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Der Zufall thut es nicht. Er schickt den Wind;
Doch wenn am Ruder schläft der Steuermann,
Dann kann der Wind, der uns zum Ufer treibt,
Uns auf die Sandbank werfen. Wachsamkeit
Ist jederzeit die Pflicht des Steuermanns.
Altes Schauspiel.
Wir haben Nigeln, dessen Schicksale zu beschreiben wir uns auf dem Titelblatte verpflichtet haben, in dem Augenblicke verlassen, wo er trübsinnig und einsam in dem Hause des Wucherers Trapbois sitzend, statt eines Besuchs von seinem Freunde, dem Templer, einen Brief erhalten hatte, worin die Gründe angegeben waren, warum der Student nicht zu ihm ins Elsaß kommen konnte; demnach schien sein Verkehr mit dem achtbareren Theile der Gesellschaft vorläufig ganz abgeschnitten, – Stoff zu traurigen und für sein stolzes Herz demüthigenden Betrachtungen.
Er trat an das Fenster seiner Stube und fand die Straße in jenen dicken, düsteren und gelblichen Nebel gehüllt, wie er sich oft auf die niedrigen Theile von London und Westminster lagert. In der Finsterniß, die man fast mit Händen greifen konnte, sah er wie Gespenster dann und wann einen Schlemmer wandeln, den der Morgen da gefunden, wo der Abend ihn gelassen hatte, und der jetzt mit wankenden Schritten und mit einem Instinkt, den die Trunkenheit nicht ganz überwältigen konnte, den Weg nach seiner Wohnung suchte, um dort den Tag in Nacht zu verwandeln und die Unmäßigkeit zu verschlafen, die für ihn die Nacht zum Tage gemacht hatte. Obwohl es in der übrigen Altstadt schon heller Tag war, brach im Elsaß erst die Dämmerung an. Kein Laut des Arbeitsfleißes, der sonst überall schon lange die Schläfer geweckt hatte, ließ sich hier vernehmen. Der Anblick war zu langweilig und widerwärtig, als daß Lord Glenvarloch am Fenster hätte bleiben mögen. Er wandte sich um und betrachtete mit mehr Aufmerksamkeit die Beschaffenheit und Ausstattung seiner Wohnung.
Ein großer Theil dieser Ausstattung war seiner Zeit kostbar und prächtig gewesen. Es stand da ein mächtig großes Bett mit vier Pfosten von geschnitztem Eichenholze, aus dem man den Kopf eines Kriegsschiffs hätte machen können, und mit gewirkten Vorhängen, die Segel hätten vorstellen können. Ferner hing an der Wand ein großer venetianischer Spiegel in vergoldetem massiven Messingrahmen, ein Möbel, welches eine bedeutende Summe werth gewesen sein mußte, bevor es den fürchterlichen Sprung bekommen hatte, der es von einer Ecke zur andern schräg theilte und zu seiner Fläche in demselben Verhältniß stand, wie der Nil zur Karte von Aegypten. Die Stühle waren von verschiedener Form. Einige waren mit Schnitzwerk verziert, andere trugen Spuren von Vergoldung; einige waren mit gepreßtem Leder, andere mit Stickereien überzogen. Alle aber waren schadhaft und wurmstichig. Ueber dem Kamin hing ein Gemälde von der keuschen Susanna und den Aeltesten, welches für werthvoll hätte gelten können, wenn die Ratten nicht die Nase der keuschen Schönen und den Bart eines ihrer ehrwürdigen Bewunderer verspeiset gehabt hätten.
