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Sechszehntes Kapitel.

Oben an dem ersten Absatze der Treppe, welche zu dem wohl vertheidigten Eingang des Schlosses Holm-Peel hinabführte, wurde Peveril von der kleinen Dienerin der Gräfin getroffen und aufgehalten. Sie war in allen ihren Gliedern ausnehmend wohl gebildet, und ihre gewöhnliche Tracht (ein grünseidenes Unterkleid von besonderer Form) kleidete sie sehr vortheilhaft. Ihr Gesicht war dunkler, als die gewöhnliche Farbe der Europäer, und ihr volles, langes, seidenartiges Haar, das, wenn sie die Flechten, in denen sie es gewöhnlich trug, löste, fast bis auf die Knöchel herab fiel, hatte auch etwas Ausländisches. Ihr Gesicht glich einem sehr schönen Miniaturbilde, und es war eine gewisse Lebhaftigkeit, Entschlossenheit und Glut in Fenella's Wesen, und besonders in ihren Augen, welche wahrscheinlich dadurch noch wachsamer und schärfer wurden, weil sie, bei der Unvollkommenheit ihrer andern Sinnwerkzeuge, bloß durch das Gesicht über das, was um sie her vorging, Belehrung erhalten konnte.

Die schöne Stumme besaß manche kleine Geschicklichkeiten, welche ihr die Gräfin aus Mitleid mit ihrer traurigen Lage hatte beibringen lassen, und welche sie mit der bewunderungswürdigsten Geschwindigkeit erlernt hatte. So war sie zum Beispiel sehr geschickt im Gebrauch der Nadel, und eine so fertige und sinnreiche Zeichnerin, daß sie, wie die alten Mexicaner, bisweilen mit dem Zeichenstift zur Mittheilung ihrer Ideen, entweder durch unmittelbare oder durch sinnbildliche Darstellung, behend eine Skizze entwarf; besonders war sie auch in der damals sehr betriebenen zierlichen Schreibekunst sehr weit gekommen.

Die Kleine hatte außer diesen Gaben viel behenden Witz und scharfen Verstand. Bei der Gräfin Derby und den beiden jungen Edelleuten war sie sehr beliebt, und genoß viel Freiheit in der Unterhaltung mit ihnen, was vermittelst gewisser unter ihnen festgesetzten Zeichen geschah.

Aber, so sehr Fenella die Gunst ihrer Gebieterin, von der sie sich wirklich selten trennte, besaß, so war sie doch keinesweges bei den übrigen Mitgliedern des Hauses beliebt. In der That schien es, als ob ihr, vielleicht durch ein Gefühl ihres Unglücks erbittertes, Gemüth gar nicht zu ihren Talenten in gleichem Verhältniß stünde. Sie war sehr stolz in ihrem Betragen, selbst gegen obere Diener, welche in dieser Residenz von viel höherem Range und besserer Geburt waren, als in den Familien des hohen Adels überhaupt. Diese beklagten sich oft nicht nur über ihren Hochmuth und ihre Zurückhaltung, sondern auch über ihr hitziges und jähzorniges Temperament und ihr rachsüchtiges Wesen. Ihre leidenschaftliche Reizbarkeit war freilich durch die jungen Männer und besonders den Grafen auf eine läppische Art genährt worden, welcher sich bisweilen damit unterhielt, sie zu plagen, damit er sich an den mancherlei sonderbaren Bewegungen und dem Murren belustigen konnte, womit sie ihre Empfindlichkeit ausdrückte. Die niederen Dienstboten, gegen die sie fast über ihr scheinbares Vermögen hinaus freigebig war, bezeugten ihr viel Ehrerbietung und Unterwürfigkeit, doch weit mehr aus Furcht, als aus wirklicher Ergebenheit; denn ihr launiges Wesen zeigte sich selbst bei ihren Geschenken, und die, welche am reichlichsten ihre Güte erfuhren, waren keineswegs von dem Wohlwollen überzeugt, das ihre Freigebigkeit zu zeigen schien.

