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Siebentes Kapitel.

Mutter.
Geblendet durch den Glanz von Amors Spiegel,
Mit dem der Knab', wie böse Buben thun,
Den Sonnenstrahl in's Äug' der Wandler wirft,
Und lacht, wenn sie dann stolpern?

Tochter.
Mutter, nein!
Ein Blitzstrahl' war's, der blendete mein Aug',
Und nie mehr wird dies Auge richtig sehn.

Rindfleisch und Pudding. – Ein altes englisches Lustspiel.

Wir müssen unsern Helden Nigel für einige Zeit verlassen, obwohl seine Lage weder sicher, behaglich noch anständig ist, – um einige Gegenstände auseinanderzusetzen, welche mit seinen Schicksalen in genauem Zusammenhange stehen.

Am dritten Tage, nachdem er sich genöthigt gesehen hatte, Zuflucht zu suchen in dem Hause des alten Trapbois, des berüchtigten Wucherers von Whitefriars, gewöhnlich der goldne Trapbois genannt, machte die hübsche Tochter des Uhrmachers Ramsay, nachdem sie mit kindlicher Liebe dem Frühstück ihres Vaters beigewohnt, damit er nicht in der Zerstreuung das Salzfaß statt einer Brodkruste verschlucke, sich auf aus ihrer Wohnung, begleitet von der treuen alten Magd Jane, der schottischen Wäscherin, für die ihre Einfälle Gesetze waren, begab sich in die Lombardstraße, und störte zu der ungewöhnlichen Stunde acht Uhr Morgens Tante Judith, die Schwester ihres Pathen.

Die ehrwürdige Jungfrau empfing ihre junge Besucherin mit nicht sehr großem Wohlgefallen, denn sie bewunderte weder so sehr ihr Gesichtchen, noch war sie so nachsichtig gegen ihre Albernheiten, wie Meister Georg Heriot. Indessen Jungfrau Margarethe war der Liebling ihres Bruders, und der Wille desselben war für Tante Judith Gesetz. Sie begnügte sich also, ihre unzeitige Besucherin zu fragen, was sie mit ihrem Käsegesicht so früh auf den Straßen von London zu thun habe?

»Ich möchte mit Frau Hermione sprechen,« antwortete fast athemlos das Mädchen, während ihr das Blut ins Gesicht stieg, so daß der Vorwurf der Blässe, den ihr Tante Judith machte, gründlich widerlegt ward.

»Mit Frau Hermione?« wiederholte die Tante. »Und um diese Zeit in der Frühe, da sie kaum einen Menschen im Hause selbst zu einer passenden Stunde sehen will? Du bist ein albernes Ding, du mißbrauchst die Nachsicht meines Bruders und der gnädigen Frau.«

»Gewiß nicht, nein,« versicherte Margarethe, bemüht die Thräne zurückzuhalten, die bei ihr gern aus dem geringsten Anlaß floß. »Sagt doch der gnädigen Frau, daß Eures Bruders Pathin dringend wünscht, mit ihr zu sprechen. Ich weiß, sie wird mich nicht abweisen.«

Tante Judith warf einen scharfen, argwöhnischen Späherblick auf den Besuch. »Du könntest mich eben sowohl, wie Frau Hermione zu deiner Vertrauten machen,« bemerkte sie. »Ich bin älter und verstehe besser Rath zu geben. Ich lebe mehr in der Welt, als eine Person, die sich in ihren vier Wänden einschließt, und ich habe mehr Gelegenheit, dir behülflich zu sein.«

»Ach nein! nein!« versetzte Margarethe mehr dringend als schmeichelnd; »es gibt Dinge, in denen Ihr mir keinen Rath geben könnt, Tante. Es ist ein Fall – verzeiht mir, liebe Tante, – ein Fall, in welchem Euer Rath nicht ausreicht.«

