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Fünftes Kapitel.

Macht Platz! macht Platz! ich will durchaus mein Recht,
Und sprecht mir nicht von Freiheit und von Ort.
Ich will Genugthuung da, wo verletzt
Ich worden bin, und Niemand soll mich hindern.
Ich hab' ein Herz, empfindlich gegen Schmach,
Und eine Faust, mir selber Recht zu schaffen,
Zu nehmen mir, was das Gesetz versagt.

Der Kämmerling.

Es dauerte nicht lange, so bemerkte Nigel, daß Lord Dalgarno mit einem andern jungen Manne aus dem Gefolge des Prinzen auf ihn zukam. Da sie ihre Richtung nach dem südöstlichen Theile des Parkes nahmen, so vermuthete er, daß sie im Begriffe seien, nach dem Hause des Grafen von Huntinglen zu gehen. Allein plötzlich machten sie Halt, und schlugen einen anderen Pfad in der Richtung nach Norden ein. Lord Glenvarloch bildete sich ein, diese Aenderung ihrer Richtung habe ihren Grund darin, daß sie ihn bemerkt hätten, und ihm aus dem Wege gehen wollten.

Unverweilt folgte er ihnen auf einem durch ein Dickicht von Bäumen und Sträuchern nach einem minder besuchten Theile des Parkes sich hinwindenden Pfade. Er merkte sich genau, nach welcher Seite des Dickichts Lord Dalgarno und sein Begleiter hingingen, und ward, indem er rasch um die andere Seite herumging, in Stand gesetzt, ihnen gerade entgegen zu kommen.

»Guten Morgen, edler Herr Dalgarno,« redete er seinen Bekannten barsch an.

»Ah! mein Freund Nigel,« erwiderte Dalgarno in seinem gewöhnlichen unbefangenen Tone; »mein Freund Nigel mit einem Blicke, der sagt, daß er Etwas auf dem Herzen hat. Aber Ihr müßt warten, bis wir uns heute Mittag bei Beaujeu treffen. Herr Ewes Haldimund und ich sind in diesem Augenblicke im Dienste des Prinzen beschäftigt.«

»Und wenn Ihr im Dienste des Königs beschäftigt wäret, müßt Ihr mir jetzt Rede stehen,« versetzte Lord Glenvarloch.

»Ei! ei!« versetzte Lord Dalgarno mit der Miene des Erstaunens, »warum so leidenschaftlich? Ei, Nigel, das ist ja schier Königs Cambyses Art! Ihr habt seit Kurzem die Theater zu viel besucht. Weg mit dieser Thorheit, Alter! Geht, speiset heute Mittag Suppe und Salat, trinkt Cichorienwasser, um Euer Blut abzukühlen, geht zu Bette mit Sonnenuntergang und trotzt den bösen Geistern Zorn und Mißdeutung.«

»Ich habe Mißdeutung genug bei euch gefunden,« erwiderte Nigel in demselben Tone entschiedenen Unwillens, »und durch Euch insbesondere, Herr Dalgarno, und das Alles unter der Maske der Freundschaft.«

»Das ist eine saubere Geschichte,« sprach Dalgarno, sich zu Herrn Ewes Haldimund, wie zu einem Zeugen wendend. »Seht Ihr diesen zornigen Kampfhahn, Herr Ewes? Vor einem Monat hätte er nicht gewagt, einem jener Schafe in die Augen zu sehen, und jetzt ist er ein Fürst der Polterer, ein Hühnchenpflücker, ein Richter von Schauspielern und Dichtern, und zum Dank dafür, daß ich ihm den Weg zu der großen Rolle gezeigt habe, die er in der Stadt spielt, kommt er hieher, Streit zu suchen mit seinem besten, wo nicht seinem einzigen, anständigen Freunde.«

»Ich verzichte auf solche falsche Freundschaft, hochedler Herr,« versetzte Nigel; »ich weise die Rolle zurück, die Ihr mir sogar hier, wo ich Euch gegenüberstehe, aufzuheften sucht, und ehe wir scheiden, will ich Euch darüber zur Rechenschaft ziehen.«

»Edle Herren,« nahm der Ritter Haldimund das Wort, »erlaubt mir, Euch zu erinnern, daß der königliche Park nicht der Ort zu Händeln ist.«

»Ich will meinen Handel ausmachen, wo ich meinen Feind finde,« erwiderte Nigel, der die Freiheit des Ortes entweder nicht kannte, oder in der Hitze nicht erwog.

