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V.

Er schlief den ganzen Winter hindurch, ohne aufzuwachen, denn das ist die Art der Bären, und doch, als der Frühling kam und ihn weckte, wußte er, daß er lange geschlafen hatte, verändert war er nicht viel – er hatte an Größe zugenommen und war doch nur wenig dünner geworden. Jetzt war er sehr hungrig, und nachdem er sich durch die tiefe Schneewehe, die noch über seinem Neste lag, einen Weg gebahnt hatte, machte er sich auf, nach Nahrung zu suchen.

Kiefernnüsse gab's nicht mehr, auch keine Beeren und Ameisen. Aber Wahb leitete seine Nase den Cañon hinauf zum Körper eines der Kälte erlegenen Hirsches, wo er einen erlesenen Schmaus hielt und dann den Rest für ferneren Bedarf vergrub.

Jeden Tag kehrte er dorthin zurück, bis alles vertilgt war. Dann war ein paar Monate lang der Tisch sehr dürftig gedeckt, und als der Wapiti verspeist war, verlor Wahb alles Fett, das er beim Erwachen noch hatte. Eines Tages kroch er über die Wasserscheide in das Warhousetal. Dort war es warm und sonnig, die Pflanzenwelt hübsch entwickelt, und er fand reichliches Futter. Er wanderte bergab einem dichten Gehölz zu und bekam bald die Witterung von einem andern Grisly. Der Geruch wurde stärker und führte ihn zu einem einzelstehenden Baum bei einer Bärenfährte. Wahb stellte sich auf die Hinterfüße, um den Baum zu beschnüffeln. Dieser roch stark nach einem Bären und war viel höher hinauf, als er reichen konnte, mit Kot und Grislyhaaren beschmiert. Wahb wußte, daß es ein sehr großer Bär gewesen sein mußte, der sich hier gerieben hatte. Wahb fühlte sich unbehaglich; er hatte sich schon so lange gesehnt, mit einem seiner Art zusammenzukommen, und jetzt, wo er Aussicht darauf hatte, war er voll Furcht.

Niemand hatte ihm in seinem einsamen, schutzlosen Leben etwas anderes als Haß bewiesen, und wer weiß, was dieser ältere Bär mit ihm tun würde? Als er so noch voll Zweifel dastand, erblickte er den alten Grisly, der langsam am Abhang entlang daherkam und von Zeit zu Zeit Camassiawurzeln und wilde Rüben herausgrub.

Er war ein riesiges Tier. Unwillkürlich mißtraute ihm Wahb; er schlich sich durch den Wald davon und auf einen steilen Felsen, von wo er den andern beobachten konnte. Als dieser auf Wahbs Fährte stieß, ließ er ein zorniges Brummen hören. Er folgte der Spur bis zu dem Baum, und sich daran aufrichtend, riß er die Borke mit seinen Krallen los, weit höher, als Wahb hatte reichen können. Dann eilte er hastig der Fährte des Eindringlings nach. Aber der Junge hatte genug gesehen. Er flüchtete sich über die Wasserscheide hinüber in den Meteetsee-Cañon und sagte sich in seiner unklaren Bärensprache, dort könne er im Frieden leben, weil die Bärenatzung so mager sei.

Als der Sommer herbeikam, wechselte er seine Kleidung. Das Fell juckte ihn sehr, und es war ihm ein angenehmes Gefühl, wenn er sich im Schmutz wälzen und seinen Rücken an einem geeigneten Baum schaben konnte. Er kletterte jetzt nicht mehr: seine Krallen waren zu lang, und seine Arme wurden zwar dick und stark, verloren aber die Geschmeidigkeit der Gelenke, die junge Grislys und alle Schwarzbären zu vorzüglichen Kletterern macht.

Vielleicht bemerkte er es gar nicht, aber jedesmal, wenn er nach ein paar Wochen wieder an einen Reibestamm kam, konnte er höher reichen, denn Wahb wuchs jetzt schnell und gelangte zu voller Stärke.

