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IV.

Dann wurde am oberen Meteetsee gutes Gold gefunden. Goldgräber kamen, gewöhnlich zu zweien, wanderten um die Bergspitzen, rissen den Boden auf und trübten die kleinen Bäche. Es waren meist graubärtige, alte Männer, die ihr Leben in den Bergen verbracht hatten und selbst allmählich so etwas wie Grislybären geworden waren, die überall gruben und wühlten nicht nach guten, gesunden Wurzeln, sondern nach dem glänzenden gelben Sand, den sie nicht essen konnten, und die lebten wie die Grislys und nichts wollten, als daß man sie allein lasse.

Sie schienen sich mit dem Grisly Wahb zu verstehen. Als sie zum erstenmal aufeinanderstießen, erhob sich Wahb auf die Hinterfüße, und aus seinen kleinen Augen begannen die bösen, grünen Blitze zu schießen. Da sagte der Ältere zu seinem Genossen:

»Lass'n geh'n, und er wird uns nichts tun!«

»Ist er aber nicht schrecklich groß?«

»Is' er aber nicht schrecklich groß?« erwiderte der andere unruhig.

Wahb war schon im Begriff anzugreifen, aber etwas hielt ihn zurück, etwas, das mit seinem Sinnen nichts zu tun hatte, sondern nur zur Geltung kam, wenn sie ruhten, etwas, das in Bär und Mensch weiser ist als ihre Weisheit und das die Richtung weist an jedem Scheidewege der schwachen und verwehten Spur.

Natürlich verstand Wahb nicht, was die Männer sagten, aber er fühlte, daß die Sache hier anders lag. Der Geruch von Mensch und Eisen war da, aber nicht in der aufpeitschenden Art, und er spürte auch nicht den stechenden Geruch, der auch jetzt noch die düstern Tage seiner Kindheit heraufbeschwor.

Die Männer rührten sich nicht, so stieß Wahb ein unterirdisches Grollen aus, ließ sich auf seine vier Füße fallen und ging davon.

Spät in demselben Jahre kam Wahb der rotnasige Schwarzbär in die Quere. Wie der Bär immer mehr zusammenschrumpfte! Wahb hätte ihn jetzt mit einem Hieb über den Graybull schleudern können.

Aber der Schwarzbär wollte es auf den Versuch nicht ankommen lassen. Er rollte seinen fetten, kugeligen Körper auf einen Baum in einem Tempo, daß er schnaufen mußte. Wahb reichte seine acht Fuß hoch empor und riß mit seinen mächtigen Krallen die Rinde bis aufs schimmernde weiße Holz fast bis zum Boden auf, und der Schwarzbär zitterte und winselte vor Schrecken, als das Kratzen der gräßlichen Krallen den Baum hinaufdrang und ihm grauenhaft übers Rückgrat lief.

Was war es, was der Anblick dieses Schwarzbären in Wahb aufrührte? Waren es die lange entschwundenen Erinnerungen an den oberen Fichtenfluß, Gedanken an das nahrhafte Waldland?

Wahb ließ ihn dort oben auf der höchsten Spitze, die er erklettern konnte, zittern und wanderte ohne besondere Absicht an den oberen Uferhöhen des Meteetsee entlang zum Graybull nieder, um den Fuß des Rimrockberges herum. Und weiter ging er, bis er sich nach einigen Stunden in dem Gehölz des unteren Fichtenflusses und unter den Beeren und Ameisen der alten Zeiten befand.

Er wußte gar nicht mehr, was für ein schönes Land das Tal war: viel Nahrungsmittel, keine Goldgräber, welche die Bäche besudeln, keine Jäger, vor denen man sich hüten müßte, und keine Moskitos oder Fliegen, aber viele offene sonnige Klingen und bergende Wälder und dahinter hohe, steile Felsenklippen, welche die kälteren Winde abhalten.

Außerdem gab es hier keine heimischen Grislys, nicht einmal Spuren gelegentlicher Besucher, und die Schwarzbären, die hier ihre Reviere hatten, zählten nicht.

Wahb gefiel es gar wohl. Er wälzte seinen riesigen Rumpf in einer alten Büffelsuhle, richtete sich dann an der Stelle, wo sich Fichtenfluß-Cañon vom Graybull-Cañon abzweigt, vor einem Baume auf und ließ an ihm volle acht Fuß vom Boden seine Marke.

In den folgenden Tagen wanderte er immer aufwärts zwischen die zerklüfteten Ausläufer des Shoshonegebirges und ergriff dabei Besitz vom Lande. Er fand Merkbäume von verschiedenen Schwarzbären, und wenn es kleine, abgestorbene Stämme waren, legte er sie mit einem Schlag seiner Riesentatze um. Waren sie grün, so setzte er seine eigene Marke über die andern und hob sie noch dadurch hervor, daß er die Rinde mit den großen, an seinen Zehen gewachsenen Spitzhacken abriß.

Das obere Fichtenflußtal war so lange das Jagdgebiet von Schwarzbären gewesen, daß die Eichhörnchen ihre Vorräte nicht mehr in hohlen Bäumen aufspeicherten, sondern sie statt dessen unter flachen Steinen verstauten, wo sie vor den Schwarzbären sicher waren. So fand Wahb hier ein Land des Überflusses: jeder vierte oder fünfte Stein in den Nutzwäldern war das Dach eines Eichhörnchen- oder Murmeltierspeichers; drehte ihn Wahb um und der kleine Besitzer war zufällig anwesend, so trug der Grisly kein Bedenken, ihn mit seiner Pfote totzudrücken und als wohlschmeckende Zugabe zu verzehren.