»Ihr sollt Streit genug haben, sobald Ihr einen hinlänglichen Grund dafür angebt,« erwiderte Lord Dalgarno mit Ruhe. »Herr Ewes Haldimund, der am Hofe bekannt ist, wird Euch dafür bürgen, daß ich bei solchen Gelegenheiten nicht zurückstehe. Aber worüber beschwert Ihr Euch jetzt, nachdem Ihr Nichts als Güte von mir und meiner Familie erfahren habt?«

»Ueber Eure Familie beschwere ich mich nicht,« erwiderte Lord Glenvarloch. »Sie hat für mich Alles gethan, was sie konnte, und weit mehr, als ich erwarten durfte. Ihr aber, hochedler Herr, habt, während Ihr mich Euren Freund nanntet, zugegeben, daß ich verleumdet wurde, wo ein Wort aus Eurem Munde mein Benehmen in seinem wahren Lichte würde haben erscheinen lassen. Daher die beleidigende Botschaft, welche ich soeben von dem Prinzen von Wales empfangen habe. Ueble Nachrede über einen Freund dulden, heißt, an der Verleumdung Theil nehmen, werther Herr.«

»Ihr seid falsch berichtet, edler Herr von Glenvarloch,« nahm Herr Ewes Haldimund das Wort. »Ich selber habe oft zugehört, wie Lord Dalgarno Euren guten Ruf vertheidigte und bedauerte, daß Eure ausschließliche Vorliebe für die Vergnügungen des Stadtlebens Euch hinderte, dem Könige und dem Prinzen regelmäßig Eure schuldige Aufwartung zu machen.«

»Während er selber mir abrieth, am Hofe zu erscheinen,« fügte Nigel hinzu.

»Ich will dies kurz abmachen,« begann Dalgarno mit stolzer Kälte. »Ihr scheint Euch eingebildet zu haben, edler Herr, Ihr und ich wären Pylades und Orestes, eine zweite Ausgabe von Damon und Pythias, wenigstens Theseus und Pirithous. Ihr irrt Euch und habt den Namen Freundschaft auf Etwas übertragen, was von meiner Seite bloße Gutmüthigkeit und Mitleid für einen ungeschlachten und unwissenden Menschen vom Lande war, verbunden mit dem lästigen Auftrage, den mein Vater mir in Bezug auf Euch gegeben hatte. Euer Ruf, edler Herr, ist nicht die Folge von irgend Jemandes Schilderung, sondern Eure eigne Schöpfung. Ich habe Euch an Orten eingeführt, wo man, wie überall, gute und schlechte Gesellschaft findet, Eure Gewohnheiten oder Euer Geschmack haben Euch bestimmt, die schlechtere vorzuziehen. Euer heiliger Abscheu bei dem Anblick von Karten und Würfeln ist in den weislichen Entschluß ausgeartet, nur dann und nur mit Solchen zu spielen, wo Ihr sicher waret, zu gewinnen. Niemand kann dies lange treiben, und dabei für einen Edelmann gelten. Das ist der Ruf, den Ihr Euch gemacht habt, und Ihr habt kein Recht zu zürnen, daß ich in der Gesellschaft nicht in Abrede stelle, was Ihr selber als wahr anerkennt. Laßt uns gehen, edler Herr, und wenn Ihr eine weitere Erklärung verlangt, so sucht eine andere Zeit und einen passenderen Platz.«

»Keine Zeit kann besser sein, als die gegenwärtige,« erwiderte Lord Glenvarloch, dessen Zorn nun aufs Höchste gereizt war durch die kalte höhnische Weise, in welcher Dalgarno sich rechtfertigte. »Kein Platz kann besser sein, als der, wo wir jetzt stehen. Die Männer meines Hauses haben stets Schmach in dem Augenblicke und auf der Stelle gerächt, wo sie angethan war, und wäre sie am Fuße des Thrones gewesen. – Lord Dalgarno, Ihr seid ein Schurke! Zieht und vertheidigt Euch!« Mit diesen Worten entblößte er sein Rappier.