Alle diese Eigenheiten führten zu einem Schlusse, der mit dem Aberglauben auf der Insel Man zusammenstimmte. Im frommen Glauben an alle, den celtischen Stämmen so theure, Feenmährchen hielt es das Volk von Man für gewiß, daß die Elfen sterbliche Kinder vor der Taufe wegzutragen, und in der Wiege des neugebornen Säuglings ein Kind von ihrer eigenen Brut zurückzulassen pflegten, welches fast immer in einem oder andern Organ der menschlichen Natur unvollkommen wäre. Für ein solches Wesen hielten sie Fenella; und ihre kleine Gestalt, ihre braune Farbe, ihre langen Locken von Seidenhaar, die Sonderbarkeit ihres Benehmens und ihrer Laute waren nach ihrer Meinung alles Eigenschaften des reizbaren, veränderlichen und gefährlichen Geschlechts, von welchem sie entsprungen sein sollte.

Mancherlei waren die Sagen, welche über die Elfe der Gräfin, wie Fenella auf der Insel gewöhnlich hieß, umgingen; und die Unzufriedenen von dem strengern Glauben waren doch überzeugt, daß Niemand, als eine Papistin und eine Uebelgesinnte ein Wesen von so zweifelhafter Herkunft um sich leiden könne. Sie meinten, Fenella's Taubheit und Sprachlosigkeit gehe allein auf die Menschen dieser Welt, und man habe sie höchst elfenartig mit den Unsichtbaren ihres eigenen Geschlechts sprechen und singen und lachen gehört. Auch die Schildwachen wollten schwören, sie hätten das kleine Mädchen auf ihren einsamen Nachtwanderungen bei sich vorbei trippeln gesehen, ohne vermögend zu sein, sie anzurufen, als wären sie so stumm, wie sie selbst, gewesen.

Dieß war das Mädchen, das einen kleinen altmodischen Stab von Ebenholz, der für einen Zauberstab hätte gelten können, in der Hand, oben auf den Stufen der aus dem Schloßhofe den Felsen hinabführenden Treppe mit Julian zusammentraf. Wir müssen bemerken, daß, weil Julians Betragen gegen das unglückliche Mädchen immer freundlich und von den quälenden Neckereien, die sich der Graf gegen sie erlaubte, frei gewesen war, auch Fenella von ihrer Seite ihm weit mehr Ehrerbietung als sonst Jemanden vom Hause, die Gräfin, ihre Gebieterin, ausgenommen, zu erweisen pflegte.

Bei der gegenwärtigen Gelegenheit stellte sie sich mitten auf die enge Treppe, so daß Peveril nicht bei ihr vorbei konnte, und richtete durch eine Reihe von Geberden, welche wir zu beschreiben versuchen wollen, Fragen an ihn. Sie streckte nämlich zuerst die Hand ein wenig aus, und verband damit den scharfen, forschenden Blick, der ihr zum Zeichen der Frage diente. Dieß sollte die Nachfrage bedeuten, ob er in eine gewisse Entfernung gehen wollte. Julian streckte zur Antwort seinen Arm mehr als zur Hälfte aus, um anzuzeigen, daß die Entfernung beträchtlich sei. Fenella sah ernsthaft aus, schüttelte den Kopf, und wies nach dem Fenster der Gräfin, welches von der Stelle aus, wo sie standen, sichtbar war. Peveril lächelte, und nickte, um anzudeuten, es sei keine Gefahr dabei, wenn er ihre Gebieterin auf kurze Zeit verlasse. Die Kleine berührte hierauf eine Adlerfeder, die sie in ihren Haaren trug, ein Zeichen, das sie gewöhnlich brauchte, um den Grafen anzuzeigen, und dann blickte sie noch einmal forschend auf Julian, als wollte sie sagen: Geht er mit Euch? Peveril schüttelte den Kopf, und lächelte mit einigem Ueberdruß an diesen Fragen, und machte einen Versuch, vorbeizukommen. Fenella nahm eine finstere Miene an, schlug das Ende ihres Ebenholzstabes senkrecht auf den Boden, und schüttelte wieder den Kopf, als wollte sie sich seinem Fortgehen widersetzen. Da sie aber Julians Beharren auf seinem Vorsatz bemerkte, benahm sie sich plötzlich freundlicher, hielt ihn mit der einen Hand bei dem Saum seines Mantels, und erhob die andere in einer flehenden Stellung.

