Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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IV. Nach Tegel.

Als wir nach einer lustigen Fahrt gegen Mittag in Tegel anlangten, hielt unser Wagen an der Strasse, welche von dem »Seeschlösschen« genannten »Wirthshause weiter ins Dorf führt, zum geringsten Theile aber erst mit Häusern bebaut ist. Dort erhob sich gleichlaufend mit dem Wege in einiger Entfernung ein Bretterzaun, den an seinem Ende das Dach einer kleinen Bretterbude nur um ein Geringes überragte. An dieser Stelle sah man in den Zaun ein mit weissen Gardinen verziertes Fensterchen eingeschnitten; die übrigen drei Seiten des Gartens waren einfach durch gespannte Drähte von der profanen Aussenwelt abgegrenzt. Herr Doktor Havelmüller stand an der Eingangsthür, wo er uns erwartet hatte und kam nun an den Wagen, um den Damen beim Aussteigen behülflich zu sein. Er war ein mittelgrosser etwas beleibter Herr in Wollenkleidung und trug einen breiten schwarzen Filzhut. Sein Haupthaar, sein Schnurr- und sein etwas breiter Knebelbart waren schon ergraut und aus dem bräunlich getönten Gesichte schauten durch eine goldene Brille zwei gutmüthige aber etwas melancholische Augen. Eine Eigenthümlichkeit von Dr. Havelmüller war, dass er fast nie lachte, sondern auch die grössten Tollheiten und lustigsten Sachen mit einem wehmüthigen Tone und sorgenvollem Gesichtsausdruck vorbrachte, wodurch die Wirkung solcher Spässe bedeutend erhöht wurde. Ganz entgegengesetzt pflegte es mein Freund Kleemeier zu machen, der schon im Voraus von der lustigen Wirkung seiner Geschichten so überzeugt war, dass er sie vor Lachen kaum von sich geben konnte, nachher aber regelmässig vergessen hatte, worauf es ankam, die Pointe schuldig blieb und seine geduldigen Zuhörer mit dem Schwur trösten musste, er wisse zwar nicht mehr genau wie, aber es sei unendlich komisch gewesen.

Herr Dr. Havelmüller sagte, während wir auf den Garten zugingen, und er, die geöffnete Thür in der Hand, uns zum Eintritt aufforderte: »Habt Dank, lieben Freunde, dass ihr der Einladung eines armen Einsiedlers gefolgt seid, tretet ein in seine dürftige Hütte und nehmt vorlieb mit seiner geringen Bewirthung.« Wir gingen nun den Steig entlang zwischen dem mit wildem Wein und anderen Rankgewächsen überzogenen Plankenzaun und einer kleinen Gebüschanlage, welche den zur Bewässerung des sandigen Bodens dienenden abessinischen Pumpbrunnen umgab, und gelangten an die sonderbare kleine Bretterhütte; deren Dach so niedrig war, dass man es bequem mit der Hand erreichen konnte. Vor der Eingangsthür war eine Art von Veranda höchst primitiv aus Pfählen und Brettern zusammengeschlagen und innen befanden sich zwei winzige Räume, deren einer als Wohn- der andere als Schlafzimmer diente. In letzterem war gerade so viel Platz, dass neben dem mit einer grünen Friesdecke behängten Feldbette ein schmaler Gang frei blieb und ein uralter Mahagonieckschrank Platz fand, der Gläser und Geschirr und allerlei Sonderbarkeiten enthielt. Auf diesen Schrank zielte eine Inschrift, welche über der Thüre des Schlafzimmers angebracht war, und Bezug nahm auf solche Leute, welche vielleicht in die Versuchung kamen, dem Häuschen bei der häufigen Abwesenheit des Besitzers einen gewaltsamen Besuch zu machen. Sie lautete:

»Am Einbrechen und Plündern
Kann ich Niemand verhindern.
Gott verzeih' ihm die Sünde . . . .
Der Schnaps steht im Spinde!«

