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Zehntes Kapitel.

Wir überspringen nun vier bis fünf Jahre, deren Begebenheiten, nach unserm jetzigen Zweck, zur Erörterung kaum eben so vieler Zeilen bedürfen. Der Ritter und seine Gemahlin blieben auf ihrem Schloß; sie suchte mit Klugheit und mit Geduld den Schaden, welchen die Bürgerkriege ihrem Vermögen gebracht, zu ersetzen, und murrte wohl ein wenig, wenn ihre Plane von Wirthschaftlichkeit durch die freigebige Gastfreundschaft ihres Mannes unterbrochen wurden, welche seinen Hauptaufwand ausmachte, und welcher er nicht bloß aus angeborner Herzlichkeit, sondern auch um die Würde seiner Ahnen zu behaupten, ergeben war.

Im Ganzen verfloß dem Paare das Leben glücklich und bequem. Des Ritter Peveril's Schuld an seinen Nachbar Bridgenorth blieb freilich noch ungetilgt; aber dieser war der einzige Gläubiger auf dem Martindaler Grundstück; alle andern waren bezahlt. Es wäre sehr erwünscht gewesen, daß auch diese Pflicht abgetragen worden wäre, und es war der Hauptzweck von Margrethens Wirthschaftlichkeit, es dahin zu bringen; denn obgleich der Zins regelmäßig bei Herrn Win-the-Fight, dem Chesterfielder Sachwalter, abgetragen wurde, so konnte doch das Kapital, welches bedeutend war, zu einer ungelegenen Zeit gefordert werden. Dieser Advokat war überdieß düster, anspruchsvoll und verschlossen, und schien immer an seinen auf dem Kirchhofe von Martindale und Moultrassie verwundeten Kopf zurückzudenken.

Die Lady verhandelte bisweilen das nothwendige Geschäft mit ihm in Person; und wenn er bei diesen Gelegenheiten auf das Schloß kam, glaubte sie einen boshaften und unfreundlichen Ausdruck in seinen Geberden und Benehmen zu lesen. Doch war sein wirkliches Verhalten nicht bloß ehrlich, sondern edel; denn in Hinsicht der Bezahlung wurde Nachsicht gegeben, wenn die Umstände den Schuldner sie zu fordern nöthigten. Es schien der Lady, daß der Agent in solchen Fällen unter strengen Befehlen seines abwesenden Herrn handle, über dessen Wohlergehen sie sich einer gewissen Unruhe nicht entschlagen konnte.

Kurz nachdem die Friedensunterhandlung durch den Zweikampf, welchen Peveril mit Bridgenorth zu eröffnen versuchte, fehlgeschlagen hatte, überließ der Letztere seinen Sitz zu Moultrassie-Hall der Sorge seines alten Hausverwalters und reiste ab, Niemand wußte wohin, in Solsgrace's Gesellschaft, nebst seiner Tochter Alexie und der Deborah Debbitch, die als Wärterin angenommen worden war.

Eine Zeitlang ging das Gerücht, Major Bridgenorth habe sich bloß auf einen entlegenen Theil des Landes für eine Weile zurückgezogen, um sein muthmaßliches Vorhaben, seine Verheirathung mit Deborah auszuführen, und die Neuigkeit veralten, und das Lachen der Nachbarschaft vorübergehen zu lassen, ehe er sie als Frau von Moultrassie-Hall zurückbrächte. Dieß Gerücht verlor sich; und es wurde dann behauptet, er sei in fremde Länder gegangen, um sich der Fortdauer der Gesundheit seiner zarten und schwächlichen kleinen Alexie zu versichern. Als man aber an des Majors Scheu vor dem Pabstthum, und Solsgrace's noch stärkere Abneigung zurückdachte, glaubte man allgemein, sie wären nach Neu-England gegangen, dem damaligen Zufluchtsort so Vieler, welche der zu vertraute Verkehr mit den Angelegenheiten der letztern Zeit, oder das Verlangen unumschränkte Freiheit des Gewissens zu genießen, zur Auswanderung aus Großbritannien bewogen hatte.

Lady Peveril konnte sich eines unbestimmten Gedankens nicht enthalten, daß Bridgenorth doch nicht so weit gegangen sei. Die äußerste Ordnung, in welcher Alles zu Moultrassie-Hall gehalten wurde, schien zu beweisen, daß das Auge des Hausherrn nicht so weit entfernt sei, daß nicht eine plötzliche Musterung von ihm zu befürchten wäre.

