Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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V. Johanniswürmchen.

Ich kann es nicht ändern, wenn in dieser Geschichte ein wenig viel gegessen und getrunken wird, aber das strenge Gesetz der historischen Wahrheit zwingt mich anzugeben, dass nun im Garten des Dr. Havelmüller wieder ein kleiner Imbiss genommen wurde, und dass es Allen herrlich schmeckte. Weildess aber hatte sich die Sonne hinter die Waldwipfel gesenkt, am Himmel eine mächtige Gluth entzündet und den See in eitel flüssiges Gold verwandelt. Wir brachen nun gleich auf, weil als letzter Theil des festlichen Programms ein Spaziergang in den Schlosspark zum Genuss der dämmernden Sommernacht und des Mondscheins verzeichnet war und Dr. Havelmüller uns die Versicherung gab, dass er ausser dem unvergleichlichen Sonnenuntergang, der sich draussen ja bereits abspiele, auch eine besonders festliche Beleuchtung durch Johanniswürmchen bestellt habe. Wir wanderten langsam den Weg entlang, der später an der Kirche vorbeiführt und als wir an eine Stelle kamen, wo zwischen Baumgruppen und dem Garten einer Villa sich eine Aussicht auf den See öffnete, da bot sich uns ein zauberhafter Anblick dar. Das Gold der gesunkenen Sonne hatte sich nun in ein feuriges Roth verwandelt und den halben Himmel mit einer leuchtenden Rosengluth übergossen. Davon in tiefster Schwärze hob sich der Wald ab und die düstern Schatten, welche er auf den See warf. Im Vordergrunde aber hatte spiegelndes Abendroth das glatte Wasser in eine märchenhafte Purpurfluth verwandelt und da nun gerade im letzten Augenblick das glücklich gehobene Segelboot von den Leuten auf den zwei Kähnen eingebracht wurde, so hatte dies eine Menge von grossen Leuten und Kindern an das Ufer gelockt. Auf dem langen Landungsstege standen sie wie scharfe Silhouetten auf leuchtend rothem Grunde, in der flachen Rosenfluth wateten jubelnd die zierlichen schwarzen Gestalten der Kinder, es war ein Rufen, Jauchzen und freudiges Getön und ein Anblick, wie aus einer seligeren Welt, so dass wir uns kaum davon zu trennen vermochten. Endlich wanderten wir weiter durch das Dorf, wo die Leute behaglich den dämmernden Abend auf den Hausbänken genossen, wo im Schatten der Linden zuweilen vertraute Liebespaare flüsterten und aus manchem Fenster schon eine stille Lampe glimmte, bis wir endlich an die mächtig ragenden Silberpappeln und Platanen am Eingange des schönen Parkes gelangten. Als wir den grossen Lindengang erreicht hatten, trennten wir uns, denn da Frau Lore nicht gut zu Fusse war, wollten die älteren Herren mit ihr auf dem bequemen und ebenen Wege bleiben, während die jüngeren, zu denen ich mich heute mit einem gewissen Behagen rechnete, den Weg über den sogenannten Aussichtsberg einschlugen, um sich später in der Nähe des Humboldtschen Begräbnissplatzes wieder mit den anderen zu vereinigen. Es war eine helle, warme und stille Nacht. In hohen Lüften war es gleichsam wie der Wiederschein einer längst versunkenen Sonne, und dazu kam das Leuchten des Mondes, dessen blasse Sichel an dem hellen Himmel schwamm, während nur einzelne Sterne mit mattem Gefunkel hier und da hervorblinkten. Alle Dinge dieser Erde waren eingehüllt in einen sanften grauen Schleier, und der Dämon Finsterniss hatte sich in die tiefsten Schatten des dichtesten Blätterwerkes zurückgezogen. Die Natur schlief, aber durch ihre Träume ging es zuweilen wie ein Athem der Sehnsucht, dann flüsterten leise die Blätter und ein Hauch von Lindenblüthenduft und Rosen schwebte vorüber; im dunstigen Grunde schlug eine Nachtigall ein paar verlorene Töne an und aus ferneren Kornfeldern kam unablässiger Wachtelruf. Wir gingen den Weg zur Höhe hinan, der schimmernd vor uns lag; da zeigte sich zuerst ein blitzender Funke in der Luft, der launisch umherirrte, bald ganz erlosch, bald eine Strecke weiter hell wieder aufleuchtete. Ein Männchen des Johanniswurmes war es, das sein Laternchen angezündet hatte, um sein Liebchen zu suchen, dessen stilles bläuliches Licht wohl irgendwo im Grase schimmern musste. In Hans erwachte die Jagdlust, er eilte dem funkelnden Thierchen nach, um es zu fangen, verlor sich auf einen Nebenweg und bald waren wir allein. Als wir nun so nebeneinander gingen, zwei bänglich pochende Herzen in der sommerwarmen Einsamkeit, da that sich zur Seite aus dem Grase am Wegesrand ein schimmerndes Licht hervor wie ein ruhiger Stern und siehe da, weiterhin noch ein zweites. Wir traten hinzu und betrachteten das kleine Naturwunder, wie sein helles Laternchen die Halme und Blättchen seiner Umgebung erleuchtete und in grünem Golde glänzen liess. Ich fing die Thierchen dann und liess Frieda in meiner Hand die schimmernden Sterne beschauen, dann setzte ich sie beide in die künstlichen Blumen, welche die Vorderseite ihres Hutes schmückten und dort glänzten sie hervor gleich den Diamanten des Märchens, von welchen es heisst, dass sie im Dunkeln leuchten. Als Frieda mein Entzücken über die Wirkung dieser lebendigen Edelsteine bemerkte, nahm sie eine Weile den Hut ab und betrachtete mit leuchtendem Auge diesen unvergleichlichen Schmuck; ich aber fing noch mehr solcher Thierchen, so dass die Blumen des Hutes bald ganz mit diesen schimmernden Sternen besäet waren. Unterdess waren wir auf der Höhe angelangt und schauten nun weit hinaus in die von Duft und lichtem Dämmer erfüllte Welt, während der Schatten hervorragender Zweige sich über uns hinstreckte. Zwei Johanniswürmchen, angelockt von der schimmernden Gesellschaft auf dem Hute irrten in schwankenden Kreisen und zuweilen stärker aufblitzend um das Haupt des schönen Mädchens, und wieder brachte ein sanfter Athemzug der Nacht einen Blüthenduft von dem Lindengange im Grunde. Ach Alles rings hauchte Liebe und Sehnsucht, und dazu tönte plötzlich aus der Ferne wieder das Lied des Doktors, das er heute auf dem Wasser gesungen hatte: »Komm, o komm, Gesellin mein,« . . . . . . in der Stille der Nacht verstand man deutlich jedes Wort. Und während wir so nebeneinander standen, leise athmend, um keinen Ton zu verlieren, hatte ich meinen Arm sanft um das schöne Kind gelegt und ihr Köpfchen ruhte an meiner Schulter. Als der Gesang nun verstummt war, da vermochte ich es nicht anders, ich musste den Schluss des Liedes wiederholen: »Komm und mache mich gesund, süsser rosenfarbener Mund.«

