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Siebenzehntes Kapitel.

Als Julian dem Denkmal von Goddard Crovan sich näherte, warf er manchen unruhigen Blick auf die Gegend, um zu sehen, ob irgend ein sichtbarer Gegenstand neben dem grauen Steine ihm kund thue, daß er an dem bestimmten Platze der Zusammenkunft von ihr, die ihn dazu eingeladen, erwartet werde. Wirklich währte es nicht lange, als das Flattern eines Schleiers, den die Luft leicht bewegte, und das Zurücklegen desselben auf die Schulter, ihn wahrnehmen ließ, daß Alexie schon den Ort ihrer Zusammenkunft erreicht hatte, und im nächsten Augenblicke war er an Alexiens Seite.

Daß Alexie dem Geliebten die Hand reichte, war eben so natürlich, als daß Julian sie ergriff und mit Küssen bedeckte, und eine Zeitlang ohne Verweis, während die andere Hand, welche der Befreiung der Linken hätte zu Hülfe kommen sollen, das Erröthen der Holden zu verbergen dienen mußte. Aber Alexie, so jung sie war, und durch so lange Gewohnheit freundlicher Vertraulichkeit an ihn geknüpft, wußte doch wohl den Drang ihrer eigenen verrätherischen Neigungen zu bezähmen.

»Das ist nicht recht,« hob sie an, indem sie ihre Hand aus der seinigen loswand, »das ist nicht recht, Julian. Wenn ich zu rasch eine solche Zusammenkunft, wie diese, zugelassen habe, so solltet Ihr mich nicht meine Thorheit empfinden lassen.«

Julian's Gemüth war frühzeitig mit dem romantischen Feuer erhellt worden, welches die Leidenschaft von dem Selbstsüchtigen läutert, und ihr den hohen und feinern Ton edelmüthiger, hingebender Verehrung mittheilt. Er ließ Alexiens Hand ehrerbietig los, und als sie sich auf das Bruchstück eines Felsens setzte, über welches die Natur ein Kissen von Moos, mit wilden Blumen untermischt, gebreitet, und eine Lehne von Strauchholz gestellt hatte, nahm er in bescheidener Entfernung neben ihr Platz. Alexie ward beruhigter, da sie die Macht erkannte, die sie über ihren Geliebten besaß, und die Selbstbeherrschung, welche Peveril bewies, und welche andere Mädchen in ihrer Lage für unverträglich mit der Stärke der Leidenschaft gehalten haben würden, schätzte sie richtiger als einen Beweis seiner hochachtungsvollen und uneigennützigen Aufrichtigkeit. Sie nahm in der Anrede an ihn wieder den früheren Ton von Vertraulichkeit an, und sagte: »Euer gestriger Besuch, Julian, Euer höchst unzeitiger Besuch hat mich sehr bekümmert. Er hat meinen Vater irre geleitet – er hat Euch in Gefahr gebracht. Ueber alle Bedenklichkeiten mich hinaussetzend, beschloß ich, Euch dieß wissen zu lassen, und mache mir keinen Vorwurf, wenn ich einen gewagten und unvorsichtigen Schritt gethan, indem ich diese einsame Zusammenkunft verlangte, seitdem Ihr inne geworden, wie wenig der armen Deborah zu trauen ist.«

»Könnt Ihr eine Mißdeutung von mir fürchten, Alexie?« erwiederte Peveril mit Wärme, »von mir, den Ihr so hoch begünstigt – so tief verpflichtet habt?«

»Höret auf mit Euren Betheurungen, Julian,« entgegnete sie; »Ihr lasset es mich nur um so mehr merken, daß ich zu kühn gehandelt habe. Aber ich that das Beste, was ich konnte. – Ich konnte Euch nicht sehen, den ich so lange gekannt habe – Euch, der Ihr sagt, Ihr betrachtetet mich mit Vorliebe« –

»Ich betrachtete Euch mit Vorliebe!« unterbrach sie Peveril. »Ach, Alexie, was für kalte Worte gebraucht Ihr, die ergebenste, die aufrichtigste Zuneigung zu bezeichnen!«

»Nun gut,« sagte Alexie verdrießlich, »wir wollen nicht über Worte streiten, aber unterbrecht mich nicht wieder. – Ich konnte, sagt' ich, Euch, der mich, glaub' ich, mit aufrichtiger, doch eitler und fruchtloser Anhänglichkeit betrachtet, nicht blindlings in eine Schlinge fallen sehen, getäuscht und verführt durch eben diese Gefühle gegen mich.«

»Ich verstehe Euch nicht, Alexie,« entgegnete Peveril; »auch kann ich keine Gefahr sehen, der ich jetzt ausgesetzt wäre. Die Gesinnungen, die Euer Vater gegen mich geäußert hat, sind von einer Art, die sich nicht mit feindseligen Absichten verträgt. Ist er nicht durch die kühnen Wünsche, die ich gehegt haben mag, beleidigt – und sein ganzes Betragen zeigt, daß er es nicht ist – so weiß ich keinen Mann auf Erden, von dem ich weniger eine Gefahr oder eine böse Absicht zu befürchten hätte.«

»Mein Vater,« sprach Alexie, »meint es wohl mit seinem Vaterlande und wohl mit Euch; doch fürcht' ich bisweilen, daß er seiner guten Sache mehr schade als nütze, und noch mehr besorg' ich, daß er bei dem Versuch, Euch als einen Beistand anzuwerben, die Bande vergißt, welche Euch festhalten sollten, und, ich glaub' es gewiß, festhalten werden auf einer ganz von der seinigen verschiedenen Linie.«