Ungefähr fünf Jahre nachdem Herr Bridgenorth das Land verlassen hatte, ereignete sich ein besonderer Vorfall. Der Ritter Peveril war bei dem Wettrennen in Chesterfield, und Lady Peveril, welche in alle Gegenden der Nachbarschaft unbegleitet, oder bloß mit Ellesmere, oder ihrem kleinen Knaben zu lustwandeln pflegte, war eines Abends aus einer liebreichen Absicht zu einer einsamen Hütte gegangen, deren Bewohner an einem für ansteckend gehaltenen Fieber krank lag. Der Weg ging weiter, als sie vermuthet hatte; auch hielten sie verschiedene zusammentreffende Umstände länger in der Hütte des Kranken auf. Der Mond schien helle, als sie sich auf den Heimweg durch die Waldschluchten und über das gebirgige Land, das sie von dem Schlosse schied, anschickte. Sie hielt dieß für eine Sache von geringer Bedeutung, in einem so ruhigen abgelegenen Lande, wo die Straße vornehmlich durch ihre eigenen Besitzungen ging, zumal da sie einen fünfzehnjährigen Burschen, den Sohn des Kranken, zur Begleitung hatte. Die Entfernung betrug etwas über eine Meile, konnte aber beträchtlich abgekürzt werden, wenn man durch eine zu dem Gut Moultrassie-Hall gehörende Einfahrt ging, welche sie auf dem Hinwege vermieden hatte, nicht wegen der lächerlichen Gerüchte, daß es da spuke, sondern weil ihr Mann es sehr ungern sah, wenn die Wege vom Schlosse und von Moultrassie-Hall für die beiderseitigen Bewohner gemein gemacht wurden. Bei gegenwärtiger Gelegenheit jedoch beschloß die Lady sich derselben zu bedienen, um ihren Heimweg abzukürzen; sie schlug ihn also ein. Allein als der Bauernknabe, ihr Begleiter, der ihr fröhlich pfeifend, mit einer Zaunsichel in der Hand, den Hut auf eine Seite gerückt, bis hieher gefolgt war, sah, daß sie sich nach der Steige, die in den Dobby's-Gang führte, wendete, verrieth er große Furcht und kam endlich an ihre Seite mit kläglicher Bitte: »Gehet ja nicht dorthin, gehet ja nicht dorthin, gnädige Frau!«

Lady Peveril sah, daß ihm die Zähne im Munde klapperten, und daß sein ganzes Wesen von großer Furcht erschüttert war; da besann sie sich auf die Sage, daß der erste Edelmann von Moultrassie, der erwähnte Brauer von Chesterfield, der das Gut gekauft hatte, und dann, bei Mangel an Beschäftigung, an Melancholie und nicht ohne Verdacht des Selbstmords, gestorben war, auf diesem verlassenen Fahrwege mit einem großen Bullenbeißer ohne Kopf umgehe, welcher früher ein besonderer Liebling des Brauers gewesen. In dem Zustande, worein die abergläubische Furcht den Knaben versetzt hatte, von seiner Begleitung einen Schutz zu erwarten, würde in der That ein hoffnungsloses Vertrauen gewesen sein; und Lady Peveril, welche gar keine Gefahr befürchtete, hielt es für große Grausamkeit, wenn sie den feigen Burschen auf einen Weg mitgenommen hätte, der in ihm solches Entsetzen erregte. Sie gab ihm daher ein Silberstück und entließ ihn. Lächelnd über die ihr so drollig dünkende Furcht, bestieg sie die Steige, und wurde bald dem hellen Mondlicht durch die zahlreichen und verflochtenen Zweige riesiger Ulmen entzogen, welche die alte Auffahrt ganz überwölbten. Dieser Anblick war wohl geeignet, feierliche Gedanken zu erregen; und der Schimmer eines Lichtes von einem der vielen Fenster an der Vorderseite von Moultrassie-Hall, welches in einiger Entfernung lag, konnte sie selbst schwermüthig machen. Sie dachte an das Schicksal der Familie – der verstorbenen Frau Bridgenorth, mit welcher sie oft auf derselben Auffahrt gegangen war, und welche (obgleich keine Frau von hohen Talenten oder Fähigkeiten) ihr stets die tiefste Ehrerbietung und die eifrigste Dankbarkeit für die ihr bewiesene Aufmerksamkeit zu erkennen gab. Sie gedachte ihrer verblühten Hoffnungen – ihres frühzeitigen Todes – der Verzweiflung ihres allen Umgang fliehenden Gatten – des ungewissen Schicksals ihres verwaisten Kindes, für welches sie, selbst in dieser Entfernung der Zeit, eine Regung mütterlicher Zärtlichkeit in sich fühlte.

