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Erstes Kapitel.

Wilhelm, der Eroberer Englands, war (so glaubte er wenigstens) der Vater eines gewissen Wilhelm Peveril, der ihn in die Schlacht bei Hastings begleitete und sich da auszeichnete. Der freisinnige Monarch, der in seinen Urkunden den wahrhaften Titel Gulielmus Bastardus annahm, betrachtete die außereheliche Geburt seines Sohnes nicht als ein Hinderniß seiner königlichen Gunst, da Englands Gesetze von dem normännischen Sieger ausgegangen waren, und er über die Länder der Sachsen unbeschränkt verfügen durfte. Wilhelm Peveril erhielt ansehnliche Grundstücke und Herrschaften in der Grafschaft Derby, und ward Erbauer jener gothischen Festung, welche über die Mündung der den Reisenden wohl bekannten Teufelshöhle herabhängt, und dem angränzenden Dorfe den Namen Castleton gibt.

Von diesem Vasallen stammte (wenigstens nach dem ziemlich unsichern Stammbaum) eine reiche Familie von ritterlichem Range in derselben Grafschaft Derby ab. Das große Lehnsgut Castleton, mit seinen angränzenden unangebauten Ländereien und seinen Waldungen, war in den stürmischen Tagen König Johanns von einem Wilhelm Peveril verwirkt und eingezogen, und dem Lord Ferrers zu jener Zeit von Neuem verliehen worden. Allein diese Abkömmlinge Wilhelms, ob sie gleich nicht mehr ihr angeblich ursprüngliches Eigenthum besaßen, prangten doch lange mit dem stolzen Titel der Peverils vom Gipfel, womit sie ihre hohe Abkunft und ihre erhabenen Ansprüche bezeichnen wollten.

Zur Zeit Carls II. war der Repräsentant dieses alten Hauses Sir Gottfried Peveril, ein Mann, der viele gewöhnliche Eigenschaften eines altmodischen Landedelmanns und sehr wenig eigenthümliche Züge besaß, die ihn vor dieser Klasse hätten auszeichnen können. Er war eitel auf geringe Vorzüge, ärgerlich über kleine Verdrießlichkeiten, unfähig eine vorurtheilsfreie Meinung oder Entschließung zu fassen – er war stolz auf seine Geburt, verschwenderisch in seiner Haushaltung, gastfrei gegen seine Verwandten und Bekannten, die seine Ueberlegenheit im Range anzuerkennen geneigt waren – streitsüchtig gegen Alle, die seinen Ansprüchen in den Weg traten – mildthätig gegen Arme, außer wenn sie seine Jagd beeinträchtigten – ein Royalist in seinen politischen Grundsätzen, und ein gleich abgesagter Feind von Puritanern, Wilddieben und Presbyterianern. In der Religion war Ritter Peveril ein so eifriger Freund der Kirche, daß Viele ihn noch für einen geheimen Anhänger des römischkatholischen Glaubens, dem seine Familie erst zu seines Vaters Zeit entsagt hatte, halten und behaupten wollten, er dürfe, kraft einer Dispensation, in äußerlichen Gebräuchen sich nach dem protestantischen Glauben richten. Es ging wenigstens ein solches Gerücht unter den Puritanern, und der Einfluß, den Sir Gottfried Peveril unter den vornehmen Katholiken in Derbyshire und Cheshire zu besitzen schien, verschaffte demselben einige Glaubwürdigkeit.

Ein solcher Mann war Ritter Peveril, und seine Grabschrift hätte nichts Auszeichnendes von ihm zu melden gehabt, wenn er nicht in Zeiten gelebt hätte, welche auch die unthätigsten Charaktere zum Handeln fortrissen, so wie der Sturm auch den stillen See in Bewegung setzt. Als die bürgerlichen Kriege ausbrachen, errichtete Peveril, stolz auf seinen Stammbaum und tapfer von Natur, ein Regiment für den König, und zeigte bei verschiedenen Gelegenheiten mehr Fähigkeit, den Befehl zu führen, als man ihm bisher zugetraut hatte.

