Heinrich Seidel
Neues Glockenspiel
Heinrich Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Eisfest

              Ein Wintersonntagnachmittag am Meer.
Des Nordens schneidend strenger Hauch, der weit
Die See zur Spiegelfläche umgewandelt,
Zeigt milder sich in seinem Regiment,
Bezwungen scheinbar von der Sonne Licht,
Die von des nebelblauen Himmels Rund
Die schrägen winterlichen Strahlen sendet.
So einsam liegt die kleine Nordseestadt;
Die Strassen leer, der Marktplatz öd' und still –
Denn Alle, Jung und Alt, so Mann als Weib
Zur Eislust zogen an die See hinaus.
Wettlaufen gab es heut, ein Schlittschuhfest,
Ein stählern frisches nordisches Vergnügen; –
Nur wer zu alt und krank, blieb heut zu Haus.

Dort auf dem Dünenhügel, nah am Strand
Im Fischerhaus, das hoch dort und allein
Hinschaut auf's Meer, blieb einsam auch zurück
Ein altes Mütterlein gelähmt und schwach.
Doch steht ihr Bett an's Fenster hingerückt,'
Dass sich ihr Auge an dem Jubel weide.
Sie blickt hinaus, wo ferne, weit vom Strand
Es freudig wühlt auf spiegelglattem Platt,
Wie's dort sich drängt, wo gastlich heller Rauch
Den immer neu gefüllten Punschnapf kündet.
Und dort, wie dicht, um's tragbare Theater,
Wo Kasperle die alten, ewig neuen
Nie ausbelachten Spässe treibt, und dort,
Wo würd'ge Bürger, wohlgewiegte Kenner,
Der Jugend Schlittschuhkünste kritisiren.
Und rings umher um dichteres Gedränge,
Unruhig wirrt und schwirrt es ab und zu
Und dehnt sich aus und breitet sich in's Weite,
Bis dann am Horizont in blauem Dümmer
Wie dunkle Punkte noch die fernsten irren.

Sie schaut und sinnt und denkt an alte Zeit,
An längst versunkne Winterlust zurück. –
Es war einmal ein Wintertag wie heut,
Und sie war jung, und all die bunte Lust
War noch ihr eigen – das war schöne Zeit.
Der junge Schiffer, der von langer Fahrt
Zurückgekehrt – drei Jahre war er fort
In Indien und China und so braun
Von fremder Sonne glühendheissem Brand –
Im Schlitten fuhr er sie – er bat so sehr.
Der sprach so Mancherlei – das klang so fremd
Und doch gefiel es ihr. Sie wusste nichts,
Was ihr bis jetzt so sehr gefallen hätte.
Dann kam er öfter in des Winters Lauf,
Am Abend, wenn man von der Arbeit ruht.
Sie sassen dann um's Feuer mit den Alten
Und sprachen hin und her so allerlei, –
Von fremden Ländern, wie es seltsam dort
Und anders ist. Der wusste zu erzählen:
Von der Chinesen schlitzgeäugtem Volk,
Vom braunen Indier, der am Ganges wohnt,
Von Sturm und Schiffbruch, – wie des Seemanns Loos
Ihn hin und herwirft wie der Wind die Welle.
Und jedesmal bracht' er ein seltsam Stück,
Ein bunt chinesisch Tuch, ein Götzenbild,
Ein farbig Schneckenhaus – und schenkt es ihr.
Und eines Tags, da es zum Frühling ging
Und seine bunten Schätze all' geschwunden,
Bracht' er ein einfach golden Ringlein mit,
Und sie ward seine Braut – und als er dann
Im Herbste endlich wieder heimgekehrt,
Da zogen sie selband in's Dünenhaus.
Ja, ja – so geht in Lust und Leid die Zeit.
Jetzt ruht er dort im Städtchen bei der Kirche,
Die Kinder sind schon gross und fortgezogen,
Und nur ein frühverwaistes Enkelkind
Blieb ihr zur Pflege in dem Haus zurück.

Sie sinnt und träumt und schauet in die Ferne,
Zum Horizont, wo sich im Winterduft
Die ungeheure Fläche still verliert. –
Da plötzlich zuckt sie – blicket starr hinaus!
Sie zittert – krampft sich an des Bettes Rand:
Das Wölkchen dort, das sich am Horizont
In weisslich grauem Schein wie Nebelduft
Unheimlich still und schnell zusammendichtet
Und wächst und aufrückt an des Himmels Rund,
Die Wetterwolke ist's, sie deutet Sturm!
Es täuscht sich nicht des Seemanns kund'ges Weib,
Sie weiss des Himmels Wolkenschrift zu lesen
Und diese deutet Sturm! Nur kurze Zeit,
Und des Orkanes riesenhafte Macht
Wühlt auf das Meer, wo es das Eis nicht bändigt
Und bricht und wüthet fort und fort,
Und eh' sie nur, die arglos hier vertraun,
Das Unheil ahnen, stürmt es schon herein
Und Alle, Alle müssen untergehn.
Sie ruft, sie schreit, sie will das Fenster öffnen!
Umsonst! der Frost hält es versperrt! Sie schlägt
Die Scheiben ein und schreit hinaus! Umsonst!
Ihr dünner Ruf versinkt im Meer der Luft
Wie eine Flocke! Gott, was soll ich thun?!
Die Wolke! Keine Stunde mehr! O Gott,
Hilf du doch, dass nicht Alle untergehn! –
Sie schaut auf Rettung hastend wild umher,
Sie findet nichts! – Da fällt ihr Blick
Zum flammenden Kamin. Ein Flammenschein
Des Jubels zuckt durch ihr Gesicht. »Herr Gott,
Ich danke dir! Du gabst mir den Gedanken!«
Sie richtet auf den vielgequälten Leib –
Und, ob's wie scharfe Schwerter ihr Gebein
Durchzuckt, sie schleppt sich aus dem Bett hervor –
Das Bettstroh reisst sie aus und streut's umher.
Dort in den alten Schrank, ein angeerbtes Stück,
Ein schön geschnitztes, nussbaumbraun Geräth,
Daran Erinnrung um Erinnrung ist geknüpft,
Daran ihr Herz seit ihrer Jugend hängt,
Stopft hastig sie das Stroh, und zum Kamin
Mit tausend Qualen kriecht sie mühsam hin
Und reisst den besten Feuerbrand hervor
Und zündet hier und zündet dort und bläst:
Hei, wie es flackert! Und nicht eher kriecht
Sie hin zur Thür, bis Alles flammt und glüht..
Sie bricht zusammen nun – sie rafft sich auf –
Der Rauch erstickt sie fast – doch jetzt die Thür! –
Und nun mit Brausen saust der Zug der Luft
Durch Thür und offnes Fenster in die Flamme.