»Das ist mir lieb,« erwiderte Jungfer Judith ärgerlich; »denn ich glaube, die Thorheiten des jungen Volks heutzutage würden ein altes Hirn, wie das meinige, verrückt machen. Da kommst du hergeschossen durch die Straßen von ganz London, um Unsinn vorzuschwatzen einer Person, die kaum Gottes Sonne zu sehen bekommt, außer wenn sie wider eine Mauer scheint. Ich will ihr sagen, daß du da bist.«

Sie entfernte sich und kehrte bald zurück, indem sie trocken sagte: »Jungfer Grethchen, die gnädige Frau wird erfreut sein, dich zu sehen, und das ist mehr, Mamsell, als du zu erwarten berechtigt warst.«

Grethchen ließ den Kopf hängen, denn sie war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, als daß sie hätte versuchen können, Tante Judith zu besänftigen oder, wozu sie bei andern Gelegenheiten geneigt war, ihre übellaunigen Bemerkungen und Manieren mit Gleichem zu vergelten. Sie folgte schweigend der Tante nach der starken eichenen Thür, welche die Gemächer der Frau Hermione von dem übrigen Theile des geräumigen Heriotschen Hauses trennte.

An der Thüre dieses Heiligthums müssen wir innehalten, um die Sagen zu berichtigen, mit welchen Richard Moniplies seinem Herrn den Kopf voll geschwatzt hatte, in Betreff der Dame, welche bei dem häuslichen Gottesdienst erschienen war. Ein Theil dieser Uebertreibungen rührte von Jan Vincent her, welcher in dieser Art von Witz sehr viel Fertigkeit besaß und Richard Moniplies, mit seiner Ernsthaftigkeit und seiner Neigung zum Wunderbaren, war ganz der Mann, dem man dergleichen aufheften konnte. Weitere Ausschmückung hatte der Bericht durch Richard selber erhalten, dessen Zunge, besonders wenn sie mit einem guten Trank geschmiert war, eine große Neigung zur Uebertreibung besaß. Auf diese Weise waren zu den von Vincent erzählten wunderbaren Umständen noch Vermuthungen Richards gekommen, welche dessen Einbildungskraft in der Uebereilung in Thatsachen verwandelt hatte.

Indessen das Leben, welches Frau Hermione seit den zwei Jahren geführt hatte, während deren sie in Heriots Hause lebte, war so sonderbar, daß es beinahe die abenteuerlichen Sagen, die im Umlaufe waren, rechtfertigte. Das Haus, welches der Goldschmied bewohnte, hatte einer mächtigen Freiherrnfamilie gehört, welche unter Heinrich VIII. mit einer reichen, frommen und streng katholischen Wittwe endigte. Diese, Frau Foljambe, hatte zur Busenfreundin eine eben so gewissenhafte Papistin, wie sie selber, die Abtissin von S. Roque. Als das Haus von S. Roque durch das despotische fiat Es geschehe. des Königs aufgehoben wurde, nahm Frau Foljambe ihre Freundin in ihre geräumige Wohnung auf und mit ihr zwei Klosterschwestern, welche entschlossen waren, wie ihre Oberin, ihren Gelübden nachzuleben, anstatt die unheilige Freiheit zu benutzen, welche der Herrscher in ihren Willen gestellt hatte. Frau Foljambe richtete für sie vier Zimmer ein und ein kleines Gemach, welches als Kapelle diente. Diese Reihe von Zimmern war mit einer starken eichenen Thüre verwahrt, um ungebetene Besucher abzuhalten; ein Drehrad in derselben diente, wie in allen Nonnenklöstern, um das Nothwendige in Empfang zu nehmen. Die ganze Einrichtung war heimlich gemacht worden, denn König Heinrich möchte die Freifrau übel dafür angesehen haben, wenn er ihre Einmischung in Kirchenangelegenheiten erfahren hätte. So verlebten die Abtissin von S. Roque und ihre zwei Nonnen viele Jahre, blos mit Frau Foljambe verkehrend, welche sich kraft der Gebete ihrer Gäste und der Unterstützung, welche sie ihnen gewährte, für nicht viel weniger als eine Heilige auf Erden hielt. Glücklicher Weise starb die Abtissin vor ihrer Beschützerin, und diese lebte bis weit in die Regierung Elisabeths hinein.

