Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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VI. Beim Punsch.

Die Lichter des Tannenbaumes brannten allmählig herunter und versengten schon mit Knistern und Puffen Nadeln und kleine Zweige, sodass zuletzt ein allgemeines wetteiferndes Ausblasen begann und das ganze Zimmer sich mit Weihnachtsduft erfüllte. Während wir dann in behaglichem Geplauder bei einander sassen, und die Kinder sich eifrig mit ihren neuen Schätzen abgaben, nahte die Zeit des Abendessens heran, und Hühnchen verschwand in geheimnissvoller Weise auf eine halbe Stunde. Als er dann wieder eintrat, kam durch die geöffnete Thür eine Wolke von köstlichem Punschgeruch mit ihm; wir begaben uns in das andere Zimmer zum Essen und thaten dem vortrefflichen Karpfen und dem nicht minder guten Getränk alle Ehre an.

»Das Recept zu diesem Weinpunsch habe ich von meinem Freunde Bornemann,« sagte Hühnchen. »Dieser gab in jedem Winter seinen guten Bekannten drei Punschabende, weil er selber dieses Getränk so ausserordentlich liebte. Ich war gewöhnlich der Erste, welcher kam, und fand ihn dann regelmässig an dem gedeckten, mit allerlei guten Sachen besetzten Tische, und vor ihm stand eine ungeheure Punschbowle. Er sah ernst und nachdenklich aus und hatte schon einen ziemlich rothen Kopf. »Lieber Freund« , sagte er dann, »es freut mich, dass Du kommst, denn ich bedarf Deines Urtheils. Ich sitze nun schon seit einer Stunde und probire ein Glas nach dem andern, ohne zu einem Resultat zu kommen, als dass der Punsch gut ist. Trotz aller Aufmerksamkeit kann ich zu keiner anderen Ansicht gelangen; was sagst Du?« Ich trank dann und antwortete: »Wunderbar, wie immer!« »Dies beruhigt mich sehr«, sagte er dann, »diese Bestätigung meines eigenen Urtheils thut mir wohl.« Dann schlürfte er bedächtig ein neues Glas leer und fuhr fort: »Ja, Du hast Recht, ich habe das Meinige gethan, nun thut Ihr das Eure.« Jedoch es gelang uns nie, in gemeinschaftlicher Arbeit auf den Grund dieser ungeheuren Bowle zu gelangen, aber wenn wir uns mit schweren Köpfen entfernt hatten, sass Freund Bornemann wie eine Eiche, schweigend und einsam und rauchte und trank, bis er den Boden des Gefässes sah. Dann schaute er melancholisch in den geleerten Abgrund, seufzte ein wenig und ging zu Bette.

Der Major war unterdess ziemlich unruhig geworden und hatte schon mehrfach versucht, seinen etwas geschwätzigen Hauswirth in dem sanft dahinfliessenden Strome seiner Rede zu unterbrechen. Hühnchen riss das Gespräch aber immer wieder an sich; jedoch als er begann von lieben Gewohnheiten zu sprechen und über die süsse Macht des Herkommens und ständiger Gebräuche an gewissen Tagen sich in begeisterter Rede zu verbreiten, da räusperte der Major sich so stark und anhaltend und machte so energische Versuche, seinen Keil in eine Lücke des Gespräches zu treiben, dass Hühnchen endlich schwieg und ihn zu Worte liess.

»Ja, über die Macht der Gewohnheit,« sagte er, »habe ich eine höchst merkwürdige Erfahrung gemacht. Als ich noch Platz-Ingenieur in Pillau war, da hatten wir da einen Bau-Gefangenen, der Kerl war zu zwanzig Jahren verurtheilt und hatte sich immer ganz gut geführt. Na, eines Tages war seine Zeit abgelaufen, da sagten wir zu ihm: »Du bist nun frei, Du kannst nun gehen.« Da erschrak der Kerl aber furchtbar und bat sehr: »Ach lassen Sie mich doch hier, wo soll ich denn hin, ich kenne ja Niemanden in der Welt.« Ja, wir hatten Mitleid mit ihm und liessen ihn sitzen in seiner alten Zelle, an die er sich gewöhnt hatte, und beschäftigten ihn, so gut es ging. Da sass er denn und schnitzte Pfähle zum Befestigen der Rasenböschungen und schnitzte immerzu Pfähle und war ganz vergnügt. Das dauerte eine ganze Zeit, und ich wurde darüber versetzt in eine andere Garnison. Ja.«