»Ihr führt mich in noch tiefere Dunkelheit, Alexie,« versetzte Peveril. »Daß Eures Vaters eigenthümliche Ansicht in der Politik sich weit von der meinigen entfernt, weiß ich wohl, aber wie viele Fälle, selbst während der blutigen Auftritte des Bürgerkriegs, haben sich ereignet, daß gute, würdige Männer die Vorurtheile ihres Parteigeistes beiseite setzten, und einander mit Ehrerbietung und selbst mit freundschaftlicher Anhänglichkeit begegneten, ohne auf einer von beiden Seiten ihren Grundsätzen untreu zu werden?«

»Es mag so sein,« sagte Alexie, »aber von dieser Art ist der Bund nicht, den mein Vater mit Euch zu knüpfen sucht, und welchen mit ihm zu schließen, wie er hofft, Eure übel angebrachte Vorliebe für seine Tochter bei Euch einen Beweggrund abgeben könnte.«

»Und was ist es,« fragte Peveril, »was ich unter einer solchen Aussicht ablehnen würde?«

»Verrätherei und Schande!« antwortete Alexie, »was Euch auf immer des armseligen Gutes, nach dem Ihr strebt, unwürdig machen würde, – ja, wäre es noch werthloser, als es ist.«

»Würde Euer Vater,« entgegnete Peveril, der ungern den von Alexien beabsichtigten Eindruck empfand – »würde er, dessen Ansichten von Pflicht so streng und ernst sind – würde er wünschen, mich in Etwas zu verwickeln, worauf solche harte Namen, als Verrätherei und Beschimpfung, auch nur mit dem leichtesten Schatten der Wahrheit angewandt werden könnten?«

»Versteht mich nicht unrecht, Julian,« sagte Alexie, »mein Vater ist unfähig, von Euch etwas zu verlangen, das nicht nach seiner Denkungsart recht und ehrbar wäre; nein, er glaubt, daß er bloß eine Schuld von Euch fordere, die ihm so gebührt, wie das Geschöpf dem Schöpfer, ein Mensch seinen Mitmenschen verpflichtet ist.«

»Wo kann dann in unserer Gemeinschaft etwas Gefährliches liegen?« erwiederte Julian. »Ist er entschlossen, nichts zu verlangen, und ich, nichts zu gewähren, als was aus Ueberzeugung fließt, was hab' ich zu fürchten, Alexie? und wie soll mein Umgang mit Eurem Vater gefährlich sein? Glaubt das nicht; seine Sprache hat schon in einzelnen Punkten Eindruck auf mich gemacht, und er hörte mit Aufrichtigkeit und Geduld die Einwürfe an, die ich ihm bei Gelegenheit machte. Ihr thut ihm Unrecht, wenn Ihr ihn mit den unvernünftigen Schwärmern in Politik und Religion vermengt, die auf keine Gründe hören, welche nicht ihre Vorurtheile begünstigen.«

»Julian,« versetzte Alexie, »Ihr seid es, der meines Vaters Fähigkeiten und seine Absicht mit Euch falsch beurtheilt, und Ihr setzet Eure Macht, Widerstand zu leisten, zu hoch an. Ich bin nur ein Mädchen, ich bin aber durch Umstände zum Selbstdenken und zur Beobachtung des Charakters derer, die mich umgeben, angeleitet worden. Meines Vaters kirchliche und politische Zwecke sind ihm so theuer, als das Leben, das er nur liebt, um sie zu befördern. Sie haben ihn, mit wenig Veränderung, durchs Leben begleitet, sie brachten ihn in einer gewissen Zeit zum Wohlstande, und als sie nicht zu den Zeiten paßten, so büßte er für seine Anhänglichkeit an dieselben. Sie sind nicht nur ein Theil, sondern der theuerste Theil seines Daseins geworden. Wenn er sie Euch nicht in der unbeugsamen Macht, die sie über sein Gemüth erlangt haben, sogleich zeigt, so glaubt nicht, daß sie deßhalb weniger mächtig sind. Wer Proselyten machen will, muß allmählich damit zu Werke gehen. Daß er aber irgend ein Stück dieser heilig bewahrten Grundsätze, die er bei gutem und schlechtem Rufe gleich behauptet hat, einem unerfahrnen jungen Mann, dessen herrschende Triebfeder er eine kindische Leidenschaft nennen möchte, zum Opfer bringen sollte – o träumt nicht eine solche Unmöglichkeit. Wenn Ihr überhaupt zusammentrefft, so müßt Ihr das Wachs, er muß das Siegel sein – Ihr müßt empfangen – er muß einen unbeschränkten Eindruck machen.«

»Das wäre unbillig,« sprach Peveril. »Ich will Euch frei gestehen, Alexie, daß ich kein geschworner, schwärmerischer Anhänger der Meinungen meines Vaters bin, so sehr ich seine Person hochschätze. Ich wollte, daß unsere Ritter oder Königlichgesinnten, oder wie sie sich immer nennen mögen, mehr billige Gesinnungen gegen diejenigen hegten, die über Kirche und Staat anders denken. Aber hoffen, ich würde die Grundsätze aufgeben, in welchen ich gelebt habe, hieße mich fähig halten, meiner Wohlthäterin untreu zu werden, und meinen Eltern das Herz zu brechen.«

»Eben so urtheile ich von Euch, und daher bat ich um diese Zusammenkunft, um Euch zu beschwören, daß Ihr allen Verkehr mit unserer Familie abbrechet – zu Euren Eltern zurückkehret, oder, was viel sicherer sein wird, noch einmal den Continent besucht, und warten möchtet, bis Gott England bessere Tage sendet, denn diese sind mit manchem Ungewitter schwanger.«

