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Es ist im Nordwesten jedem bekannt, daß ein Grisly aus der Urzeitgegend ein böser Bär ist. Dieses Gebiet ist der rauheste Teil des Gebirges. Überall ist der Boden von tiefen Schluchten aufgerissen und von dichtem, verwachsenem Gestrüpp bedeckt.
Pferde kann man dort überhaupt nicht brauchen, auch Schützen haben's schlecht; aber an trefflicher Bärenatzung fehlt es nicht. So wimmelt es dort von Bären und von Fallenstellern.
Die Buckelbären, wie man die Grislys dort nennt, sind eine schlaue und verzweifelte Rasse. Ein alter Buckelbär versteht mehr von Fallen als ein halbes Dutzend gewöhnlicher Trapper, und er versteht mehr von Pflanzen und Wurzeln als ein ganzes Kollegium von Botanikern. Er kann mit Sicherheit sagen, wann und wo jede Art von Larve und Wurm zu finden ist, und ein Lufthauch sagt ihm, ob der Jäger, der dort hinten anderthalb Kilometer weit seiner Fährte folgt, ihm mit der Flinte, mit Gift, Hunden, Fallen oder mit allem zusammen nachstellt. Und er befolgt eine allgemeine Regel, die dem Jäger endlose Rätsel aufgibt: »Wozu du dich einmal entschließest, das tue schnell und führe es ganz durch!« Wenn daher ein solcher Grisly auf einen Fallensteller stößt, so entscheidet er sich sofort entweder so schnell, wie er nur kann, fortzulaufen oder sich auf den Mann zu stürzen und die Sache schnell zu Ende zu bringen.
Die Grislys der Einöde waren anderer Art. Sie pflegten würdig und unerschrocken dazustehen und wie ein Donner dumpf zu brüllen und gaben so den Jägern Gelegenheit, ihren tödlichen Blitz spielen zu lassen; und Blitzen ist allemal schlimmer als Donnern. Der Mann kann sich an den Donner gewöhnen, nicht aber der Bär an die weichnasigen Kugeln eines Repetiergewehrs, und darum sind die Grislys der Einöde sämtlich abgeschossen worden.
So haben die Jäger gelernt, daß man nie wissen kann, was ein Buckelbär tun wird, aber sie wissen, daß er jedenfalls rasch im Handeln ist.
Im ganzen haben diese Grislys ihre Lebensaufgabe trotz des weißen Mannes gut gelöst, und sie vermehren sich daher auch in ihrer wilden Gebirgsheimat.
Natürlich kann eine Gegend nur eine bestimmte Anzahl von Bären ernähren, und die überzähligen werden hinausgedrängt. Als daher ein schmächtiger, junger Buckelbär fand, er könnte das Revier, das er haben wollte, nicht halten, so wich er der höheren Gewalt und zog aus, sein Glück in der Welt zu suchen.
Er war kein großer Bär, sonst hätte er sich nicht hinausdrängen lassen; aber er hatte eine gute Schulung hinter sich, so daß er schlau genug war, um anderswo sehr gut durchzukommen. Wie er zu den Lachsflußbergen hinabwanderte, wo es ihm nicht gefiel; wie er weiterwanderte, bis er zwischen die Stacheldrahtzäune des Schlangenplateaus geriet, wo er natürlich nicht bleiben konnte; wie ihn ein bloßer Zufall abhielt, weiter nach Osten in den Park zu gehen, wo er wohl geblieben wäre; wie er dann zu den Schlangenflußbergen gelangte, wo es mehr Jäger als Beeren gab; wie er hinüberging ins Tetongebirge und mit Abscheu auf die reiche Menschenansiedlung beim Jacksonloch hinabblickte – das alles gehört nicht in Wahbs Lebensgeschichte. Als der Buckelbär aber über die Dickbauch-Kette und weiter über die Wasserscheide des Windflusses zur Höhe des Graybulltales kam, trat er in das Land und in das Leben des Meteetsee-Grislys ein und damit in den Rahmen unserer Geschichte.
Seit er dem Jacksonloch den Rücken gedreht, hatte der Buckelbär keine Spur von Menschenwerk mehr angetroffen, und das Land hier war reich an Nahrung. Er ließ sich alle Leckereien der Jahreszeit wohlschmecken und freute sich der bequemen, gestrüppfreien Landschaft, bis er auf einen von Wahbs Signalstämmen stieß.
»Für Fremde verboten!« sagte er klipp und klar. Der Buckelbär richtete sich daran empor.
