Heinrich Seidel
Neues Glockenspiel
Heinrich Seidel

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Herbstabend in der Heide

An Johannes Trojan.

1
            Was leuchtet mit hellem Schimmer
Aus rothem Heidekraut?
Das ist die weisse Heide,
Die man so selten schaut.

Ein Glückskind wer sie findet
Schimmernd im Abendroth!
Willkommen, ei willkommen!
Mir ist das Glück so noth!

 
2
Die schönen Tage fliehen,
Das Laub ist schon verdorrt,
Und Wandervögel ziehen
Ueber die Heide fort

Lässt sich der Tag nicht binden,
So ziehn sie hinterdrein,
Verschweben und verschwinden
Im goldnen Abendschein.

 
3
Mit tausend Augen schauen
Stiefmütterchen mich an.
»Was gehst du so alleine,
Du fremder Wandersmann?«

»Ich wandre nicht alleine,
Ihr blassen Blümchen ihr,
Viel tönende Gedanken
Gehn allezeit mit mir.«

 
4
Die Bienen summen emsig
Noch spät im Abendschein,
Sie sammeln und sie saugen
Den süssen Honig ein.

Und wie so rastlos jede
Von Blüth' zu Blüthe zieht,
Sieht schmunzelnd zu der Imker
Und denkt an den Profit.

 
5
Es raget über die Heide
Mit düstrem Felsenkranz
Das Hünengrab am Hügel
Im rothen Abendglanz.

»Zum ewigen Gedächtniss«
Ward dieses Mal gefügt,
Und niemand weiss zu sagen,
Wer dort begraben liegt.

 
6
Vom fernen Städtchen herüber
Schwimmt einsames Abendgeläut;
Heidschnucken weiden im Dümmer
Ueber das Feld zerstreut.

Und droben – ein leuchtendes Abbild
Der düstern Heidenatur –
Wandeln die rosigen Schäfchen
Auf goldner Himmelsflur.

 
7
Die Sonne ist gesunken,
Verdämmert der Abendschein,
Die feuchten Gründe spinnen
Sich sanft in Nebel ein.

Heimliche Sterne blinken
Am Himmelsangesicht,
Und in dem fernen Städtchen
Scheint hier und da ein Licht.

 
8
Nur meiner Schritte Tönen
Schallt in die Nacht hinaus,
Und durch die thauige Kühle
Wandre ich still nach Haus.

Fernab dem wüsten Treiben,
Fernab von Schmerz und Lust.
Glücksblumen in den Händen
Und Frieden in der Brust.

 


 


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