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»Paulchen von Beisiegl ... zu dienen.«
»Paulchen ...?«
»Ich finde die Liebe genußreich, aber sinnlos.«
Frau Prollius, die wie so manche ehrsame kölnische Hausfrau sich nicht zu erhaben dünkte, vornehme Straßenbekanntschaften zu machen, schüttelte lachend den Kopf. »Also, lustig sind Sie. Aber wenn Sie sich einbilden, daß ich ... dann gehen Sie lieber!«
»Psychologie ist, sich nichts gefallen zu lassen.« Von Beisiegl begann langsam zu gehen. »Da Sie nun aber wissen, daß ich das weiß, wäre es klüger, sich einiges gefallen zu lassen.«
Frau Prollius, die literarische Ambitionen hatte, witterte sofort den Schöngeist und bog mit ihm auf den Hansaring ein. »Solange Sie sich auf Redensarten beschränken, dürfen Sie sich viel erlauben.«
»Wenn ich nicht überzeugt wäre, dadurch kokett zu wirken, würde ich jetzt fluchen.« Von Beisiegl Öffnete seinen Handschuh.
»Stört er Sie bei dieser Unterlassung?« Frau Prollius wurde immer wohler. »Aber warum wollten Sie denn nur fluchen?«
»Weil die Gewißheit sich mir einstellte, daß ich keinen vernünftigen Effekt erzielen würde, wollte ich Ihnen einen Zwanzigmarkschein in die Pfote stecken.«
Innerlich sich zwar fühlend, hielt Frau Prollius es doch für richtiger, abzuwehren. »Ich sagte, Sie dürfen sich viel ... Alles dürfen Sie sich aber nicht erlauben.«
»Immer nur halb!« Von Beisiegls Lippen schürzten sich salop. »Wären alle Bösen nicht auch ein wenig gut und alle Guten nicht so sehr böse, dann dürfte man sich alles erlauben, ohne die Überzahl, in der die Dummen sich befinden, noch zu vermehren.«
»Ihr Kopf scheint ein Kaleidoskop zu sein.« Frau Prollius legte überlegen die Hände auf den Rücken.
Von Beisiegl senkte kurz die Augen: das war eine überraschend feine Antwort gewesen. Deshalb äußerte er lax: »Sie werden noch als Prestige-Jägerin enden, wie alle, die zu gescheit sind, um ihren Neid, und zu feig, um ihre Dominationslust zu zeigen.«
»Halten Sie mir bitte keine Vorlesung aus Ihrer Schreibtischlade.« Frau Prollius hemmte geziert den Schritt. »Sie haben doch so amüsant angefangen, Sie Paulchen.«
»Gnädige Frau«, sang von Beisiegl, süß grinsend, »ich bin von dem Fehler junger Intelligenzen, sich zu überschätzen, in einem Maße frei, daß ich geradezu am Laster der Selbstverachtung leide.«
»Das hätte ich am wenigsten erwartet.« Zum ersten Mal, seit sie mit diesem eleganten jungen Mann sprach, fiel Frau Prollius auf, daß im Grunde alles an ihm widerspruchsvoll war; nicht nur die ungebügelte Hose und das Jicky-Parfum, die abgenützten Schuhe und der teuere Pelz. Um das Unangenehme dieser Beobachtung sich wegzuschieben, aber auch um sie zu kontrollieren, fragte sie unsicher: »Sie haben doch sicherlich schon ein tolles Leben hinter sich, nicht wahr?«
»Um ein Leben zu schildern, braucht man einen Gesichtspunkt. Das Leben aber, das ich bisher geführt habe, hatte keinen. Ich führe es täglich anders. Oft stündlich.« Von Beisiegl hustete müde.
»Das kann ja nett werden!« Frau Prollius lachte, allerdings noch sehr unfrei. »Aber warum dieser schroffe Wechsel, wenn ich fragen darf?«
»Das unerschöpfliche Chaos ... seine ungeahnten Genüsse ... seine Blödheiten ...« Von Beisiegl blickte in eine Auslage, als spräche er von Sardinen. »Ein Messerstich durch die Brust, so daß die Spitze aus dem Rücken ragt, kann zum Wohlgefühl werden. Es kommt nur auf die Axe an. Schon an Vormittagen auf den Terrassen der Cafés tanzen, in vornehmen Restaurants plötzlich ordinäre Lieder singen, ausnahmslos lügen, die Lügen widerrufen, aber sogleich den Widerruf, sich selber widerrufen, seine letzte Viertelstunde und seine letzte Silbe ... Das alles, meine Gnädige, kann einem etwas bedeuten.« Er schneuzte sich gleichgültig in ein blutigrotes Seidentaschentuch von übertriebener Größe.