Mit einem Wort, Alles, was Nigel sah, schien von Auspfändungen herzurühren, oder zu Spottpreisen von Gerümplern gekauft und hier in dem Zimmer wie in einem Gewölbe ohne Geschmack und ohne Rücksicht auf Uebereinstimmung aufgestapelt zu sein. Die Wohnung kam dem Freiherrn vor wie ein Haus an der Küste. Wie diese oft mit der Beute von gestrandeten Schiffen ausgestattet sind, so schien dies mit dem hinterlassenen Gute zu Grunde gerichteter Verschwender aufgeputzt zu sein. » Mein Schiffchen ist in der Brandung,« sprach Nigel für sich, »allein mein Schiffbruch wird dem Strandläufer wenig Vortheil bringen.«
Er betrachtete längere Zeit den Rost im Kamin, eine Masse verrosteter Eisenstangen, welche unsicher auf drei messingenen Löwenfüßen ruhten, während der vierte, durch Zufall verbogen, stolz in die Höhe stand, als wollte er auftreten, oder als wollte der ganze Rost sich unterfangen, in die Mitte des Zimmers vorzuschreiten und hätte einen Fuß dazu aufgehoben. Nigel lächelte, als dieser wunderliche Gedanke ihm durch den Kopf ging. »Ich muß aber doch seinen Marsch aufhalten,« sprach er für sich; »es ist rauh und frostig genug, daß man Feuer vertragen kann.«
Er rief die breite Treppe hinab, welche mit ihrem schweren eichenen Geländer zu seinem und zu vielen andern Zimmern führte, denn das alte Haus war ziemlich weitläufig. Da er auf wiederholtes Rufen keine Antwort erhielt, so mußte er sich bequemen, sich aufzumachen, um Jemand zu suchen, der seinem Bedürfniß abhelfen könne.
Nigel war nach der Weise der alten Welt in Schottland einfach und fern von Verweichlichung und Prunk erzogen worden; nichtsdestoweniger war er an ehrerbietiges Entgegenkommen und an die stete Aufwartung von einem oder zwei Dienern gewöhnt. Dies war der Fall bei allen Vornehmen in Schottland, wo der Lohn fast Nichts betrug, und wo ein Mann von Stande für Nahrung, Kleidung und Wohnung so viel Diener bekommen konnte, als er wollte. Nigel fühlte sich darum verletzt und gekränkt, als er Aufmerksamkeit und Bedienung vermißte, und seine Mißstimmung war um so größer, da er sich über sich selbst ärgerte, daß er sich durch eine solche Kleinigkeit aufregen ließ, während viel wichtigere Dinge seine Seele in Anspruch nahmen. »Es müssen doch Dienstleute in einem so großen Hause, wie dieses, sein,« sprach er, indem er über einen Vorplatz schritt, welcher durch einen schmalen Gang mit dem Hauptgange in Verbindung stand. Er versuchte, verschiedene Zimmer zu öffnen. Einige waren verschlossen; in den offenen sah er Nichts als kahle Wände; alle aber schienen unbewohnt zu sein. Er kehrte wieder nach der Treppe zurück, und beschloß noch weiter hinunter zu gehen, in der Ueberzeugung, daß er wenigstens im Erdgeschoß den alten Herrn mit seiner häßlichen Tochter finden werde. Bevor er dies that, ging er noch in ein kleines, finsteres, niedriges Zimmer. Hier erblickte er vor einem alten Ledersessel ein paar Pantoffeln, zur Linken desselben einen Krückenstock und weiter vor dem Sessel einen eichenen Tisch mit einem großen Schreibpult, der mit Eisen wohl verwahrt war, und auf dem ein zinnernes Dintefaß stand. Ringsum an den Wänden waren Schränke und Bücherbretter angebracht. Ueber dem Kamin hing ein Schwert, eine Stutzbüchse und ein Paar Pistolen, gleichsam ankündigend, daß der Eigenthümer bereit sei zu Vertheidigung seines Hauses.
»Das muß die Höhle des Wucherers sein,« dachte Nigel, und wollte eben rufen, als der Greis, den der Geiz nicht fest schlafen ließ, aus einem inneren Zimmer sich mit gereizter und durch seinen Morgenhusten noch mehr zitternder Stimme vernehmen ließ.
»Uhu, uhu, uhu – wer ist da? Ich sage – uhu, uhu, uhu – wer ist da? He, Martha! – uhu, uhu – Martha Trapbois! Hier sind Diebe im Hause, die wollen keine Antwort geben. He, Martha! – Diebe! Diebe! uhu, uhu, uhu.«
Nigel versuchte, ihm seinen Irrthum zu benehmen, allein das Wort »Diebe« war ihm nicht aus dem Munde zu bringen. Er schrie und hustete, bis die holde Martha eintrat. Diese überschrie erst ihren Vater, um ihn zu überzeugen, daß keine Gefahr sei, und ihn zu versichern, daß der Eindringling ihr neuer Miethsmann sei, was ihr am Ende gelang, nachdem der Alte noch mehrmals wiederholt hatte: »Halt ihn fest! uhu, uhu, uhu!« Sodann fragte sie trocken den Freiherrn, was er in ihres Vaters Zimmer wolle?