»Und Ihr könnt mich gehen heißen, Alexie?« sagte der junge Mann, indem er sie bei der Hand nahm, die sie ihm nicht verweigerte, »könnt Ihr mich gehen heißen, und doch eine Theilnahme an meinem Schicksal zu erkennen geben? Könnt Ihr mich, aus Furcht vor Gefahren, denen ich als Mensch, als ein gebildeter Mann und treuer Bürger muthig entgegen zu gehen verbunden bin, meine Eltern, meine Freunde, mein Vaterland auf unedle Art verlassen und mich in demselben Athemzuge von Euch und aller Glückseligkeit auf immer Abschied nehmen heißen? – Es ist unmöglich – ich kann nicht zugleich meine Liebe und meine Ehre aufgeben.«

»Da gibt es kein Mittel,« versetzte Alexie; aber sie konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, während sie so sprach; – »es gibt kein Mittel, was für eins es auch sei. Was wir einander unter günstigeren Umständen hätten sein können, daran dürfen wir jetzt nicht denken, und bei den jetzigen Verhältnissen, bei offener Fehde, die zwischen unsern Eltern und Freunden auszubrechen im Begriff ist, können wir nur wohlwollende Wünsche thun, kalt und aus der Ferne einander Gutes wünschen, und müssen uns trennen auf dieser Stelle und zu dieser Stunde, ohne uns je wieder zu treffen.«

»Nein, beim Himmel!« sprach Peveril, sowohl von seinen eigenen Gefühlen bewegt, als von dem Anblick der Rührung, die seine Freundin vergebens zurückzuhalten strebte, – »nein, beim Himmel! wir scheiden nicht, Alexie, wir scheiden nicht. Wenn ich mein Vaterland verlassen muß, so sollt Ihr meine Gefährtin in meiner Verbannung sein. Was habt Ihr zu verlieren? – Wen habt Ihr zu verlassen? – Euren Vater? – Die gute alte Sache, wie sie heißt, ist ihm theurer, als tausend Töchter, – und welches Band sonst fesselt meine Alexie an irgend einen Ort, wo ihr Julian nicht bei ihr lebt?«

»O Julian,« sagte sie, »warum machet Ihr mir meine Pflicht schmerzhafter durch träumerische Pläne, die Ihr nicht nennen solltet, oder auf die ich nicht hören sollte? Eure Eltern – mein Vater – es kann nicht sein!«

»Fürchtet nichts wegen meiner Eltern, Alexie,« erwiederte Julian, indem er sich dicht an ihre Seite drängte, und den Arm um sie zu schlingen wagte; »sie lieben mich, und sie werden bald in Alexien das einzige Wesen auf Erden lieben lernen, das ihren Sohn glücklich machen konnte. Und was Euren Vater betrifft, wenn Staats- und Kirchen-Intriguen ihm erlauben, Euch seine Gedanken zu widmen, wird er nicht glauben, daß Euer Glück, Eure Sicherheit besser besorgt werde, wenn Ihr meine Gattin seid, als wenn Ihr ferner unter der gedungenen Aufsicht jener Thörin bleibt? Was könnte sein Stolz Besseres für Euch wünschen, als das Gut, das einmal mein sein wird? Kommt also, Alexie, und weil Ihr mich zur Verbannung verurtheilt – weil Ihr einen Antheil an diesen Unternehmungen, die England zu bewegen anfangen, verweigert – kommt, und – denn Ihr allein könnt es – versöhnt mich mit Verbannung und Unthätigkeit, und gebt einem Manne Glückseligkeit, der um Euretwillen auf äußere Ehre Verzicht zu thun entschlossen ist.«

»Es ist nicht möglich,« sagte Alexie mit bebender Stimme. »Und doch, wie viele an meiner Stelle – allein gelassen und ohne Schutz, wie ich – Aber doch – ich darf nicht – um Euretwillen, Julian, – ich darf nicht.«

»Sagt das nicht, Ihr dürft um meinetwillen nicht, Alexie!« sprach Peveril mit Eifer; »das heißt die Grausamkeit mit Beleidigung vermehren. Wollt Ihr Etwas um meinetwillen thun, so werdet Ihr ja sagen; oder wollt Ihr dieß theure Haupt auf meine Schulter fallen lassen – das leiseste Zeichen – die Bewegung eines Augenlieds – wird Einwilligung anzeigen. Alles soll in einer Stunde bereit sein; in der andern soll uns der Priester vereinigen; und in einer dritten verlassen wir die Insel, und suchen unser Glück auf dem festen Lande.«

Aber während er so sprach, in froher Erwartung der Einwilligung, um die er flehte, fand Alexie Mittel, ihre Entschlossenheit wieder zu sammeln, welche, durch die Heftigkeit ihres Geliebten, ihre eigene Zuneigung und die Eigenthümlichkeit ihrer Lage wankend gemacht, sie beinahe ganz verlassen hatte. Sie machte sich aus seinem Arm los, mit dem er sie an seine Seite gedrängt hielt – erhob sich und sagte, indem sie seine Versuche, sich ihr zu nähern oder sie zurück zu halten, abwies, mit einem Ausdruck von Offenheit, und nicht ohne Würde: »Julian, ich wußte wohl, daß ich viel wagte, indem ich Euch zu dieser Zusammenkunft einlud; aber ich vermuthete nicht, daß ich so grausam sowohl gegen Euch, als gegen mich sein könnte, Euch entdecken zu lassen, was Ihr jetzt zu deutlich gesehen habt, daß ich Euch mehr liebe, als Ihr mich. Aber weil Ihr es wisset, so will ich Euch zeigen, daß Alexiens Liebe uneigennützig ist. Sie will keinen unedlen Namen in Euer altes Haus bringen –«