Frau Prollius drehte sich gelinde der Kopf. Aber wie wohl viele ihrer Standesgenossinnen, statt mißtrauisch zu werden, sich unzureichend vorgekommen wären, so glaubte auch sie, daß es nur an ihr läge. Fast schon kleinmütig, sagte sie: »Ihre Weltanschauung ist sehr apart, aber ...«
»Weltanschauung?« Von Beisiegl lächelte wehmütig. »Immer nur ein ästhetisches Bekenntnis! Das ist stets prekär.«
Frau Prollius hatte das Bedürfnis, ihm das Sprechen leichter zu machen. »Mir gegenüber nicht. Denn ich fühle, was Sie meinen.«
»Wollte ich meine Weltanschauung mit Argumenten behängen, also mit Zitaten, würde ich mir den Magen verderben.« Von Beisiegl sog pfeifend an einem hohlen Zahn. »Und wollte ich, um den nötigen autoritativen Effekt zu erzielen, Zitate selber erfinden, würde ich mich eines zu großen Privatvergnügens berauben. Ich ziehe es deshalb vor, wenn man meinen Argumenten zu Leibe geht, sie mit diesem zu illustrieren.« Er machte große feuchte Tieraugen gegen den Himmel.
Frau Prollius hatte sich nunmehr an alle diese Seltsamkeiten gewöhnt, ohne allzu sehr an Initiative eingebüßt zu haben. »Illustrieren Sie, Herr von Beisiegl!«
»Sagen Sie Paulchen zu mir! Das stärkt mein verbogenes Herz!
»Sie sollten sich nicht alles so zu Herzen nehmen ... Paulchen.« Frau Prollius glaubte plötzlich, des Rätsels Lösung zu haben.
Von Beisiegl aber hob die Hand und schlug ihr schmerzhaft auf den Arm.
Jäh errötend und außerstande, zu sprechen, blieb Frau Prollius stehen.
Von Beisiegl blickte ihr auf den Busen. »Noch nie gab es ein besseres Mittel, etwas ad absurdum zu führen, als es mit der Hand zu tun ... Vielleicht gehen wir die Riehler Straße weiter.«
Frau Prollius folgte ihm wie willenlos, da sie drei Autos hatten ausweichen müssen. Hierauf redete sie sich ein, sie sei zu wohlerzogen, um kurzerhand kehrtmachen zu dürfen. Dies um so leichter, als von Beisiegls Stimme, plötzlich in weichster Schwingung, also sich vernehmen ließ:
»Auch mit mir selber verfahre ich ganz schonungslos, wenn es sich darum handelt, mich ad absurdum zu führen. Das ist sehr gut für die Psyche.«
»Sie machen sich aus Perversität so schwer verständlich.« Irgendwie mußte Frau Prollius ihren Unmut entweichen lassen. »Sie sind so eitel, daß Sie tun, als wären Sie es nicht.«
»Was?« Von Beisiegl rollte zornig die Augen. »Das wagen Sie mir ...?«
Frau Prollius erschrak. »Verzeihen Sie ...«
»Ha!« schrie von Beisiegl, so daß zwei Passanten lachend sich umwandten. »Ich bin der Allereitelste, den jemals die Erde getragen hat. Was nicht einmal dadurch, daß ich es zugebe, gemildert wird. Denn ich verzichte auf den billigen Scherz, mir einzubilden, man nivelliere seine Schwächen und Fehler, indem man sie lächelnd oder sachlich zugibt.«
Frau Prollius hielt sich die Ohren zu. »Sie sind eine unerträgliche Mischung von Selbstvergötterung und Selbstbespeiung.«
»Auch mein Liebesleben strotzt nur so von Blödheiten«, jammerte von Beisiegl komisch.
Frau Prollius blieb nichts anderes übrig, als zu lachen, wenn sie ihren Begleiter nicht verlassen wollte. Und da sie das begreiflicher Weise längst nicht mehr vermochte, lachte sie noch lauter, um sich gleichsam zu bekräftigen. »Damit verschonen Sie mich bitte!«
»Niemals!« Von Beisiegl gähnte.
Frau Prollius, die vor lüsterner Neugier nichts gehört hatte, berührte seinen Arm. »Ich wollte sagen, daß Sie es mir schonend beibringen sollen.«
»Schonen werde ich Sie. Denn ich bin vielleicht auch der boshafteste Mensch unter der Sonne. Obwohl ich mich noch nie für einen guten ausgegeben habe. Deshalb aber zeichnete sich mein Liebesleben durch völlige Wahllosigkeit aus und letzte Monstrositäten. Was mir auch in den Weg kam, ob Frau oder Mädchen, ob alt oder jung, ob Kokotte oder Päderast, ob Hund oder Katz ... stets versuchte ich es.« Von Beisiegl schnupfte nonchalant.
