Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich versuchte es an dem Fuße des Posilippo am Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln: es war aber nicht möglich weiter als ungefähr eine Stunde zu kommen: dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von ungefähr einer Viertelstunde zwei alte Gebäude, die man für Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr berüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es ließe sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient haben könnte. Zwischen diesen beiden alten leeren Gebäuden liegt das niedliche Casino des Ritters Hamilton, wo er beständig den Vesuv vor Augen hatte; und man tut ihm vielleicht nicht ganz Unrecht; wenn man aus dem Ort seiner Vergnügungen auf etwas Ähnlichkeit mit dem Geschmack der schönen Königin schließt, die von der bösen Geschichte doch wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als sie war. Ich war genötigt wieder zurückzugehen, und nicht weit von der Villa Reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag, die mich an die Spitze hinausrudern wollten. Es schien mir für den Vormittag zu spät zu sein, deswegen wollte ich nichts hören. Aber man griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing, und auf mich mit einer Miene, als ob man sagen wollte, das wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen, ich bezahlte die Gefahr sogleich mit einem Piaster mehr, und setzte mich mit meinem alten Genuesen in ein Boot, das ich erst selbst herunterziehen half. Der Genuese hatte auch mehrere Seereisen gemacht, und hatte Mut wie ein Delphin. Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber, und die Wogen machten rechts eine furchtbare Brandung; das Wasser füllte reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um das Inselchen Nisida herum gerudert sein; das war aber nicht möglich: wir mußten, als wir einige hundert Schritte vor dem Einsiedler vorbei waren, umkehren und unsere Zuflucht in ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von der Stadt aus zuweilen Wasserpartien macht, wo es aber jetzt traurig genug aussah. Indessen fütterte uns doch der Wirt mit Makkaroni und gutem Käse. Nicht weit von hier, nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus vor dem Tode der Republik sich einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen, und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigentlich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß er hier oft gearbeitet haben mag. Es ist eine der angenehmsten klassischen, mythologischen Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. Vermutlich gehörte der Platz zu den Gärten des Pollio. Er hatte hier um sich her einen großen Teil von dem Theater seiner Aeneide, alle Örter die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.

Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirtshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein alter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidentum in den christlichen Ritus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio annimmt, und in dieser Meinung eine große marmorne Tafel an der Tür angebracht hat, auf welcher lateinisch alle Greuel abscheulich genug beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen echt kardinalisch gepriesen wird. Ich weiß nicht, ob man nicht vielleicht mit dem britischen Klagemann sagen sollte: A bitter change, severer for severe! Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den Pollio in den Teich werfen könnte.

Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden, auf einem andern Wege nach der Stadt zurückzukehren. Ich zahlte also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des Posilippo nach Neapel. Diese Promenade mußt Du durchaus machen, wenn Du einmal hierher kommst; sie ist eine der schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann. Lange Zeit hat man die beiden Meerbusen von Neapel und Bajä rechts und links im Gesicht, genießt sodann die schöne Übersicht auf die Partie jenseit des Berges nach Puzzuoli, welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur Kianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier Millien des herrlichsten Weges in der Gegend von Virgils Grabe wieder herunter auf die Straße. Der Spaziergang ist freilich etwas wild, aber desto schöner.

Man sagte mir, die Regierung habe wollen eine Straße rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach Puzzuoli führen, so daß man nicht nötig hätte, durch die Grotte und die etwas ungesunde Gegend jenseits derselben zu fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das wird in der Tat einer der herrlichsten Wege werden; ungefähr eine halbe Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische Regierung vorher das Nötige, Gerechtigkeit, Ordnung und Polizei besorgte; das andere würde sich sodann nach und nach schon machen.

Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter liegenden Kartause für die schönste Partie gehalten; und sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den Vesuv oder zu den Kamaldulensern bemühen wollen. Es ist ein ziemlicher Spaziergang auf die Kartause, den unser schlesische Landsmann, Herr Benkowitz, schon für eine große Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bei den Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muß vorher dazu die Erlaubnis haben. Man sieht in der Kartause fast ebensoviel, nur hat man nicht das Vergnügen zehen oder zwanzig Klafter höher zu stehen. Die Kartause hat der König ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne Gemälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht ganz vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal hat noch Stücke von guten Meistern.

Um die schönste Aussicht zu haben, mußt Du zu den Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution etwas dezimiert worden, haben aber den Verlust nicht schwer empfunden. Man geht durch die Vorstadt Fraskati und einige Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde Gegenden. Weil man nicht hinauffahren kann, wird die Partie nicht von sehr vielen gemacht. Wir verirrten uns, mein Genuese und ich, in den Feigengärten und Kastanienwäldern, und ich mußte dem alten Kerl noch mit meiner Topographie im Orientieren helfen. Das ärgerte mich gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht hübsche Partien nach allen Seiten. Es gab Stellen, wo man bis nach Kajeta hinüber sehen konnte. Da wir uns verspätet hatten, mußten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum Frühstück einkehren und einen zweiten Boten mitnehmen. Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu genießen als die Aussicht; die Kirche hat nichts merkwürdiges. Ein Laienbruder führte mich mit vieler Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige perennierende Eichen, die vielleicht der schönste Punkt in ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Teil von Elmo, Belvedere und einige andere Stückchen sind sichtbar. Aber rundumher liegt das ganze schöne magische klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava der Stadt des Herkules steht, der sich emportürmende Vesuv mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent, Massa, Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida, der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend, Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter ihm versteckt der Avernus, die Solfatara, bei heiterm Wetter die Berge von Kumä, der Gaurus und weiterhin die beschneiten Apenninen; unten der Agnano mit der Hundsgrotte, deren Eingang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge, ausgebrannte und brennende Vulkane, alte und neue Städte, Elysium und die Hölle: – alles dieses fassest Du mit Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief, tief in der Ferne sieht man noch Ponza und einige kleinere Inseln. Da haben die Mönche wieder das beste gewählt. Freund, wenn Du einmal hörst, daß ich unbegreiflich verschwunden bin, so bringe mit unter Deine Mutmaßungen, daß ich vielleicht der schönsten Natur zu Ehren die größte Sottise gemacht habe, und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer und Virgil, den Thucydides und etwas von der attischen Biene, abwechselnd mit Aristophanes, Lucian und Juvenal; so könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das Bißchen Vernunft bei sich behalten: denn diese wird jetzt doch überall wieder konterband. Also gehe zu den Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bei ihnen oben zu bleiben.

Jetzt schließe ich und schreibe Dir vermutlich noch einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrien zurückkomme; denn eben muß ich zu Schiffe nach Palermo.


 << zurück weiter >>