Mitten im Bürgerkriege verliebte er sich in eine schöne liebenswürdige junge Dame des edeln Hauses Stanley, die er heirathete; und seine Ergebenheit gegen den König war seitdem desto verdienstlicher, da dieß Verhältniß ihn von ihrem Umgange trennte, die kurzen Zwischenperioden ausgenommen, in welchen ihm seine Pflicht, sie in seinem Hause zu besuchen, vergönnte. Standhaft gegen Reize des häuslichen Lebens, die ihn seinem kriegerischen Berufe entziehen wollten, focht Peveril mehrere harte Jahre des Bürgerkrieges mit vieler Tapferkeit, bis sein Regiment von Poyntz, Cromwell's unternehmendem und glücklichem Anführer der Reiterei, überfallen und niedergehauen wurde. Der besiegte Ritter floh vom Schlachtfelde und zog sich, Unterwerfung verschmähend, in sein eigenes befestigtes Schloß Martindale zurück, welches in einer Belagerung angegriffen und vertheidigt wurde. Aber es litt von dem Geschütz, das Cromwell selbst gegen dasselbe richtete, bedeutend, und wurde am Ende im äußersten Drange übergeben. Sir Gottfried Peveril ward selbst zum Gefangenen gemacht, und während er seine Freiheit bloß unter dem Versprechen, ein friedlicher Unterthan des Staates in Zukunft zu bleiben, wieder erhielt, wurden seine vorherigen Vergehungen, wie die herrschende Partei sie nannte, durch Geldbuße und Sequestration streng bestraft. Aber weder sein erzwungenes Versprechen, noch die Furcht vor ferneren unangenehmen Folgen für seine Person konnte ihn abhalten, sich mit dem tapfern Grafen von Derby Nachts vor dem unglücklichen Gefecht in Wigganlane, wo die Truppen des Grafen zerstreut wurden, zu vereinigen. Peveril hatte Antheil an diesem Kampfe und entfloh mit dem Rest der Royalisten nach der Niederlage, um zu Carl II. zu stoßen. Er war auch Zeuge der entscheidenden Niederlage bei Worcester, wo er zum zweiten Mal Gefangener ward, und als ein, nach Cromwell's Meinung und nach der Sprache der Zeit, hartnäckiger Bösewicht in große Gefahr kam, mit dem Grafen von Derby zu Bolton-le-Moor ebenso die Hinrichtung zu theilen, wie er mit ihm die Gefahren von zwei Gefechten getheilt hatte. Aber Peveril's Leben wurde durch die Fürbitte eines Freundes erhalten, der bei Cromwell's geheimen Rathsversammlungen Einfluß hatte. Dieses war Bridgenorth, ein Mann von mittlerm Stande, dessen Vater in einem Handelsgeschäft unter der friedlichen Regierung Jakob I. Glück gehabt und seinem Sohne eine bedeutende Summe als Zugabe zu dem kleinen von seinem Vater stammenden Erbtheile hinterlassen hatte.

Das feste, doch nicht sehr große Ziegelgebäude Moultrassie-Hall war nur zwei Meilen vom Schloß Martindale entfernt, und der junge Bridgenorth besuchte dieselbe Schule mit dem Erben der Peverils. Eine Art Kameradschaft, wo nicht Vertraulichkeit, entstand zwischen ihnen, die während ihrer jugendlichen Spiele fortdauerte, um so mehr, da Bridgenorth, wiewohl er im Herzen Sir Gottfried Peveril's Ansprüche auf Vorrang nicht in dem Grade anerkannte, als dessen Eitelkeit gewünscht haben möchte, doch im gehörigen Maaße dem Erben eines viel ältern und ansehnlichern Hauses, als das seinige war, eine gewisse Ehrerbietung bewies, ohne sich dadurch auf irgend eine Art herabgesetzt zu glauben.