»Der Schnaps steht auch wirklich da,« sagte Dr. Havelmüller geheimnissvoll und wehmüthig, »er schmeckt auch sehr gut, aber er ist mit einigen äusserst drastischen Mitteln versetzt. Mit diesem Trank im Leibe wird ein Jeglicher weniger Helena in jedem Weibe sehen, als vielmehr sich veranlasst finden, die Gesellschaft der Menschen zu fliehen und in der tiefsten Einsamkeit mit den unterirdischen Göttern Zwiesprache zu halten.«

In dem Wohnzimmer stand zur Zeit ein gedeckter für die Mittagsmahlzeit vorbereiteter Tisch, die Stühle aber waren einstweilen hinausgestellt, weil sonst Niemand sich dort zu bewegen vermocht hätte. Diesen Raum hatte Dr. Havelmüller mit liebevoller Nachdenklichkeit ausgestattet. Weiss der Himmel, wo in welchem vergessenen Erdenwinkel er diese Wandtapete aufgetrieben hatte. In den Ranken von unmöglichen Schlingpflanzen hockten unglaubliche gelbe Vögel, welche offenbar die Masern hatten, denn sie waren über und über roth gesprenkelt und jeder dieser Vögel schnappte nach einem bei der Schöpfung vergessenen Schmetterling, von dessen Aussehen einzig und allein diese Tapete Kunde gab. Die Decke dagegen war mit einem anderen Erzeugniss des Kunstgewerbes beklebt, auf welchem sich ungeheure Massen von Rosen, Vergissmeinnicht und anderen gefühlvollen Blumen befanden. An den Wänden zeigten sich schöne Bilder und Schaustücke von jener Art, wie man sie in weltentlegenen Dorfwirthshäusern und einsamen Jägerwohnungen findet, unter anderem eins jener geheimnissvollen Kunstwerke, auf welchen man entweder die Wörter Glaube, Liebe oder Hoffnung liest je nachdem man die Stellung verändert. Da befand sich unter Glas in schönem Goldrahmen eine verblichene Stickerei auf Seide, eine Rose darstellend mit der Unterschrift: »Aus Liebe von deiner Amalie.« Da war die farbige Lithographie eines Brautpaares, er lang und schlank im glänzenden Frack und weissen anliegenden Beinkleidern, blank gescheitelt mit grossen schwarzen Verführeraugen und einem Schnurr- und Kinnbärtchen wie aus lakirtem Ebenholz, sie zart und schmachtend mit einer Taille von übermenschlicher Ausdehnung, langen Röhrenlocken, einem Mündchen wie ein Zwanzigpfennigstück und einem in Milch gekochten Vergissmeinnicht-Blick und dergleichen schöne Dinge mehr. Das Glanzstück aber aller dieser Wandverzierungen bestand in einer Oelskizze, die von einem bekannten Berliner Maler herrührte und eigens für diese Einsiedelei gestiftet worden war. Das Bild in übertriebenem Hochformat, trug die Unterschrift: »Das Räthsel des Lebens«, und stellte eine Sphinx dar, die weinend auf einem Baume sass, während ein Todtengerippe, ein blutendes und brennendes Herz zu ihr emporhaltend, den Stamm hinaufkletterte. Zu Füssen des Baumes sass eine weibliche verhüllte Gestalt mit einem Thränenkruge, während im Hintergrunde aus dunkelblauem Himmel ein rothgelber Mond zwischen düstern Cypressen hervorschien. Dieses Bild war Dr. Havelmüllers grösster Stolz. »Seht, liebe Freunde,« sagte er, »das nenne ich wahre Tiefe. Eine unendliche Deutsamkeit liegt in dieser Darstellung und doch hat noch niemals Jemand ihren Sinn ergründet. Kürzlich war Dr. Spintifex aus Berlin hier, der am Museum angestellt ist und vom Staat dafür bezahlt wird, Tag und Nacht über die alten langweiligen Bilder nachzudenken, die sie da aufgehängt haben. Um ein Uhr Nachmittags sah er zuerst dies Bild, verankerte sich davor und nahm es mit allen seinen Geisteskräften in Angriff. Um zwei Uhr, als ich wieder nachsah, waren seine Augen stier auf dasselbe gerichtet, und man sah wie sein Gehirn mit Pferdekraft arbeitete. Um drei Uhr hatte er den Kopf zwischen die Knie gesteckt und wühlte mit beiden Händen in seinen strähnigen Haaren. Gegen vier Uhr legte ich ihm ein nasses ausgewrungenes Handtuch um die Stirn, und um Fünfe herum holte ich zu diesem Zwecke Eis vom Seeschlösschen. Da er aber gegen sechs Uhr trotzdem anfing zu deliriren, so brachte ich ihn mit sanfter Gewalt auf die Pferdebahn und nach Hause, wo er sich sofort in's Bett legen musste, und seine Wirthin ihm Kamillenthee kochte. Vierzehn Tage später begegnete ich ihm auf der Strasse, allein er kannte mich nicht, hielt sich selber für ein Skelett und wollte nach der Anatomie, um sich neue Rippen einsetzen zu lassen. Augenblicklich befindet er sich in einer Kaltwasserheilanstalt. Wenn ich Euch rathen soll, lieben Freunde, so hütet Euch wohl, über dies Bild nachzudenken.«