»Seid Ihr toll?« rief Dalgarno zurückweichend. »Wir sind im Umkreise des Hofes.«

»Desto besser,« erwiderte Glenvarloch, »ich will ihn von einem Verleumder und einem Feigling reinigen.« Er drang auf Dalgarno ein und schlug ihn mit der flachen Klinge.

Der Streit hatte Aufsehen erregt, und es erscholl der Ruf: »Haltet Frieden! Haltet Frieden! Blanke Schwerter im Park! He! Wache herbei! Aufseher! Forstlaufer!« Von allen Seiten kam das Volk zur Stelle gelaufen.

Lord Dalgarno hatte seinen Degen halb aus der Scheide gezogen, als er den Schlag erhielt. Als er aber sah, daß das Gedränge dichter ward, stieß er ihn in die Scheide zurück, nahm den Ritter Ewes beim Arm und eilte weg, seinem Gegner zurufend: »Ihr sollt mir diese Beleidigung theuer bezahlen. Wir werden uns ein ander Mal treffen!«

Ein ehrbar aussehender ältlicher Mann, der bemerkte, daß Nigel unbeweglich stehen blieb, hatte Mitleid mit seiner Jugend und sagte zu ihm: »Wißt Ihr wohl, junger Herr, daß dies eine Sternkammer-Geschichte ist und Euch Eure rechte Hand kosten kann? Sucht das Weite, ehe die Aufseher oder Constabel kommen. Macht, daß Ihr nach Whitefriars oder sonst in eine Freistätte oder ein Versteck kommt, bis Ihr Frieden erlangt oder die Stadt verlassen könnt.«

Dieser Rath war nicht zu verachten. Lord Glenvarloch eilte nach dem Ausgang am St. James-Hospital hin. Das Getümmel nahm zu hinter ihm. Mehre Polizeibeamte des königlichen Hofstaates kamen herbei, um den Verbrecher zu verhaften. Glücklicherweise war eine Schilderung der Ursache des Streites in Umlauf gekommen, wie sie dem Geschmack des Volkes zusagte. Es hieß, ein Gesellschafter des Herzogs von Buckingham habe einen Landedelmann beleidigt, und der Fremde habe ihn dafür tüchtig abgeprügelt. Ein Günstling oder ein Gesellschafter des Günstlings ist immer verhaßt bei John Bull, der ohnedem eine Vorliebe für denjenigen streitenden Theil hat, der sich mit der Faust hilft. Beide Vorurtheile waren zu Nigels Gunsten. Die Beamten, welche kamen, ihn festzunehmen, erfuhren darum von den Zuschauern Nichts in Betreff seines Aussehens oder in Betreff des Weges, den er genommen hatte, so daß er für den Augenblick der Haft entging.

Was Lord Glenvarloch in dem herbeiströmenden Haufen hörte, als er seinen Weg durch denselben nahm, überzeugte ihn, daß er sich durch seine Hitze in große Gefahr gebracht habe. Er war nicht unbekannt mit dem strengen und willkürlichen Verfahren der Sternkammer, besonders wo es sich vom Bruche einer Freiheit handelte, – einem Verfahren, wodurch sie Jedermanns Schrecken geworden war. Noch unter der Königin Elisabeth war von ihr die Strafe der Verstümmelung verhängt worden für Vergehungen der Art, wie er sich eben hatte zu Schulden kommen lassen. Dabei hatte er die eben nicht tröstliche Erwägung, daß er durch seinen Streit mit Lord Dalgarno die Freundschaft und Fürsprache von dessen Vater und Schwester verwirkt habe, und diese waren fast die einzigen Leute von Ansehen, bei denen er Verwendung suchen konnte. Die üblen Gerüchte, welche über ihn in Umlauf gesetzt waren, verschlimmerten seine Lage dem Richter gegenüber, der in diesem Falle sehr den Ruf des Angeklagten in Anschlag bringen mußte. Der Gedanke an Verstümmelung ist für eine jugendliche Einbildungskraft gräßlicher, als der an den Tod; und was Nigel in den Gruppen hörte, denen er begegnete, durch die er sich hindurchdrängte, und an denen er vorbeieilte, kündigte ihm Verstümmelung als Strafe für sein Vergehen an. Er fürchtete sich, schnell zu laufen, um nicht den Verdacht auf sich zu ziehen, und doch sah er mehr als ein Mal die Oberforstlaufer so nahe bei sich, daß sein Handgelenk zuckte, als läge es schon unter dem Messer. Endlich kam er aus dem Park heraus und konnte freier athmen und ruhiger überlegen, was weiter zu thun war.