Bridgenorth trieb jedoch seine Gefälligkeit nicht so weit, daß er Peveril's Partei während des Bürgerkrieges ergriffen hätte. Im Gegentheil leistete er als ein thätiger Friedensrichter bedeutenden Beistand in Aufstellung der Miliz für die Sache des Parlaments, und diente hier eine Zeit lang als Offizier. Dieß war zum Theil seinen religiösen Grundsätzen zuzuschreiben (denn er war ein eifriger Puritaner), zum Theil aber auch seinen politischen Ansichten, welche, ohne schlechthin demokratisch zu sein, doch mehr zu Gunsten des Volks in der großen Nationalangelegenheit stimmten. Außerdem war er ein Mann von Vermögen, und hatte bis auf einen gewissen Punkt sein weltliches Interesse scharf im Auge. Er wußte die Gelegenheiten, die der Bürgerkrieg darbot, durch klugen Gebrauch seines Kapitals seine Gelder zu vermehren, geschickt zu benutzen, und er merkte wohl, daß er durch Verbindung mit dem Parlamente seinem Zweck näher kommen würde; während die Sache des Königs, so wie sie betrieben wurde, dem Reichen nichts darbot, als Erpressungen und erzwungene Anleihen. Aus diesen Gründen ward Bridgenorth ein entschiedener Puritaner, und aller freundliche Verkehr zwischen ihm und seinem Nachbar wurde plötzlich abgebrochen. Dieß geschah auf eine um so weniger kränkende Art, als während des Bürgerkrieges Ritter Peveril fast beständig im Felde war, und dem schwankenden und unglücklichen Schicksale seines Königs folgte, indeß Major Bridgenorth, der bald den wirklichen Kriegsdienst aufgab, vornehmlich in London wohnte, und nur gelegentlich Moultrassie-Hall besuchte, um seine Familie zu sehen.

Bei diesen Besuchen erfuhr er mit großem Vergnügen, daß Lady Peveril der Mistreß Bridgenorth viel Güte erwiesen und ihr und ihrer Familie im Schloß Martindale wirklichen Schutz gewährt hatte, als Moultrassie-Hall von einem Corps schlecht disciplinirter Reiterei Prinz Rupert's mit Plünderung bedroht war. Diese Bekanntschaft war durch öftere gemeinschaftliche Spaziergänge zur Reife gediehen, welche die Nachbarschaft ihrer Wohnungen der Lady Peveril mit Mistreß Bridgenorth zu verabreden Gelegenheit gab, und die letztere fand sich durch den Umgang mit einer so angesehenen Dame sehr geehrt. Major Bridgenorth hörte von dieser wachsenden Vertraulichkeit mit großem Vergnügen und beschloß, die Verbindlichkeit, so weit er ohne zu großen Nachtheil für sich selbst vermochte, durch Verwendung alles seines Einflusses zu Gunsten ihres unglücklichen Gemahls abzutragen. Es war vorzüglich der Vermittlung des Major Bridgenorth zuzuschreiben, daß Ritter Peveril's Leben nach der Schlacht bei Worcester gerettet wurde. Er verschaffte ihm die Erlaubniß, sich über sein Vermögen auf leichtere Bedingungen zu vergleichen, als Vielen, welche weniger widersetzliche Feinde gewesen waren, vergönnt wurde; und endlich, als der Ritter, um zur Bezahlung der Vergleichssumme Geld zu erheben genöthigt war, einen beträchtlichen Theil seines Erbguts zu verkaufen, ward Major Bridgenorth der Käufer, und zwar um einen höhern Preis, als irgend einem Edelmann unter solchen Umständen von einem Mitgliede der Commission für Sequestration bezahlt worden war. Der kluge Mann verlor zwar keineswegs sein eignes Interesse bei der Verhandlung aus dem Gesicht; denn der Preis war bei alledem sehr mäßig, und das Grundstück lag in der Nähe von Moultrassie-Hall, dessen Werth durch diesen Erwerb wenigstens auf's Dreifache erhöht wurde. Allein der unglückliche Eigenthümer hätte sich weit schlimmeren Bedingungen unterwerfen müssen, hätte das Mitglied der Commission, gleich Andern, alle Vortheile seiner Lage sich zu Nutze machen wollen, und Bridgenorth stieg in der allgemeinen Achtung, weil er bei dieser Gelegenheit sein eignes Interesse seinem Edelsinn aufopferte.

Peveril war derselben Meinung, um so mehr, da Major Bridgenorth seine Erhebung mit großer Mäßigung zu ertragen schien und geneigt war, ihm in bessern Vermögensumständen persönlich dieselbe Ehrerbietung, wie ehemals bei ihrer frühern Bekanntschaft, zu beweisen. Man mußte dem Major Bridgenorth die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er in diesem Benehmen eben so wohl den unglücklichen Schicksalen, als den Ansprüchen eines Nachbarn von hoher Abkunft Achtung bewies, und daß er mit dem offnen Edelsinn eines schlichten Engländers gewisse Regeln des Ceremoniels beobachtete, die ihm selbst gleichgültig waren, bloß weil er sah, daß dieß dem Ritter Peveril Vergnügen machte.