Der Miethsmann hatte unterdessen Zeit gehabt, ihre Gestalt zu betrachten, und keinen Anlaß gefunden, die Vorstellung, welche er sich am verflossenen Abend beim Kerzenlicht von ihr gemacht hatte, für zu ungünstig zu halten. Sie trug einen Wulstrock und einen sogenannten Königin Marienkragen, der aber nicht dem liegenden Kragen glich, in welchem die unglückliche Maria von Schottland abgebildet wird, sondern vielmehr dem steifen spanischen Kragen, aus welchem das mürrische Gesicht ihrer Namensschwester von England, der berüchtigten Ketzerverbrennerin hervorsah. Diese veraltete Tracht stimmte vollkommen zu dem farblosen Gesicht, den grauen Augen, den dünnen Lippen und den harten Zügen der alten Jungfer. Eine schwarze Haube ließ kein Haar ihres Hauptes sichtbar werden, vermuthlich weil sie mit jener einfältigen Zeit nicht die Kunst verstand, das beginnende Grau ihrer Locken zu übertünchen. Ihre Gestalt war lang, schmächtig und platt, ihre Arme und Hände bestanden aus Haut und Knochen; ihre großen Füße steckten in Schuhen mit hohen Absätzen, die ihre an sich schon übermäßig lange Gestalt noch größer erscheinen ließen. Man bemerkte, daß der Schneider seine Kunst angewandt hatte, um einen kleinen Fehler ihrer Gestalt zu verbergen, die ungebührliche Höhe der einen Schulter. Allein die Bemühungen des sinnreichen Handwerksmannes hatten lediglich den Erfolg, diese wohlwollende Absicht in die Augen springen zu lassen, ohne zu beweisen, daß er im Stande gewesen, sie zu erreichen.
Die trockne Frage: »Was sucht Ihr hier, Herr?« erscholl aus dem Munde der eben beschriebenen Martha Trapbois wiederholt, und traf in geschärfterem Tone das Ohr Nigels, der ihr Aussehen musterte und sie in Gedanken mit einer der verblichenen finsteren Figuren auf seinen Bettvorhängen verglich. Der Freiherr antwortete, er suche das Gesinde, weil er an dem rauhen Morgen Feuer angemacht haben wolle.
»Die Frau, die unsere Hausarbeit thut,« versetzte Jungfer Martha, »kommt erst um acht Uhr. Wollt Ihr früher Feuer, so könnt Ihr Wellen und einen Eimer mit Steinkohlen in dem äußeren Kamin oben an der Treppe finden, und auf dem oberen Bänkel Stahl und Stein, und damit könnt Ihr Feuer anmachen.«
»Nein – nein – nein! Martha,« rief ihr Vater, der in seinem schmutzigen Schlafrock mit offenen Hosen und mit Pantoffeln an den Füßen aus seinem Schlafzimmer gerannt kam. Beim Beginn seines Laufes hatte er den Kopf noch ganz voll von Räubern, denn er erschien mit einem Rappier in der Hand, welches, obwohl rostig, doch immer noch gefährlich genug aussah. Als er aber an die Thür kam, hörte er von Feueranmachen, und dies änderte gänzlich den Lauf seiner Gedanken. »Nein! – nein! – nein! –« rief er, bei jeder Verneinung die Stimme steigernd, »der Herr soll sich nicht die Mühe nehmen, Feuer anzumachen – uhu, uhu! Ich will es selber anmachen für eine Er–kennt–lich–keit.«
Erkenntlichkeit war ein Lieblingswort des Alten, welches er auf eigne Weise Silbe für Silbe aussprach, mit einem besondern Nachdruck auf der letzten Silbe. Es diente ihm als schützende Clausel, um sich gegen alle unangenehme Folgen seiner eifrigen Dienstwilligkeit zu verwahren.