Der Major sah uns eine Weile mit seinen hellen Augen freundlich an, und als er bemerkte, dass wir noch etwas zu erwarten schienen, fuhr er fort: »Als ich dann nach einigen Jahren wieder mal nach Pillau kam und mich nach dem Kerl umsehen wollte, da war er gar nicht mehr da. Da war er gar nicht mehr da. Ja.«

Eine Geschichte von höchst merkwürdiger Wirkung. Wenn man sich einbildet, man habe noch einen tüchtigen Schluck in seinem Glase und dann plötzlich findet, dass es vollkommen leer ist, so erzeugt dies ähnliche Empfindungen. Das Fräulein mit der vornehmen Vergangenheit schien aber diesen Mangel nicht zu fühlen, sondern lauschte den Erzählungen des Majors mit sichtlicher Aufmerksamkeit und verfehlte nicht, sie am Schlusse regelmässig mit einem »sehr interessant« oder »höchst geistreich« zu kritisiren. Da solches dem Major wohl selten vorzukommen pflegte, so that's ihm besonders wohl und bestärkte ihn in der günstigen Meinung, welche er von der Klugheit und ungewöhnlichen Bildung dieser Dame bereits gefasst hatte, sodass er nicht umhin konnte, bei solcher Gelegenheit unter heftigem Drehen des linken Schnurrbartes aus seinen hellen runden Augen ungemein wohlwollende Blicke auf sie zu richten. Schliesslich ward er durch solchen ungewohnten Beifall ganz entfesselt, und begann Manöver- und Exercirplatz-Geschichten zu erzählen, die zuweilen weder Hinten noch Vorn, noch eine Mitte hatten und fing an schrecklich zu lügen, z. B. von dem Lieutenant Besenried, der so ungeheuer lang war: » Wenn ich vor ihm stand, da sah ich immer blos Knöpfe, und wollte ich ihm in's Gesicht blicken, da war es so, als wenn man nach der Kirchthurmsuhr sieht. Aber das kann ich Sie versichern, Sie mögen es nun glauben oder nicht, wir hatten in der Kompagnie einen Kerl, der war noch länger. Der Kerl hiess Kickebusch und war aus Dramburg. Wenn er gesessen hatte und aufstand, dauerte es immer beinahe fünf Minuten bis er ganz oben war.«

Das regte nun Hühnchen wieder an, aus dem Schatze seiner Erfahrungen ähnliche Geschichten heraufzuholen, zum Beispiel von dem eisernen Ofen, welchen er erfunden, der nur des Morgens einmal aufgezogen zu werden braucht, wonach er auf Gummischuhen so lange in der Stube umherläuft, bis er warm geworden ist, sich dann in die Ecke stellt und heizt. Oder von dem Mausefallenthier auf Borneo, welchem die Natur einen Odem verliehen hat, der gar lieblich nach gebratenem Speck duftet, wodurch es die Mäuse, welche ihm zur Speise dienen, in seinen Rachen lockt. Während nun die Beiden also sich anlogen, ward es Frau Lore allmälig zu viel von dieser Sorte und sie brachte ein wenig Musik in Vorschlag. Dies wurde von allen Seiten mit Vergnügen aufgenommen, und das Fräulein musste trotz alles Sträubens an's Klavier, nachdem es sich herausstellte, dass sie Noten mitgebracht hatte. Sie wusste das zwar nicht gewiss, aber bei näherem Nachsuchen fanden sich in ihrem Pompadour eine ganze Menge vor. Die Dame war fast verwundert darüber, sie müsse dies ganz in Gedanken gethan haben, sie sei oft so hingenommen von ihren Ideen.

 

 


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