»Was?« rief Frau Prollius entsetzt, »... oder Katz?«
»Gelang es nicht, so ließ ich das jeweilige Lebewesen stehen und schritt zum nächsten. Gelang es, so nahm es den üblichen Verlauf ins nächste Stundenhotel, wo es in der Regel zu Prügeleien kam.« Von Beisiegls Hand wies mißbilligend zur Ruhe. »Ich reagiere nämlich auf jedes zärtliche Wort, dessen betrügerische Absicht mir klar ist, mit Schlägen. Fehlt diese, wie in Ihrem Fall, so schlage ich zur Vorsicht. Diese Behandlung ermöglicht es mir, eine aufrichtige Situation herbeizuführen. Manchmal sogar Sympathie und Anhänglichkeit. Deshalb wähle ich stets die miserable Behandlung als den sichersten Weg zum Herzen des Weibes. Den zu Ihrem gedenke ich jedoch überhaupt nicht einzuschlagen, weil ich Ihre Bekanntschaft zu regulär gemacht habe.«
Frau Prollius wußte nicht, wie ihr geschah. Immer wieder verdroß es sie, daß sie sich noch zu wundern vermochte.
Von Beisiegl lächelte geringschätzig. »Irregulär hätte ich Sie kennen gelernt, wenn es in Mailand gewesen wäre. Dann wären Sie übrigens heute meine Frau.«
Frau Prollius hatte dieselbe Empfindung, die sie einst im Schleuderwägelchen des Berliner Lunaparks gehabt hatte. Sie sah aus wie eine Schwerkranke.
»Denn in Mailand war ich einmal auf dem äußersten Minus-qui-vive.« Von Biesiegl betonte jedes Wort bedächtig. »Ich beschloß nämlich, die erste Frau, die mir auf der Via Torino einen aufmunternden Blick widmen würde, zu heiraten. Grauen und Wollust zugleich packte mich. Mein ganzes künftiges Leben hatte ich auf eine einzige Karte gesetzt, die ich das wahnwitzige Leben ziehen lassen wollte.« Frau Prollius, die sich wieder eingefangen hatte, staunte neugierig zu ihm empor: »Toll!«
Von Beisiegl atmete kaum, allem Anschein nach ob dieser Anerkennung. »Nun, diese Frau war eine Knirpsin. Im Café Biffi, in das ich sie führte, bemerkte ich, daß sie von abstoßender Häßlichkeit war. Außerdem stank sie penetrant und undefinierbar, war aber sehr gut gekleidet.«
»Sie stank?«
»Sie stank. Mir stieg das Blut zu Kopf. Ich hatte Moira zu sehr herausgefordert, mir zu viel zugemutet. Wortlos rannte ich davon und wollte mir eine Kugel durch den Kopf jagen.«
»Aber weshalb denn nur?«
»Glücklicher Weise hatte ich damals vorübergehend ein ebenso kurzes Gedächtnis wie Sie.«
»Wieso?«
»Mir erleichterten es allerdings Zahnschmerzen, zu vergessen, daß ich keine Karte mehr hatte.«
Frau Prollius war wie außer Atem: »Keine Karte mehr?«
»Die letzte hatte ich auf den aufmunternden Blick gesetzt und verloren.« Von Beisiegl hauchte das Folgende nur: »Aber obwohl ich verspielt hatte und das Recht verwirkt, zu leben, ließ ich mich dazu herbei, zu vegetieren, indem ich mich mit einjährigem Hausarrest bestrafte. Auf meine Wohnungstür schrieb ich: ›Reservato el derecho de admisión‹. Klingelte es, so öffnete ich fast nie, sondern rief: ›Il y a du monde‹. Aber das alles langweilt Sie doch sicherlich.«
Frau Prollius zappelte vor Ungeduld mit allen Gliedmaßen. »Aber nein ... Es interessiert mich ganz kolossal.«
»Wenn ich aber einmal öffnete ...« Von Beisiegl war ein wenig aus dem Schwung geraten. »... schmetterte ich schnell wieder die Tür zu.«
Er hielt inne, als hätte er es soeben getan. »So blieb ich ein ganzes Jahr allein.«
»Sie hatten ja noch Ihre Tiere«, meinte Frau Prollius ernst.