Während Dr. Havelmüller dergleichen fast unglaubliche Dinge in die Thüre hinein erzählte, stand er draussen in der sogenannten Veranda, an einem Petroleumkochapparat, auf welchem allerlei Konserven-Gerichte schmorten und nach einer kurzen Weile erklärte er, das Essen sei fertig. Die Stühle wurden hineingeschafft und als wir alle sassen, war der Raum so voll, dass selbst der Suppenkaspar aus dem Struvelpeter in seinem letzten Lebensstadium sich nicht hätte hinter unseren Stühlen mehr durchschlängeln können. In diesem Augenblick schlug Dr. Havelmüller mit gutgespieltem Schrecken sich an die Stirn, denn ich bin überzeugt, er hatte es absichtlich so weit kommen lassen, um die holde Ursprünglichkeit seiner Einrichtungen besser in's Licht zu setzen und rief: »Ach leider muss ich die Herrschaften noch einmal bemühen, denn ich habe vergessen, in meinen Weinkeller zu steigen!«

Mit grosser Mühe schoben wir Stühle bei Seite und drängten uns in die Winkel, während Dr. Havelmüller eine lose Fussbodenplanke aufhob und darunter einige Weinflaschen hervorholte. »So,« sagte er dann, während er diese entkorkte, »nun bitte ich, lieben Freunde, langt zu. Erster Gang: Tegel-Kaviar.«

Wir nahmen alle von dem merkwürdigen Gericht, in welchem eine Anzahl von Kapern das einzig Erkennbare waren, strichen es auf Semmelscheiben und fanden es von hohem Wohlgeschmack. Frau Lore's hausmütterlicher Sinn regte sich und sie fragte nach der Herstellung dieses merkwürdigen Gerichtes.

»Ich wollte Sie ja mit ächtem Kaviar bewirthen,« sagte Dr. Havelmüller traurig, »frisch, grau, grosskörnig, rollend, schwach gesalzen, wie er sein muss und habe den Tegeler Fischer gebeten, mir einen Stör zu fangen, einen guten Rogener, und wenn er drei Mark kosten solle. Der Mann hat mir aber kein Verständniss entgegengebracht. Als ich fort ging, hörte ich ein beleidigendes Lachen und als ich mich schüchtern umsah, bemerkte ich, wie der Fischer mit seinem Finger an der Stirn zu seiner Frau Geberden machte, welche fast einer schweren Injurie gleich kamen. Es war also nichts, aber ich dachte: »Ein Genie geniert sich nie und das Talent weiss sich stets zu helfen«, und in einem glücklichen Augenblick erfand ich den Tegelkaviar. – Sie nehmen, verehrte Frau, auf drei Oelsardinen feinster Marke eine Sardelle, zerhacken Alles sehr fein, mischen es mit etwas Sardinenöl und einigen Kapern und der Tegelkaviar ist fertig. Sie sehen, einfach wie alle wirklich grossen Erfindungen.«

