Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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Weihnachten bei Leberecht Hühnchen.

I. Die Einladung.

Ich hatte meinen Freund Leberecht Hühnchen sehr lange nicht gesehen, da traf ich ihn eines Tages kurz vor Weihnachten in der Leipziger Strasse. Er hatte Einkäufe gemacht und war ganz beladen mit Packeten und Packetchen, welche an seinen Knöpfen und Fingern baumelten und überall weggestaut waren, wo sich Platz fand, sodass er in seinem Ueberzieher ein höchst verschwollenes und knolliges Aussehen hatte und fast allen Begegnenden ein behagliches Lächeln auf die Lippen nöthigte, denn um die Weihnachtszeit sieht man gern also verzierte Leute. Er freute sich unbändig, mich zu sehen und sagte: »Wenn Du Zeit hast, so begleite mich doch zum Potsdamer Bahnhof, dass wir noch ein wenig plaudern können.« Ich that dies, und unterwegs zog er wie gewöhnlich alle Schleussen auf. »Ungewöhnliches hat sich ereignet im vorigen Sommer,« sagte er, »ich bin unter die Bauherren gegangen und habe an mein Häuschen noch zwei Zimmer angebaut, eins oben und eins unten. Die ältere Dame mit den Zahnschmerzen und der vornehmen Vergangenheit musste deshalb ausziehen, aber dafür haben wir jetzt in der vergrösserten Wohnung etwas ganz Glanzvolles eingetauscht, nämlich einen wirklichen Major a. D. Dieser hat eine kleine Stellung bei der Bahn und ist mit allerlei Talenten ausgerüstet. Besonders gern erzählt er kleine Geschichten aus seiner militärischen Vergangenheit, die merkwürdig reizvoll sind dadurch, dass sie niemals eine Pointe haben. Denke Dir, immer wenn man gespannt wird und gerade meint, nun kommt es, schnapp, ist die Geschichte aus. Dies ist ein ganz neuer Effect von höchst merkwürdiger Wirksamkeit. Wir nennen ihn deshalb, wenn wir unter uns sind, den Major ohne Pointe. Für unsere Kinder malt er niedliche Bilder, auf welchen sich junge elegante Damen von honigsüssem Liebreiz befinden, und tapfere Soldaten in durch und durch vorschriftsmässigen Uniformen; und aus den blauen Augen dieser Krieger strahlt altpreussischer Heldenmuth, und auf den Spitzen ihrer Schnurrbärte wohnt der Sieg. Auch die Gabe der Dichtkunst ward ihm verliehen; er hatte früher einmal ein Lustspiel bei Hülsen eingereicht, welches ihm dieser aber »mit einem sehr liebenswürdigen Briefe« zurückgeschickt hat. Seitdem hat er es in sein Pult verschlossen, denn mit nachahmungswürdigem Stolze äussert er sich: »Auf einer anderen als der königlichen Bühne lasse ich meine Stücke nicht aufführen!«

Wenn Du nun meinst, damit wären seine Talente erschöpft, da irrst Du Dich; nein, wenn die Erinnerung an alte Zeiten ihn überkommt, da setzt er sich an's Klavier und singt mit einem dünnen, aber ganz angenehmen Tenörchen allerlei Arien aus Opern, die es gar nicht mehr giebt. Ja, ein angenehmer, geselliger Herr und gar nicht stolz, – den heiligen Abend wird er bei uns verleben, weil er hier ganz allein steht. Ausserdem haben wir noch die Dame mit der vornehmen Vergangenheit eingeladen als Gegenstück zum Major. Sie ergänzen sich merkwürdig, und seine unbeschreibliche Galanterie zaubert ungekannten Sonnenschein auf ihre Züge. Ja, es ist am Ende gar nicht ausgeschlossen, – sie hat ein kleines, nettes Vermögen, und der Major ist für sein Alter noch recht mobil . . .« Hühnchen bewegte zuerst die Linke und sodann die Rechte, gerade als ob er Jemand vorstelle, schloss darauf beide Hände in einander, wobei er ungemein pfiffig aussah und »Ja, ja!« sagte; dann fuhr er fort:

»Uebrigens, da fällt mir ein, wo wirst Du an diesem Abend sein?«

Ich sagte, ich würde wohl zu Hause sitzen und meine melancholischen Gedanken mit einem einsamen Punsch begiessen. Da leuchteten Hühnchens Augen auf: »Natürlich kommst Du zu uns,« rief er, »Lore und die Kinder werden sich unbändig freuen. Selbstverständlich giebt es Karpfen, und Punsch bekommst Du bei mir auch, sogar nach einem berühmten Recept. Keine Widerrede.« Ich sah ein, dass ich wohl musste und sagte zu. Unterdess hatten wir den Potsdamer Bahnhof erreicht, Hühnchen kam eben noch zurecht, mit seinen unzähligen Packeten in einen Wagen zu klettern, und während er aus dem Fenster winkte und »auf Wiedersehen« rief, rollte er alsbald nach Steglitz davon.

 

 


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