Der Nachfolger der Frau Foljambe in diesem Hause war ein weitläufiger Verwandter von ihr, ein mürrischer, fanatischer Ritter, welcher sich ein eben so großes Verdienst daraus machte, die Priesterinnen Baals zu vertreiben, wie seine Vorgängerin, die Himmelsbräute zu pflegen. Von den zwei unglücklichen Nonnen begab sich die eine aufs Festland; die andere, zu alt zu einer solchen Reise, starb unter dem Dache einer armen gläubigen katholischen Wittwe. Herr Paul Füllsack, nachdem er sich der Nonnen entledigt, beraubte die Kapelle ihrer Zierrathen und dachte darauf, die übrigen Zimmer zu verwüsten. Allein es fiel ihm ein, daß dies unnöthige Kosten machen würde, da er in dem weitläufigen Hause blos drei Zimmer bewohnte, mithin die Gemächer der Nonnen nicht brauchte. Sein Sohn war ein Verschwender. Von ihm kaufte unser Freund Heriot das Haus, und da er, wie Herr Paul, es mehr als hinlänglich geräumig für sich fand, so ließ er die Foljambischen oder S. Roquischen Zimmer in dem Zustande, in welchem er sie gefunden.

Etwa dritthalb Jahre vor dem Beginn unserer Geschichte schickte Heriot vom Festlande, wohin er in Geschäften gereiset war, Anweisungen an seine Schwester und an seinen Cassirer, die Foljambischen Zimmer hübsch aber einfach zurecht zu machen zum Empfang einer Dame, welche dieselben einige Zeit bewohnen und, je nachdem sie es für gut finde, mehr oder weniger mit der Familie leben werde. Er bemerkte dabei, daß die nöthigen Ausbesserungen in der Stille gemacht und daß von dem Inhalte seines Briefes so wenig wie möglich gesprochen werden solle.

Als die Zeit seiner Rückkehr herbeikam, saßen Tante Judith und die übrigen Leute im Hause wie auf heißen Kohlen. Meister Georg erschien angemeldetermaßen mit einer Dame, welche so ausgezeichnet schön war, daß man sie für eins der reizendsten Geschöpfe hätte halten müssen, wäre sie nur nicht so außerordentlich blaß gewesen. Sie hatte eine Gesellschafterin bei sich, deren einziges Geschäft zu sein schien, sie zu bedienen. Diese Dienerin, eine stille Person von etwa fünfzig Jahren, ihrer Sprache nach eine Fremde, wurde von der Dame Monna Paula genannt und von Meister Heriot und Andern Mademoiselle Pauline. Sie schlief und aß mit ihrer Gebieterin zusammen und kam selten von ihrer Seite.

Diese Personen nahmen Besitz von der Clause der frommen Abtissin und schienen, ohne gerade sich derselben strengen Absperrung zu unterziehen, die Gemächer so ziemlich dem Zwecke wieder zu weihen, dem sie ursprünglich bestimmt gewesen. Die neuen Hausbewohner lebten und speiseten getrennt von der Familie. Mit dem Gesinde stand Frau Hermione (so hieß die blasse Dame) in gar keiner Berührung, und Mademoiselle Pauline nur in der unumgänglich nöthigen. Häufige und reiche Geschenke versöhnten die Diener mit diesem Benehmen; sie pflegten zu sagen: der Mamsell Pauline einen Dienst leisten ist so gut, wie einen kleinen Schatz finden. Gegen Tante Judith war Frau Hermione freundlich und artig, aber sie kamen selten in Berührung, was bei der alten Dame die unangenehmen Gefühle unbefriedigter Neugier und verletzter Würde erweckte. Aber sie kannte ihren Bruder so genau und liebte ihn so sehr, daß sein Wille, sobald er ausgesprochen war, der ihrige ward. Der ehrsame Bürger hatte etwas Schulmeisterhaftes an sich, was sich leicht auch bei den gutartigsten Menschen findet, sobald ihr Wort in ihrer Umgebung Gesetz ist. Meister Georg erlaubte seinen Leuten nicht, ihn auszufragen, und sobald er einmal seinen Willen erklärt hatte, daß Frau Hermione in der ihr zusagenden Weise leben und daß man nach ihrer Lebensgeschichte oder nach den Gründen ihrer Abschließung nicht fragen solle, wußte seine Schwester, daß jeder Versuch, hinter das Geheimniß zu kommen, seinen ernstlichen Unwillen erregen würde.