Whitefriars, in der Nähe des Tempels, damals wohlbekannt unter dem Namen Elsaß, besaß in jener Zeit und fast noch ein Jahrhundert länger das Vorrecht einer Freistätte, ausgenommen gegen Befehle des Oberstlandrichters oder der Herren vom geheimen Rathe. Da dieser Ort von verzweifelten Gesellen aller Art wimmelte, von Bankerottirern, verdorbenen Spielern, ungerathenen Söhnen, Duellanten, Todtschlägern, Meuchelmördern und liederlichem Gesindel, welche alle zusammenhielten, um die Freiheiten ihrer Wohnstätte aufrecht zu erhalten, so war es schwierig und gefährlich für die Gerichtsbeamten, Befehle, selbst von den höchsten Behörden, unter Leuten zu vollstrecken, deren Sicherheit sich mit keiner bürgerlichen Ordnung vertrug. Lord Glenvarloch wußte dies, und so verhaßt ihm auch dieser Zufluchtsort war, so schien es doch der einzige zu sein, wo er sich wenigstens vorläufig verbergen und vor dem unmittelbaren Zugreifen des Gesetzes sichern konnte, bis er bessere Anstalten zu seiner Rettung getroffen oder diese unangenehme Geschichte auf sonstige Art erledigt haben würde.

Während er der Freistätte zueilte, tadelte er sich bitter, daß er sich durch Dalgarno in die Wohnsitze der Verschwendung hatte verlocken lassen. Nicht minder klagte er seine Hitze an, die ihn jetzt in den Umkreis gemeiner Liederlichkeit und unverhüllten Lasters als an einen Zufluchtsort trieb.

»Dalgarno,« dachte er, »hat darin nur zu wahr gesprochen. Ich habe mir einen schlechten Namen gemacht, indem ich seinen hinterlistigen Rathschlägen folgte und die heilsamen Ermahnungen, auch selbst die Nähe des Bösen zu meiden, in den Wind schlug – Ermahnungen, welchen ich unbedingt hätte folgen sollen. Hoffentlich wird sich, wenn ich aus diesem gefährlichen Irrgang entkomme, in den mich Thorheit, Unerfahrenheit und Hitze getrieben haben, – hoffentlich wird sich dann ein Weg finden, den Glanz eines Namens wieder herzustellen, der noch nie verdunkelt war, bis ich ihn getragen habe.«

Während Lord Glenvarloch diesen vernünftigen Entschluß faßte, betrat er die Tempelgänge, von welchen aus damals ein Thor nach Whitefriars führte. Durch dies Thor, als den weniger besuchten Weg, gedachte Nigel sich in die Freistätte zu begeben. Als er sich dem Eingange der Schandhöhle näherte, vor welcher seine Seele zurückbebte, obwohl sie seine Zuflucht war, mäßigte er seinen Schritt. Die steile und zerbrochene Treppe erinnerte ihn an den facilis descensus Averni Leichten Weg abwärts zur Unterwelt., so daß er unschlüssig ward, ob es nicht besser sei, den größten Gefahren zu trotzen, die ihn unter ehrlichen Menschen umgeben konnten, als der Strafe zu entgehen, indem er sich in den Wohnsitz des Lasters und der Liederlichkeit einschloß.

