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II.

Der alte Oberst Pickett, der Viehkönig, ritt über seine Farm. Am vergangenen Abend hatte er den Neumond über den weißen Kegel der Pickettspitze untergehen sehen.

»Den letzten Mond hab' ich über der Frankspitze gesehen,« sagte er, »und einen Monat lang hab' ich Pech gehabt; jetzt, denk' ich, kommt's anders.«

Am nächsten Morgen fing sein Glück an. Aus Washington lief ein Schreiben ein, durch das sein Gesuch, auf seiner Viehfarm ein Postamt einzurichten, genehmigt wurde und das die höfliche Anfrage enthielt: »Welchen Namen schlagen Sie für das neue Postamt vor?«

Der Oberst nahm sein neues Repetiergewehr herunter. »Möcht's auch so gut gehen,« sagte er, »das ist mein Monat,« und er ritt den Graybull hinauf, um nach seinem Vieh zu sehen.

Als er unterhalb des Rimrockberges war, hörte er in der Ferne Gebrüll wie von kämpfenden Stieren, dachte aber nichts weiter dabei, bis er um die Ecke kam und auf der Ebene unten einen Haufen Rinder sah, die den Staub aufwirbelten und brüllten, wie sie es zu tun pflegen, wenn sie das Blut eines der ihrigen wittern. Bald sah er, daß der große Bulle, sein bestes Tier mit Blut bedeckt war. Rücken und Flanken waren ihm aufgerissen wie von einem Berglöwen, und der Kopf geschunden wie von einem andern Stier.

»Grisly,« knurrte der Oberst, denn er kannte seine Berge. Schnell faßte er die allgemeine Richtung, aus der die blutige Fährte kam, dann ritt er auf eine Uferhöhe zu, die eine weite Umsicht gewährte. Sein Weg führte durch die kiesige Graybullfurt, unweit der Mündung des Fichtenflusses. Sein Pferd platschte durch das kalte Wasser und fing an, hastig am jenseitigen Ufer emporzuklimmen.

Sobald des Reiters Kopf über den Rand emporragte, griff er nach seinem Gewehr, denn da lagen offen vor seinen Augen fünf Grislybären, ein alter und vier junge.

»Lauft in den Wald,« brummte Mutter Grisly, denn sie wußte, daß Männer Gewehre tragen. Nicht daß sie für sich fürchtete, aber der Gedanke, daß so etwas an ihre Lieblinge kommen könnte, war ihr unerträglich. Sie führte sie eiligst in das Dickicht am unteren Fichtenfluß. Aber eine schreckliche, mörderische Schießerei hob an.

»Bang!« und Mutter Grisly fühlte einen tödlichen Schuß.

»Bang!« und die arme kleine Fuz überschlug sich mit einem Schmerzensschrei und lag still.

Voll Haß und Wut aufbrüllend, wandte sich die schwerverwundete Mutter gegen den Feind.

»Bang!« und sie brach mit einem hohen Schulterschuß gelähmt und sterbend zusammen.

»Bang! Bang!« und Mondchen und Fritzel sanken zu Tode getroffen neben ihr nieder, und Wahb rannte, erschreckt und betäubt, im Kreise um sie herum. Dann wandte er sich – er wußte schwerlich warum – stürzte sich in das Waldesdickicht und verschwand, nachdem ihm ein letztes »Bang« eine stechende Wunde und eine gebrochene Hinterpfote eingetragen hatte.

So kam es, daß das Postamt die »Vier-Bären-Post« genannt wurde. Der Oberst schien mit dem, was er getan, zufrieden zu sein und erzählte auch oft davon.

Aber da draußen im Wald bei der Andersonspitze hätte man in dieser Nacht einen kleinen verwundeten Grisly herumhumpeln sehen können, der jedesmal, wenn er seine Hinterpfote niederzusetzen versuchte, einen blutigen Fleck hinterließ und der beständig winselte und wimmerte: »Mutter! Mutter! Ach Mutter, wo bist du?« Denn es fror ihn, und er war hungrig, und der Fuß tat ihm so weh. Aber die Mutter kam nicht zu ihm, und er wagte nicht, dahin zurückzukehren, wo er sie gelassen hatte; so wanderte er ziellos unter den Fichten umher.

Dann witterte er einen sonderbaren Tiergeruch und hörte schwere Fußtritte; und da er nicht wußte, was er sonst tun sollte, kletterte er auf einen Baum. Jetzt kam ein Haufen großer, langhalsiger und dünnbeiniger Tiere, die noch höher waren als seine Mutter, herbei bis unter den Baum. Solche Tiere hatte er schon früher einmal gesehen und hatte sich damals nicht vor ihnen gefürchtet, weil er bei seiner Mutter gewesen war. Aber jetzt blieb er ganz still auf dem Baum, und die großen Geschöpfe machten halt und weideten das Gras ab; dann bliesen sie die Luft aus ihren Nüstern und rannten davon.

Fast bis zum Morgen blieb er auf dem Baum, und dann war er so steif von der Nachtkühle, daß er kaum herunterklettern konnte. Aber die warme Sonne kam herauf, und er fühlte sich etwas wohler, so daß er Beeren und Ameisen suchen ging, denn er war sehr hungrig. Dann kehrte er zum Fichtenfluß zurück und steckte seine verwundeten Füße in das eiskalte Wasser.

Er wollte wieder in die Berge, aber er fühlte, er mußte dahin, wo die Mutter und die Geschwister geblieben waren. Als es nachmittags wärmer wurde, humpelte er den Fluß hinab durchs Gehölz und weiter zu den Ufern des Graybull, bis dahin, wo sie am Tage vorher die Fische geschmaust hatten; und gierig verschlang er die Köpfe und was er sonst noch an Resten vorfand. Aber der Wind trug ihm eine merkwürdige, schauerliche Witterung zu. Sie füllte ihn mit Entsetzen und wurde noch schlimmer, als er sich dem Platze näherte, wo er seine Mutter zum letztenmal gesehen hatte, vorsichtig spähte er vorwärts und sah eine Menge Coyoten (Präriewölfe), die an etwas herumrissen. Was das war, wußte er nicht; aber er sah keine Mutter, und der Geruch, der ihm Übelgefühl und Schrecken einflößte, war ärger als je; so wandte er sich geräuschlos dem Gehölz am unteren Flusse zu und kam nie wieder, um seine verlorenen Angehörigen zu suchen. Nach der Mutter verlangte ihn mehr als je, aber irgend etwas sagte ihm, es sei umsonst.

Als die kalte Nacht heraufzog, vermißte er die treue Hüterin immer mehr, und er wimmerte, wie er da umherhinkte, ein erbärmlicher, einsamer, kleiner, mutterloser Bär – nicht in den Bergen verirrt, denn er hatte ja kein Heim, das er hätte suchen können, aber so siech und einsam und mit solchem Schmerz im Fuß und mit solchem sehnsüchtigen Verlangen nach dem köstlichen Trunk, der ihm nie mehr zuteil werden sollte. Er fand endlich einen hohlen Baumstamm und kroch hinein, und wie er dann zu denken suchte, Mutters große Pelzarme seien um ihn geschlagen, versank er schnaufend in Schlaf.


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