»Könnt Ihr so sprechen, Alexie,« unterbrach sie Julian. »Könnt Ihr solche Ausdrücke gebrauchen? und fühlt Ihr nicht, wie deutlich sie verrathen, daß es Euer eigener Stolz, nicht Achtung für mich ist, warum Ihr unserer beiderseitigen Glückseligkeit widerstrebt?«

»Nein, Julian, so ist es nicht,« antwortete Alexie mit Thränen in den Augen; »es ist das Gebot der Pflicht für uns Beide – der Pflicht, die wir nicht übertreten können, ohne unsere Glückseligkeit hier und dort zu gefährden. Denkt, was ich, die Ursache von Allem, fühlen müßte, wenn Euer Vater zürnt, Eure Mutter weint, Eure edlen Freunde sich entfernen, und Ihr, sogar Ihr selbst, die schmerzliche Entdeckung gemacht haben werdet, daß Ihr Euch die Verachtung und den Unwillen Aller zugezogen habt, um eine kindische Leidenschaft zu befriedigen; und daß die arme Schönheit, die einmal hinreichte, Euch irre zu leiten, allmählig unter Gram und Kummer hinwelkt. Dieß will ich nicht zu besorgen haben. Ich sehe deutlich, es ist das Beste, wir brechen hier ab, und trennen uns, und ich danke Gott, der mir Erleuchtung und Kraft genug gibt, sowohl Eure als meine eigne Thorheit einzusehen und zu bekämpfen. Lebt also wohl, Julian; empfangt aber erst meinen ernsten Rath, weßwegen ich Euch hieher rief: – Scheut meinen Vater – Ihr könnt seinen Weg nicht gehen, und der Dankbarkeit und der Ehre treu bleiben. Was er aus reinen und achtbaren Beweggründen thut, dabei könnt Ihr ihm nicht helfen, ausgenommen auf Eingebung einer albernen und eigennützigen Leidenschaft, und mit Gefährdung aller Verbindungen, in die Ihr beim Eintritt in's Leben gesetzt worden seid.«

»Noch einmal, Alexie,« sprach Julian, »ich verstehe Euch nicht. Ist ein Verfahren gut, so bedarf es keiner Rechtfertigung aus dem Beweggrunde des Thäters, – ist es schlecht, so kann es daher keine erhalten.«

»Ihr könnt mich nicht mit Eurer Sophisterei blenden, Julian,« sagte Alexie, »so wenig Ihr mich mit Eurer Leidenschaft zu überwältigen vermöcht. Hätte der Patriarch seinen Sohn aus einem geringern Grunde, als aus Treue und Gehorsam gegen einen göttlichen Befehl zum Tode bestimmt, so hätte er einen Mord und kein Opfer beabsichtigt. Wie viele zogen in unserm letztern blutigen und traurigen Kriege auf beiden Seiten das Schwert aus den reinsten und achtbarsten Beweggründen? Wie viele auf die strafbaren Eingebungen des Ehrgeizes, der Selbstsucht und des Wunsches zu plündern? Noch einmal, ich warne Euch, meidet meinen Vater – verlaßt diese Insel, welche bald von auffallenden Ereignissen beunruhigt werden wird – so lange Ihr bleibt, seid auf Eurer Hut – mißtrauet jeder Sache – seid argwöhnisch gegen Jeden, selbst den, gegen welchen Verdacht zu hegen nach den Umständen unmöglich scheint, – trauet selbst nicht den Steinen des geheimsten Zimmers in Holm-Peel; denn was Flügel hat, kann die Sache weiter tragen.«

Hier brach Alexie plötzlich ab und stieß einen schwachen Schrei aus; denn von dem Gebüsch her, das ihn verborgen hatte, kam ihr Vater und trat plötzlich vor sie hin.

Es war dieß das zweite Mal, daß die geheimen Zusammenkünfte der Liebenden durch Bridgenorth's unerwartete Erscheinung unterbrochen wurden. Bei dieser Gelegenheit zeigte sein Gesicht Zorn mit Würde gemischt. Selbst sein Zorn jedoch brachte keine heftigere Bewegung hervor, als einen kalten Ernst in Benehmen und Sprache. »Ich danke dir, Alexie,« begann er zu seiner Tochter, »für die Mühe, die du dir gegeben hast, meine Absichten mit diesem jungen Manne und mit dir zu vereiteln. Ich danke dir für die Winke, die du vor meiner Erscheinung gabst, deren Ueberraschung allein dich verhindert hat, dein Zutrauen bis zu einer Höhe zu treiben, welche mein und Andrer Leben einem jungen Menschen preisgegeben hätte, der, wenn ihm die Sache Gottes und seines Vaterlandes vorgelegt wird, nicht Muße hat, darüber nachzudenken; so sehr ist er mit einem Mädchengesicht, wie das deine, beschäftigt.«

Alexie, todtenbleich, blieb bewegungslos mit gesenktem Blick, ohne den geringsten Versuch, die beißenden Vorwürfe ihres Vaters zu beantworten.

»Und Ihr,« fuhr Bridgenorth fort, indem er sich zu Julian wandte – »Ihr habt das offene Vertrauen, das ich mit wenig Vorbehalt in Euch setzte, wohl vergolten. Euch hab' ich auch einige Lectionen zu danken, welche mich mit dem bäurischen Blut, das mir die Natur in die Adern gegossen, und mit der rohen Erziehung, die mir mein Vater gegeben, zufrieden sein lehren.«

»Ich verstehe Euch nicht, Herr Major,« entgegnete Julian, welcher, bei dem Gefühle der Nothwendigkeit, Etwas zu sagen, doch zugleich nichts Passenderes finden konnte.