»Schämt Euch, Vater,« nahm Martha das Wort. »Das darf nicht sein. Meister Grahame wird sich selbst sein Feuer anmachen, oder warten, bis die Putzfrau kommt, je nachdem es ihm gefällt.«
»Nein, Kind! nein, Kind!« wiederholte der alte Geizhals. »Keine Putzfrau soll je einen Rost in meinem Hause anrühren. Sie legen – uhu – die Welle obendrauf, so daß die Kohlen nicht angehen und die Flamme in den Schornstein hinaufgeht, und Holz und Hitze in den Wind gejagt werden. Ich will das Feuer für den Herrn machen, wie es sich gehört, für eine Er–kennt–lich–keit, so daß es den ganzen Tag – uhu, uhu – hält.« Sein Eifer reizte ihn so zum Husten, daß Nigel aus den weiteren abgebrochenen Worten nur mit Mühe die Weisung an Martha entnehmen konnte, das Schüreisen und die Kluft von dem Kamin des Gastes wegzunehmen, weil er, der Hausherr, selber sich dem Dienste unterziehen wolle für eine Er–kennt–lich–keit.
Martha achtete so wenig auf das Geheiß ihres Vaters, wie eine Frau, welche die Hosen anhat, auf die Befehle des Mannes, der unter ihrem Pantoffel steht. Sie wiederholte nur in nachdrücklicherem Tone: »Schämt Euch, Vater, schämt Euch!« wandte sich dann zu dem Gaste und sagte zu ihm in ihrer unverbindlichen Weise: »Meister Grahame, es ist am besten, daß ich von vorn herein offen mit Euch rede. Mein Vater ist ein alter, ein sehr alter Mann, Ihr seht, er ist etwas verstandesschwach, – wiewohl ich Euch nicht rathen wollte, einen Handel mit ihm abzuschließen, sonst würdet Ihr finden, daß er Euch darin doch noch zu schlau ist. Ich meinerseits bin eine von der Welt zurückgezogene Person, und liebe, offen gesprochen, Gesellschaft nicht. Wenn Ihr Euch mit Dach und Fach und Sicherheit begnügen wollt, so wird es Eure eigene Schuld sein, wenn Ihr diese Dinge vermißt; sie sind in diesem unglückseligen Quartier nicht überall zu finden. Wenn Ihr aber entgegenkommende Dienstfertigkeit verlangt, so müßt Ihr sie hier nicht suchen.«
»Ich pflege ebenfalls meine Gesellschaft nicht aufzudringen, oder andere Leute zu stören,« erwiderte der Miethsmann. »Allein ich brauche einen Diener, der mir beim Ankleiden hilft. Vielleicht könnt Ihr mir einen zuweisen.«
»Zwanzig für einen,« antwortete Jungfer Martha, »die Euch die Tasche ausleeren, während sie Euch nesteln, und die Euch die Kehle abschneiden, während sie Euer Kopfkissen zurechtlegen.«
»Ich selber will sein Diener sein,« begann der Alte wieder, der einen Augenblick sich in andere Gedanken verloren, jetzt aber wieder den Faden des Gesprächs erfaßt hatte. »Ich will seinen Mantel – uhu, uhu – ausbürsten und ihn nesteln – uhu – seine Schuhe putzen – uhu, uhu – und seine Bestellungen schnell und sicher ausrichten – uhu, uhu – uhu – uhu – für eine Er-kennt-lich-keit.«
»Guten Morgen, geehrter Herr,« sprach Martha in einem Tone, der andeutete, daß sie seine sofortige Entfernung verlange. »Es kann für eine Tochter nicht angenehm sein, daß sie ihren Vater so zu einem Fremden sprechen hört. Wenn Ihr ein wirklicher Edelmann seid, so werdet Ihr Euch auf Euer Zimmer zurückziehen.«
»Ich will mich keinen Augenblick länger aufhalten,« erwiderte Nigel achtungsvoll, denn er fand die Barschheit des Weibes entschuldbar. »Ich wollte Euch blos fragen, ob es im Ernste gefährlich ist, hier einen Diener anzunehmen?«
»Junger Herr,« antwortete Martha, »Ihr müßt wenig von Whitefriars wissen, um eine solche Frage zu thun. Wir wohnen allein in diesem Hause, welches noch selten ein Fremder betreten hat. Auch Ihr würdet, offen gesprochen, nicht hereingekommen sein, wenn ich darum befragt worden wäre. Betrachtet die Hausthür und sprecht, ob eine Burg besser verwahrt sein kann. Die Fenster des Erdgeschosses sind von Außen mit Eisengittern verwahrt, und wie inwendig die Läden sind, das könnt Ihr hier sehen.«