Allein obwohl Heriots Gesinde durch Geschenke und seine Schwester durch Scheu vor ihm bestimmt ward, über diese Anordnungen kein Wort zu verlieren, so entgingen sie doch nicht der Beobachtung und der Kritik der Nachbarschaft. Etliche meinten, der reiche Goldschmied wolle Papist werden und Frau Foljambes Klause wiederherstellen; Andere, er sei verrückt, Andere, er habe eine Heirath oder etwas Schlimmeres vor. Meister Heriots fleißiger Kirchenbesnch und die Kunde, daß die vermeintliche Klausnerin stets dem englischen Kirchengebet im Kreise der Familie beiwohne, beseitigte den ersteren Verdacht. Wer mit dem Goldschmied auf der Börse zu thun hatte, konnte seinen gesunden Verstand nicht bezweifeln; und zur Widerlegung der anderen Gerüchte wurde von Denjenigen, welche sich besonders um die Sache bekümmerten, glaubhaft berichtet, daß Meister Georg Heriot seine Hausbewohnerin nie anders sah als in Gesellschaft von Mademoiselle Pauline, welche dann in einem entfernten Theile des Zimmers an ihrer Arbeit saß, während die Herrschaften mit einander sprachen. Nicht minder stellte es sich heraus, daß diese Besuche nie länger als eine Stunde dauerten und nur wöchentlich ein Mal stattfanden, ein Verkehr, der zu kurz und zu selten war, als daß Liebe der Grund desselben hätte sein können. Die Neugierigen blieben also in Ungewißheit und mußten auf die Erforschung von Heriots Geheimniß verzichten. Dies hinderte aber nicht, daß tausend lächerliche Geschichten bei den Unwissenden und Abergläubischen in Umlauf kamen, wie z. B. die, welche unserem Freunde Richard Moniplies von dem boshaften Lehrburschen des ehrsamen David Ramsay aufgeheftet worden war.

Nur eine Person in London, hieß es, außer Georg Heriot, hätte, wenn sie gewollt, mehr von Frau Hermione sagen können, und diese Person war des besagten David Ramsay einziges Kind, Margarethe.