Peveril erkannte das Zartgefühl seines Nachbarn und sah ihm deßhalb Vieles nach. Er achtete nicht darauf, daß Major Bridgenorth schon im Besitz von mehr als einem Drittel seines Vermögens war, und in Ansehung des Uebrigen bis zu noch einem Drittel Geldansprüche hatte. Er suchte selbst, was noch schwerer war, die veränderte Lage zu vergessen, in welcher sie und ihre Wohnsitze nunmehr zu einander standen.

Vor dem bürgerlichen Kriege blickten die prächtigen Zinnen und Thürme des Schlosses Martindale, das auf einem hohen Felsen stand, auf das von rothen Mauersteinen gebaute, aus grünen Anpflanzungen hervorschimmernde Wohnhaus majestätisch herab, wie eine Eiche auf junge Schößlinge. Aber nach der erwähnten Belagerung prangte das erweiterte und vergrößerte Moultrassie-Hall eben so stattlich in der Landschaft unter den zerstreuten und geschwärzten Trümmern des Schlosses, von dem bloß ein Flügel bewohnbar geblieben war, wie eine junge Buche in aller ihrer Schönheit des Wuchses und des Laubes sich gegen ein alte, durch den Blitz ihrer Zweige beraubte und zerspaltene Eiche ausnimmt, die nun halb in Splittern zu Boden gestreckt, halb als ein schwarzer, kahler, lebloser, abgebrochener Stamm erscheint. Sir Gottfried Peveril mußte wohl fühlen, daß die Lage und die Aussichten der beiden Nachbarn sich eben so, wie das Verhältnis ihrer Wohnhäuser, zu seinem Nachtheil verändert hatten, und daß, obgleich das Ansehen des Geschäftsführers für das Parlament, des Sequestrators und des Commissionärs nur zum Schutz des Ritters und des Uebelgesinnten verwendet worden war, es doch eben so wirksam zu seinem gänzlichen Ruin hätte gebraucht werden können, und daß er zum Clienten herabgesunken war, während sein Nachbar sich zu einem Beschützer und Gönner erhoben hatte.

Außer dem Drang der Umstände und dem steten Rath seiner Gemahlin, waren es zwei Betrachtungen, welche den Ritter Peveril vermochten, den Zustand seiner Herabsetzung mit einiger Geduld zu ertragen. Die erste war, daß die politischen Gesinnungen des Majors Bridgenorth in vielen Stücken sich seinen eigenen zu nähern anfingen. Als Presbyterianer war er kein völliger Feind der Monarchie, und das unerwartete Verhör nebst der Hinrichtung des Königs hatte ihn sehr erschüttert; als Rechtskundiger und als Mann von Vermögen fürchtete er die Herrschaft des Militärs, und wiewohl er den König Carl nicht durch Waffengewalt wieder eingesetzt zu sehen wünschte, so kam er doch darauf zurück, daß die Staats-Unruhen am besten beigelegt werden könnten, wenn man den Erben des königlichen Hauses unter solchen Vergleichsbedingungen auf den Thron brächte, welche die Freiheiten und Gerechtsame des Volks, wofür das verlängerte Parlament zuerst gestritten, sicher stellten. Wirklich näherten sich die Ideen des Majors über diesen Punkt den Gesinnungen seines Nachbarn so sehr, daß er sich beinahe durch Peveril (der fast an allen Verschwörungen der Royalisten Theil hatte) in den unglücklichen Aufstand von Penruddock und Groves im Westlande hätte verwickeln lassen, wobei viele von der Presbyterianer-Partei sowohl, als von der der sogenannten Ritter in's Gedränge kamen. Und obgleich seine gewöhnliche Klugheit ihn von dieser und andern Gefahren zurückhielt, so wurde doch Major Bridgenorth in den letzten Jahren von Cromwells Herrschaft und dem darauf folgenden Zwischenreich als ein mit der Staatsverfassung Unzufriedener und als ein Anhänger Carl Stuarts angesehen.