Solche traurige Gegenstände hatte sie sich vergegenwärtigt, als, gerade da sie die Mitte der Auffahrt erreichte, das unvollkommene, unterbrochene Mondlicht, welches auf den Hauptweg des Waldes fiel, sie die Umrisse einer Menschengestalt erblicken ließ. Sie hielt einen Augenblick still, ging aber darauf sogleich weiter; – das Herz klopfte ihr vielleicht einmal, als eine Schuld des Aberglaubens jener Zeiten; aber sie unterdrückte alsbald den Gedanken an übernatürliche Erscheinungen. Von bloßen Sterblichen hatte sie nichts zu fürchten. Ein Wilddieb war das Schlimmste, auf was sie wahrscheinlich stoßen konnte; und sicherlich würde er sich ihren Blicken zu entziehen gesucht haben. – Sie setzte daher ihren Weg standhaft fort und bemerkte zu ihrer Beruhigung, daß die Gestalt, wie sie erwartete, ihr Platz machte und unter die Bäume links an der Auffahrt schlüpfte. Als sie an die Stelle kam, an welcher die Gestalt vor Kurzem sichtbar war, und bei sich bedachte, daß dieselbe in ihrer Nähe sein könnte, ja müßte, konnte sie trotz ihrer Entschlossenheit doch nicht umhin, ihre Schritte zu beschleunigen, und dieß geschah mit so wenig Vorsicht, daß sie, über einen durch einen Sturm abgebrochenen Baumast, der noch auf dem Fahrwege lag, stolpernd, hinfiel und bei'm Fallen laut aufschrie. Einen Augenblick darauf wurde ihre Furcht durch eine starke Hand, welche ihr aufhalf, vermehrt; und eine, ihr nicht fremde, doch lange nicht gehörte Stimme rief: »Seid Ihr es, Lady Peveril?«

»Ja, ich bin's,« sagte sie, ihre Furcht und ihr Erstaunen niederkämpfend; »und, täuscht mich mein Ohr nicht, so spreche ich mit Herrn Bridgenorth.«

»Ich war dieser Mann,« antwortete er, »so lange Unterdrückung mir einen Namen ließ.«

Er sprach nichts mehr, sondern ging einige Minuten stillschweigend neben ihr weiter fort. Sie fühlte ihre beunruhigende Lage; und sowohl um sich von diesem Gefühl zu befreien, als aus wirklichem Antheil fragte sie ihn: »Was macht meine Pathe Alexie?«

»Das Kind,« antwortete Bridgenorth, »welches Euch, gnädige Frau, seine Rettung von Krankheit und Tode verdankt, ist ein gesundes und munteres Mädchen, wie ich von denen erfahre, welchen ich es in die Pflege gegeben; denn in neuerer Zeit hab' ich es nicht gesehen. Es ist eben die Erinnerung jener Zeiten, welche mich, überdieß durch Euren Fall beunruhigt, gewissermaßen antrieb, mich Euch zu dieser Zeit und auf diese Art zu erkennen zu geben, was in andern Rücksichten keineswegs mit meiner gegenwärtigen Sicherheit verträglich ist.«

»Mit Eurer Sicherheit, Herr Bridgenorth?« sagte Lady Peveril; »wahrhaftig, nie hätt' ich glauben können, daß diese in Gefahr wäre.«

»So müßt Ihr denn noch einige Neuigkeiten erfahren, gnädige Frau,« erwiederte Bridgenorth; »aber morgen werdet Ihr die Gründe hören, warum ich nicht wage, öffentlich in der Nachbarschaft meiner eigenen Besitzungen zu erscheinen, und warum es unbesonnen wäre, die Kenntniß meines gegenwärtigen Aufenthalts irgend Jemand zu vertrauen, der mit dem Schloß Martindale in Verbindung steht.«

»Herr Bridgenorth,« sagte die Lady, »Ihr waret in früheren Zeiten ein kluger und behutsamer Mann, – ich hoffe, Ihr seid nicht durch eine unbesonnene Leidenschaft – durch einen raschen Entwurf verführt, – ich hoffe –«

»Verzeiht, gnädige Frau, daß ich Euch unterbreche,« sagte Bridgenorth. »Ich habe mich in der That verändert; ja, mein Herz selbst in mir hat sich verändert. In den Zeiten, welche Ihr zu berühren für gut fandet, war ich ein Mann von dieser Welt, widmete ihr alle meine Gedanken, alle meine Handlungen, achtete wenig, was die Pflicht eines Christen sei, und wie weit sich seine Selbstverläugnung erstrecken müsse, selbst Alles hinzugeben, als wenn er nichts gäbe. Daher dacht' ich hauptsächlich an fleischliche Dinge – an den Zuwachs von Feld zu Feld, von Vermögen zu Vermögen – an das Gleichgewicht zwischen Partei und Partei, an die Art, mir einen Freund hier zu versichern, ohne einen Freund dort zu verlieren. – Aber der Himmel schlug mich für meine Abtrünnigkeit, um so mehr, weil ich den Namen der Religion als ein selbstsüchtiger und höchst verblendeter, seinen eigenen Willen verehrender Mensch mißbrauchte. Aber ich danke Ihm, der mich am Ende aus Aegypten gebracht hat.«

