Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsgebäude einer theologischen Doktorkreation beizuwohnen. Der Saal ist groß und schön und hell. Rundherum sind einige große Männer des Altertums nicht übel abgemalt, von denen einige Katanier waren; nämlich Charondas und Stesichorus; auch Cicero hatte für seinen Eifer für die Insel die Ehre hier zu sein; sodann der Syrakusier Archimed und einige andere Sizilier. Theokrit war den frommen Leuten vermutlich zu frivol; er war nicht hier. Der Kandidat war ein Dominikaner, und machte in ziemlich gutem Latein die Lobrede der Stadt und der Akademie Katanien. Der Promotor hielt sodann der Theologie eine Lobrede, die sehr mönchisch war, und die ich ihm bloß der guten Sprache wegen nur in Sizilien noch verzeihe. Nun, dachte ich, wird die Disputation angehen; und vielleicht vergönnt man sogar, da die Versammlung nicht zahlreich und ich von einem hiesigen Professor eingeführt war, mir Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber das war schon alles inter privatos parietes mit dem Examen abgemacht: man gab dem Kandidaten den Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen fort. Die Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber gut gewählt und geordnet, und der Bibliothekar ist ein freundlicher, verständiger Mann. Er zeigte mir eine erste Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln anfing, und die, wie er mir sagte, Fabricius sehr gelobt habe.

In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch welche eine Ader des Amenanus geleitet ist, die noch fließt, war die Luft so übel, daß der Professor Gambino es nur einige Minuten aushalten konnte. Meine Brust war etwas stärker; aber ich machte doch, daß ich wieder herauskam. Sie werden selten besucht. Auch in den dreifachen Korridoren des Theaters etwas weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde herum: von hier hat der Prinz Biskaris seine besten Schätze gezogen. Auch hier ist ein Aquädukt des Amenanus, aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist. Die Kommission der Altertümer hat aber nun die Oberaufsicht, und kein Eigentümer darf ohne ihre Erlaubnis einen Stein regen.

Das Kloster und die Kirche der reichen Benediktiner sind so gut als man eine schlechte Sache machen kann. Die Kirche gilt für die größte in ganz Sizilien und ist noch nicht ausgebauet; an der Façade fehlt noch viel. Sie mag dessen ungeachtet wohl die schönste sein. Die Gemälde in derselben sind nicht ohne Wert, und die Stücke eines Eingebornen, des Morealese, werden billig geschätzt. Am meistens tut man sich auf die Orgel zugute, die vor ungefähr zwanzig Jahren von Don Donato del Piano gebauet worden ist. Er hat auch eine in Sankt Martin bei Palermo gebauet; aber diese hier soll, wie die Katanier behaupten, weit vorzüglicher sein. Man hatte die wirklich ausgezeichnete Humanität, sie für einige Freunde nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu lassen; und ich glaube selbst in Rom keine bessere gehört zu haben. Schwerlich findet man eine größere Stärke, Reinheit und Verschiedenheit. Einige kleine Spielwerke für die Mönche sind freilich dabei, die durchaus alle Instrumente in einem einzigen haben wollen: aber das Echo ist wirklich ein Meisterstück; ich habe es noch in keiner Musik so magisch gehört. Die Abenddämmerung in der großen, schönen Kirche, und dann die feierlich schaurige Beleuchtung wirkten mit. Die Bibliothek und das Kabinet der Benediktiner sind ansehnlich genug, und könnten bei den Einkünften des Klosters noch weit besser sein. Im Museum finden sich einige hübsche Stücke von Guido Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere griechische Inschriften sind an den Wänden umher. Eine auf einer Marmortafel ist so gelehrt, daß sie, wie man sagte, auch die gelehrtesten Antiquare in Italien nicht haben erklären können: auch Viskonti nicht. Ich hatte nicht Zeit; und was wollte ich Rekrut nach diesem athletischen Triarier. Doch kam es mir vor, als ob sie in einem späteren griechischen Stile das Märtertum der heiligen Agatha enthielte. Wenn Du nach Katanien zu den Benediktinern kommst, magst Du Dein Heil versuchen. In der Bibliothek bewirtete man mich, als einen Leipziger, aus Höflichkeit mit den Actis eruditorum, die in einer Klosterbibliothek in Katanien auch wirklich eine Seltenheit sein mögen. Die Byzantiner waren alle mit Caute in Verwahrung gesetzt, und werden nicht jedem gegeben. Als einen sehr großen seltenen Schatz zeigte man mir eine außerordentlich schön geschriebene Vulgata. Ich las etwas darin, und verschüttete die gute Meinung der Herren fast ganz durch die voreilige Bemerkung, es wäre Schade, daß der Kopist gar kein Griechisch verstanden hätte. Man sah mich an: ich war also genötigt zu zeigen, daß er aus dieser Unwissenheit vieles idiotisch und falsch geschrieben habe. Die guten Leute waren verlegen und legten ihr Heiligtum wieder an seinen Ort, und ihre Mienen sagten, daß solche Schätze nicht für Profane wären. Der Pater Sekretär, ein feiner, gebildeter Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches englisches Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bruder oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte, daß ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es würde unmöglich sein, meinte er, schon jetzt in der frühen Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hinaufzukommen. Er erzählte mir dabei von einigen Westfalen, die es noch bei der nämlichen Jahrszeit gewagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich ließ mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja nicht wert gewesen, nordamerikanischen und russischen Winter erlebt zu haben.