Und mühsam schleppt die Kranke sich vor's Haus, –
Zusammensinkend bei dem alten Stein,
Wo sie so oft in schöner Sommerzeit
In stiller Abenddämmrung sonst gesessen.
Hei, wie's von Ferne fröhlich summt und braust:
Sie ruft und winkt. – Man hört und sieht es nicht,
Sie schaut zurück und bebt. Nur dünner Rauch
Geht sparsam durch die Fensterscheiben aus
Und scheint allmälig gänzlich zu verschwinden!
Da, endlich bricht es schwer und dicht hervor!
Aus Thür und Fenster wälzt sich schwarzer Rauch,
Die Flamme leckt mit rother Zunge nach,
Und nun, wie eine Säule in die Luft
Gewaltig steigt das Warnungszeichen auf
»Herr Gott, ich danke dir – es brennt, es brennt!«
So ruft sie aus – ohnmächtig sinkt sie hin.

Wie wenn ein Bienenvolk zur Sommerszeit
Zum Schwärmen dicht gedrängt sich summend fügt,
So läuft das Volk, das ,noch in bunter Lust
Verloren eben harmlos sich vergnügte,
Zusammen im Gewirr und starrt und staunt.
Und dann, wie aufgeschreckter Staare Flug
In dunklem Schwarm mit brausendem Getön
Strebt Alles unter Rufen, Fragen, Schreien,
In wild bewegter Hast dem Lande zu,
Und hastig naht der letzte dunkle Punkt:
Sie kommen Alle – keiner bleibt zurück.

Hinan zum Hügel stürmen schon die Einen:
Sie stehn und sehn dort oben. Keine Rettung!
Schon sank das Dach und Flammen überall.
»Hier liegt die Frau!« ruft Einer, »sie ist todt!«
»O nein, sie athmet noch, O seht sie regt sich!«
Die schlägt die Augen auf und sieht umher
Und sieht, wie's auf dem Hügel drängt und wächst,
Wie Alle, Alle kommen, und ein Schein
Glücksel'gen Lächelns klärt ihr Angesicht.
Ein wildes Fragen bricht auf sie herein:
»Wie ist's' geschehn? Was ist des Unglücks Grund?
O schweigt! Sie redet!« Stille wird es nun
Bis auf der Flamme Brausen, und die Glocke,
Die fern vom Thurm den Feuerangstruf sendet.
Den schwachen Arm erhebt das Mütterlein
Und deutet zitternd nur hinaus auf's Meer.
Und wie, als wenn des Ungewitters Wuth
Auf dieses Zeichen nur geharrt – ertönt
Aus jener Wolkenwand, die schwer und dräuend
Mit grausenhafter Schnelle steigt empor,
Ein klirrend Brausen fern und fürchterlich.
Dann stürmt's herbei in fesselloser Wuth!
Voran, hinirrend durch des Eises Plan,
Herolde, die des Herrschers Ankunft künden,
Springt mit des Donners Hallen Spalt auf Spalt!
Der Eisstaub fegt hinsausend durch die Luft,
Und an den Hügel stürzt des Windes Wuth,
Dass Brände, wie Raketen in die Luft
Hinsausen von der Brandstatt. Hei, und nun
Das Wasser, wie es durch des Eises Spalten
Vorleckt und dunkel züngelt! Dann empor
Steigt hier die Scholle, thürmt mit Schollen sich
Und stürzt mit Krachen. In die Lücke fasst
Des Sturmes Faust und bricht und wüthet weiter.
Die Wogen, von der Fessel nun befreit,
Sie jauchzen auf und stürzen auf die Dränger
Und nun in wildem Kampfe auf und ab –
Ein stürmisch krachend Wogen rings umher.
Die auf dem Hügel liegen auf den Knieen,
Bis milder wird der Sturm, der, wie er kam,
Verbraust und weitersaust. Und nun hervor
Mit weissem Haar, das hell im Winde weht,
Tritt an des Ufers ragend steilen Rand
Der alte Pfarrherr zu dem Mütterlein.
Er hält die Hand ihr segnend auf das Haupt,
Und deutet hin auf's Meer und spricht bewegt:
»Gelobt sei Gott! Er weiss es wohl zu machen!
Der Dank sei ihm, der mächtig ist im Schwachen!«

 


 


 << zurück weiter >>