Von Beisiegl verspürte einen unbezwinglichen Lachreiz, besiegte ihn aber gleichwohl spurlos. »Damals schätzte ich das nicht mehr. Ich hatte eine Gummipuppe.«
Frau Prollius' Mund blieb offen, ihre Lunge gänzlich untätig.
»Durch eine im Rücken angebrachte Öffnung konnte sie mit warmem Wasser gefüllt werden, so daß sie schon ein trefflich Stück Illusion zu bieten vermochte. Um so mehr, als sie in ihrem essentiellsten Teil durchaus gebrauchsfähig eingerichtet war.« Puterrot werdend, blieb Frau Prollius wie erschöpft stehen.
Selbst sein Hauchen dämpfte von Beisiegl nun noch: »Nachdem ich von dem gelieferten Dutzend Wachsköpfe genug hatte, fertigte ich mir selbst welche an. Und zwar nach den Gesichtern der Schönen Mailands.«
Frau Prollius mußte, wollte sie ihn verstehen, fest an ihn sich pressen. Er tat, als litte er es nur.
»So hatte ich alle Begehrenswerten im Bett und in effigie benützt.«
»Wie macht man denn das?« lispelte Frau Prollius.
»Vorsichtig«, näselte von Beisiegl bedeutungsvoll. »Und als mein Jahr der Strafe um war ...«
»In eff ... Aber wie ...« Frau Prollius fragte nicht weiter, obwohl sie unsäglich bedauerte, nicht die Unverfrorenheit dazu zu haben.
»... verließ ich die Wohnung.« Von Beisiegl weidete sich an seinem Opfer. »Auf dem Tisch ließ ich einen Irrigator zurück, halb voll Wasser und darin eine Lilie. In einer Blechkiste hatte ich ein Kohlenfeuer angefacht, damit der Rauch Neugierige anlocke. Ich sah draußen in einer Verkleidung zu, wie sie über meine Puppen sich entsetzten.«
Frau Prollius, die angespannt auf etwas ganz Bestimmtes zu warten schien, kränkte es, daß er nicht weiter erzählte. In plötzlich sich einstellendem Stolz aber beschränkte sie sich darauf, glühend zu ihm emporzublicken.
Von Beisiegl trat brutal zur Seite, mißgestimmt darüber, daß ihm nichts mehr einfallen wollte.
Frau Prollius aber, diese Qual nicht länger ertragend, platzte heraus: »Aber warum wäre ich denn sonst heute Ihre Frau?«
Das war von Beisiegl völlig entfallen. Wieder verspürte er jenen unbezwinglichen Lachreiz, besiegte ihn aber gleichwohl wiederum spurlos, indem er zum Falsett überging: »Sie wären meine Frau geworden ...« Er blickte starr vor sich hin: sein Dampf war abgegeben. Da lächelte er plötzlich hämisch.
Frau Prollius, nichts begreifend, als daß es sie zwang, es wissen zu wollen, sprang geradezu an ihm hoch: »Also warum denn? Warum hätten Sie mich geheiratet? Sie lächeln?«
»Weil ich den zoologischen Garten sehe.« Von Beisiegl schritt mächtig aus.
Frau Prollius hielt sich mühsam hinter ihm. »Also warum ... geheiratet?« Sie merkte immer noch nicht, wie albern alles war, was sie sagte und tat. »Sagen Sie Paulchen zu mir!« Von Beisiegl falsettierte unentwegt, wenn auch infolge des schnellen Gehens nicht mehr so einheitlich.
»Also bitte, Paulchen, sagen Sie es mir!«
»Im Zoo. Den brauche ich dazu.«
»Warum? Paulchen?«
»Sie werden bald sehen, wozu.«
Als sie angelangt waren, winselte Frau Prollius: »Also, antworten Sie?«
Von Beisiegl marschierte unbarmherzig weiter. Erst in der Nähe des Löwenhauses blieb er stehen, ergriff Frau Prollius' Hand und zog die gänzlich Widerstandslose in ein Boskett. Und mit einem Mal öffnete er mit beiden Händen weit seinen Pelzmantel, unter dem sein magerer weißer Körper in völliger Nacktheit erschien.
Frau Prollius' Augen umflorten sich. Ihr Handtäschchen fiel in den Schnee. Da aber sah sie deutlich. Und was sie sah, ließ sie gell aufschreien. Wie besessen rannte sie davon.
»Narziß!« röchelte von Beisiegl. »Narziß!« Dann schloß er mit zuckenden Lippen Mantel und Augen ...
Bevor er das Boskett verließ, steckte er das Handtäschchen, in dem dreihundert Mark sich befanden, ein, ohne zu zögern.