Nach dem Geist der damaligen Zeit wurden solche Meinungen, wie Bridgenorth ausdrückte, als herrschende Triebfedern menschlicher Handlungen offen bekannt, und Lady Peveril war daher mehr bekümmert, als befremdet, den Major eine solche Sprache führen zu hören, und schloß nicht ohne Gründe, daß die Gesellschaft und die Umstände, worin er zuletzt gelebt haben mochte, den Funken von Schwärmerei, der immer in seinem Busen glimmte, zur Flamme angeblasen hätten. Dieß war um so wahrscheinlicher, da er von Natur schwermüthig war; da er in verschiedenen Vorfällen seines Lebens unglücklich gewesen, – und da keine Leidenschaft leichter durch Grübeln genährt wird, als die, von der er jetzt die Merkmale zeigte. Sie antwortete ihm daher mit der ruhigen Hoffnung, »daß die Aeußerung seiner Gesinnungen ihn doch nicht in Verdacht oder Gefahr gebracht haben werde?«

»In Verdacht, gnädige Frau?« antwortete er; »denn ich kann mich nicht enthalten, – so stark ist die Gewohnheit, – Euch diese eiteln Titel zu geben, mit denen wir arme Scherben in unserm Hochmuth gewohnt sind einander zu benennen. – Ich wandle nicht nur im Verdacht, sondern auch in dem Grade von Gefahr, daß, wenn Euer Gemahl mich in diesem Augenblick träfe, – mich, einen eingebornen Engländer, auf seinem eignen Grund und Boden einhergehend – ich nicht zweifle, er würde sein Mögliches thun, mich dem Moloch des römischen Aberglaubens zu opfern, welcher jetzt nach Schlachtopfern unter Gottes Volk auswärts umhertobt.«

»Ihr setzt mich durch Eure Sprache in Erstaunen, Major Bridgenorth,« sagte die Lady, welche nun mit einiger Aengstlichkeit von seiner Gesellschaft befreit zu werden wünschte, und daher absichtlich schneller ging. Er aber verdoppelte seinen Schritt und hielt sich dicht an ihrer Seite.

»Wißt Ihr nicht,« sagte er, »daß Satan mit großem Grimm auf Erden gekommen ist, weil seine Zeit nur kurz währt? Der Nächste zur Krone ist ein erklärter Papist; und wer wagt zu behaupten, daß der, welcher sie trägt, nicht gleichfalls bereit ist, sich vor Rom zu beugen, würde er nicht durch einige edle Geister im Unterhause in Scheu gehalten? Ihr glaubt dieß nicht – doch auf meinen einsamen und mitternächtlichen Wanderungen, als ich an Eure Güte gegen die Todten und Lebenden dachte, war es mein Gebet, daß mir die Mittel möchten verliehen werden, Euch zu warnen. Und siehe! der Himmel hat mich erhört.«

»Major Bridgenorth,« sagte Lady Peveril, »Ihr pflegtet in diesen Gesinnungen gemäßigt zu sein – vergleichungsweise gemäßigt wenigstens, und Eure eigne Religion zu lieben, ohne die der Andern zu hassen.«

»Was ich in der Galle der Bitterkeit und in den Banden der Ungerechtigkeit war, verdient nicht wieder erwähnt zu werden,« gab er zur Antwort. »Ich glich damals dem Gallio, der sich um diese Dinge nichts kümmerte. Ich hing an weltlicher Ehre und Achtung – meine Gedanken waren irdisch – oder die, welche ich gen Himmel richtete, waren kalte, formelle, pharisäische Betrachtungen – ich brachte nichts zum Altar, als Stroh und Stoppeln. Der Himmel fand es nöthig, mich zu züchtigen in Liebe – ich wurde von Allem entblößt, was mich an die Erde kettete – meine weltliche Ehre ward von mir gerissen – ich ging hervor als ein Verwiesener aus dem Hause meiner Väter, ein beraubter und verlassener Mann – ein verspotteter, und geschlagener, und entehrter. Aber wer wird die Wege der Vorsehung ausforschen? So waren die Mittel, durch welche ich zum Kämpfer für die Wahrheit erwählt wurde, der sein Leben für nichts hält, wenn sie dadurch kann befördert werden. Doch dieß war es nicht, wovon ich zu sprechen wünschte. Du hast das irdische Leben meines Kindes gerettet – laß mich die ewige Wohlfahrt des deinigen retten.«

