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Deiters Putsch

Piotr Deiter, ein Russe, erwachte am 18. April 1925 um vier Uhr morgens durch einen Kanonenschuß: es gab in Lissabon wieder einmal einen Militärputsch. Vor dem Fenster war nichts als Rauch zu sehen. Als er sich verzogen hatte, gewahrte Deiter, daß das gegenüber befindliche Haus eingestürzt war und die den Hof abschließende Mauer. Da der Portier das Haustor unter keinen Umständen geöffnet hätte, war Deiter jäh dazu entschlossen, über den Hof fortzugehen, um gewisse lustvolle Erinnerungen an die Wirkung der Kanonenschüsse des vorletzten Putsches zu einem speziellen zu verwerten.

Als er nach wenigen Minuten in der Rua da Gloria stand, fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, zweckentsprechend sich anzukleiden. Deshalb stieg er durch ein Parterrefenster in das nebenan befindliche Haus seines Freundes Poito, der gar nicht verwundert war, sondern ihm dafür dankte, ungeachtet der Gefahr zu seinem Geburtstag gekommen zu sein. Deiter gratulierte, frühstückte, die Abwesenheit Zoilas bedauernd, und wußte Poito später zu veranlassen, zum Zeitvertreib ihm seine sämtlichen Anzüge vorzustolzieren. Als man beim achten angelangt war, machte er den Scherz, den neunten sich selber anzuziehen, und tänzelte, gleich einem Mannequin, vor Poito hin und her.

»Er paßt dir ausgezeichnet.« Poitos Auge expertierte.

»Wie für mich aus der Kanone geschossen.«

»Ein Volltreffer!«

»Bum!« Und Deiter schüttelte miteins herzlich Poitos Hand, mit gerührter Stimme hauchend: »Ich danke dir dafür!«

Poito machte ein dummes Gesicht. Als er begriff, lächelte er grandseigneuresk und ließ es dabei bewenden.

Mit diesem Truc besorgte sich Deiter seit mehreren Jahren seine Garderobe. Er behielt die neue Akquisition, mit der er Großes vorhatte, auf dem Leibe, drückte sich unter einem Vorwand und eilte alsbald auf die Praca do Rio de Janeiro. Hier blickte er siegesgewiß auf ein Fenster der zweiten Etage jenes stattlichen Gebäudes, das Zoila bewohnte. Durch das Fenster des Parterre-Abortes drang er ins Haus und ungesehen bis zum Schlafzimmer Zoilas vor, die zum Zeitvertreib mit ihrer Freundin Delfina telefonisch alte Erinnerungen austauschte. So erfuhr er, daß diese, die seit zwei Jahren die Gattin da Silvas war, eines hohen Justizbeamten, mit Zoila voreinst in Paris die Straße gemacht hatte; daß beide in der Rue de la Montagne-Sainte-Geneviève ein Maison meublée bewohnt und daselbst und bei Vachier allerhand Unsägliches erlebt hatten.

Als Deiter nachher eintrat, war Zoila, die den langjährigen Freund Poitos nur wegen seiner Verwendbarkeit duldete, zum ersten Mal von seinem Erscheinen entzückt: sie ängstigte sich sehr. »Aber die Kugeln fliegen doch nur so herum! Ich habe sogar die Fensterladen schließen und Licht machen müssen.« Sie nahm verzagt ihr Gesicht in die Hände.

Deiter, dessen Mut bloß der ihm angeborene Leichtsinn war, kniete, eine Grimasse schneidend, nieder, »Ohne dich halte ich es keinen Tag aus. Erhöre mich oder ich benütze die Gelegenheit.«

Zoila lachte. »Ich könnte dir nicht einmal davonlaufen.«

»Und würdest du schreien, käme sicherlich niemand. Man würde glauben, es hätte dich eine verirrte Kugel getroffen, und nur um das eigene Leben zittern.« Deiter ließ, es ihr vorführend, seine Arme schlottern.

Da donnerten in großer Nähe rasch hintereinander mehrere Kanonenschüsse. Zoila schlug sich, ebenso oft erschreckend, die Hände auf den Mund, während Deiter die Wiederkehr Jener gewissen Wirkungen mit einem leisen Zungenschnalzen begrüßte und den Rock sich auszog.