Julian fühlte Mitleiden mit der Armen, deren Hauptgründe, sich seinem Fortgehen zu widersetzen, in der zärtlichen Besorgniß für die Sicherheit ihrer Gebieterin zu liegen schienen. Er suchte sie durch Lächeln zu beruhigen, und zugleich durch Zeichen, die er ersinnen konnte, ihr anzudeuten, daß keine Gefahr da sei und er sogleich zurückkommen wolle; und nachdem es ihm gelungen war, seinen Mantel ihr aus der Hand zu winden, und auf der Treppe bei ihr vorbeizukommen, stieg er die Stufen so schnell als möglich hinab, um ferneren Zudringlichkeiten zu entgehen.

Aber mit viel größerer Behendigkeit, als er, eilte die Stumme, ihn aufzuhalten, und es gelang ihr, indem sie sich ihm mit augenscheinlicher Lebensgefahr, ein zweites Mal in den Weg stellte, und so sein Vorhaben unterbrach. Um dieß zu vollbringen, mußte sie sich eine beträchtliche Höhe von der Mauer einer kleinen Seitenbefestigung herablassen, wo besondere Sicherheitsanstalten gegen die Kühnheit des Feindes getroffen waren. Julian hatte kaum Zeit, vor ihrem Vorhaben zurückzuschaudern, als er sie im Begriff sah, von der Brustwehr herabzuspringen, und sie schon, leicht herabgeschwebt, unverletzt unten auf der Felsenplatte stand. Er bemühete sich, durch ernste Mienen und Geberden ihr anzudeuten, wie sehr er ihre Kühnheit tadele, aber der Verweis, wiewohl offenbar ganz verständlich, ward völlig verachtet. Eine hastige Bewegung ihrer Hand gab zu verstehen, wie sie Gefahr und Gegenvorstellung nicht achte, während sie zugleich im Augenblick mit mehr Eifer als zuvor die ernsten und nachdrücklichen Bewegungen wiederholte, womit sie ihn in der Festung zurückzuhalten suchte.

Julian war durch ihre Hartnäckigkeit etwas wankend geworden. »Ist es möglich,« dachte er, »daß der Gräfin irgend eine Gefahr drohen kann, von welcher dieß arme Mädchen durch scharfe Beobachtung eine Kenntniß erlangt hat, die Andern entgangen ist?«

Er gab Fenella hastig zu verstehen, ihm die Schreibtafel und den Stift zu geben, welche sie immer bei sich trug, und schrieb die Frage auf: »Ist denn für Eure Gebieterin hier so nahe Gefahr vorhanden, daß Ihr mich so aufhaltet?«

»Rings um die Gräfin ist Gefahr,« war die Antwort, die sie sogleich niederschrieb; »aber es liegt noch größere in Eurem eigenen Vorhaben.«

»Wie? – was? – was wißt Ihr von meinem Vorhaben?« rief Julian, der in seiner Bestürzung vergaß, daß das Mädchen weder ein Ohr, noch eine Stimme hatte, seine Reden zu hören und zu beantworten. Sie hatte indeß ihre Schreibtafel wieder zurückerhalten, und skizzirte mit flüchtiger Hand auf einem Blatte eine Scene, welche sie Julian zeigte. Zu seinem unendlichen Erstaunen erblickte er Goddard Crovan's Stein, ein merkwürdiges Denkmal, von dem sie die Umstände ziemlich genau gegeben hatte, nebst einer männlichen und einer weiblichen Figur, welche, obgleich nur durch einige leichte Striche angedeutet, doch, wie es ihm schien, einige Aehnlichkeit mit ihm und Alexien hatten.