Allein, außer dieser Annäherung zu denselben politischen Meinungen verknüpfte noch ein anderes Band der Vertraulichkeit die Familie des Schlosses und Moultrassie-Halls. Major Bridgenorth, ein glücklicher, und zwar besonders in allen seinen auf's öffentliche Leben sich beziehenden Angelegenheiten glücklicher Mann, wurde von harten und wiederholten Unglücksfällen in seiner Familie heimgesucht, und ward hierin ein Gegenstand des Mitleids für seinen ärmeren und mehr herunter gekommenen Nachbar. Zwischen dem Ausbruche des Bürgerkrieges und der Wiederherstellung des Königthums verlor er hinter einander sechs Kinder; wahrscheinlich durch die Zartheit ihres Körperbaues, welche die Kleinen gerade in dem frühen Alter hinwegriß, da sie sich am innigsten an das Herz der Aeltern anzuschließen pflegen. Im Anfange des Jahres 1658 war Major Bridgenorth kinderlos; ehe dies Jahr endete, wurde ihm zwar wieder eine Tochter geschenkt, aber ihre Geburt ward mit dem Tode einer zärtlichen Gattin erkauft, deren Natur durch mütterlichen Gram und durch die ängstliche und nagende Bekümmerniß erschöpft worden war, daß die verlornen Kinder von ihr die schwächliche Gesundheit hätten, welche den Druck des Daseins nicht ertragen konnte. Dieselbe Stimme, die dem Major Bridgenorth die Vaterfreude meldete (es war die freundliche Stimme der Lady Peveril), mußte ihm auch die traurige Botschaft bringen, daß er nicht mehr Gatte sei. Bridgenorth's Gefühle waren mehr starr und tief, als flüchtig und heftig, und sein Kummer nahm die Gestalt einer düstern Betäubung an, von welcher weder die freundlichen Vorstellungen des Ritters Peveril (der nicht unterließ, in diesem Bedrängniß zu ihm zu kommen, wiewohl er den presbyterianischen Geistlichen bei ihm anzutreffen gewiß war), noch die Trostgründe des Pfarrers den unglücklichen Wittwer aufzurichten vermochten.

Endlich machte Lady Peveril an dem Leidenden einen Versuch, den der Anblick des Elends und ihr Mitgefühl ihr eingab, und der oft dem bis zur Verzweiflung gestiegenen Gram einen lindernden Ausbruch in Thränen verschafft. Sie legte in Bridgenorth's Arme das Kind, das ihn ein so theures Opfer kostete, und beschwor ihn, zu bedenken, daß seine Alexie noch nicht für ihn todt sei, da sie in dem hülflosen Kinde fortlebe, das sie seiner Vorsorge überlassen.

»Nehmt sie weg! nehmt sie weg!« sagte der unglückliche Mann, und das waren wieder seine ersten Worte gewesen. »Laßt sie mich nicht ansehen; es ist nur eine andere Blüthe, die geblüht hat, um zu verwelken, und der Baum, der sie trug, wird nicht wieder blühen!«

Er warf das Kind fast in Lady Peveril's Arme, hielt die Hände vor das Gesicht und weinte laut. Lady Peveril sagte nicht: »Beruhigen Sie sich!« sondern sie wagte die Versicherung, daß die Blüthe zur Frucht reifen werde.

»Nie, niemals!« rief Bridgenorth, »nehmt das unglückliche Kind weg, und laßt mich nur wissen, wann ich schwarze Kleidung für sie anlegen muß. Schwarze Kleidung,« sagte er zu sich selbst; »welche andere Farbe sollte ich denn meine übrige Lebenszeit noch tragen?«

»Ich will das Kind eine Zeitlang zu mir nehmen,« sagte Lady Peveril, »weil Euch sein Anblick so schmerzlich ist; und die kleine Alexie soll die Kinderstube mit unserm Julian theilen, bis es Euch Freude und keinen Schmerz mehr machen wird, sie um sich zu sehen.«

»Die Stunde wird nie kommen,« sprach der unglückliche Vater; »ihr Urtheil ist gefällt; sie wird den Andern nachfolgen; Gottes Wille geschehe! – Ich danke Euch, edle Frau; ich vertraue sie Eurer Fürsorge, und danke Gott, daß ich ihren Todeskampf nicht mit ansehen soll.«