Von dieser Geste indigniert, lallte Zoila: »Du hast ja schon wieder einen neuen Anzug.« Plötzlich aber schrie sie auf. »Eine Kugel hat eingeschlagen.«

Es war keine gewesen, sondern ein Tischchen, das Deiter umgestoßen hatte. Er sprang herzu, um Zoila, die bleich geworden wankte, zu stützen. Der hierbei unvermeidliche Kontakt trieb ihm das Blut in Kopf und Rumpf.

In diesem Augenblick fiel, diesmal de facto und in unmittelbarer Nähe, ein Kanonenschuß.

›Es wirkt wunderbar‹, jauchzte Deiter innerlich, ließ die Jammernde auf den Divan fallen, zog hinter ihm Weste und Hose aus und wartete auf Zoilas völlige Zermürbung durch den nächsten Kanonenschuß.

Der fiel denn auch prompt. Den neuerlichen Tränenstrom Zoilas ignorierend, warf Deiter sich über sie und genoß neben nennenswertem Widerstand eine halbe Stunde lang den von Schluchzen erschütterten Leib einer Halbohnmächtigen, die bei jedem folgenden Kanonenschuß aufschreiend an ihren Peiniger sich klammerte. Deiters Putsch war geglückt.

Bald darauf wieder auf der Straße, verließen seine Gedanken den errungenen Triumph. »Diese Delfina!« Und schon überlegte er, wie er sie ihrer Freundin hinzugesellen könnte. Da sah er, daß der Portier des Hotel Atlantic den Kopf durch die Tür steckte. Er sprang herzu und drängte sich unter dem Vorwand ein, sich bergen zu wollen; in Wirklichkeit aber, um telefonieren zu können.

Der Ereignisse wegen wünschte die Beamtin zu wissen, wer er sei.

»Paolo Poito ist mein Name. Erster Sekretär Vasco da Fleites. Ich spreche vom Atlantic aus.« Und bald darauf hörte Deiter den holden Sopran Delfinas:

»Wer ist denn am Apparat?«

»Paolo Poito.«

»Aber Sie haben doch eine ganz andere Stimme als sonst.«

»Der Schreck ist mir in die Glieder gefahren. Ich war nämlich soeben bei Zoila. Sie hatte gerade mit Ihnen telefoniert, als ein Schuß ins Zimmer ...«

Delfina schrie auf.

»Beruhigen Sie sich! Sie ist unverletzt. Aber halb wahnsinnig. Wollen Sie sie nicht aufsuchen? Aber bitte nicht telefonieren! Sie liegt im Bett und hat Kompressen auf der Stirn.«

»Aber die Revolution ... Ich kann doch nicht ...«

»Ich werde Sie führen, Senhora. Ich bürge dafür, daß Ihnen nichts zustößt. Ich erwarte Sie neben Ihrer Haustür. Ich flehe Sie an ...«

»Mein Mann ist in Belem, im Schloß, bei einer Sitzung ... Ich kann doch nicht ... Si, si, also ich komme.«

Deiter sprang aus dem Fenster des Lesezimmers und lief in die Travessa de Sant Antao. Nach wenigen Minuten erschien Delfinas in einen dichten Schleier gehülltes Köpfchen und blickte beunruhigt darüber, nicht Poito vor sich zu haben. Deiters schöner Anzug beschwichtigte sie jedoch schnell; auch seine vor Ergebenheit bebende Stimme:

»Ich bin Poitos Sekretär. Seit zwei Tagen. Er wurde, kurz nachdem er mit Ihnen telefoniert hatte, weggerufen. Das Haus, wohin er sofort kommen wird, ist nur ein paar Schritte von hier entfernt.«

Die Aufregung, das Knattern der Schüsse und das Ungewöhnliche der ganzen Situation verhinderten Delfina, des Unwahrscheinlichen, das Deiter berichtet hatte, sich bewußt zu werden. Sie schlug, beinahe glücklich darüber, tapfer sein zu können, den Mantelkragen hoch und folgte ihm, der sie um die Ecke führte, in die Rua da San Juliao, allerdings in deren unteren ordinären Teil. Hier pochte er an die Tür des Hotel Lisboa, eines üblen Absteigequartiers.