Indem er so schwankte, näherte sich ihm ein Student aus dem Tempel, den er mehrmals im Spielhause gesehen und gesprochen hatte, ein lustiger mit Geld ziemlich wohl versehener Gast, der in den Schauspielhäusern und an anderen öffentlichen Orten seine Zeit zubrachte, während sein Vater meinte, daß er sie auf das Studium der Rechtswissenschaft verwende. Reginald Lowestoffe (so hieß dieser Templer) war der Meinung, es gehöre wenig Rechtsgelahrtheit dazu, um die Einkünfte von den Aeckern zu verzehren, welche ihm nach dem Tode seines Vaters zufallen mußten, und gab sich darum keine Mühe, mehr von jener Wissenschaft zu lernen, als sich mit der gelehrten Luft des Ortes, wo er wohnte, einathmen ließ. Dagegen war er einer der witzigen Köpfe dieses Ortes; er las Ovid und Martial, legte sich auf treffende Antworten und auf Wortspiele, die zuweilen sehr weit hergeholt waren, tanzte, focht, spielte Ball und brachte einige Töne auf der Geige und auf dem Waldhorn hervor zum großen Verdruß des alten Rathes Barratter, der in den Kammern unmittelbar unter ihm wohnte. Er war schlau, aufgeweckt und mit allen Winkeln der Stadt bekannt, was er nicht gerade auf dem anständigsten Wege geworden war. Dieser flotte Bursche begrüßte Nigeln und fragte ihn, ob Se. Herrlichkeit bei dem Chevalier zu speisen gedenke, denn es sei fast Mittag, und die Schnepfe werde auf der Tafel stehen, bevor sie das Speisehaus erreichten.

»Ich gehe heute nicht hin,« antwortete Nigel.

»Wo hinaus denn, edler Herr?« fragte weiter der Templer, welcher vielleicht nicht übel Lust hatte, mit einem Standesherrn, wenn auch nur mit einem schottischen, durch die Straßen zu stolziren.

»Ich – ich –,« stotterte Nigel, welcher gern die Ortskenntniß des Studenten benutzt hätte und sich doch schämte, ihm seine Absicht zu offenbaren, in ein so verrufenes Quartier sich zurückzuziehen, oder ihm seine Lage zu beschreiben. »Ich wäre neugierig, ein Mal Whitefriars zu sehen.«

»Ei was! Ew. Herrlichkeit will eine Suite in's Elsaß machen?« erwiderte Lowestoffe. »Ich gehe mit Euch, edler Herr; Ihr könnt keinen besseren Führer in diese höllischen Regionen finden, als mich. Verlaßt Euch darauf, es gibt dort buona roba Gute Waare, d. h. Lustdirnen., sowie auch guten Wein und gute Gesellen, mit denen man ihn trinken kann, wiewohl diese einigermaßen unter dem Zürnen Fortuna's leiden. Aber Ew. Herrlichkeit wird mir verzeihen – Ihr seid der letzte unter unseren Bekannten, dem ich eine Entdeckungsreise der Art vorgeschlagen haben würde.«

»Ich danke Euch, Meister Lowestoff, für die gute Meinung, welche Ihr in dieser Bemerkung ausgesprochen habt,« sprach Lord Glenvarloch. »Aber meine gegenwärtigen Verhältnisse könnten einen ein- oder zweitägigen Aufenthalt in der Freistätte nothwendig machen.«

»Ist's möglich?« rief Lowestoffe betroffen. »Ich dachte, Ew. Herrlichkeit hätte sich immer vorgesehen, keinen zu beträchtlichen Einsatz zu wagen, – ich bitte um Verzeihung. Aber wenn die Knochen sich treulos erwiesen haben, so verstehe ich so viel von dem Rechte, um zu wissen, daß die Person eines Standesherrn arrestfrei ist. Für bloße Impecuniosität Geldlosigkeit.« lassen sich bessere Auswege finden, als Whitefriars, wo sie sich aus Armuth einander auffressen.«

»Mein Mißgeschick hängt nicht mit Geldmangel zusammen,« bemerkte Nigel.

