Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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V. Die Bescherung.

»Ein sehr amüsanter Herr, Ihr Herr Gemahl,« sagte der Major zu Frau Lore, »er erinnert mich immer an einen früheren Bekannten, der Hirsewenzel hiess und ganz merkwürdig gern Hamburger Aalsuppe ass. Er war nun allerdings mehr melancholischer Natur, und wenn er etwas im Kopfe hatte und dabei Musik hörte, dann pflegte er schrecklich zu heulen. Später ist er nach Amerika ausgewandert und soll dort eine kleine neue, ganz nette Religion gestiftet haben. Ja!«

Ich muss gestehen, dass ich den Gedankensprüngen des Herrn Majors nicht immer zu folgen vermochte; seine Phantasie schien mir Haken zu schlagen, wie der Hase, wenn er zu Lager geht.

Nach einer Weile gellte plötzlich das Haus von dem fürchterlichen Sturmläuten einer Tischglocke, und die Kinder stürzten nach dem Flur, auf dessen anderer Seite sich das Weihnachtszimmer befand. Wir folgten in gemässigterem Tempo und traten in das Heiligthum, aus dessen Thüre ein glänzender Lichtschein hervorbrach. Ich muss gestehen, die Herrlichkeit war gross, und die beiden Kinder standen wie in einem Bann und wagten gar nicht, näher zu treten in diese prachtvolle Sesam-Höhle voller schimmernder und funkelnder Schätze. Aber schliesslich gewöhnte sich das Auge an all' diesen Glanz, und bald ging es an's Besichtigen und Bewundern. Hühnchen nahm mich zunächst in Anspruch für den Tannenbaum: »Liebster,« sagte er, »es ist eine bekannte Thatsache, dass Jeder seinen eigenen Tannenbaum am schönsten findet und alle übrigen ein wenig verachtet, aber Du musst doch auch sagen, mein Stolz auf ihn entbehrt nicht einiger Berechtigung. Findest Du nicht, dass eine Harmonie der Farben von ihm ausstrahlt, wie eine sanfte Musik? Und dies ist kein Zufall, nein das Resultat weiser Berechnung und genauer Ueberlegung. Alle diese Papiere und farbigen Verzierungen sind bei Lichte ausgesucht, damit sie auch bei Lichte wirken, und sind zusammengestellt nach dem Komplementär-Prinzip. Was Dir natürlich und einfach reizvoll erscheint, ist ein Resultat schweren Nachdenkens und liebevoller Vertiefung in die Sache, mein Sohn. Auch eine Neuerung haben wir diesmal daran nämlich vergoldete Erlen-Zäpfchen. Der Dichter Theodor Storm, dessen Werke ja auch Du so hochschätzest, schmückt ebenfalls mit solchen seinen Tannenbaum. Zwar etwas schief ist die kleine Fichte und an manchen Stellen, wo ein Zweig sitzen sollte, ist merkwürdiger Weise keiner da, aber giebt das nicht einen neuen Reiz? Nur der Philister schwärmt für die absolute Symmetrie.«

Dann stand er eine Weile und blickte mit begeisterten Augen auf den kleinen schiefen Baum, der in seinem bunten Schmuck so aussah, wie sie alle aussehen, und setzte dazu eine Miene auf, als vertiefe er sich in die Schönheiten der sixtinischen Madonna.

Für ihr kleines Mädchen hatten die Hühnchens gemeinsam eine Puppenstube angefertigt, die wahrlich zauberhaft war und einer zweiten Familie Hühnchen in ein Zehntel der natürlichen Grösse zum Wohnsitz diente. Dieses Wunderwerk zu beschreiben, sind Worte zu schwach; es genügt zu sagen, dass in diesen Puppenräumen nichts, aber auch gar nichts fehlte von Dem, was die wirklichen Räume der Hühnchen'schen Wohnung enthielten, und dass Alles von einer grossartigen Eleganz und Zierlichkeit war. Die Schränke waren angefüllt mit den winzigsten Kleidern und Leinensachen, und die Küche mit den niedlichsten Geschirren, selbst Kinderspielzeug, Bilderbücher und Schulhefte waren vorhanden in lilliputanischer Grösse und Portraits der Hühnchen'schen Vorfahren an den Wänden, sauber in Gold gerahmt. Ja, die Naturwahrheit war fast zu weit getrieben, denn sogar derjenige Ort, zu welchem selbst Karl der Grosse keinen Vertreter schicken konnte, fehlte nicht, wie mir Hühnchen unter grossem Schmunzeln zeigte. Der Major hatte auch seine Künste entfaltet und für Hans aus Pappe einen Husaren angefertigt, der auf einem Pferde ritt, das offenbar arabisches Blut in seinen Adern führte, während der Reiter, auf's Vorschriftsmässigste ausgerüstet, eine so sieghafte Heldenschönheit zur Schau trug, dass Niemand an seiner Macht über alle weiblichen Herzen zu zweifeln wagte.

Ein Kunstwerk zarterer Natur hatte er für Frieda gepappt und ausgemalt, nämlich Dornröschen in einer Rosenlaube, welche blassrothe Schönheit über alle menschlichen Begriffe süss und reizvoll war. Auch der himmelblaue Ritter, welcher ihr soeben nahte und sich über sie beugte, hatte so wunderzierliche Hände und Füsschen, so grosse Mondschein-Augen und einen so bezaubernden Schnurrbart, dass man ihm auf hundert Schritte den echten Prinzen ansehen konnte. Dabei war das Kunstwerk zugleich ein mechanisches, denn zog man an einem kleinen Bändchen, dann beugte sich der schöne Ritter nieder und küsste Dornröschen, während diese den Arm erhob, genau nach der Uhland'schen Vorschrift:

»Der Königssohn, zu wissen,
Ob Leben in dem Bild,
Thät seine Lippen schliessen
An ihren Mund so mild:
Er hat es bald empfunden
Am Odem süss und warm,
Und als sie ihn umwunden,
Noch schlummernd, mit dem Arm.«

Es würde zu weit führen, wollte ich alle diese Ueberraschungen hier schildern und aufzählen, z. B. die wunderbare Festung mit Wasserkunst, welche Hühnchen für seinen Sohn hergestellt hatte, und alle die kleinen Dinge, womit die Eheleute selber sich erfreuten. Es war, nach Hühnchens eigenem Ausdruck, »einfach monumental«.

 

 


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