Während Delfina die Häuser entlang geeilt war, hatte sie kaum gewagt, aufzublicken, achtete auch jetzt auf nichts und wunderte sich erst, als er ein kleines düsteres Zimmer öffnete, aus dem ihr der Geruch von nasser Wäsche und vergossenem Wein entgegenschlug. »Olà!« Sie hatte in einer Ecke ein Bett erblickt.

Da hatte Deiter sie jedoch schon ins Zimmer geschoben und zugesperrt. »Setzen Sie sich und tun Sie so, als wären Sie in der Rue de la Montagne-Sainte-Geneviève. In dem Meublée schräg gegenüber dem Bai Vachier.« Er zog sich die Weste aus.

»Vach...?« Delfinas Mantel glitt von den Schultern. Ihr Schleier schwebte zu Boden.

»Von einem klingenden Entgelt kann selbstverständlich nicht die Rede sein. Und von dem Coup der Entsprungenen rate ich ab.«

»Ent...« Delfinas Finger machten vage Bewegungen um den Mund. Nur in ihrem verloschenen Blick war schon jetzt das entsetzte Ahnen dessen, was da kommen würde.

»Entgelt sei das unverbrüchliche Schweigen über Ihr so viel bewegtes Vorleben. Selbst über die Plünderung der Wohnung des alten Pinaud.«

Delfinas Brust ging hoch: sie hatte alles begriffen. Ihre Finger durchstöberten zitternd ihre Taschen: leer. »Ich gebe Ihnen morgen ...«

Deiter lauschte: das Knattern der Gewehre hatte aufgehört, und seit langem war kein Kanonenschuß mehr gefallen. Er lächelte mühsam, hoffte aber schnell, es auch ohne jene Wirkungen zu erreichen. »Ziehen Sie sich aus!«

Delfina, die ihn unablässig und wie von Sinnen angestarrt hatte, kreischte auf. Doch Deiter war schon neben ihr, riß ihr die Kleider vom Leib und schleuderte die Tobende aufs Bett. Da sah er, halb über sie geneigt, wie sie die Lippen öffnete, entschlossen zu einem markerschütternden Schrei. Den Bruchteil einer Sekunde überlegte er. Dann zog er den Mund zusammen und spie Delfina in die Kehle. Sie verging fast vor Ekel. Es war, als brächen ihre Augen. Ihr ganzer Körper sank in sich zusammen und bebte leise. Da packte Deiter seine größte Leidenschaft, die Grausamkeit. Er spie Delfina unaufhörlich ins Gesicht, während er den wesenlos gewordenen Körper vergewaltigte ...

Eine Viertelstunde später gab er dem Portier der Travessa de Sant Antao einen Brief für Delfina und rannte zu Poito, der diesmal sehr verwundert war. »Aber wie sieht denn nur deine Hose aus!«

Deiter blickte an ihr hinunter. »Verflucht!«

»Kenne ich die Glückliche?«

»Hast du Benzin?« Deiters Ohren lauerten, als er hinwarf: »Übrigens habe ich da Silvas Frau gesehen.«

Poito riß es herum. »Diese Frau hast du ...?«

»Gesehen!« Deiter schmunzelte orientiert. »Es war die kleine Saraf vom Salao Foz. Wo ist das Benzin?«

Poito suchte stürmisch. Alsbald mit Erfolg.

Während Deiter sich die Hose putzte, detaillierte er: »Delfina kam aus dem Atlantic, als ich vorbeiging. Der Portier schrie hinter ihr her. Ein mutiges Weib! Sie bat mich, sie heimzubegleiten. Jetzt wäre, meiner Ansicht nach, der Moment für dich da.«

»Für mich?« Poitos Hände gehabten sich, als dirigierten sie ein unsichtbares Symphonie-Orchester.