»Ah! ich merke,« fuhr der Student fort, »Ihr habt einen Gang gemacht und Euren Mann gespießt. In diesem Falle könnt Ihr mit einem wohlgespickten Beutel ein Jährchen in Whitefriars geduckt liegen. Aber dann müßt Ihr Euch förmlich als Mitglied in die saubere Gesellschaft aufnehmen lassen und freier Bürger von Elsaß werden. Dazu muß Ew. Herrlichkeit sich bequemen, sonst habt Ihr dort weder Ruhe noch Sicherheit.«

»Mein Vergehen ist nicht so schwer, wie Ihr zu vermuthen scheint,« entgegnete Nigel. »Ich habe einen Edelmann im Park geschlagen, das ist Alles.«

»Bei meiner Hand, edler Herr, Ihr hättet besser gethan, ihn bei Barns Elms todtzuschlagen,« versetzte der Templer. »Schlagen im Umkreise des Hofes! Das kann Euch übel bekommen, zumal wenn Euer Gegner ein Mann von Range ist und in Gunst steht.«

»Ich will offen mit Euch reden, Meister Lowestoffe, da ich einmal so weit gegangen bin,« erwiderte Nigel. »Der Mann, den ich geschlagen habe, ist Lord Dalgarno, den Ihr bei Beaujeu gesehen habt.«

»Einen Nachtreter und Günstling des Herzogs von Buckingham! – Das ist eine unglückselige Geschichte, edler Herr. Aber ich habe ein englisches Herz, und kann nicht ruhig zusehen, daß ein junger Mann von Stande hinunter gearbeitet wird, wie es bei Euch der Fall sein zu sollen scheint. – Wir sprechen hier viel zu hörbar. Die Templer würden keinem Gerichtsdiener gestatten, einen Haftbefehl zu vollziehen, sie würden nicht die Gefangennehmung eines Edelmannes wegen eines Zweikampfes innerhalb ihres Umkreises dulden. Aber bei einer solchen Geschichte zwischen Euch und Lord Dalgarno möchte sich eine Partei auf jeder von beiden Seiten finden. Ihr müßt augenblicklich mit mir hinauf in meine ärmlichen Kammern und Euch einem kleinen Kleiderwechsel unterziehen, bevor Ihr Euch in die Freistätte werft, sonst würde das Lumpengesindel dort über Euch herfallen, wie Krähen über einen Falken, der sich zwischen ihre Nester verirrt. Ihr müßt ein wenig mehr wie ein Eingeborener des Elsasses herausgeputzt werden, sonst könnt Ihr dort nicht leben.«

So sprechend zog Lowestoffe den Lord Glenvarloch mit sich auf seine Kammern, wo er eine hübsche Bibliothek von Gedichten und Schauspielen hatte. Sodann sandte er einen Jungen, der ihn bediente, in die nächste Garküche, um einige Gerichte zu holen. »Damit,« sprach er, »muß Ew. Herrlichkeit für heute Mittag vorlieb nehmen, nebst einem Glase alten Sects, von dem mir meine Großmutter (Gott lohn's ihr!) zwölf Flaschen hat zufließen lassen, mit dem Bedeuten, ihn nur mit abgeklärten Molken zu trinken, wenn ich vom vielen Studiren Brustweh hätte. Wir wollen die Gesundheit der guten Alten trinken, wofern es Ew. Herrlichkeit gefällt, und Ihr sollt sehen, wie wir arme Studenten uns eine Zubuße zu dem Convictstisch verschaffen.«

Sobald der Knabe mit dem Essen zurückgekommen war, verriegelte Lowestoffe die äußere Thür seiner Wohnung und beauftragte den Knaben, sorgfältig Wache zu halten und Jedermann abzuweisen. Sodann drang er in seinen vornehmen Gast, seinem Beispiele zu folgen und zuzulangen. Sein ungezwungenes und rückhaltloses Wesen, obwohl sehr verschieden von der hofmännischen Leichtigkeit in Dalgarno's Benehmen, machte einen günstigen Eindruck auf Nigel. Die Erfahrung, die er von Dalgarno's Treulosigkeit gemacht hatte, lehrte ihn Vorsicht gegen Freundschaftsversicherungen; allein er konnte nicht umhin, dem Studenten seinen Dank zu bezeigen, der so sehr für ihn besorgt zu sein schien.