Ohne den Leser länger mit diesem traurigen Gegenstande zu beschäftigen, ist es genug, zu sagen, daß Lady Peveril die Mutterpflichten gegen die kleine Waise übernahm, und vielleicht war es großentheils ihrer einsichtsvollen Behandlung zu danken, daß das schwache Leben des Kindes erhalten wurde, weil der glimmende Funke wahrscheinlich ganz erloschen wäre, wenn es, gleich den vorigen Kindern des Majors, die überzärtliche Sorge und Pflege einer Mutter erfahren hätte, welche durch so vielfachen Verlust zu bedenklich und ängstlich geworden war. Sie übernahm diese Pflicht um so gerner, weil sie selbst zwei kleine Kinder verloren hatte, und weil sie die Erhaltung des dritten, jetzt eines schönen, gesunden, dreijährigen Knaben, ihres kleinen Julian, einer von der damals gewöhnlichen ziemlich abweichenden Diät und Behandlung zuschrieb. Sie beschloß, ebenso mit der kleinen Waise zu verfahren, und der Erfolg war glücklich. Durch einen sparsamen Gebrauch der Arznei, durch freien Genuß der frischen Luft, durch feste, doch vorsichtige Aufmunterung und Beförderung der Thätigkeiten der Natur, nahm das schwächliche Kind unter der Pflege einer trefflichen Amme allmählig an Stärke und Lebhaftigkeit zu.

Sir Gottfried Peveril war, wie die meisten Leute von seinem offenen und gutmüthigen Temperament, von Natur ein Kinderfreund, und nahm so viel Theil an den Leiden seines Nachbarn, daß er gänzlich vergaß, daß derselbe ein Presbyterianer war, bis es nothwendig ward, das Kind von einem Geistlichen dieses Bekenntnisses taufen zu lassen.

Dies war ein kritischer Fall. Der Vater schien unfähig, eine Anordnung zu treffen, und daß die Schwelle des Schlosses Martindale von dem Fußtritt eines Geistlichen von abweichendem Glauben entweiht würde, war ein Gegenstand des Entsetzens für den rechtgläubigen Eigenthümer. Doch so groß war der Einfluß der Lady Peveril auf die Vorurtheile ihres Gemahls, daß er sich bewegen ließ, die Ceremonie in einem abgelegenen Gartenhause, das eigentlich nicht in den Bezirk der Schloßmauer gehörte, vornehmen zu lassen. Die Lady wagte selbst zu erscheinen, während die Ceremonie von dem ehrwürdigen Solsgrace vollzogen wurde, welcher einmal eine drei Stunden lange Predigt vor dem Unterhause zur Danksagung nach dem Entsatz Exeters gehalten hatte. Sir Peveril hielt sich sorgfältig den ganzen Tag von dem Schlosse entfernt, und bloß aus seiner großen Betriebsamkeit, das Gartenhaus waschen, räuchern, und gleichsam reinigen zu lassen, hätte man seine Kenntniß von dem, was darin vorgegangen, muthmaßen können.

Allein, was für Vorurtheile auch immer der Ritter gegen die Form der Religion seines Nachbarn hegen mochte, sie hatten doch keinesweges Einfluß auf seine Gefühle für ihn, als einen schwer bedrängten Leidenden. Die Art, wie er sein Mitleiden bewies, war etwas sonderbar, aber ganz genau dem Charakter beider, und dem Fuß, auf dem sie gegen einander standen, angemessen.

Einen Morgen nach dem andern machte der Baronet Moultrassie-Hall zum Ziel seines Spaziergangs oder Ritts, und sprach ein freundliches Wort, wenn er vorbeikam. Bisweilen trat er in das öde Besuchzimmer, wo der Hausherr in einsamer Betrübniß und Verzweiflung saß; aber häufiger (denn Peveril besaß keine besondere Gabe der Unterhaltung) blieb er auf der Terrasse stehen oder hielt mit seinem Pferde am Gitterfenster, und rief laut zu dem trübsinnigen Bewohner hinein: »Wie geht es mit Euch, Herr Bridgenorth? (Der Ritter wollte nie den militärischen Rang seines Nachbarn als Major anerkennen.) Ich sah eben herein, Euch guten Muth einzusprechen und Euch zu sagen, daß Julian wohl ist, und Alexie wohl ist, und Alle auf dem Schloß Martindale sich wohl befinden.«