Das Kloster hat achtzigtausend Skudi Einkünfte, und steht im Kredit, daß es damit viel gutes tut. Das heißt aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulenzer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beide dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser alter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünftig, auch wenn er mir selbst das Todesurteil schriebe.

Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nämlichen Klosters, der hinter den Gebäuden auf lauter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts und geradeaus die schönste Aussicht auf den Berg und das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder geben dem Garten das Ansehen einer großen, mächtigen Zauberei. Gleich neben diesem Garten, neben dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kanonikus einen kleinen botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von Syrakus als eine Seltenheit hält. Noch angenehmer ist der Gang in die Gärten des Prinzen Biskaris in der nämlichen Gegend. Als er ihn anlegte, hielt man es für eine Spielerei; aber er hat gezeigt, was Fleiß mit Anhaltsamkeit und etwas Aufwand tun kann. Er hat die Lava gezwungen; die Pflanzung grünt und blüht mit Wein und Feigen und Orangen und den schönsten Blumen aller Art. Der Gärtner brachte mir die gewöhnliche Höflichkeit, und ich legte mehrere Blumen in mein Taschenbuch für meine Freunde im Vaterlande.

Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablissement für Manufakturen gemacht: und ob dieses Etablissement gleich noch nicht weit gediehen ist, so ist doch durch die Vernichtung des Klosters schon viel gewonnen. In der Kathedrale hängt in einer Kapelle ein schrecklich treues Gemälde, ungefähr sechs Fuß im Quadrat, von der letzten großen Eruption des Berges 1669, die fast die Stadt zu Grunde richtete. Ein echter Künstler sollte es nehmen und ihm in einer neuen Bearbeitung zur Wahrheit des Ganzen auch Kunstwert geben. Es würde ein furchtbar schönes Stück werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte dann vielleicht nichts ähnliches aufzuweisen. Hier hätte Raphael arbeiten sollen; da war mehr als sein Brand.

Unten wo der zerteilte Amenanus wieder aus den Lavaschichten herausfließt, steht noch etwas von der alten Mauer Kataniens, ungefähr in gleicher Entfernung zwischen dem Molo links und dem Lavaberge rechts, der dort weiter in die See hinein sich emporgetürmt hat. An dem Molo hat man schon lange mit vielen Kosten gearbeitet; ich fürchte aber die See wird gewaltiger sein als die Arbeiter. Wenn links ein Felsenufer etwas weiter hervorgriffe und den Wogensturz von Kalabrien her etwas dämmte, so wäre eher Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der ich nichts wußte, hat schon meine Meinung bestätigt, und einige verständige Leute pflichteten mir bei, Katanien wird sich wohl müssen mit einer leidlichen Reede begnügen, wenn nicht vielleicht einmal der Aetna, der große Bauer und Zerstörer, einen Hafen bauet. Er darf nur links einen solchen Berg ins Meer schießen, wie er rechts getan hat, so ist er fertig. Es fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Straße Ferdinande, von dem prächtigen Tore von Syrakus her, ist die Hauptstraße: eine andere, die ihr etwas aufwärts parallel läuft, ist fast eben so schön. Wenn Katanien so fort arbeitet, macht es sich nach einem großen Plane zu einer prächtigen Stadt. Fast alle öffentlichen Monumente sind von der Kommune aus eigenen Kräften bestritten, und es sind derselben nicht wenig: des Hofes geschieht nur Ehrenerwähnung. Es ist der lieblichste Ort, den ich in Sizilien gesehen habe, und übrigens sehr wenig mit der Regierung in Kollision; so daß viel gutes zu erwarten ist. Die Dazwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehltau meistens das natürliche Gedeihen der freien Industrie.


 << zurück weiter >>