»Ja, ich danke Euch,« fuhr Bridgenorth in demselben kalten, bittern Tone fort, »daß Ihr mir gezeigt habt, daß der Bruch der Gastfreundschaft, eine Verletzung des Zutrauens und dergleichen kleine Sünden dem Charakter und Betragen eines ritterlichen Hauses von zwanzig Ahnen nicht ganz fremd sind. Es ist eine große Lehre für mich, mein Herr; denn bisher hatt' ich mit dem Pöbel geglaubt, edle Sitten kämen mit edlem Blut. Aber vielleicht ist Artigkeit eine zu ritterliche Eigenschaft, um im Verkehr mit einem puritanischen Schwärmer, wie ich bin, verschwendet zu werden.«

»Herr Major,« versetzte Julian, »was auch bei dieser Zusammenkunft Euch Mißfälliges vorgekommen sein mag, es war die Wirkung der durch den entscheidenden Augenblick plötzlich und stark belebten Gefühle – es war nichts Absichtliches.«

»Auch wohl sogar Eure Zusammenkunft nicht, denk' ich?« erwiederte Bridgenorth in demselben kalten Tone. »Ihr kamt hieher von Holm-Peel geritten, – meine Tochter von Blackfort, und Zufall unstreitig bestimmte eine Zusammenkunft am Steine Goddard Crovan? – Junger Mann, beschimpft Euch doch nicht durch fernere Entschuldigungen – sie sind schlimmer als vergeblich. – Und du, Mädchen, die du, in Besorgniß, deinen Liebhaber zu verlieren, nahe daran warest, das zu verrathen, was einem Vater sein Leben könnte gekostet haben – begib dich nach Hause. Ich will mit dir bei mehr Muße sprechen, und dich jene Pflichten lehren, die du vergessen zu haben scheinst.«

»Auf Ehre, Herr Major,« sagte Julian, »Eure Tochter ist unschuldig an Allem, was Euch beleidigen kann. Sie widerstand jedem Vorschlage, welchen die hartnäckige Heftigkeit meiner Leidenschaft mir abdrang, ihr aufzunöthigen.«

»Kurz und gut,« entgegnete Bridgenorth, »ich soll nicht glauben, daß Ihr an diesem entfernten Platze auf Alexiens besondere Anstiftung zusammen gekommen seid?«

Peveril wußte nicht, was er antworten sollte, und Bridgenorth winkte wieder seiner Tochter mit der Hand, sich zu entfernen.

»Ich gehorche Euch, Vater,« sprach Alexie, welche sich unterdessen von ihrer außerordentlichen Bestürzung erholt hatte, – »ich gehorche Euch; aber der Himmel ist mein Zeuge, daß Ihr mir mehr als Unrecht thut, wenn Ihr mich für fähig haltet, Eure Geheimnisse zu verrathen, selbst wenn es nöthig wäre, um mein oder Julians Leben zu retten. Daß Ihr einen gefährlichen Weg gehet, weiß ich wohl; aber Ihr thut es mit offenen Augen, und werdet durch Beweggründe getrieben, deren Werth und Gehalt Ihr schätzen könnt. Mein einziger Wunsch war, daß dieser junge Mann nicht blindlings sich in dieselben Gefahren einlassen sollte; und ich hatte ein Recht, ihn zu warnen, weil die Gefühle, die ihn blenden, eine unmittelbare Beziehung auf mich hatten.«

»Es ist gut, meine Tochter, du hast das Deinige gesagt,« erwiederte Bridgenorth. »Nun geh, und laß mich die Verhandlung vollenden, die du doch schon so ziemlich eingeleitet hast.«

»Ich gehe, Vater,« sagte Alexie. – »Julian, Euch gehören meine letzten Worte, und ich würde sie mit meinem letzten Athemzuge sprechen, – Lebt wohl, und seid vorsichtig.«

Sie entfernte sich von ihnen, und verschwand im Gebüsch.

»Ein ächtes Weib,« sprach ihr Vater, indem er ihr nachsah. »Sie würde eher die Sache ganzer Nationen aufgeben, als ihrem Liebhaber ein Haar krümmen lassen. – Ihr, Herr Peveril, seid ohne Zweifel ihrer Meinung, daß die beste Liebe eine sichere Liebe ist?«

»Wäre bloß Gefahr auf meinem Wege,« sagte Peveril, sehr überrascht von dem sanfteren Ton, in welchem Bridgenorth diese Bemerkung machte, »so gibt es wenig Dinge, denen ich nicht muthig entgegen ginge, um – um – Eure gute Meinung zu verdienen.«

»Oder vielmehr meiner Tochter Hand zu gewinnen,« sprach Bridgenorth. »Gut, junger Mann, Eins hat mir in Eurem Betragen gefallen, ob ich gleich über Vieles mich zu beschweren Gründe habe – Eins hat mir gefallen. Ihr habt die Scheidewand von aristokratischem Stolz überstiegen, hinter welcher Euer Vater, und vermuthlich auch seine Väter eingekerkert blieben, wie innerhalb der Ringmauern einer Lehensfestung. – Ihr seid über diese Schranken gesprungen, und zeigt Euch nicht abgeneigt, Euch mit einer Familie zu verbinden, welche Euer Vater als niedrig geboren und unedel verachtet.«