Ein tiefer Seufzer, manchmal mit dem Zusatz: »Ich danke Euch, edler Ritter; meine schuldige Danksagung der Lady Peveril,« war gewöhnlich Bridgenorths einzige Antwort. Aber die Nachricht wurde von der einen Seite mit derselben Güte empfangen, mit der sie von der andern gegeben war; sie wurde allmählig weniger schmerzhaft, und erregte mehr Theilnahme, das Gitterfenster war nie zugemacht, auch war der lederne Armstuhl, zunächst an demselben, nie leer, wenn die glückliche Stunde von Peveril's kurzem Besuch nahte. – Endlich ward die Erwartung der flüchtigen Minute die Angel, um welche sich die Gedanken des armen Bridgenorth während des ganzen übrigen Tages drehten. So konnte er in seinem einsamen Armstuhl sitzend, den gesetzten Schritt des Ritters, oder den schweren Hufschlag seines Streitrosses, Black-Hastings, das ihn in manchen Kampf getragen hatte, aus der Ferne vernehmen; er konnte das Trällern des Liedes: »Der König kommt wiederum in sein Reich,« oder das angewöhnte Pfeifen eines Spottliedes auf die Puritaner in ehrerbietiger Stille verhallen hören, sobald der Ritter dem Hause der Betrübniß näher kam, und alsdann erscholl die laute Stimme des waidmännischen Kriegers mit dem gewohnten Gruß.

Nach und nach wurde die Mittheilung etwas mehr in die Länge gezogen, da der Gram des Majors, wie alle menschlichen Gefühle, seine überwältigende Heftigkeit verlor und ihm gestattete, einigermaßen auf das, was um ihn her vorging, aufzumerken, verschiedene dringende Pflichten zu erfüllen und der Lage des Vaterlandes einige Theilnahme zu widmen, welches durch streitende Parteien beunruhigt war, deren Kampf nur erst mit der Wiedereinführung des Königthums endete. Immer mehr, jedoch nur langsam von den Schlägen des Schicksals sich erholend, fühlte sich Major Bridgenorth noch unvermögend zu dem Anstrengung kostenden Entschluß, sein Kind wiederzusehen, und obgleich nur durch einen kleinen Raum von dem Wesen getrennt, an dessen Dasein er mehr als an irgend Etwas in der Welt Interesse haben mußte, machte er sich bloß mit den Fenstern des Zimmers bekannt, wo die kleine Alexie wohnte, und man sah ihn diese Fenster oft von der Terrasse her betrachten, wenn sie Abends von der untergehenden Sonne beleuchtet wurden.

In der That war er, bei aller sonstigen Seelenstärke, nicht fähig, den düstern Gedanken zu überwinden, daß dies übrig gebliebene Pfand der Zärtlichkeit bald zu dem Grabe gesandt werden würde, welches schon Alles, was ihm außerdem theuer war, verschlungen hatte, und er erwartete in kläglicher Bangigkeit den Augenblick, wo er von den sich zeigenden Zufällen der tödtlichen Krankheit hören würde.

Aber Peveril's Stimme blieb tröstlich und erheiternd bis zum April 1660, als sie plötzlich einen neuen, andern Ton annahm. Statt sein gewöhnliches, oben erwähntes Lied abzubrechen, als der hastige Trab des Rappen an die Auffahrt kam, ertönte es vielmehr zu dem Getöse seiner Hufe auf dem gepflasterten Hofraum, als der Ritter Peveril von seinem großen Feldsattel herabsprang, der nun wieder einmal Pistolen von zwei Fuß Länge trug, und in voller stählerner Rüstung, einen Streitkolben in der Hand, mit funkelnden Augen und glühenden Wangen in das Zimmer des erstaunten Majors trat. »Auf! auf! Nachbar,« rief er ihm zu; »jetzt ist keine Zeit, am Kaminwinkel zu träumen. Wo ist Euer Ledercollet, Euer Schwert? Ergreift einmal die rechte Partei in Eurem Leben, und macht das Vergangene wieder gut. Der König ist lauter Milde, lauter Huld und Gnade. Ich will Euch volle Verzeihung auswirken.« –

»Was soll das Alles bedeuten?« sagte Bridgenorth; »steht Alles wohl bei Euch im Schloß, werther Ritter?«

»Wohl, Alles nach Wunsch; Alexie, Julian und Alle sind wohl. Aber ich habe Nachrichten, zwanzigmal mehr werth, als diese. Monk hat sich zu London wider die niederträchtigen Schurken des Parlaments erklärt. Fairfax tritt auf in Yorkshire – für den König – für den König, Bridgenorth! Geistliche, Presbyterianer und Alle rüsten sich für den König Carl. Ich habe einen Brief von Fairfax, Derby und Chesterfield zu schützen mit allen Leuten, die ich aufbringen kann. Der Henker hole ihn, daß ich Befehle von ihm annnehmen sollte! Doch weiter nichts davon! Alles ist Freund, und Ihr und ich, Nachbar, greifen gemeinschaftlich an, wie es guten Nachbarn ziemt. Seht hier, leset, leset, leset, und dann Stiefel an, und Sattel auf, ohne Verzug!