Das Essen nahm seinen Fortgang und bestand aus allerlei in Blechbüchsen conservirten Gerichten, welchen der Doktor durch geschickte Zuthaten einen besonderen Wohlgeschmack ertheilt hatte. Wir waren ungemein lustig, obwohl in dem engen Raume bald eine grosse Wärme sich entwickelte. Als unser Wirth merkte, dass Frau Lore sich mit der Serviette das erhitzte Antlitz fächelte, verklärte ein sanfter Schein seine Züge und er sagte: »Nicht wahr, Frau Hühnchen, Sie leiden von der Hitze? Dem wird bald abgeholfen sein; ich werde die Ventilation in Thätigkeit setzen.«

An der einen Bretterwand befand sich ein Astloch, dessen Kernzapfen allmählich eingetrocknet war und lose in seiner Oeffnung sass. Dieser Zapfen war an einem Stückchen Leder befestigt, so dass er sich wie ein Fensterchen bei Seite klappen liess und so die Oeffnung des Astloches frei machte. Als Hühnchen so ganz unvorbereitet dieser wundervollen Ventilationsvorrichtung ansichtig wurde, gerieht ihm vor freudiger Ueberraschung ein Krümchen in die falsche Kehle, so dass er Minuten brauchte, um wieder zu sich zu kommen. Nachher sagte er, wenn er heute noch einmal so etwas Glanzvolles zu sehen bekäme, so würde es sein Tod sein. Solche Anerkennung that Dr. Havelmüller wohl, er sah mit liebevollen Augen auf seine Ventilationsklappe und streichelte sie.

Nach dem Essen besahen wir den Garten. »Als ich ein Kind war,« sagte unser Wirth, »lebte ich in beschränkten Verhältnissen, aber wir hatten ein kleines Haus mit einem Garten dahinter. Dort blühte und duftete der Lavendel in blauen Polstern und andere gewürzige Kräuter wie Salbei, Majoran und Marienblatt. Dort gab es brennende Liebe, weisse Lilien, wohlriechende Nelken und einen Flor von Sommerblumen, die heute aus der Mode und vergessen sind, alles hervorgewachsen aus geschenkten Samen, von Familie zu Familie ausgetauschten Zwiebeln und erbetenen Stecklingen. Eine grüne etwas rauhe Sorte von Stachelbeeren wuchs dort von köstlichem Geschmack. Sie ist jetzt auch fast vergessen und verdrängt von den faden grossen englischen Riesenbeeren, die nach garnichts schmecken. Nach solchem Garten, der mein Kinderparadies war, habe ich mich zeitlebens gesehnt und von ihm geträumt und da er sich in Berlin nicht verwirklichen liess, habe ich es gemacht wie der alte Mohamed und weil der Garten nicht zu mir kam, so bin ich zu ihm nach Tegel gegangen. Hier hat aber mein Leben mich bereits bei Manchen in schlechten Ruf gebracht. Einige der braven Eingeborenen, welche sahen, dass ich des Nachts in dieser schlechten Hütte schlafe, im Schweisse meines Angesichts Kartoffeln und Gemüse baue, so dürftige und billige Gewächse pflanze, und mir des Abends selber meine bescheidenen Gerichte koche, zeigen mich ihren Kindern als abschreckendes Beispiel und sagen: »Seht diesen reichen Mann – denn dafür halten sie mich – er könnte alle Tage Austern und Kapaunen essen, aber er lebt wie ein Hund und schläft in einer Bude schlechter als ein Ziegenstall. Seht Kinder, dazu führt der Geiz!« –

Der Doktor zog die Schulter hoch, streckte die Hände vor sich und stand eine Weile in trübseliges Schweigen versunken, wie ergeben in sein Schicksal. Dann aber ermannte er sich wieder, erhob das Haupt und rief: »Nun aber vorwärts, auf zur Liebesinsel!«

 

 


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