Sie zog einen Laden vor und Nigel erblickte eine schwere eiserne Querstange und Kette zum Verwahren desselben. Der Alte drängte sich an seine Tochter, faßte mit zitternder Hand ihr Kleid und flüsterte: »Zeige ihm nicht, wie sie auf- und zugemacht werden, ja nicht! – uhu – uhu – für keine Erkenntlichkeit.« Martha fuhr fort, ohne auf ihn zu achten: »Und dennoch, junger Herr, sind wir mehr als ein Mal auf dem Punkte gewesen, alle diese Maßregeln zum Schutze unseres Lebens ungenügend zu finden; so gefährlich ist die Wirkung, welche auf die gottlose Art in unserer Nähe das Gerücht von meines Vaters Reichthum gemacht hat.«
»Sprich nicht davon, Weibsbild!« fiel der Geizhals ein, dessen Heftigkeit durch die bloße Andeutung, daß er für reich gelte, gereizt wurde. »Sprich nicht davon, oder ich schlage dich, Weibsbild, mit meinem Stock, wenn du Lügen verbreitest, die uns am Ende den Hals kosten. – Uhu, uhu – ich bin ein armer Mann,« fuhr er zu Nigel gewendet fort, »ein blutarmer Mann, bereit, jeden ehrlichen Dienst auf der Welt zu leisten für eine geringe Erkenntlichkeit.«
»Ich sage Euch also zum Voraus, wie Ihr hier leben müßt,« fuhr Martha fort. »Die arme Frau, welche bei uns die Hausarbeit verrichtet, wird Euch, soweit sie es vermag, zur Hand gehen, allein ein verständiger Mann hilft sich am besten selber.«
»Ich danke Euch für diese Lehre,« erwiderte Nigel. »Ich will sie mit Muße beherzigen.«
»Ihr werdet wohl daran thun,« bemerkte Martha; »und da Ihr guten Rath mit Dank anzunehmen scheint, so will ich Euch weiteren geben, obwohl dies nicht mein Geschäft ist. Knüpft durchaus keine vertraute Bekanntschaft in Whitefriars an. Borgt in keiner Weise Geld, namentlich nicht von meinem Vater, denn so alterschwach er auch scheint, wird er doch einen Esel aus Euch machen. Und endlich, was die Hauptsache ist, bleibt nicht einen Augenblick länger hier, als Ihr müßt. Lebt wohl, geehrter Herr.«
»Ein knorriger Baum trägt oft gute Frucht, und ein rauhes Wesen kann oft guten Rath geben,« dachte Lord Glenvarloch, als er auf sein Zimmer zurückkehrte. Er wiederholte sich mehrmals diese Betrachtung, während er, unfähig, sich mit dem Gedanken des Feueranmachens in eigener Person zu befreunden, in seinem Schlafzimmer auf- und abging, um sich durch Bewegung warm zu machen.
Endlich gestalteten sich seine Gedanken zu folgendem Selbstgespräche. Dies soll nicht heißen, als habe Nigel buchstäblich das gesprochen, was in Anführungszeichen eingeschlossen nun folgt; sondern der geneigte Leser soll hier nur in Form einer Rede, statt in Form eines Berichtes, die Erwägungen und Entschlüsse unseres Helden geschildert finden. Mit andern Worten, ich habe seine Gedanken in Aeußerungen übersetzt, denn dies, denke ich, ist das Wesen des Selbstgesprächs auf der Bühne, wie am Lesepulte. Es ist der natürliche und vielleicht einzige Weg, dem Zuschauer und Hörer mitzutheilen, was im Innern der auftretenden Person vorgeht. In der Wirklichkeit gibt es freilich keine solchen Selbstgespräche; wenn sie aber nicht als ein conventionelles Medium der Mittheilung zwischen Dichter und Publikum zugelassen würden, so müßten wir die Dramatiker auf das Recept von Meister Puff beschränken, welcher den Lord Burleigh ein langes politisches Raisonnement dem Publikum durch ein umfassendes Kopfschütteln zu verstehen geben läßt. In der Erzählung kann der Verfasser freilich sagen: Meine Personen dachten so und so, vermutheten so und so, und gelangten endlich zu dem und dem Schlusse. Allein das Selbstgespräch sagt kürzer und lebendiger dasselbe. Also erlauben wir uns zu sagen, Lord Glenvarloch sprach so oder etwa so zu sich selber:
»Sie hat Recht, und ich will aus ihrer Lehre Nutzen ziehen. Mein ganzes Leben hindurch habe ich mich auf Andere verlassen, wo ich mir als vernünftiger Mensch hätte selber helfen können. Ich schäme mich, daß lange Gewohnheit mich dahin gebracht hat, mich beim Mangel eines Dieners hülflos zu fühlen. Noch weit mehr aber schäme ich mich, daß diese Gewohnheit, meine Last Andern aufzuladen, mich, seitdem ich in diese Stadt gekommen bin, zu einem bloßen Spielwerk der Begebenheiten gemacht hat, in welche ich nie versucht habe selbstthätig einzugreifen. So war ich ein Wesen, welches Einwirkungen stets empfing, und nie ausübte, – von dem einen Freunde beschützt, von dem andern verrathen, und in beiden Beziehungen so passiv und unselbstständig, wie ein Kahn, der ohne Ruder und Steuer von den Wellen umhergetrieben wird. Ich bin ein Hofmann geworden, weil Heriot es mir gerathen, ein Spieler, weil Dalgarno es darauf angelegt, ein Elsasser, weil Lowestoffe es so gewollt hatte. Was mir Gutes oder Uebles begegnet ist, das ist durch das Thun Anderer gekommen, nicht durch mein eigenes. Meines Vaters Sohn darf nicht ferner dies fügsame kindische Benehmen zeigen. Leben oder sterben, untergehen oder schwimmen – von nun an soll Nigel Olifaunt seine Rettung, sein Glück, seine Ehre seinen eigenen Anstrengungen verdanken, oder er soll umkommen wenigstens mit dem Namen, daß er freiwollend und selbstthätig gewesen ist. Ich will genau ihre Worte in meine Schreibtafel eintragen: ›Ein verständiger Mann hilft sich selber am besten‹.«
Er hatte eben seine Schreibtafel wieder eingesteckt, als die Putzfrau, eine durch Rheumatismus jämmerlich verkrüppelte Alte, hereingehinkt kam, um zu sehen, ob sie durch Dienstleistung einen kleinen Lohn verdienen könne. Sie übernahm es, dem Freiherrn ein Frühstück zu besorgen, und da eine Garküche dicht nebenan war, so brachte sie es schneller, als Nigel gedacht hatte.
Nachdem dies einsame Mahl beendigt war, wurde ein Pförtner aus dem Tempel angemeldet, welcher nach Meister Grahame im Auftrag seines Freundes, Meister Lowestoffe, frage. Die Alte ließ ihn ein. Er überlieferte Nigeln einen kleinen Koffer mit den Kleidern, welche er geschickt haben wollte, und schob ihm geheimnißvoll ein Kästchen in die Hand, welches er sorgfältig unter dem Mantel verborgen gehabt. »Ich bin froh, daß ich es los bin,« bemerkte der Tempelbeamte bei der Uebergabe.
»Es ist doch wohl nicht so schwer,« erwiderte Nigel, »und Ihr seid ein handfester junger Mann.«
»Das wohl,« versetzte der Bursche. »Aber Simson selber würde ein solches Ding nicht sicher durch's Elsaß gebracht haben, wenn die Leute vom Huff gewußt hätten, was darin ist. Seht gefälligst hinein, ob Alles darin richtig ist. Ich bin ein ehrlicher Kerl, und in meiner Hand ist es sicher gewesen. Wie lange es ferner so bleibt, wird von Eurer Sorgfalt abhängen. Ich möchte nicht, daß mein guter Leumund durch üble Nachrede leide.«
Um die Bedenklichkeiten des Boten zu heben, öffnete Lord Glenvarloch das Kästchen in seiner Gegenwart und fand, daß seine kleine Baarschaft, nebst etlichen werthvollen Papieren, namentlich die eigenhändige Schrift des Königs zu seinen Gunsten sich wohlbehalten darin vorfanden. Auf weitere Bitte des Boten benutzte er das Schreibzeug in dem Kästchen, um eine Benachrichtigung an Meister Lowestoffe auszufertigen, daß ihm sein Eigenthum richtig zugekommen sei. Er fügte einige Danksagungen für Lowestoffe's geleistete Dienste hinzu. Eben hatte er das Briefchen gesiegelt und übergab es dem Boten, als der alte Hausherr eintrat. Seine abgeschabte schwarze Kleidung war jetzt etwas besser geordnet, als bei seinem ersten Erscheinen, und seine Kräfte schienen sich etwas mehr gesammelt zu haben. Denn ohne viel zu husten und zu stottern, lud er Nigeln zu einem heilsamen Morgentrunk von Dünnbier ein, welches er in einem großen ledernen Kruge hereinbrachte und mit einem Rosmarinstengel herumrührte, wie er sagte, um ihm Blume zu geben.
