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In Lodi aß ich wohl ruhiger zu Mittage als Bonaparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruf erwarb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches Geschlecht sein; das sah man an ihren Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das Maß nahm.
Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Zitronen blühn. In Rom sagte man, daß das Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein heruntergeworfen worden. Dieses gotische Gebäude streitet vielleicht mit dem Münster in Straßburg um den Vorzug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es nun vielleicht auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du weißt, alles nach dem Willen des korsischen Autokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint hier der goldenen Freiheit nicht durchaus außerordentlich hold zu sein. Einer meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische der geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut auf den Schultern hangend. Er gilt für eine gräßlich schöne Anatomie. Der Italiener stand und betrachtete ihn einige Minuten: das sind wir, sagte er endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser Elend sehen können. Die Franzosen machen eine schöne Parade vor dem Palast der Republik; nur wird es mir schwer, die allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa gezittert hat. Das alte weitläufige Schloß vor der Stadt wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.
Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall. Das Stück ist einige Mal restauriert. Volpato hat es zuletzt gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bei Euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urteilen. Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen Zustande ist mir das Original noch weit lieber als der Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht etwas willkürlich bei der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Dank schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urteil hat der Maler den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner, tiefsinniger, mit sich selbst nicht ganz unzufriedner Finanzminister, der einen großen Streich wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nachher nicht getötet. Er glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freilich nicht Judas sein und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen: aber vielleicht eben nur darum nicht, weil ich nicht so viel Glauben habe als er. – Jetzt muß man auf einer Leiter hinuntersteigen in den Saal, der untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch feuchte, dumpfe Luft vielleicht ebensosehr, als vorher durch andere üble Behandlung.
Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, daß ich gar nicht Lust bekam eins zu suchen. Man sagt, das Haus sei hier ebenso groß, als das große in Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet, und für das große Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote von Demoiselle Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns etwas ähnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur daß weder unser Mißfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging, als die italienische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bei ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so sehr vor ihrer Gestalt und geriet so in Unwillen, daß man sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor mußte erscheinen und es sich als eine große Gefälligkeit für sich selbst erbitten, daß man ihr nur eine einzige Szene erlaubte, dann möchte man verurteilen, wenn man wollte. Die Wirkung war vorauszusehen; man war beschämt und ging nun in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die Sängerin durch einen großen Teil der Stadt nach Hause. Es wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das aufrichtige Bekenntnis der Weiber zu hören, ob sie das zweite für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat keine Stimme mehr über die Sache.
Das Ballett war schottisch und sehr militärisch. Man arbeitete mit einer großen Menge Gewehr und sogar mit Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem großen Raume sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich bei der Mutter. Man hatte gute Springer, aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze nicht mit Einer Seele arbeitet. Ich habe nie wieder so gute Pantomime gesehen als in Warschau aus der Schule des Königs Poniatowsky. An ihm ist ein großer Ballettmeister verlorengegangen und ein schlechter König gewonnen worden.
In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den General Dombrowsky erhalten, und er nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreiheit auf die ganze Zeit meines Hierseins an seinen Tisch. Hier fand ich mit ihm und andern von Polen aus Berührung. Ich hatte ihn einige Mal in Suworows Hauptquartiere gesehen; und er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest bei ihm Bücher und Karten, die Du vielleicht an vielen andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freier, strenger Beurteiler militärischer Zeichnungen, fordert das Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter Kupferstiche von den Köpfen großer Männer; besonders ist darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und charakteristisch ist, und auf den er viel hält. Eine Anekdote aus diesem nun geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht unangenehm sein. Dombrowsky liebte Schillers dreißigjährigen Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bei Trebia oder Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Ich habe das durchschlagene Exemplar selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des Generals. Er sagte mir lachend, Schiller hat mich gerettet, aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die Kugel hat eine Unwahrheit herausgeschlagen. Es stand dort, die Polen haben in der Schlacht bei Lützen gefochten: das ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Polen haben nie für Geld geschlagen; selbst jetzt schlugen wir noch für unser Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiederbringlich verloren ist. Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich meinte, es wäre vorauszusehen gewesen, daß für Polen keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der furchtbaren Tripleallianz bloßstellen, um ein Zwitterding von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun gar kein Interesse mehr hatten. Eifersucht zwischen den großen, mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen vorteilhaft. Wenn die Polen noch unter einem einzigen Herrn wären, so ließe sich durch eben diese Eifersucht noch Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen, und taten, da die Katastrophe nun einmal herbeigeführt war, hier und da etwas, um nur unter Einen Herrn zu kommen. Ich weiß selbst, daß ich als russischer Offizier in Posen vor der Hauptwache vor den preußischen Kanonen von einem Dutzend junger Polen belagert wurde, die mir's nahe ans Herz legten, daß doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so wollten sie die Preußen zurückschlagen. Sie brachten eine Menge scheinbare Gründe, warum sie lieber russische Untertanen zu sein wünschten; aber die wahren verbargen sie gewiß. Sie dachten unstreitig, bleiben wir nur beisammen, so können wir durch irgendeine Konjunktur bald wieder politische Existenz gewinnen. Der General fand die Schlußfolge ziemlich bündig, sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und edel.
Die Polen haben hier noch ganz ihre alte Organisation und tragen ihre alten Abzeichen, so daß man die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte. Der Mangel im Kriege muß in Italien zuweilen hoch gestiegen sein: denn es wurde erzählt, daß einmal die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier Frösche reduziert gewesen sei. Die Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch drolliger Vertraulichkeit geäußert. So sagten die Franzosen von den Polen: Ah ce sont de braves coquins: ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se battent comme les lions. Die Polnischen Offiziere konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug erteilen über ihren Mut, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiß alle Mal ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, daß das polnische Corps bei der letzten Musterung noch 15000 Mann stark gewesen sei; und jetzt wird eben in Livorno ein Teil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die ihm zu seinen Absichten in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als wohl sonst die französische Energie vermochte.
Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in den Mußestunden lese ich mit viel Genuß Wielands Oberon, den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man mich im Wirtshause mit einem gewissen Mißtrauen wie einen gewöhnlichen Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich wohl da ich einige schwere Goldstücke wechseln ließ, ward das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger ungewöhnlich artig. Noch muß ich Dir bemerken, daß ich in Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten Weiber gefunden habe: auch den Korso in Rom nicht ausgenommen. Ich urteile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun vermutlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sizilien oft protestieren so viel ich wollte, und meine Deutschheit behaupten, so war ich Signor Inglese und Eccellenza; und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man auch nach verjüngtem Maßstabe in Mailand denken. Die Industrie ist mancherlei. Ich saß an einem Sonntag Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge, schöne Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetärenkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda qualche cosa? fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spielen ließ und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüssig No antwortete. Niente? fragte sie, und der Teufel muß ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu sagen oder zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiß, ob ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum dritten Mal mit der nämlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zufrieden zum General.