Manchmal war er an diesem, manchmal an jenem Ende des Landstrichs, den er als sein Eigentum betrachtete, aber er hatte häufig das Bedürfnis, sich an einem Baum zu reiben, und so war sein Gebiet mit vielen Bäumen gezeichnet, die seine Marke trugen.

Spät im Sommer erblickte er eines Tages in seinem Revier einen Fremden, einen schimmernden Schwarzbären, und er fühlte sich voll Wut über diesen Eingriff. Als der Schwarze näher kam, bemerkte Wahb das lohfarbene Gesicht, den weißen Fleck auf der Brust sowie das fehlende Stückchen in einem Ohr, und zuguterletzt trug ihm der Wind noch schärfere Witterung zu. Es war kein Zweifel möglich; das war derselbe Geruch: er hatte den schwarzen Feigling vor sich, der ihn vor langer Zeit das Fichtenflußtal hinuntergejagt hatte. Aber wie war der zusammengeschrumpft! Früher hatte er wie ein Riese ausgesehen, und jetzt hatte Wahb das Gefühl, er könnte ihn mit einer Tatze erledigen. Rache ist süß, dachte Wahb, wenn er sich's auch nicht sagen konnte, und er ging auf den Rotnasigen zu. Der aber stieg wie ein Eichhörnchen flink auf einen kleinen Baum. Wahb wollte ihm nach, wie jener einst ihm, aber es ging beileibe nicht. Es war, als könnte er sich jetzt nicht mehr festhalten, und nach einer Weile gab er's auf und trollte sich fort, obwohl ihn der Schwarzbär durch sein höhnisches Husten noch ein paarmal zur Umkehr brachte. Als der Grisly später am Tage noch einmal vorbeikam, war der Rotnasige fort.

Beim Schwinden des Sommers erwiesen sich die oberen Jagdgründe als immer unergiebiger, und Wahb machte sich eines Nachts auf, um zu erkunden, wie es am unteren Meteetsee stehe. Der Windhauch führte ihm einen lockenden Duft zu, und als Wahb diesem nachging, kam er zu dem Leichnam eines Stiers. In ziemlicher Entfernung davon trieben sich ein paar Coyoten herum, bloß Zwerge im Vergleich mit denen, die er in der Erinnerung hatte. Gleich neben dem Kadaver war ein anderer Coyote, der im Mondlicht wie toll hin und her sprang; aus irgendeinem Grunde schien er nicht vom Platze wegzukommen. Wahbs alter Haß lohte auf, und er fuhr auf ihn los. Im Augenblick brachte ihm der Coyote mehrere Bisse bei, ehe ihn Wahb mit einem Schlage seiner mächtigen Tatze zu einem kleinen haarigen Häufchen zusammenschmetterte; dann brach er ihm, ein paarmal mit den Kiefern zuschnappend, alle Rippen. Ah, wie das gut tat, den heißen blutigen Saft zwischen den Zähnen zu spüren!

Der Coyote war in einer Falle gefangen. Wahb war der Eisengeruch zuwider; er ging daher auf die andere Seite des Stieraases, wo er nicht so stark war, aber kaum hatte er angefangen zu schmausen, da ging es »klank«, und sein Fuß steckte in einer Wolfsfalle, die er nicht gesehen hatte.

Aber er erinnerte sich daran, daß er schon einmal in solchem Eisendinge gefangen gewesen war und sich durch Zusammenquetschen der Falle befreit hatte. Er setzte einen Hinterfuß auf jede Feder und drückte, bis die Bügel aufsprangen und die Pfote freiließen. Um den Kadaver herum schwebte ein Geruch, der, wie er wußte, Menschen bedeutete, so ließ er davon und wanderte flußabwärts; aber der Windhauch führte ihm immer mehr von dem schrecklichen Geruch zu. So wandte er sich und kehrte zu seinen friedvollen Nußkiefern zurück.


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