Lady Peveril schwieg. Sie naheten nun dem Punkte, wo die Auffahrt in einem Ausweg auf eine öffentliche Straße, oder vielmehr einen Fußweg endigte, der durch ein ungezäuntes, gemeinsames Feld führte; diesen Weg hatte Lady Peveril in geringer Weite zu verfolgen, bis eine Wendung des Pfades sie in den Park von Martindale brachte. Sie fühlte nun wirklich Besorgniß, im offenen Mondscheine zu gehen, und vermied, dem Major zu antworten, damit sie desto schneller fortkäme. Als sie aber die Verbindung der Auffahrt und der gemeinen Straße erreichten, legte er seine Hand an ihren Arm, und hieß sie, mehr befehlend, als bittend, stillhalten. Sie gehorchte. Er wies auf eine gewaltige Eiche vom größten Umfange, welche auf der Spitze eines Hügels auf dem freien Boden wuchs, der die Einfahrt begränzte, und gerade so stand, daß sie zu einem Zielpunkt der Aussicht diente. Der Mond schien außerhalb der Auffahrt so hell, daß unter der Fluth des Lichts, welches er auf den ehrwürdigen Baum ergoß, sie aus den zerstreuten Zweigen auf der einen Seite leicht entdecken konnten, daß er vom Blitze beschädigt worden war. »Erinnert Ihr Euch,« sagte er, »wann wir zuletzt mit einander diesen Baum betrachteten? Ich war von London geritten gekommen, und brachte von der Comitee einen Schutzbrief für Euren Mann mit, und als ich die Stelle vorbeikam – hier an dieser Stelle, wo wir jetzt stehen, standet Ihr mit meiner verlornen Alexie – hüpften zwei, die letzten zwei meiner geliebten Kinder vor Euch her. Ich sprang von meinem Pferde – ihr war ich ein Ehegatte – diesen ein Vater – Euch ein willkommener und verehrter Beschützer – was bin ich nunmehr diesen Allen?« Er drückte seine Hand an die Stirne, und seufzte tief aus der beklommenen Brust.

Es lag nicht in dem Wesen der Lady, Klagen der Betrübniß zu hören, ohne einen tröstenden Zuspruch zu versuchen. »Herr Bridgenorth,« sagte sie, »ich tadle keines Menschen Glauben, weil ich meinen eigenen habe und befolge; und es freut mich, daß Ihr in dem Eurigen Trost für zeitliche Bedrängnisse gesucht habt. Aber lehrt uns nicht jeder christliche Glaube gleichfalls, daß Leiden unser Herz erweichen oder mildern soll?«

»Ja,« sagte Bridgenorth ernsthaft, »wie der Blitz, welcher jene Eiche zerschmetterte, ihren Stamm erweicht hat. Nein; das versengte Holz ist desto brauchbarer für den Handwerker – das verhärtete und vertrocknete Herz ist dasjenige, welches die Last dieser unseligen Zeiten am besten tragen kann. Gott und der Mensch wollen nicht länger die ungezügelte Verdorbenheit des Ausschweifenden – den Spott des Unheiligen – die Verachtung des göttlichen Gesetzes – die Verletzung der Menschenrechte erdulden. Die Zeiten verlangen Richter und Rächer, und es wird kein Mangel an denselben sein.«

»Ich läugne nicht das Dasein vieles Bösen,« sagte die Lady, die sich selbst zur Antwort zwang, und zugleich weiter zu gehen anfing, »und vom Sagenhören, wiewohl, dem Himmel sei es gedankt, nicht aus Erfahrung, bin ich von der wilden Schwelgerei der Zeiten überzeugt. Aber laßt uns hoffen, dem Hebel möge gesteuert werden ohne solche gewaltsame Mittel, als Ihr andeutet. Gewiß wäre ein zweiter Bürgerkrieg – ob ich gleich nicht glaube, daß Eure Gedanken auf diese furchtbare Entfernung hinausgehen – auf's Höchste eine Wahl der Verzweiflung.«

»Scharf, aber sicher,« erwiederte Bridgenorth: »Das Blut des Osterlamms vertrieb den Würgengel; die auf der Dreschtenne von Araunah dargebrachten Opfer thaten der Pest Einhalt. Feuer und Schwert sind strenge Mittel, aber sie reinigen und läutern.«

»Ach! Major Bridgenorth,« rief Lady Peveril aus, »könnt Ihr, so weise und gemäßigt in Eurer Jugend, in Euren höhern Jahren die Gedanken und Sprache Derer angenommen haben, welche Ihr selbst sich und die Nation an den Rand des Verderbens habt bringen sehen?«

»Ich weiß nicht, was ich damals war, – Ihr wißt nicht, was ich jetzt bin,« erwiederte er, und brach plötzlich ab; denn sie kamen eben in das offene Mondlicht, und es schien, als wenn er, da er sich nun unter den Augen der Lady sah, geneigt wäre, Ton und Sprache zu mildern.