Frieda antwortete nicht, sondern neigte nur hingebend das Köpfchen zurück, bot mir fromm und demüthig den holden Mund als ein Heilmittel, das sie nicht versagen dürfe, und wir küssten uns andächtig und lange. Dann, wie aus einem Traume erwachend, seufzte sie tief und senkte das Köpfchen vor meinem Blick: »Ach, Onkel!« hauchte sie und ein Zittern lag in ihrer Stimme. Ich aber zog sie an mich und rief: »Niemals, niemals will ich diesen Titel wieder hören, ich will es nicht mehr sein und bin es ja auch nie gewesen. Sage, wie Du mich jetzt nennen willst?«

Sie schwieg eine kurze »Weile: »Ach, Liebster, Liebster,« flüsterte sie dann leise an meiner Brust. Wir hörten plötzlich unsere Namen rufen von der Gegend des Humboldtdenkmales her und schnell eilten wir Hand in Hand durch die dämmernde Johannisnacht zu unseren Lieben. Mag es uns der grosse Forscher verzeihen, der dort im Kreise seiner Verwandten in dem ernsten Schatten düsterer Fichten ruht, dass wir beide keine Neigung verspürten, seinem Andenken jetzt eine stille Minute zu weihen, wir eilten schnell vorüber an dem finstern Epheu, der jene Gräber bespinnt, denn die Augen unseres Geistes waren gerichtet auf lauter schöne sonnige Sommertage der Zukunft, nicht auf die düsteren Schatten der Vergangenheit.

Wir trafen die anderen schon auf dem Rückweg begriffen, und ich verzichte gern auf die Schilderung der Wirkung, welche die Mittheilung dessen, welches sich soeben auf dem Aussichtsberge begeben hatte, auf Hühnchen machte und vermag nicht zu entscheiden, ob seine anfängliche Verblüffung grösser war oder sein späteres Entzücken über dieses ihm gänzlich unerwartete Ereigniss. Und während des allgemeinen Fragens, Erzählens, Küssens und Umarmens, stand Dr. Havelmüller stumm bei Seite, den Knebelbart heftig streichend und das verrätherische Mondlicht beleuchtete eine schimmernde Thräne in seinem Auge. Sie galt nicht allein dem Glück der Freunde, sondern auch jener Zeit der unwiederbringlich entschwundenen Jugend, wo er sich mit diesem selben Liede ein glühendes und stolzes Frauenherz erwarb.

Wie wir nun endlich wieder nach Tegel und in unsern Wagen gelangt sind, das weiss ich kaum zu sagen, doch endlich sassen wir darin und fuhren unter vielen Grüssen und Danksagungen gegen Dr. Havelmüller davon. Hühnchen war so ausgelassen, wie ich ihn nie gesehen habe, als wäre er voll süssen Weines.

»Theuerster aller Freunde,« rief er, »hättest Du damals in Hannover, als wir beide auf dem alten gebirgigen Sopha sassen und Thee tranken, hättest Du damals gedacht, dass ich noch einmal Dein Schwiegervater würde? O wie wunderbar ist diese Welt! – Weisst Du noch wie ich Dir damals rieth, Du solltest sehen, dass Du auf dem Sopha in ein Thal zu sitzen kämest? Sieh mal, du sollst bei uns auch in ein Thal zu sitzen kommen und sollst es gut haben und wie ich meine Lore kenne, so wird sie eine Schwiegermutter abgeben, welche diesen so viel geschmähten Stand wieder zu Ehren bringen und die Welt mit Rührung erfüllen soll.«

Und so redete mein zukünftiger Schwiegervater und sang Lieder und gab die lustigsten Thorheiten an, den ganzen Weg hindurch, ja, er konnte nur mit Mühe verhindert werden, an einer besonders einladenden, vom Mond beschienenen Waldblösse auszusteigen und einen Indianertanz loszulassen, so dass der biedere Kutscher, als ich ihm in der Freude meines Herzens in Steglitz einen Thaler Extratrinkgeld in die Hand drückte, schmunzelnd sagte: »Danke scheen! det war 'ne fidele Nachtfuhre!«

Ich aber, dem ein Glück in den Schoss gefallen ist, auf das ich schon längst verzichten zu müssen glaubte, ich will dankbar hinnehmen, was das Schicksal ferner über mich verhängt hat, sei es nun Liebes oder Leides.

 

 


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