Und überall, wohin Wahb kam, richtete er sein Zeichen auf: Fremden verboten!

Das stand auf den Bäumen geschrieben, so hoch er langen konnte, und jeder, der vorüberkam, wußte, daß der anhaftende Geruch und die angeriebenen Haare vom großen Grisly Wahb stammten.

Hätte seine Mutter ihn aufziehen können, so würde Wahb gewußt haben, daß ein gutes Frühlingsrevier ein schlechtes Sommerrevier sein kann. Wahb fand nach jahrelanger Erfahrung heraus, daß ein beständiger Wechsel nach den Jahreszeiten das beste sei. Im zeitigen Frühjahr gewähren die Vieh- und Hirschweiden mit den Leichen der Winteropfer einen reichen Schmaus. Im Frühsommer bieten die warmen Hänge, wo Camassia und die indianische Rübe gedeihen, gute Atzung. Im Spätsommer trägt das Beerengesträuch in der Flußniederung üppige Frucht, und im Herbst hat man in den Nußkiefernwäldern gute Gelegenheit, sich für den Winter zu mästen. So erweiterte er jedes Jahr die Grenzen seines Gebiets. Die Schwarzbären trieb er nicht nur aus den Tälern des Fichtenflusses und Meteetsees fort, sondern er ging über die Wasserscheide und tötete den alten Bären, der ihn einst aus dem Warhousetal gejagt hatte. Und noch mehr, er hielt fest, was er errungen hatte, denn er vereitelte eine Niederlassung der Zweifüßer, die gekommen waren, um am Mittellauf des Meteetsees einen Platz für eine Viehfarm auszusuchen; er trieb die Pferde in panische Flucht und zerschlug alles, was das neue Kamp enthielt. Und so wurde allen Tieren mit Einschluß des Menschen kund, daß das ganze Gebiet von der Frankspitze bis zu den Ausläufern des Shoshonegebirges einem König gehörte, der es wohl zu schützen wußte, und der Name dieses Königs war Meteetsee Wahb.

Ein Geschöpf, das bei seiner Stärke einen offenen Angriff nicht zu fürchten braucht, läuft Gefahr, von seiner Schlauheit einzubüßen. Jedoch vergaß er niemals seine früheren Erfahrungen mit Fallen. Er hatte es sich zum Gesetz gemacht, jenem verhaßten Geruch von Mensch und Eisen immer aus dem Wege zu gehen, und das war der Grund, weshalb er niemals wieder gefangen wurde.

So führte er sein einsames Leben, bummelte im Gebirge umher und schleuderte Felsblöcke wie Kieselsteine und mächtige Stämme wie Streichhölzer, wenn er sich sein tägliches Brot suchte.

Und jedes Tier von Berg und Tal wußte es bald und flüchtete sich aus Furcht vor Wahb, dem ehemals gejagten und verfolgten Jungen. Und mehr als ein Schwarzbär büßte mit seinem Leben die Untat jenes andern vor langer Zeit. Und mancher tolle Wildkater rettete sich vor ihm auf einen Baum, und war dieser Baum tot und dürr, so schlug ihn Wahb nieder, und Katze und Baum wurden in Stücke gehauen. Selbst der stolznackige Hengst, der Leiter der Mustangherde, hielt es fürs beste, ein für allemal das Feld zu räumen. Auch die großen Waldgrauwölfe und die Berglöwen ließen ihre letzte Jagdbeute im Stich und schlichen geduckt und furchtsam davon, wenn Wahb sich zeigte. Und wenn er, durch die salbeibestandene Flußniederung schreitend, erschreckte Antilopen wie wiegende Vögel vor sich hertrieb und dann etwa auf einen stämmigen Rassebullen stieß, der zu jung war, um klug und zu kraftvoll, um furchtsam zu sein, so zerschmetterte er ihm mit einem Schlag seiner Riesentatze den Schädel und behandelte ihn so, wie die Farmkuh vor langen Jahren ihn behandelt hätte.

Mit einem Schlag seiner Riesentatze zerschmetterte Wahb dem Bullen den Schädel.

 

Die Allmutter pflegt ihren Geschöpfen immer Zwillingsbecher zu reichen, einen voll Galle und einen von Balsam. Wenig oder viel können sie trinken, aber von beiden gleich viel. Den Berg, der leicht hinabzugehen ist, muß man bald wieder erklimmen. Die harte Mühle seiner Jugendzeit hatte Wahb geschliffen und den Grund zu seiner späteren Größe gelegt. Alle gewöhnlichen Freuden des Grislylebens waren ihm versagt geblieben und dafür war ihm Macht in doppeltem Maße zuteil geworden.

So lebte er Jahr um Jahr ohne den besänftigenden Einfluß einer Gefährtin oder eines männlichen Artgenossen, mürrisch, unerschrocken, kampfbereit, aber nur mit dem einen Wunsch, allein zu bleiben, ganz allein. Nur ein Vergnügen hatte er in seinem düstern Dasein – der bleibende Ruhm seiner unvergleichlichen Stärke – den kleinen, aber nie versagenden Freudenstrahl, wenn der Feind zermalmt und verstümmelt zusammenbrach oder die gespaltenen Felsen zertrümmert wurden, wenn er sie zum Zielpunkt seiner wunderbaren Stärke wählte.


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