Sowie sie sein Aeußeres deutlicher betrachten konnte, bemerkte sie, daß er mit einem kurzen Schwert, einem Dolch, und mit Pistolen in seinem Gurt bewaffnet war; eine sehr ungewöhnliche Vorsicht bei einem Manne, der ehemals selten und nur an feierlichen Tagen einen Degen trug.

Es schien auch eine mehr als gewöhnlich ernste Bestimmtheit in seiner Miene zu liegen, welche freilich stets mehr verdrießlich, als freundlich gewesen war; und ehe sie ihre Gedanken unterdrücken konnte, brach sie in die Worte aus: »Herr Bridgenorth, Ihr habt Euch in der That verändert.«

»Ihr seht nur den äußerlichen Menschen,« erwiederte er, »die innerliche Veränderung ist noch tiefer. Aber nicht von mir selbst wollte ich sprechen – ich habe schon gesagt, daß, so wie Ihr mein Kind von der Finsterniß des Grabes errettet habt, ich so gern das Eurige vor der auffallendern Finsterniß bewahren wollte, welche, wie ich fürchte, den Pfad und die Wege seines Vaters eingehüllt hat.«

»Ich brauche dieß von meinem Manne nicht zu hören,« sagte Lady Peveril; »für jetzt muß ich von Euch Abschied nehmen, und wenn wir wieder zu einer schicklichern Zeit zusammenkommen, will ich wenigstens Euren Rath in Betreff Julian's anhören, wenn ich denselben auch vielleicht nicht annehmen sollte.«

»Diese passendere Zeit kann nie kommen,« erwiederte Bridgenorth. »Die Zeit verschwindet, die Ewigkeit rückt näher. Hört! Man sagt, es sei Euer Vorsatz, den jungen Julian auf jene blutige Insel zur Erziehung unter den Händen Eurer Verwandtin zu schicken, jener grausamen Mörderin, durch welche ein Mann zum Tode gebracht wurde, der des Lebens würdiger war, als irgend Einer, dessen sie sich unter ihren gepriesenen Ahnen rühmen kann. Dieß sind laufende Gerüchte; sind sie wahr?«

»Ich mache Euch keine Vorwürfe darüber, Herr Bridgenorth, daß Ihr über meine Base von Derby so hart urtheilt,« sagte Lady Peveril; »auch will ich die rasche That, deren sie sich schuldig machte, ganz und gar nicht in Schutz nehmen. Nichtsdestoweniger ist es meines Mannes und meine eigene Meinung, daß Julian in ihrer Wohnung in den Studien und Geschicklichkeiten, die seinem Range gebühren, zugleich mit dem jungen Grafen Derby unterwiesen und gebildet werden möge.«

»Unter dem Fluche Gottes, und dem Segen des Pabstes von Rom,« sagte Bridgenorth. »Ihr, gnädige Frau, so scharfsichtig in Dingen irdischer Klugheit, seid so blind gegen den Riesenschritt, mit welchem sich Rom bewegt, dieses Land wieder zu gewinnen, einst den reichsten Edelstein in seiner angemaßten Tiara? Die Alten werden durch Gold verführt – die Jugend wird es durch Vergnügen – der Schwache durch Schmeichelei – der Feige durch Furcht – und der Muthige durch Ehrgeiz. Tausend Lockungen für jeden Geschmack, und jede Lockspeise verbirgt denselben tödtlichen Haken.«

»Ich weiß wohl, Herr Bridgenorth,« sagte die Lady, »daß meine Verwandtin katholisch ist; aber ihr Sohn wird in den Grundsätzen der englischen Kirche, nach der Verordnung ihres verblichenen Mannes, erzogen.«

»Ist es wahrscheinlich,« antwortete Bridgenorth, »daß sie, welche sich nicht scheut, das Blut des Rechtschaffenen zu vergießen, es sei auf dem Felde oder auf dem Schaffot, die Heiligkeit ihres Versprechens achten werde, wenn ihre Religion sie dasselbe brechen heißt? Oder, wenn sie es thut, was wird Euer Sohn gewinnen, wenn er in dem Schlamm seines Vaters bleibt? Was sind Eure bischöflichen Lehren anders, als lauter Pabstthum? außer, daß ihr einen weltlichen Tyrannen zu einem Pabst gewählt und eine verstümmelte Messe in englischer Sprache an die Stelle derjenigen gesetzt habt, welche Eure Vorfahren in lateinischer Sprache lasen. – Doch was rede ich von diesen Sachen zu einer Person, welche zwar Ohren und Augen hat, aber weder sehen, noch hören, noch verstehen kann, was allein werth ist, gesehen, gehört und erkannt zu werden? Schade, daß, was so schön und ausnehmend in Gestalt und Anlage gebildet ist, so blind, taub und unwissend sein sollte, gleich den Dingen, welche vergänglich sind.«

