern Abschied; arme kleine Buben, auf den Händen des »Onkels«, des alten Soldaten, in breiten, langen Pelzen, die doppelt so groß wie sie selber sind, nehmen von Eltern und Geschwistern Abschied. So heißen in den Liedern elende Waislein, die wie vom Baume losgerissene Blätter in die weite, weite Ferne, in die kalten Länder geschleudert werden, um in irgend einem Winkel unter groben Bauern die Schweine zu hüten; Gott weiß, wo ihre Knochen hinkommen werden, die Eltern werden nicht einmal Schiwwe sitzen können. Unter den Liedern gab es viele über die reichen Leute, über die Gemeindeführer und die »Heiligen Beamten«. Da wurde mit allen den feinen Leuten für das Leid und den Kummer, die man von ihnen erduldete, abgerechnet, das ganze Unglück flog ihnen in schweren Verwünschungen und spitzen Schmähworten an den Kopf. Sie hießen da »Laffen«, »Obermacher«, »Salathäuptel«, »Kompott«, »Dessert«, »Kapaundreck«, »knoblichte Protfresser«. Man kann mit Recht behaupten, daß in den Handwerkern ein poetischer Funke gloste und daß sie junge, frische Seelen besaßen. Damit läßt sich ihr kameradschaftlicher Verkehr mit Kindern und ihre Liebe für die Dichter erklären.

Kinder sind von Natur aus auch ein wenig Handwerker. Sie lieben es zu formen, zu schnitzen, zu bauen, zu malen. Das jüdische Schulkind schnitzt für Channeke eifrig seine Formen und gießt Drejdel, fertigt für Pirem Haman-Klappern an, malt für Schwiees Rosen und klebt sie auf die Fenster. Doch statt diese Freude am Schaffen im Kind zu fördern, vernichtet man sie vielmehr schon im Anfang mit strengen Mitteln und sagt zu den Kindern: »Lernt lieber und gebt euch nicht mit Unsinn ab.« Ereignet sich's aber einmal, daß Kinder zu einem Handwerker kommen, dann erquicken sie sich förmlich an dem großen Vergnügen, dazusitzen, zuzuschauen und zuzuhören, wie hier gearbeitet, gesprochen, gesungen und witzig geredet wird. Nach dem Trübsinn, den finsteren Gesichtern, bösen Mienen und den jammervollen Seelen, die sie in der Schule, im Beßmeddresch und daheim immer vor sich sehen, ist ihnen eine freie Miene, ein frohes Gesicht und ein gutes Wort ein wahres Labsal. Die Äuglein schauen, die Öhrlein lauschen und das Herzlein schwillt vor Entzücken!

Kinder sind Handwerker, Handwerker sind Kinder. Die einen wie die anderen werden mit der Angst in Zucht gehalten. Die einen müssen Ehrfurcht vor den Vätern, die anderen vor den Bürgern Respekt und Furcht haben.

Daß Asek der Schmied und Herzel Kejles der Tischler unter den Handwerkern der Stadt eine Ausnahme bildeten, hatten sie ihren Vätern zu verdanken. Sie stammten aus guten Familien und waren mit den feinsten Leuten der Stadt verwandt. Ihre Väter, angesehene und ehrbare Bürger, hatten ihnen Häuser am Markt, der schönsten Stelle der Stadt, und gute Plätze an der Ostwand der Schiehl hinterlassen. Beide waren Nachbarn Reb Chajems. Aseks Haus stand rechts von dem seinen, das Herzels zur linken Hand. Die drei Nachbarn standen auf gutem Fuß und besuchten einander bei Familienfesten und zum Jontew-Gruß. Mejer Izze, der Sohn Aseks, ein wohlgeratenes Kind, mit viel Begabung im Zusammenbasteln von Spielzeug und beim Erfinden von Schnarren und Haman-Klappern, lernte in der gleichen Schule wie Schloimale. Ben-Zieen, der Sohn Herzel Kejles, war ein Schulgefährte des älteren Bruders Schloimales. Reb Chajem lehrte ihn umsonst zugleich mit seinem Sohn, eine oder zwei Stunden im Tag, wenn er von seinen Geschäften frei war.

Daß sie am Schabbes und Jontew einen Seidenrock und ein Stramel trugen, darüber war nicht zu reden. Die Frage hieß bloß: Wie kam es, daß sie als Kinder guter Eltern Handwerker waren? Die Leute sagten: »Der Teufel ist in ihrer Jugend in sie gefahren, hat sie vom Lernen losgerissen und ihnen den Kopf mit Unsinn und Kindereien toll gemacht. Sie waren Buben und sind Buben geblieben. Der Teufel in ihnen brodelte und siedete und gor – und was ist zum Schluß aus ihnen geworden? Nichts! Handwerker! Aber . . . sie sind ja doch von guten Eltern.«

Zu diesen alten Kindern ließ Schloimale der böse Trieb gehen. Das war der letzte Stoß, den er ihm versetzte, als er ihn aus der »andern Welt« verjagte. Nun saß er nicht mehr über dem »Traktate vom Ei« wie eine brütende Henne.


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