»Ihr braucht Euch nicht so sehr verbunden zu halten,« bemerkte der Templer. »Gewiß bin ich bereit, jedem Manne von Stande zu helfen, der Ursache hat zu singen: Fortuna meine Feindin, und insbesondere rechne ich es mir zur Ehre, Ew. Herrlichkeit einen Dienst zu erweisen. Aber überdem habe ich einen alten Groll auf Euren Gegner, den Lord Dalgarno.«

»Dürft' ich fragen, warum, Meister Lowestoffe?« sprach Lord Glenvarloch.

»Edler Herr,« antwortete der Templer, »es ist wegen einer Geschichte, die vor etwa drei Wochen passirt ist, eines Abends, nachdem Ihr das Speisehaus verlassen hattet. Wenigstens glaube ich, Ihr waret nicht dabei, denn Ihr ginget immer weg, ehe das hohe Spiel anfing. – Ich will damit keine Beleidigung sagen, aber so war Eure Gewohnheit. – Es kam zu einem Wortwechsel zwischen mir und Lord Dalgarno bei'm Krimpenspiel. Se. Herrlichkeit hatte vier Asse, die galten acht, Tib machte fünfzehn, zusammen dreiundzwanzig. Ich dagegen hatte König und Dame, machte drei, einen natürlichen Tauser, machte fünfzehn und Tiddy neunzehn. Wir trumpften hinüber und herüber, wie Ew. Herrlichkeit sich denken kann, bis der Satz auf die Hälfte meines jährlichen Wechsels stieg, fünfzig so schöne Goldfinken, wie sie nur je in der Tiefe eines grünseidenen Beutels gezirpt haben. Nun denkt Euch, ich gewann, und es gefiel Sr. Herrlichkeit, zu behaupten, wir hätten ohne Tiddy gespielt. Die Umstehenden gaben ihm Recht, zumal der französische Beutelschneider, und so verlor ich mehr, als ich in der ganzen Saison wiedergewinnen werde. Urtheilt nun selber, ob ich nicht ein Hühnchen mit Sr. Herrlichkeit zu pflücken habe. Hat je ein Mensch gehört, daß in dem Speisehause Treschack gespielt worden ist, ohne Tiddy mitzuzählen? Der Teufel hole Se. Herrlichkeit! Jedermann, der mit dem Beutel in der Hand dorthin kommt, hat ebensoviel Recht, wie er, neue Gesetze zu machen, denn: gleiche Brüder, gleiche Kappen.«

Während Meister Lowestoffe so den Jargon des Spieltisches herschnatterte, fühlte Lord Glenvarloch sich beschämt und gedemüthigt, und insbesondere wurde sein Adelstolz empört durch den Schlußsatz, daß die Würfel, wie das Grab, den Unterschied der Stände aufhöben, auf den er in Folge seiner von Kindheit auf angenommenen Vorurtheile vielleicht mit allzugroßer Vorliebe hielt. Indessen ließ sich wider die Beweisführung des jungen Gelehrten Nichts einwenden, und so begnügte sich Nigel, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben und Fragen in Betreff des gegenwärtigen Zustandes von Whitefriars zu stellen. Auch darin war sein Wirth zu Hause.