Dies Mädchen war nicht viel über fünfzehn Jahre alt zu der Zeit, wo Frau Hermione nach England kam. Sie besuchte fleißig ihren Pathen, der viel Gefallen an ihren kindischen Einfällen fand und an der anmuthigen, kunstlosen Weise, mit welcher sie die Volkslieder ihres Geburtslandes sang. Sie war in jeder Beziehung verhätschelt, durch die Nachsicht ihres Pathen, durch die Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit ihres Vaters und durch die Fügsamkeit ihrer Umgebungen gegen die Launen der Schönheit und der reichen Erbin. Indessen, obwohl sie auf diese Weise so eigensinnig, launisch und geziert wurde, wie es in Folge grenzenloser Nachsicht fast immer der Fall ist, und obwohl sie oft sich das Ansehen übertriebener Blödigkeit, Schweigsamkeit und Zurückhaltung gab, welches Mädchen unter zwanzig Jahren geneigt sind für liebenswürdige Bescheidenheit zu halten, bei andern Gelegenheiten aber wieder jenes tändelnde Wesen zeigte, welches die Jugend mit Witz verwechselt: so besaß doch Jungfer Margarethe wirklichen Verstand und Scharfsinn, welcher blos der Gelegenheit, Beobachtungen zu machen, bedurfte, um sich auszubilden; sie besaß eine gutartige Lebhaftigkeit und ein vortreffliches Herz. Ihre angenommenen Thorheiten wurden sehr vermehrt durch das Lesen von Schauspielen und Romanen, womit sie einen großen Theil ihrer Zeit hinbrachte, und aus denen sie Ansichten schöpfte, himmelweit verschieden von denen, welche die unschätzbaren Lehren einer liebenden Mutter ihr eingeflößt haben würden. Daher kamen denn zuweilen bei ihr Streiche, welche ihr nicht mit Unrecht den Vorwurf der Ziererei und Gefallsucht zuzogen. Aber das kleine Mädchen war klug genug, solche Fehltritte vor den Augen ihres Pathen, den sie herzlich liebte, zu verbergen. Bei ihm stand sie so sehr in Gunst, daß sie auf seine Fürsprache Zutritt bei der abgeschlossenen Frau Hermione erhielt.

Die sonderbare Lebensweise dieser Dame, ihre große Schönheit, welche durch ihre Blässe nur um so interessanter wurde, das stolze Bewußtsein, näheren Zutritt als die übrige Welt bei einer Person zu haben, welche in ein tiefes Geheimniß gehüllt war, machten einen großen Eindruck auf Margarethe Ramsay. Obwohl ihre Unterredungen nie lang oder vertraulich genug waren, um wichtige Offenbarungen zu erhalten, so bewahrte doch Margarethe, stolz auf das in sie gesetzte Vertrauen, das Geheimniß des Inhaltes derselben mit einer Strenge, als ob jedes ausgeplauderte Wort ihr das Leben kosten müsse. Kein Ausfragen, so geschickt es auch mit einnehmender Schmeichelei verbunden war, weder von Seiten der Frau Ursula, noch von andern Neugierigen, vermochten aus dem kleinen Mädchen ein Wort herauszubringen über das, was sie in den abgeschlossenen Gemächern gesehen und gehört hatte. Die unbedeutendste Frage über Meister Heriots Gespenst genügte, um sie im Augenblick der muntersten Geschwätzigkeit schweigsam zu machen.

Wir erwähnen dies, um die frühzeitige Charakterstärke Margarethens in's Licht zu setzen, – eine Charakterstärke, die sich unter hundert tollen Einfällen und Launen verbarg, wie ein alter massiver Strebepfeiler durch die phantastische Hülle von Epheu und wilden Blumen verkleidet wird. Uebrigens, wie schon bemerkt, hätte sie auch Alles gesagt, was sie in den Foljambischen Zimmern gesehen und gehört hatte, so würde damit die Neugier der Frager wenig befriedigt worden sein.

In der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft pflegte Frau Hermione die Aufmerksamkeiten ihrer kleinen Freundin mit niedlichen Geschenken zu belohnen und sie durch Vorzeigung ausländischer Seltenheiten und Merkwürdigkeiten, zum Theil von bedeutendem Werthe, zu unterhalten. Zuweilen wurde die Zeit auf eine für Margarethen weit weniger angenehme Weise hingebracht, indem Pauline ihr Unterweisung im Gebrauche der Nadel gab. Die Lehrerin besaß darin eine damals nur in ausländischen Klöstern bekannte Geschicklichkeit, allein die Schülerin war so unverbesserlich träge und ungeschickt, daß am Ende das Nähen und Sticken aufgegeben und durch Unterricht in der Musik ersetzt wurde. Auch hierin war Pauline vorzüglich zur Lehrerin befähigt, und Margarethe, welche natürliche Anlagen dazu hatte, machte gute Fortschritte in der Vocal- und Instrumentalmusik. Der Unterricht fand in Gegenwart der Dame statt und schien dieser viel Vergnügen zu gewähren. Zuweilen begleitete sie mit ihrer reinen wohllautenden Stimme, jedoch nur, wenn die Musik kirchlich war. Als Margarethe älter wurde, nahm ihr Verkehr mit der Klausnerin einen andern Charakter an. Es ward ihr gestattet, oder vielmehr, sie wurde veranlaßt, zu erzählen, was sie auswärts hörte. Frau Hermione bemerkte den Scharfblick und das gute Gedächtniß ihrer jungen Freundin, fand aber auch oft Anlaß, sie vor Uebereilung in Bildung ihrer Meinungen und vor leichtsinnigem Muthwillen in Aeußerung derselben zu warnen.