Julian fand es im höchsten Grade schwer, auf diese Worte zu antworten. Am Ende aber, da er merkte, daß Bridgenorth entschlossen schien, ruhig seine Antwort abzuwarten, faßte er den Muth, zu sagen: »Die Gefühle, die ich gegen Eure Tochter hege, Herr Major, sind von einer Art, die vieler andern Betrachtungen überhebt, denen ich, in jedem andern Fall, die ehrerbietigste Aufmerksamkeit zu widmen für Pflicht halten würde. Ich will es nicht verhehlen, daß meines Vaters Vorurtheile wider eine solche Verbindung sehr stark sein würden, aber ich glaube zuversichtlich, sie würden verschwinden, wenn er Alexiens Werth kennen lernte, und sich überzeugte, daß sie allein seinen Sohn glücklich machen kann.«

»Unterdessen,« versetzte Bridgenorth, »wünscht Ihr die vorgesetzte Verbindung, ohne Wissen Eurer Eltern, zu vollziehen, und wollt es auf ihre nachherige Genehmigung ankommen lassen. So verstehe ich es, nach dem meiner Tochter nur vor Kurzem gemachten Antrage.«

Julian war für einen Augenblick stumm, in dem eitlen Versuch, seine Antwort so einzurichten, daß sie zugleich Zufriedenheit mit Bridgenorths Vorschlag und eine Rechtfertigung seiner eignen Rücksicht auf seine Eltern und auf die Ehre seines Hauses ausdrücken sollte. Diese Zögerung erregte Verdacht, und Bridgenorths Auge funkelte und seine Lippe zitterte, während er demselben Luft machte. »Hört Ihr, junger Mann,« sprach er, »handelt offen mit mir in dieser Angelegenheit, wenn Ihr nicht haben wollt, daß ich Euch für den abscheulichen Schurken halten soll, der unter Versprechungen, die er nie zu erfüllen im Sinn hatte, ein unglückliches Mädchen verführt haben würde. Laßt mich dieß nur argwöhnen, und Ihr sollt auf der Stelle sehen, inwiefern Euer Stolz und Euer Stammbaum Euch vor der gerechten Rache eines Vaters bewahren kann.«

»Ihr thut mir unrecht,« sagte Peveril – »Ihr thut mir unendlich unrecht, Herr Major. Ich bin der Niederträchtigkeit, die Ihr meint, nicht fähig. Der Antrag, den ich Eurer Tochter machte, war ganz aufrichtig; ich ward bloß verlegen, weil Ihr es für nöthig haltet, mich so genau zu prüfen, und alle meine Vorsätze und Gesinnungen in ihrer vollesten Ausdehnung zu wissen, ohne mir Eure eigenen zu entdecken.«

»Euer Antrag also,« sprach Bridgenorth, »lautet folgendermaßen: Ihr seid Willens, mein einziges Kind aus seinem Vaterlande in die Verbannung zu führen, um ihr einen Anspruch auf das Wohlwollen und den Schutz Eurer Familie zu gewähren, welcher, wie Ihr wißt, nicht geachtet werden wird, unter der Bedingung, daß ich Euch ihre Hand mit hinlänglichem Vermögen zu geben einwillige, um dem Eurer Vorfahren (als sie noch am meisten auf ihren Reichthum stolz sein konnten) die Wage zu halten. Dieß, junger Mann, scheint kein gleicher Handel zu sein. – Und doch« – setzte er nach einer kleinen Pause hinzu – »achte ich die Güter dieser Welt so wenig, daß es nicht ganz außer Euerer Macht stehen könnte, mich mit der mir vorgeschlagenen Partie zu versöhnen, so ungleich sie immer erscheinen mag.«

»Zeiget mir nur die Mittel, mir Eure Gunst zu gewinnen, Herr Major,« sagte Peveril; – »denn ich will nicht zweifeln, daß sie mit meiner Ehre und Pflicht übereinstimmen, – und Ihr sollt bald sehen, wie eifrig ich Euren Rathschlägen folgen, oder mich Euren Bedingungen unterwerfen werde.«

»Sie lassen sich in wenige Worte fassen,« erwiederte Bridgenorth. »Seid ein rechschaffener Mann und der Freund Eures Vaterlandes.«

»Niemand hat je gezweifelt,« versetzte Peveril, »daß ich Beides bin.«

»Verzeihet mir,« entgegnete der Major; »Niemand hat Euch bis jetzt noch als einen von Beiden sich zeigen gesehen. Unterbrecht mich nicht – Ich bezweifle nicht Euren Willen, Beides zu sein; aber Ihr habt bisher weder Einsicht, noch Gelegenheit gehabt, welche nöthig sind, Eure Denkungsart oder Euren Dienst fürs Vaterland zu beweisen. Ihr habt gelebt, als eine Unempfindlichkeit der Gemüther, die auf die Unruhen des bürgerlichen Krieges folgte, die Menschen gleichgültig gegen Staatsangelegenheiten und geneigter machte, für ihr eigenes Vergnügen zu sorgen, als vor dem Riß zu stehen, da der Herr mit Israel rechtete. Allein wir sind Engländer, und können nicht lange in solcher unnatürlichen Schlafsucht bleiben. Bereits betrachten Viele von denen, welche am lebhaftesten die Rückkehr Carl Stuarts wünschten, ihn als einen König, den uns der Himmel auf unser zudringliches Bitten in seinem Zorn gegeben hat. Seine unbegrenzte Uepppigkeit hat die Gemüther aller besonnenen und denkenden Männer mit Widerwillen erfüllt. Ich hätte jetzt nicht eine so vertraute Unterredung mit Euch gepflogen, wenn ich nicht wahrgenommen hätte, daß Ihr frei seid von diesen Flecken der Zeit. Der Himmel hat dem König einen Erben aus seiner Ehe versagt, und in dem düstern und strengen Charakter seines bigotten Nachfolgers sehen wir schon, was für ein Monarch den Thron Englands nach ihm einnehmen werde. Dieß ist eine kritische Periode, in welcher es die Pflicht aller Menschen, eines jeden nach seinem Stande, ist, vorwärts zu schreiten, und dem Vaterlande beizustehen, das uns die Geburt gab.«

Peveril erinnerte sich der Warnung, die er von Alexien erhalten hatte, und schlug die Augen nieder, ohne eine Antwort zu geben.

