Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rom, den 2ten März

Wider meine Absicht bin ich nun hier. Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans Gewissen, daß es Tollkühnheit gewesen wäre, von dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren fürchterlich, und im Wirtshause betete man schon im voraus bei meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele. Vous avez bien l'air d'être un peu François; et tout François est perdû sans ressource en Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles; sagte man mir. Das klang nun freilich nicht erbaulich, denn ich denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour François, et on Vous coupera la gorge sans pitié; hieß es. Fort bien, sagte ich; ou plûtot bien fort. Was war zu tun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen Besuch, ließ auch meinen Knotenstock von dem Sakristan mit zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen Beichtstühle, ließ mir für einige Paoli ein halbes Dutzend hochgeweihte Rosenkränze anhängen, um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der Tiber zu. Freilich gab es auch hier keinen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denkmal und zur schrecklichsten Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, als ich doch wirklich bin; und so bin ich dann glücklich auf dem Kapitol angelangt.

Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich, abwechselnd durch Täler und auf Höhen, die alle mit schönem Getreide und Obst und Ölbäumen besetzt sind; desto schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis gefroren, eine Erscheinung, die mir in der Mitte des Februars bei Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges unerträglich.

Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt gewesen, daß ich auf der Straße den dritten Menschen immer für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein kleiner Irrtum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen wimmelt. Ein ältlicher, ärmlich gekleideter Mann stand an einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler Deferenz seinen alten Hut ab, sprach etwas ganz leise, das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner Miene, daß er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die größte Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas näher ins Auge, und fand so viel feine Bonhommie in seinem ganzen Wesen, daß ich mich über meine Übereilung ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beide einander für etwas ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, daß solche Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr wohltun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheite Leute gewesen sein, da sie nun einmal das Häuschen im gelobten Lande nicht behaupten konnten, daß sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bugsiert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es auch den Ungläubigen, sozusagen, noch in den Klauen war. Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport nötig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzutun, worüber die hiesigen Frommen große Klagelieder und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des großen Demagogen gibt auf einmal der Sache für die Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerei nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf- und abführen sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle Arten von Schurkereien. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.

Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die schönen Täler weiter und immer nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre Möncherei verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Tor ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeimäßig die Freiheit meinen Paß zu beschauen. Der Mann war übrigens recht höflich und artig, und schickte mich in ein Wirtshaus nicht weit vom Tore, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde, daß mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken Glauben durch ihre Gutmütigkeit außerordentlich wert wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Gewohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste Wirtshaus an der Straße zu halten. Die Gegend war paradiesisch links und rechts; aber zu essen fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, und ich geriet in große Versuchung mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen. Bloß mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück. Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Mißtrauen und meinen Unglauben, und wanderte fürbaß. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in großen Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar hinunterglitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich die Kaupone verließ, war es als schwebte ich davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. Schade, daß ich nicht Zeit und Stimmung hatte, sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahinschaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich ganz traulich-pathetisch ein Eseltreiber: Volete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kavallerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich gab auf den wiederholten Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen Bescheid: Io sono pedone e non voglio andare a cavallo sul asino. Die Leute sahen mich an und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, daß im gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.

In Tolentino gings gut, und ich ließ mich überreden von hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nur nicht ganz allein zu sein. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für Italien ein ganz hübscher Fluß, hat auch etwas besseres Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu seinem Ursprunge bei Colfiorito, wo er aus einem See kommt, in welchem sich das Wasser rund umher aus den höchsten Spitzen der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemietet, aber der Wirt als Vermieter kam mit der Entschuldigung: es sei jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwei Stunden warten. Das war nun nicht erbaulich. Ärgernis hätte mich aber nur mehr aufgehalten; ich faßte also Geduld und ließ mich mit meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe, und so trabten wir italienisch immer in den Schluchten hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein großes, langes Dorf in einer engen, furchtbaren Bergschlucht am Fluß, nicht weit von der größten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, daß man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem See bei Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke hinunter. Case Nuove ist ein armes Örtchen am Abhange des Berges, fast ebenso zwischen Felsen wie Serrevalle auf der andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in Anspruch nehmen. Sie überteuern den Fremden nicht, sondern wenden sich bei der Bezahlung mit rührender Ergebung an seine Großmut. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtbaren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man müßte keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die Tasche griffe und den gutmütigen Menschen leben hülfe.

Von Case Nuove nach Foligno ist eine Partie, wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige gibt, so schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche Gegend eine der größten Aussichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden Tale die Papiermühlen des Papstes angelegt, die zu den besten in Italien gehören sollen. Oben sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche, geben dann Ölbäume und haben am Fuße üppige Weingärten. Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche, die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war ziemlich umwölkt: aber es war auch so schon ein herrlicher Anblick. Wer nur ein Kerl wäre, der etwas ordentliches gelernt hätte! Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte, finstere Foligno unten im Tale, wo der Segen Hesperiens ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die gewiß in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter weideten ehemals die vom Klitumnus weißgefärbten Stiere, welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt holten; und tief, tief weiter hinab liegt in einer Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Toren das vom Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten Mal von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen wurde. In und bei Foligno ist artistisch nicht viel zu sehen, nachdem die neuen Gallier das schöne Madonnenbild mitgenommen haben. Die Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich deucht mit Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man mich zwar ziemlich gut bewirtete, aber ungeheuer bezahlen ließ. Eine Bewirtung, für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem Apennin sieben Paoli gezahlt hatte, mußte ich hier in dem Lande des Segens mit sechszehn bezahlen. Man wollte mich überdies mit Gewalt zu Wagen weiterspedieren, und da ich dies durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirters nach Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, daß ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wieder im Tale hinauf nach Hannibals Kopfstoß. Hier kam ich bei den berühmten Quellen des Klitumnus vorbei, die jetzt von den Eselstreibern und Waschweibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch eben so schön sind wie vormals, als Plinius so enthusiastisch davon sprach. Große Haine und viele Tempel gibt es freilich nicht mehr hier; aber die Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit großen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe Zypressen, die ehmals in der Gegend berühmt gewesen sein sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre Geschenke hier in ihrem Heiligtume niedergelegt hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel sein; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Rasen sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog einige Zeitungsblätter aus der Tasche, und wollte nun von mir wissen, wie man nach dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie besonders der heilige Sitz und die geistlichen Kurfürsten dabei bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner Silbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das überließe ich denen, quorum interesset.

Ich bin nicht gern bei solchen Ausgleichungsprojekten; denn es ist fast immer etwas Empörendes dabei. Ein Beispielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir nichts Anmaßlicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes, Impertinenteres denken, als den Russischen Nationalgeist; nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprößlinge der großen Familien, die die nächste Anwartschaft auf Ämter im Zivil und bei der Armee haben. Einer dieser Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äußerte in Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben. Die Frage war eben, wie man Östreich über die zweite Teilung in Polen zufriedenstellen wolle? Der Neffe des Gesandten, der doch Major bei der Armee und also kein Troßbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es ja noch Kurfürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein Freund stand bei den Exzellenzen, deren einige durchaus die moralische Antiphrase ihres Titels waren, und kehrte sich trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige Ausdruck: So geht es hier und da.


 << zurück weiter >>