Nigel lehnte das höfliche Anerbieten ab und gab durch die Weise, in der er es that, zu verstehen, daß er Zudringlichkeit in seinem Zimmer nicht leiden könne. Er hatte ein um so größeres Recht, zu verlangen, ungestört zu sein, da er diesen Morgen eben keine freundliche Aufnahme bei seiner Verirrung in das Zimmer des Hausherrn gefunden hatte. Allein das Kästchen enthielt einen für den alten Trapbois so anziehenden Stoff, daß er unbeweglich mit ausgestreckter Hand stehen blieb, wie ein Vorstehhund, der einen Hasen wittert und mit aufgehobener Pfote es anzeigt. Nigel wollte eben den Zauber, der den alten Trapbois band, dadurch lösen, daß er den Deckel des Kästchens zumachte, als seine Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt wurde durch die Frage des Boten, ob er den Brief in Meister Lowestoffe's Wohnung abgeben, oder ihn in den Marschallshof tragen solle?
»In den Marschallshof?« wiederholte Lord Glenvarloch; »was ist's mit dem Marschallshof?«
»Ei, lieber Herr,« antwortete der Pförtner, »der arme Mann sitzt dort im Trocknen, weil, heißt es, sein gutes Herz ihn verleitet hat, seine Finger an eines andern Mannes Suppe zu verbrennen.«
Nigel riß den Brief aus der ausgestreckten Hand des Boten, brach ihn auf und fügte zu dem Inhalte die Bitte hinzu, ihm schleunigst die Ursache seiner Verhaftung wissen zu lassen, und die Bemerkung, falls dieselbe Folge seiner Angelegenheit sei, so werde sie nicht lange dauern, denn er habe bereits beschlossen, sich auszuliefern, und der Entschluß zu diesem Schritte, dem mannhaftesten und passendsten in seinen Umständen, stehe so fest, daß er durch den dringenden Grund, welcher in Lowestoffe's Verhaftung liege, kaum bestärkt werden könne. Er beschwor darum weiter seinen Freund, in dieser Beziehung durchaus alle Rücksicht bei Seite zu setzen und ihm unumwunden zu sagen, wie er bei seiner Selbstauslieferung, die er als eine Pflicht gegen sich selbst fest beschlossen habe, verfahren könne, um seinen Freund aus der unangenehmen Lage zu retten, in welche dieser ohne Zweifel durch seine edelmüthige Theilnahme für ihn gerathen sei. Er schloß mit der Bemerkung, er werde vierundzwanzig Stunden auf Nachricht von Lowestoffe warten und nach Ablauf derselben jedenfalls seinen Entschluß zur Ausführung bringen. Er gab dem Boten den Brief zurück, ersuchte ihn dringend, denselben in die Hände von Meister Lowestoffe zu bringen, und gab seiner Bitte mit einem Geldstücke Nachdruck.
»Ich – ich – ich – will es ihm bringen für die halbe Erkenntlichkeit,« stotterte der Wucherer.
Der Mann, welcher Zeuge dieses Versuchs war, ihm seinen Dienst und seinen Lohn abzuspannen, steckte schleunigst sein Geld ein und machte sich auf den Weg.
»Meister Trapbois,« sagte Nigel mit Ungeduld, »habt Ihr mir etwas Besonderes zu sagen?«
»Ich – ich –« stotterte der Alte, »bin gekommen, um zu sehen, ob Ihr wohl geschlafen habt, und – ob ich Euch irgend einen Dienst leisten kann für irgend eine Er-kennt-lich-keit.«
»Ich danke Euch, werther Herr,« antwortete Lord Glenvarloch, »ich danke Euch« – und ehe er weiter Etwas sagen konnte, vernahm man einen schweren Tritt auf der Treppe, und der Alte fuhr auf und rief: »Ach Gott! – he, Dorothee, – Putzfrau! – He! Tochter! – Legt die Stange vor, ihr Menschen! Die Thür ist blos eingeklinkt!«
Die Stubenthür ging sperrweit auf und herein wälzte sich die Fleischmasse des Kriegshelden, den Nigel am verflossenen Abend wiederzuerkennen vergebens sich bemüht hatte.