»Wir werden über diese Gegenstände nicht eins werden, Herr Bridgenorth,« sagte die Lady, welche immer noch dieser sonderbaren Unterredung zu entweichen wünschte, wiewohl sie kaum wußte, was zu fürchten wäre. »Noch einmal,« rief sie, ich muß nun von Euch Abschied nehmen.«

»Bleibt noch einen Augenblick,« sprach er, indem er seine Hand auf ihren Arm legte; »ich würde Euch aufhalten, wenn ich Euch am Rande eines wirklichen Abgrundes ausgleiten sähe; – laßt mich Euch von einer noch größern Gefahr zurückhalten. Wie soll ich auf Euer ungläubiges Gemüth wirken? Soll ich Euch sagen, daß die Schuld des Blutvergießens noch eine Schuld bleibt, die von dem blutigen Hause von Derby bezahlt werden muß? Und willst du deinen Sohn unter denen leben lassen, von welchen sie eingetrieben werden soll?«

»Umsonst versucht Ihr mich zu beunruhigen, Herr Bridgenorth,« antwortete die Lady; »welche Strafe von der Gräfin für eine That, die ich selbst schon eine rasche genannt habe, erhoben werden kann, ist seitdem lange erhoben.«

»Ihr täuscht Euch,« antwortete er ernsthaft. »Glaubt Ihr, eine armselige Geldsumme, gegeben, um bei Schwelgereien Carls verschwendet zu werden, könne den Tod eines solchen Mannes, wie Christian, aussöhnen? eines Mannes, dem Himmel und der Erde gleich schätzbar? Nein, nicht unter solchen Bedingungen kann Blut des Rechtschaffenen vergossen werden. Jede Stunde Aufschub wird als vermehrender Zins zu der schweren Schuld hinzugezählt, welcher eines Tages von dem blutdürstigen Weibe gefordert werden wird.«

In demselben Augenblicke hörte man den Hufschlag von Pferden auf der Straße. Bridgenorth horchte eine Minute, und sagte dann: »Vergeßt, daß Ihr mich gesehen habt – nennt meinen Namen keiner von Euren nächsten oder theuersten Personen – verschließt meinen Rath in Eurer Brust – benutzt ihn, und es wird wohl mit Euch stehen.«

Mit diesen Worten wandte er sich von ihr ab, schlüpfte durch eine Spalte im Gehäge, und gewann Schutz in seinem eignen Gehölz, neben welchem der Pfad sich hinzog.

Das Getöse der Pferde näherte sich in vollem Trott immer mehr, und Lady Peveril erblickte mehrere Reiter, deren Gestalten sich undeutlich über den emporsteigenden Boden hinter ihr erhoben. Sie ward ihnen auch sichtbar, und einige von den vordersten ritten schneller auf sie zu, und riefen, als sie näher kamen, ihr zu: »Steht! Wer geht da?« Der vorderste aber, welcher heraufkam, rief aus: »Der Himmel steh' uns bei, wenn es nicht meine gnädige Frau ist!« Und Lady Peveril erkannte in demselben Augenblick einen ihrer Dienstboten. Ihr Mann ritt sogleich drauf heran, und sagte: »Ha! wie geht's, meine Margrethe? Was machst du so weit vom Hause, und noch so spät?«

Lady Peveril erwähnte ihren Besuch in der Bauerhütte, hielt es aber nicht für nöthig, etwas davon zu sagen, daß sie Major Bridgenorth gesehen; vielleicht aus Furcht, dieser Vorfall möchte ihrem Manne nicht angenehm sein.

»Menschenliebe ist eine gute und schöne Sache,« antwortete der Ritter, »aber ich muß dir sagen, Frau, du thust unrecht, wie ein Quacksalber auf dem Lande umher zu wandern, um ein altes Weib, das einen Anfall von Kolik hat, zu besuchen, besonders um diese Zeit der Nacht, und wann das Land so unsicher ist.«

»Das hör' ich mit Bedauern,« antwortete die Lady; »das ist mir ganz etwas Neues.«

»Neues?« erwiederte ihr Mann. »Ei, da ist ein neues Complot unter den Puritanern ausgebrochen, schlimmer als das von Venner, und von gewaltigem Umfange. Und wer steckt tiefer drin, als unser alter Nachbar Bridgenorth? Ihm wird überall nachgeforscht, und wenn er gefunden wird, ich betheure dir, er wird wahrscheinlich alte Schulden büßen müssen.«

»Dann bin ich gewiß, er wird nicht gefunden werden,« sagte Lady Peveril.