Ritter, auf, vereint,
Schlagt den alten Feind;
Cromwell sieht man schon
Vor den wackern Rittern
Todtenbleich erzittern.«

Nachdem er so mit Donnerstimme seine Begeisterung für den König hatte laut werden lassen, floß das Herz des Tapfern von Rührung über. Er warf sich in einen Sessel und rief: »Hätte ich je geglaubt, diesen glücklichen Tag zu erleben!« Er weinte, nicht minder zu seinem eigenen, als zu Bridgenorth's Erstaunen.

Nach Ueberlegung der Krisis, in welcher sich das Vaterland befand, schien es dem Major Bridgenorth, wie es Fairfax und andern Anführern der presbyterianischen Partei geschienen hatte, daß es unter diesen Umständen am klügsten und für das Vaterland am ersprießlichsten sei, wenn sie freiwillig zur Sache des Königs überträten, da alle Stände und Classen Zuflucht aus der Ungewißheit und der abwechselnden Bedrückung suchten, welche die wiederholten Kämpfe zwischen den Parteien von Westminsterhall und Wallingfordhaus begleiteten. Demgemäß vereinigte er sich mit dem Ritter Peveril, zwar mit weniger Begeisterung, aber mit gleicher Aufrichtigkeit, und ergriff solche Maßregeln, welche ihren Theil des Landes zu Gunsten des Königs sicher zu stellen schienen, was eben so kräftig und friedlich bewerkstelligt wurde, als in andern Theilen Englands. Beide Nachbarn waren zu Chesterfield, als Kunde von des Königs Landung in England ankam, und der Ritter Peveril machte sogleich sein Vorhaben bekannt, dem König noch vor seiner Rückkehr in's Schloß Martindale aufzuwarten.

»Wer weiß, Nachbar,« sagte er, »ob Ritter Gottfried Peveril je wieder nach Martindale zurückkommt? Titel müssen dort ausgetheilt werden, und ich habe wohl so Etwas unter den Uebrigen verdient. Lord Peveril würde gut klingen; doch halt! Graf von Martindale, – nein, nicht von Martindale, – Graf vom Gipfel. Unterdessen, vertraut mir Eure Sache. Ich werde Euch schon schützen. Ich wünschte, Ihr wäret kein Presbyterianer gewesen, Nachbar. Der Name Ritter – ich meine einen bloßen Ritter, keinen Baronet – würde für Euch recht wohl passen.«

»Ich überlasse das meinen Obern, edler Ritter,« sagte der Major, »und wünsche nichts mehr, als Alles zu Martindale wohl zu finden, wenn ich zurückkomme.«

»Ihr werdet Alle wohl finden,« erwiederte der Baronet; »Julian, Alexie, Lady Peveril, und Alle: bringt ihnen meinen Gruß, und küßt sie Alle, Nachbar, Lady Peveril und Alle. Ihr könnt vielleicht eine Gräfin küssen, wenn ich zurückkomme; Alles wird nun gut mit Euch gehen, da Ihr ein ehrlicher Mann geworden seid.«

»Das hab' ich immer gemeint zu sein, edler Ritter,« gab Bridgenorth ruhig zur Antwort.

»Gut, gut, – nicht böse gemeint,« sagte Peveril, »Alles ist nun gut, – Ihr nach Moultrassie-Hall und ich nach White-Hall. War's recht so? Nun wohl, lieber Wirth, einen Becher Kanariensekt auf des Königs Gesundheit, ehe wir zu Pferde steigen! Ach, ich vergaß, Nachbar, daß Ihr keine Gesundheiten trinkt.«

»Ich wünsche dem Könige Gesundheit so herzlich, als ob ich darauf eine ganze Flasche geleert hätte,« gab der Major zur Antwort; »und wünsche Euch, edler Ritter, alles Glück auf Eurer Reise und Wiederkehr.«



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