»Ich brauche dreihundert Eskudos.« Deiter pfiff. »Für meine kranke Tante in Porto.«

»Wieso – der Moment?«

»Eigentlich keine große Summe. Aber doch schwer aufzutreiben.«

Poito maß ihn verblüfft und angewidert zugleich. »Du könntest ein Assaoul sein, wahrhaftig. Aber wenn du wirklich etwas weißt, das mir ... dann zerreiße ich diese drei Scheine hier in zwei Hälften.«

»Wann bekomme ich die fehlenden Hälften?«

»Wenn es mir bei Delfina gelungen sein wird.«

»Das kannst du nachher leugnen.« Deiter spuckte in die Hände und rieb sie, da Poito von einem Fuß auf den andern trat. »Zerreiß die Scheine!« Als seine Finger das Geld fühlten, wurde er liebenswürdig: »Die anderen Hälften, lieber Paolo, wirst du mir geben, wenn ich dir die Hälfte der Details, die du brauchst, gesagt haben werde.« Sobald Poito zustimmend gesummt hatte, stellte Deiter sich hin, als hätte er jahrelang in der Rua do Ferregial gewohnt. »Vittorino da Silva ist jetzt in Belem, Delfina also allein. Das ist die eine Hälfte.«

Poito rümpfte die Nase. Die von neuem in ihm erwachte Gier nach der Frau, die er seit Jahren vergeblich begehrte, ließ ihn jedoch nicht weiter sich bedenken.

Deiter steckte die anderen Hälften fürsorglich ein. »Delfina ist durch den Kanonendonner und die Angst auf der Straße erschöpft und willenlos, aber aufgeregt. Du wirst also keine Schwierigkeiten haben. Außerdem hat sie eine tolle Szene mit ihrem Mann hinter sich. Und schließlich weiß sie schon, daß du kommst.«

»Was?« Poito hob die Faust zum Schlag. »Du hast eine Schurkerei gemacht? Antworte!«

Deiter spie nachlässig aus. »Alles wahrhaft Schwierige gelingt doch nur durch Schurkerei, Zum Beispiel jeder Reichtum. Auch jeder Staat. Ohne Schurkerei würde er sich überdies in wenigen Stunden in nichts auflösen. Deshalb haben wir doch so oft Revolutionen. Portugal hat zu brave Präsidenten. Und da willst du Delfina kriegen, indem du mit dem Finger winkst?« Er lächelte Poito spöttisch zu. »Du bist angekündigt und hast nichts weiter zu tun, als eine ernste Miene aufzusetzen und deinen Rock auszuziehen ... Sie wird aufschreien und sich sofort hinlegen. Aber es eilt.«

Noch kämpfte Poito mit sich. »Sag, was sich eigentlich zugetragen hat!«

»Erst, wenn du ihr Liebhaber bist«, gackerte Deiter, »werde ich dir für einen gewissen Betrag sagen, womit du sie so in die Hand bekommst, daß sie dich niemals verabschieden kann, dir vielmehr eine schnelle Justizkarriere vermitteln muß.« –

Nicht lange nachher erschien Deiter noch einmal bei Zoila, die bei seinem Anblick sich wimmernd aufsetzte, aber doch begann, sich die Haare zu ordnen. »Was bringst du denn da?«

Deiter warf ein Bündel in die Ecke. »Meinen alten Anzug.«

»Paolo hatte übrigens denselben. Du nimmst wohl deinen Freunden alles weg?«

»Einiges überlasse ich auch den Damen.«

Da klingelte das Telefon. Zoila stürzte sich auf den Hörer. »Ah, Delfina ...«

Mit einem Satz war Deiter neben ihr, ergriff den anderen Hörer und sprach in die Muschel: »Ich möchte Sie nur bitten, Senhora, Poito, der jetzt wohl schon bei Ihnen sein wird, zu sagen ...« Da Zoila sich anschickte, ihm den Hörer auf den Kopf zu schlagen, schrie er: »Rufen Sie ihn Heber ans Telefon!« Als er Poitos Stimme hörte, preßte er Zoila den Hörer ans Ohr, das nun den unwiderlegbaren Beweis dafür erhielt, wie sie betrogen worden war.

Als sie endlich aufhörte, zu heulen, sagte Deiter: »Ich räche dich, wenn du mir dreihundert Eskudos für meine kranke Tante in Porto gibst und meine Geliebte bleibst, bis ich eine andere habe.«

Zoila warf ihren Körper gegen den seinen, überall ihn mit beiden Händen umschmeichelnd. »Aber du mußt Paolo ruinieren!«

Deiter schmatzte zustimmend, war jedoch zu ermüdet für jede weitere Aktivität. »Nimm die Finger weg! Jetzt reden wir von Geschäften.« Er streckte ihr die flache Hand unter die Nase. Sein Putsch war über die Maßen geglückt.


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