Die Ehrfurcht, mit welcher Margarethe diese ungewöhnliche Erscheinung zu betrachten gewohnt war, bestimmte sie, obwohl sie sonst nicht leicht Widerspruch und Tadel vertrug, Hermionens Ermahnungen geduldig anzuhören und die gute Absicht dabei in Rechnung zu bringen. Freilich dünkte es ihr sonderbar, daß Frau Hermione, welche nicht vor die Thür ihrer Zimmer kam, sich beigehen lassen konnte, Weltkenntniß eine Person zu lehren, welche zwei Mal die Woche zwischen Temple-Bar und der Lombardstraße hin und her ging und obendrein noch jeden Sonntag, wenn es schönes Wetter war, im Parke paradirte. Der wenige Geschmack, den sie an Zurechtweisungen fand, würde sie vielleicht bestimmt haben, ihren Verkehr mit den Bewohnerinnen der Foljambischen Zimmer in dem Maße zu beschränken, als der Kreis ihrer Bekanntschaften in der Welt außerhalb sich erweiterte, wenn sie nicht, abgesehen von der Ehrfurcht vor ihrer Ermahnerin, sich geschmeichelt gefühlt hätte, bis zu einem gewissen Grade in ein Geheimniß eingeweiht zu sein, das zu kennen Andere sich vergebens sehnten. Uebrigens war die Sprache, welche die Dame führte, zwar immer ernst, aber nicht pedantisch streng; auch nahm Hermione keinen Anstoß an Aeußerungen eines unschuldigen Leichtsinnes, welche sich Jungfer Margarethe zuweilen in ihrer Gegenwart erlaubte, selbst wenn dieselben von der Art waren, daß Monna Paula die Augen gen Himmel richtete und mit dem Bedauern einer Betschwester über das eitle Weltkind seufzte. Im Ganzen also bequemte sich Margarethe, obwohl mit einigem Widerstreben, die ernsten Ermahnungen der Dame hinzunehmen, zumal da sich in ihrem Sinne mit der Vorstellung der Räthselhaftigkeit frühzeitig zugleich die des Reichthums und hohen Standes an die Person der Dame geknüpft hatte, eine Vorstellung, welche sich durch Manches, was sie seit der größeren Reife ihres Verstandes beobachtet hatte, zu bewähren schien.

Es geschieht oft, daß der Rath, der uns widerwärtig erscheint, wenn er unverlangt gegeben wird, in unseren Augen kostbar wird, wenn Schwierigkeiten uns mißtrauischer gegen unser eigenes Urtheil machen, als wir unter gewöhnlichen Umständen sind, insbesondere wenn wir voraussetzen dürfen, daß der Rathgeber Mittel und Neigung habe, mit seinem Rathe Unterstützung zu verbinden. In diesem Falle befand sich Jungfrau Margarethe. Sie glaubte des Rathes und Beistandes zu bedürfen. Nach einer angstvoll durchwachten Nacht beschloß sie, ihre Zuflucht zu Frau Hermione zu nehmen, überzeugt, daß sie ihr den Rath nicht versagen werde, und hoffend, daß sie ihr Beistand zu leisten vermögend sei. Das Gespräch zwischen ihnen wird am Besten den Zweck des Besuches erläutern.



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