»Donner! Was für ein Bär!« Die Nasenmarke ging noch einen Kopf und Hals über seinen eigenen Höchststand hinaus. Nun hätte ein gewöhnlicher Bär sich einfach davongemacht, aber der Wanderer hatte das Gefühl, das Gebirge müsse ihm doch einen Lebensunterhalt bieten, und das tat es hier auch reichlich, wenn es ihm nur gelang, dem großen Burschen aus dem Wege zu bleiben. Er schnüffelte in der Nähe herum und hielt scharfe Ausschau nach dem gegenwärtigen Eigentümer; dabei unterließ er aber nicht, alles, was er Eßbares fand, sich einzuverleiben.
Ein paar Schritte von dem verhängnisvollen Baum lag ein alter Fichtenstumpf. Im Gebirge findet man oft Mäusenester unter solchen Stumpen, und der Bär schleuderte daher diesen hier beiseite. Es war aber nichts darunter, und der Stumpf rollte unbeachtet zu Wahbs Merkbaum hinüber. Der Buckelbär war noch zu keinem Entschluß gekommen, wie er sich diesem Baum gegenüber verhalten sollte. Jetzt schoß dem Schlauen ein neuer Gedanke durch den Sinn. Er drehte den Kopf nach dieser, dann nach jener Seite. Er blickte mit seinen kleinen Schweinsaugen bald den Stumpf, bald den Baum an. Dann stellte er sich bedächtig auf die dicke Fichtenwurzel mit dem Rücken gegen den Baum und brachte sein Zeichen hoch oben, mindestens einen Kopf über Wahbs, an.
Er rieb seinen Rücken lange und nachdrücklich, dann suchte er eine recht schlammige Stelle, wo er sich Kopf und Schultern vollschmierte, kam zurück und machte seine Marke so auffällig und dick und so hoch und unterstrich noch gleichsam diese Zeichen mit so vielen Krallenrissen in der Rinde, daß das Ganze nur auf eine Weise verstanden werden konnte: als Herausforderung an den jetzigen Inhaber von einem riesenhaften Eindringling, der bereit war, nein, sehnlichst danach verlangte, auf Tod und Leben um dieses erstrebenswerte Revier zu kämpfen.
Es mag Zufall sein, vielleicht aber auch Absicht: als der Buckelbär von dem Stumpf heruntersprang, rollte dieser nach einer Seite. Der Bär ging den Cañon hinunter und spähte unablässig nach seinem großen Nebenbuhler.
Es dauerte nicht lange, und Wahb stieß auf die Fährte des fremden Bären, die alle jetzt nicht durch den Park gehemmte Wildheit seiner Natur entfesselte.
Er folgte der Spur mehr als einmal meilenweit. Aber der kleine Bär war ebenso schnellfüßig wie gedankenschnell und ließ sich niemals sehen. Doch niemals versäumte er, die Signalpfosten zu besuchen, und fand sich irgendein Mittel, Betrug zu üben und sein Zeichen höher anzubringen, so tat er das möglichst nachdrücklich und hinterließ eine gewaltige unerhörte Höhenmarke. War aber keine Gelegenheit zur Urkundenfälschung, so blieb er diesem Baum fern und sah sich nach einem neuen in der Nähe um, wo er sich irgendeines Blockes oder einer seitlich anliegenden Erdschwelle bedienen könnte.
So konnte es nicht ausbleiben, daß Wahb bald Zeichen von dem Eindringling fand, die seine eigenen weit überragten – offenbar ein Bärenungeheuer, von dem selbst er nicht sicher war, ob er es bewältigen würde. Aber Wahb war kein Feigling. Er war zum Entscheidungskampf mit jedem bereit, der da kommen sollte, und er durchstrich das Revier, um den großen Feind zu stellen. Tag für Tag suchte Wahb nach ihm und hielt sich jeden Augenblick zum Kampf bereit. Er fand auch jeden Tag seine Fährte und bekam immer öfter die Höhenmarke des unsichtbaren Gegners vor Augen, die seiner eigenen so weit überlegen war. Auch Witterung von ihm brachte ihm nicht selten der Wind, aber zu Gesicht bekam er ihn nicht, denn die Augen des alten Grislys waren in letzter Zeit sehr schwach geworden, so daß ihm, was etwas weiter entfernt war, nur schleierhaft erschien. Die beständige Drohung mußte Wahb mit Unbehagen und Unruhe erfüllen, denn er war nicht mehr jung, und seine Zähne und Krallen waren stumpf geworden. Mehr als je plagten ihn Schmerzen in seinen Wunden, und wenn er auch im Augenblick kein Bedenken getragen hätte, gegen wer weiß wieviele Grislys jeder Größe zu kämpfen, so bedrückte ihn doch die beständige Besorgnis und das spannende Bewußtsein, sich immer und stets zum Kampf mit dem riesenhaften Nebenbuhler bereit halten zu müssen, und das fing an, sein allgemeines Befinden zu untergraben.