»Wie ist es, junger Mann,« fuhr Bridgenorth nach einer Pause fort; »so jung, als Ihr seid, und durch keine Bande verwandter Sittenlosigkeit mit den Feinden Eures Vaterlandes verbunden, könnt Ihr fühllos gegen die Ansprüche sein, die es in dieser Krisis an Euch machen mag?«

»Es wäre leicht, Euch im Allgemeinen Antwort zu geben, Herr Major,« versetzte Peveril; »es wäre leicht zu sagen, daß mein Vaterland keinen Anspruch an mich machen kann, dem ich nicht auf Gefahr von Gut und Blut bereitwillig genügen würde. Aber mit solchen allgemeinen Ausdrücken würden wir einander nur täuschen. Von welcher Beschaffenheit ist dieser Aufruf? Wer läßt ihn ergehen? Und was wird der Erfolg sein? Denn ich glaube, Ihr habt schon genug von den Uebeln des bürgerlichen Kriegs gesehen, um Euch zu hüten, seine Schrecknisse in einem friedlichen und glücklichen Lande von Neuem zu wünschen.«

»Menschen, die mit giftigen Betäubungsmitteln getränkt worden sind,« sagte der Major, »müssen von ihren Aerzten erweckt werden, geschähe es auch durch den Schall der Trompete. Es ist besser, daß sie tapfer, mit den Waffen in der Hand, gleich freigebornen Engländern, sterben, als daß sie in das unblutige, aber ehrlose Grab sinken, welches Sklaverei ihren Vasallen öffnet. – Aber der Krieg war es nicht, von dem ich sprechen wollte,« setzte er hinzu, indem er einen milderen Ton annahm. »Die Uebel, über die England jetzt klagt, sind von der Art, daß ihnen durch die heilsame Verwaltung seiner eignen Gesetze, selbst in dem Zustande, worin man sie noch bestehen läßt, abgeholfen werden kann. Haben diese Gesetze nicht ein Recht, von jedem Einzelnen, der unter ihnen lebt, aufrecht erhalten zu werden? Haben sie nicht ein Recht auf Eure Unterstützung?«

Da er auf eine Antwort zu warten schien, erwiederte Peveril: »Ich muß erst lernen, Herr Major, wie Englands Gesetze so weit geschwächt worden sind, daß sie eine solche Stütze, wie die meinige, nöthig haben können. Ist mir dieses klar, so wird Niemand die Pflicht eines Lehnsmannes gegen das Gesetz sowohl, als gegen den König treuer erfüllen. Aber Englands Gesetze stehen unter der Aufsicht aufrichtiger und gelehrter Richter und eines gnädigen Monarchen.«

»Und eines Unterhauses,« unterbrach ihn Bridgenorth, »das, wie von einem Donnerschlage, zu dem Gefühl des gefährlichen Zustandes unserer Religion und unserer bürgerlichen Freiheit erweckt worden ist. Ich berufe mich auf Euer eigenes Gewissen, Julian Peveril, ob dieses Erwachen nicht zur rechten Zeit erfolgt ist, weil Ihr selbst, und Niemand besser, als Ihr, die raschen Schritte kennt, die Rom gemacht hat, seinen Götzendienst in unserm protestantischen Lande zu errichten.«

Da hier Julian die Spur von Bridgenorths Argwohn sah oder zu sehen glaubte, so eilte er, sich von dem Verdacht einer Begünstigung der römisch-katholischen Religion zu befreien. »Es ist wahr,« sagte er, »ich bin in einer Familie erzogen worden, wo jener Glaube von einer geehrten Person bekannt worden ist, und ich bin seitdem in papistische Länder gereist; aber eben deßwegen habe ich das Papstthum zu nahe gesehen, um seinen Grundsätzen gewogen sein zu können. Die Andächtelei der Laien – die beharrlichen Kunstgriffe der Priesterschaft – die stete Intrigue für die Ausbreitung der Formen ohne den Geist der Religion – die Anmaßung jener Kirche über die Gewissen der Menschen – ihre stolzen Ansprüche auf Unfehlbarkeit, sind in meinem Geiste eben so unverträglich, als sie nur in dem Eurigen scheinen können, mit gesundem Verstande, Vernunft, Gewissensfreiheit und reiner Religion.«

»Gesprochen gleich dem Sohne Eurer vortrefflichen Mutter,« sprach Bridgenorth, und faßte ihn bei der Hand, »um derentwillen ich so Vieles von Eurem Hause habe unvergolten sein lassen, selbst als die Mittel zur Vergeltung in meiner Hand waren.«

»Es war allerdings Folge der Belehrungen dieser vortrefflichen Mutter,« erwiederte Peveril, »daß ich fähig war, in meiner frühen Jugend die hinterlistigen Angriffe zurückzutreiben, welche katholische Priester, deren Gesellschaft ich nicht vermeiden konnte, auf meinen religiösen Glauben machten. Gleich ihr, hoffe ich in dem Glauben der reformirten Kirche Englands zu leben und zu sterben.«