»So meinst du?« erwiederte der Ritter. »Nun ich, für meine Person, hoffe, man wird ihn finden; und an mir soll's nicht liegen, wenn es nicht geschieht. Denn deßhalb reite ich jetzt nach Moultrassie hinunter, und stelle strenge Nachsuchung an, meiner Pflicht gemäß; kein Rebelle, noch Verräther soll sich so nahe bei Martindale vergraben, daß ich mich seiner nicht bemächtigte. Und du, liebe Frau, behilf dich einmal mit einem Männersattel, und reite, wie du sonst gethan, hinter Saunders her, der dich sicher nach Hause bringen wird.«

Sie gehorchte stillschweigend; allerdings getraute sie sich nicht, eine Antwort zu versuchen, so sehr war sie durch das, was sie eben gehört hatte, außer Fassung gesetzt.

Nun ritt sie hinter dem Stallknecht nach dem Schloß, wo sie mit nicht geringer Unruhe die Zurückkunft ihres Mannes erwartete. Endlich kam er; aber, zu ihrer großen Beruhigung, ohne einen Gefangenen. Er erklärte sich jetzt umständlicher, als seine vorige Eile erlaubt hatte, daß ein Bote mit Nachrichten vom Hofe, über eine beabsichtigte Empörung unter den alten Patrioten, besonders denen, die in der Armee gedient hatten, in Chesterfield angekommen sei, und daß Bridgenorth, der in der Grafschaft Derby lauern solle, zu den Hauptverschwornen gehöre.

Nach einiger Zeit schien dieß Gerücht von Verschwörung sich zu verlieren, wie so manche andre jener Periode. Die Verhaftsbefehle wurden zurückgenommen, aber vom Major Bridgenorth war nichts zu hören, noch zu sehen; ob es gleich wahrscheinlich ist, daß er sich eben so offen gezeigt haben mochte, als viele thaten, die sich unter denselben Umständen des Verdachts befanden.

Um dieselbe Zeit nahm auch Lady Peveril auf einige Zeit mit vielen Thränen Abschied von ihrem Sohn Julian, welcher, wie man lange vorhatte, abging, um eine gemeinschaftliche Erziehung mit dem jungen Grafen von Derby zu erhalten. Obgleich die warnenden Worte Bridgenorth's der Lady Peveril bisweilen einfielen, so gab sie ihnen doch kein Gewicht gegen die Vortheile, welche der Schutz der Gräfin Derby ihrem Sohne versicherte.

Der Plan schien in jeder Hinsicht von glücklichem Erfolg; und als Julian von Zeit zu Zeit das Haus seines Vaters besuchte, hatte Lady Peveril die Befriedigung, ihn bei jeder Gelegenheit sowohl an seiner Person und in seinen Sitten vervollkommnet, als eifrig im Streben nach höheren Eigenschaften zu finden. Im Verlauf der Zeit ward er ein wackerer und talentvoller Jüngling, und reiste eine Zeit mit dem jungen Grafen auf den Kontinent. Dieß war um so nöthiger, um ihre Weltkenntniß zu erweitern, weil die Gräfin seit ihrer Flucht auf die Insel Man im Jahre 1660 nie in London oder an König Carls Hofe erschienen war, sondern abwechselnd auf ihren Gütern und auf dieser Insel gewohnt hatte.

Dieß hatte der Erziehung beider Jünglinge, so vortrefflich übrigens, als sie die besten Lehren geben konnten, einen etwas beschränkten Charakter mitgetheilt; ob aber gleich des jungen Grafen natürliches Wesen leichter und flüchtiger, als das Julians war, so hatten doch beide in beträchtlichem Grade durch die dargebotenen Gelegenheiten gewonnen. Es war der Gräfin Derby strenger Befehl an ihren Sohn, der nun vom Festlande zurückkehrte, nicht am Hofe Carls zu erscheinen. Da er aber schon seit einiger Zeit mündig geworden, glaubte er sich nicht schlechterdings an diesen Befehl gebunden, und war eine Zeitlang in London geblieben, indem er an allen Lustbarkeiten des muntern Hofes daselbst, mit allem Feuer eines jungen Menschen Theil nahm, der in einer verhältnißmäßigen Abgeschiedenheit erzogen worden ist.

Um die Gräfin mit dieser Uebertretung ihres Befehls wieder auszusöhnen (denn er unterhielt immer die tiefe Ehrerbietung gegen sie, in der er war erzogen worden), ließ sich Lord Derby gefallen, mit ihr einen langen Aufenthalt auf ihrer Lieblingsinsel zu nehmen, die er fast gänzlich ihrer Verwaltung überließ.

Julian hatte auf dem Schloß Martindale einen guten Theil Zeit zugebracht, den sein Freund in London verlebt hatte, und in der Periode, zu welcher, über viele Jahre hinweg, unsre Geschichte gleichsam sprungweise gelangt ist, lebten Beide, als Gäste der Gräfin, auf dem Schlosse Rushin in dem ehrwürdigen Königreich Man.



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