»Ihr wißt, edler Herr,« antwortete ihm der Student, »daß wir eine Macht für uns innerhalb unserer Grenzen bilden, und ich bilde mir Etwas darauf ein, sagen zu können, daß ich einen gewissen Rang in unserer Republik behaupte. Voriges Jahr war ich Schatzmeister des Freiherrn von Unfug Ein Fastnachtsspiel, welches im Abt Kap. 14 beschrieben ist., und gegenwärtig bin ich selbst im Vorschlag zu dieser letzteren hohen Würde. Unter so bewandten Umständen sind wir genöthigt, auf freundschaftlichem Fuße mit unsern Nachbarn im Elsaß zu leben, gleichwie die christlichen Staaten sich oft gemüßigt sehen, mit dem Großtürken oder mit den Barbaresken einen Bund zu schließen.«

»Ich hätte gedacht, Ihr Herren vom Tempel wäret unabhängiger von Euren Nachbarn,« bemerkte Lord Glenvarloch.

»Ihr erweiset uns etwas zu viel Ehre, edler Herr,« erwiderte der Templer. »Die Elsässer und wir haben gemeinschaftliche Feinde und, unter uns gesagt, gemeinschaftliche Freunde. Wir haben die Gewohnheit, alle Gerichtsdiener von unseren Grenzen abzuhalten und dabei helfen uns mit aller Macht unsere Nachbarn, die keinen Zipfel von denselben innerhalb der ihrigen dulden. Weiter haben die Elsässer – versteht mich wohl! – die Macht, unsern Freunden, männlichen wie weiblichen, welche etwa genöthigt sind, bei ihnen eine Freistätte zu suchen, Schutz angedeihen zu lassen oder Schaden zuzufügen. Kurz, die beiden Gemeinwesen dienen einander, obwohl der Bund zwischen Staaten von ungleichem Range stattfindet. Ich kann sagen, daß ich selber verschiedene wichtige Geschäfte geführt habe, und daß meine Unterhandlungen auf beiden Seiten Beifall gefunden haben. – Aber horch! – horch! – was ist das?«

Was den Meister Lowestoffe unterbrach, war der ferne Klang eines Hornes, auf welchen ein gedämpftes Hussa folgte.

»Es ist in diesem Augenblicke Etwas los in Whitefriars,« bemerkte der Student. »Dies ist das Zeichen, welches sie geben, wenn der Gerichtsdiener mit seinem Amtsstab bei ihnen eindringt. Auf den Klang des Hornes eilen sie Alle herbei zur Hülfe, wie Bienen, wenn in ihrem Stocke gestört wird. – Spring' Jan!« rief er seinem Diener zu, »und sieh', was im Elsaß los ist. – Dieser Bastard von einem Buben,« fuhr er fort, als der Knabe, an die Hast seines Herrn gewöhnt, die Treppe mehr hinabstürzte als lief, »dieser Bube ist hier zu Lande Goldes werth. Er dient sechs Herren, von denen vier in verschiedenen Nummern wohnen, und er ist bei der Hand wie ein Kobold auf den bloßen Wunsch dessen, der ihn gerade am nöthigsten braucht. Kein Schaut in Oxford, kein Gip in Cambridge kommt ihm an Schnelligkeit und Verstand gleich. Er weiß den Tritt eines Manichäers Mahner, Gläubiger. von dem eines Clienten zu unterscheiden, wenn der Fuß des Ankommenden nur die unterste Treppenstufe berührt; er unterscheidet das Trippeln einer hübschen Dirne von dem Schritt eines Beisitzers auf die ganze Länge des Gerichtssaales; kurzum, er ist – Aber ich merke, Ew. Herrlichkeit ist unruhig. Darf ich Euch noch einen Becher von der Herzstärkung meiner Großmutter aufdringen? Oder wollt Ihr mir erlauben, Euch meine Garderobe zu zeigen und Kammerdienerstelle bei Euch zu vertreten?«

Lord Glenvarloch nahm keinen Anstand, zu gestehen, daß er sich in peinlicher Verlegenheit befinde, und sehr wünsche, zu thun, was zu seiner Rettung nöthig sei.

Der gutmüthige, leichtsinnige Student führte ihn in sein kleines Schlafgemach, wo er aus Bandschachteln, Mantelsäcken, Koffern und einem alten nußbaumenen Kleiderschranke diejenigen Stücke auswählte, die ihm am geeignetsten schienen, seinen Gast so zu verkleiden, daß er sich in das gesetzlose und unruhige Elsaß wagen könne.



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