»Der Kirche Englands!« rief Bridgenorth, indem er seines jungen Freundes Hand fallen ließ, aber sogleich wieder ergriff – »Oh! diese Kirche, wie sie jetzt beschaffen ist, maßt sich kaum weniger, als Rom selbst, über die Gewissen und die Rechte der Menschen an; doch aus der Schwäche dieser halb reformirten Kirche kann es Gott gefallen, Englands Befreiung und seinen eignen Ruhm hervorgehen zu lassen. Es kommt uns nicht zu, das Werkzeug zu bestimmen, womit unsere Flucht aus dem Netze des Voglers bewirkt wird. Genug, daß ich Euch zwar noch nicht mit dem Licht der reinern Lehre erleuchtet finde, sondern nur vorbereitet, Vortheil von demselben zu erhalten, wenn sein Funke Euch erreichen wird. Genug, daß ich Euch willig finde, Euer Zeugniß zu erheben, und laut zu schreien und ohne Schonung gegen die Irrthümer und die Ränke der römischen Kirche. Aber bedenkt, daß Ihr bald werdet aufgefordert werden, das, was Ihr jetzt gesagt, auf die feierlichste, ernsthafteste Art zu rechtfertigen.«

»Was ich gesagt habe,« erwiederte Julian, »als die geradeste Gesinnung meines Herzens, soll, bei keiner schicklichen Gelegenheit, durch mein offenes Bekenntniß unbekräftigt bleiben, und ich wundere mich, daß Ihr daran zweifelt.«

»Ich zweifle daran nicht, mein junger Freund,« sagte Bridgenorth; »und ich hoffe, Euren Namen unter denen gefeiert zu finden, welche die Beute dem Mächtigen entreißen sollen. Gegenwärtig erfüllen Vorurtheile Eure Seele, gleich dem starken Hüter des Hauses, der in der Schrift erwähnt wird. Aber es wird ein stärkerer kommen, als er, und mit Gewalt eindringen, und auf den Zinnen das Zeichen des Glaubens aufstecken, in welchem allein Rettung gefunden wird. – Wache, hoffe und bete, daß die Stunde kommen möge.«

Hier entstand eine Pause, welche Peveril zuerst unterbrach. »Ihr habt in Räthseln zu mir gesprochen, Herr Major, und ich habe Euch um keine Erklärung gebeten. Hört auf eine Warnung von meiner Seite, die ich mit dem aufrichtigsten Wohlwollen gebe. Nehmt einen Wink von mir an, und glaubet ihm, wenn er auch dunkel ausgedrückt ist. Ihr seid hier – so glaubt man wenigstens – in einer gefährlichen Sendung an den Herrn der Insel. Diese Gefahr wird auf Euch selbst zurückfallen, wenn Ihr diese Insel länger zu Eurem Aufenthalt macht. Laßt Euch warnen, und reiset bei Zeiten ab.«

»Und meine Tochter soll ich der Aufsicht Julian Peveril's überlassen? Lautet Euer Rath so, junger Mann?« sprach Bridgenorth. »Ich bin gewohnt gewesen, in schlimmern Gefahren, als mich gegenwärtig umgeben, mein eigener Führer zu sein. Aber ich danke Euch für Eure Warnung, welche, wie ich gern glauben will, wenigstens zum Theil uneigennützig war.«

»Wir scheiden also doch nicht im Unwillen?« fragte Peveril.

»Nein, nicht im Unwillen, mein Sohn,« sagte Bridgenorth, »sondern in Liebe und starker Zuneigung. Was meine Tochter anlangt, so müßt Ihr jeden Gedanken aufgeben, sie zu sehen, außer durch mich. Eure Bewerbung nehme ich weder an, noch verwerf' ich sie; dieß Einzige vertrau' ich Euch nur: wer mein Sohn sein will, muß sich als das treue und liebende Kind seines unterdrückten und getäuschten Vaterlandes zeigen. Lebt wohl, antwortet mir jetzt nicht; Ihr seid noch in bitterer Stimmung, und es könnte (was ich nicht wünsche) Streit zwischen uns entstehen. Ihr sollt eher von mir wieder hören, als Ihr glaubt.«

Er schüttelte Peveril herzlich die Hand, sagte ihm nochmals Lebewohl, und ließ ihn unter dem verworrenen und gemischten Eindruck von Vergnügen, Zweifel und Verwunderung zurück. Nicht wenig verwundert, sich bei Alexiens Vater so weit in Gunst zu finden, daß sein Gesuch sogar durch bedingte Aufmunterung begünstigt wurde, konnte er sich doch nicht enthalten, aus der Sprache sowohl der Tochter, als des Vaters zu argwöhnen, daß Bridgenorth, als Preis seiner Gunst, wünschte, er möchte ein Betragen annehmen, das mit den Grundsätzen, worin er erzogen worden, sich nicht vertrug.

Unter diesen Gedanken sattelte er sein Pferd, legte ihm das zum freien Weiden gelöste Gebiß wieder an, saß auf und verfolgte seinen Rückweg nach dem Schlosse Holm-Peel, wo, wie er zu fürchten sich nicht enthalten konnte, in seiner Abwesenheit etwas Außerordentliches vorgefallen sein dürfte.

Aber das alte Gebäude erhob sich bald vor ihm heiter und in ernster Stille zwischen dem schlafenden Ocean. Die Fahne, welche anzeigte, daß der Gebieter von Man innerhalb seiner verfallenen Ringmauern residirte, hing bewegungslos an ihrem Stabe. Die Schildwachen schritten auf und ab an ihren Posten, und summten oder pfiffen ihre Lieder. Julian ließ sein treues Roß, wie vorher, im Dorfe zurück, und begab sich in das Schloß, wo er Alles in demselben Zustande der Ruhe und guten Ordnung fand, welche das äußere Ansehen verkündigt hatte.



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