Als er die Skizze einen Augenblick mit Verwunderung angeblickt hatte, nahm Fenella die Schreibtafel ihm aus der Hand, legte ihren Finger auf die Zeichnung, und schüttelte langsam und ernst den Kopf, mit einem finstern Blick, welcher die vorgestellte Zusammenkunft zu verbieten schien. Julian jedoch war, obgleich etwas irre gemacht, auf keine Art geneigt, sich ihrer Mahnung zu fügen. Auf welche Art auch immer sie, welche so selten das Zimmer der Gräfin verließ, mit einem Geheimniß bekannt geworden sein mochte, das er ganz für sein eigenes hielt, so fand er doch es um so nöthiger, die vorgeschlagene Zusammenkunft zu halten, damit er wo möglich von Alexien erführe, wie das Geheimniß ruchbar geworden. Er hatte auch den Plan gebildet, Bridgenorth aufzusuchen, indem er den Gedanken hegte, daß ein Mann, der sich so gesetzt und vernünftig, wie bei ihrer letzten Unterredung, gezeigt hatte, wenn er erführe, daß die Gräfin gegen seine Intriguen auf der Hut sei, überredet werden könnte, durch seine Entfernung von der Insel ihrer und seiner eigenen Gefahr ein Ende zu machen. Und könnte es ihm in diesem Stücke gelingen, so würde er, wie er glaubte, zugleich dem Vater seiner geliebten Alexie einen wesentlichen Dienst leisten – den Grafen aus dem Zustande der Unruhe reißen – die Gräfin abhalten, zum zweiten Mal ihre Lehensgerichtbarkeit der Jurisdiction der Krone Englands entgegenzusetzen – und ihr und ihrer Familie den ruhigen Besitz der Insel sichern.

Mit diesem Vermittlungsplane in seiner Seele, beschloß Peveril, sich von Fenella's Widerstande gegen seine Abreise ohne weitere Umstände loszumachen, und plötzlich hob er das Mädchen in seine Arme, ehe sie seine Absicht merkte, drehte sie um, setzte sie auf die Stufen über ihm, und fing an, den Paß selbst möglichst schnell hinabzusteigen. Da geschah es denn, daß die Stumme ihrer Heftigkeit vollen Ausbruch ließ, und mit wiederholtem Zusammenschlagen der Hände ihren Unwillen in einem äußerst widrig klingenden Laute oder vielmehr Geschrei ausdrückte. Peveril war dadurch so erschreckt, daß er hielt und sich umsah, um sich zu überzeugen, daß sie nicht etwa eine Verletzung erhalten hätte. Er sah sie jedoch vollkommen wohlbehalten, wiewohl ihr Gesicht von Leidenschaft entflammt und verzerrt war. Sie stampfte nach ihm mit dem Fuße, schüttelte ihre geballte Hand, kehrte ihm den Rücken zu, ohne weitern Abschied, rannte die Stufen hinan, und ruhete einen Augenblick auf der Höhe der ersten Treppenreihe.

Julian winkte ihr mit der Hand, zum Zeichen eines freundlichen Lebewohls, aber sie antwortete nur durch nochmaliges Drohen mit der kleinen geballten Hand, stieg dann die Felsentreppe mit fast übernatürlicher Schnelligkeit hinan und verschwand bald aus dem Gesichte. Julian dachte nicht weiter über ihr Benehmen oder dessen Beweggründe nach, sondern eilte aus dem Dorf nach der Stelle, wo die Ställe des Schlosses lagen, nahm sein Reitpferd aus dem Stalle, saß auf, und war auf dem Wege nach dem bestimmten Orte der Zusammenkunft.



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