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Zehntes Kapitel.

Die traurige Nachricht von dem Tode Halbert Glendinnings hatte im Turme von Glendearg alle vorher getroffenen Anordnungen über den Haufen geworfen. So hatte man Mary von Avenel, da ihr Zustand unmittelbare Aufmerksamkeit erheischte, in die Stube gebracht, die bisher Halbert und Edward inne gehabt hatten, da Edward willens war, alle Nächte zu wachen, um seinen Gefangnen an jedem Fluchtversuch zu hindern. Auf Müllers Mysie hatte man in der Folge gar keine Rücksicht genommen. Ohne eine Ahnung davon, daß die Eßstube, durch die man bloß zu dem kleinen Kämmerchen gelangen konnte, das bisher von Mary Avenel bewohnt gewesen war, und das man ihr wegen der vielen Gäste, die abends im Turme eingetroffen waren, angewiesen hatte, dem Ritter Piercie Shafton als Schlafstube dienen sollte, war sie dort zurückgeblieben, als die andern Frauen auf die Aufforderung des Unterpriors hin, sich zurückzogen; und nun traute sie sich nicht mehr hinaus, sowohl aus persönlicher Schüchternheit als aus Ehrerbietung vor dem geistlichen Herrn, der in geheimer Unterredung mit dem Ritter in der Eßstube zurückgeblieben war.

Sie mußte also wohl öder übel so lange dort zurückbleiben, bis die Unterredung zu Ende war, und konnte es, da die Verbindungstür nur ein dünner Verschlag war, nicht hindern, daß sie jedes Wort, das zwischen den beiden Männern gesprochen wurde, hörte.

Auf diese Weise traf es sich, daß sie, ohne es zu wollen, mit der Absicht des geistlichen Herrn, dem Ritter die Entfernung aus dem Turme zu wehren, bekannt wurde, und gleichzeitig konnte sie aus dem kleinen Fenster ihres Stübchens, das nach dem Hofe hinaus sah, beobachten, wie sich immer mehr junge Männer draußen einfanden, zufolge des Aufgebots, das Edward im Klostersprengel erlassen hatte.

Hierdurch wurde in ihrem Herzen die lebhafteste Besorgnis für den Fremdling wachgerufen, dessen Eleganz und Auftreten die harmlose, schlichte Müllerstochter ebenso bezaubert und geblendet, wie sie die klarer blickende Mary Avenel abgestoßen hatten. Der Ritter seinerseits hatte diesen Eindruck recht wohl bemerkt und sich dadurch nicht wenig geschmeichelt gefühlt, war es ihm doch ein Beweis dafür, daß seine Tugenden und Vorzüge nicht allgemeiner Mißachtung anheimfielen, sondern in dem Herzen wenigstens dieses Mädchens freundliche Anerkennung fanden. Aus Artigkeit hatte er sich Mysie gegenüber weit höflicher gezeigt, als es seiner Ansicht nach ihrem Stande gegenüber in jedem andern Falle am Platze gewesen wäre. Kein Wunder, daß ihr von Natur weichherzig gestimmtes Gemüt sich infolge dieser ihm von dem Ritter erwiesenen Artigkeit noch um so beruhigter fühlte.

Freilich sagte sie sich, daß es sehr garstig von ihm gewesen sei, solch jungen Menschen wie Halbert Glendinning umzubringen, aber er war und blieb doch Edelmann von Geburt und Soldat und war doch überhaupt ein so feiner und artiger Herr, daß es ihr gar nicht anders scheinen wollte, als daß Halbert den Zwist veranlaßt haben müsse, der doch eben bloß um Mary Avenels willen entstanden sei, für die beide junge Männer, wie man ja in Glendearg recht gut wußte, derart schwärmten, daß sie kein andres Mädchen im ganzen Klostersprengel angucken mochten. Daß ein so hübscher, netter Mensch, wie dieser edle Ritter, der wie ein Prinz aussah und wie ein Prinz sich zu benehmen wußte, sich durch die Schuld eines groben Bauern in einen Zweikampf eingelassen hatte und nun dafür mit dem Leben büßen sollte, das war ein Gedanke für die arme Mysie, der ihr die hellen Tränen in die Augen trieb. Ihr Herz empörte sich gegen solche Grausamkeit einem Menschen gegenüber, der aus seiner Heimat verbannt war, der ganz ohne Hilfe und Freund dastand, und der so anmutig zu sprechen vermochte und sich so geschmackvoll zu kleiden verstand, und sie fing an, mit sich zu Rate zu gehen, ob es denn gar nicht möglich sei, ihm in solcher Not beizustehen.

Ueber diesem Gedanken schwand die Sorge, die ihr Gemüt bisher in Anspruch genommen hatte, einen Weg aus diesem Kämmerchen zu finden, ohne von jemand gesehen zu werden, vollständig; sie pries sich im Gegenteil recht glücklich, daß ihr der Zufall dieses Plätzchen hinter der Eßstube angewiesen hätte, und lebte sich allmählich in die Einbildung hinein, der Himmel habe sie zur Erhaltung und zum Schutze dieses armen Fremdlings dorthin geschickt. Mysie war schlichten Sinnes und empfindsamen Herzens, dabei aber aufgeweckt und unternehmend, und mutiger, als Frauen im allgemeinen zu sein pflegen; auch besaß sie einen ziemlich großen Grad von körperlicher Stärke. Und all diese Umstände zusammen genommen führten sie schließlich zu dem Gedanken: »Ich will ihn retten, den schmucken Menschen, und neugierig bin ich, was er dann wohl von dem armen Müllerstöchterlein denken und was er zu ihr sagen wird, wenn sie so etwas für ihn gewagt und ausgeführt hat, wozu sich doch all die vornehmen Damen in London und andern großen Städten von England im ganzen Leben nicht entschlossen hätten!«

Im nächsten Augenblick gab ihr freilich die Klugheit einen Nasenstüber und hielt ihr vor, daß es doch für sie persönlich im selben Verhältnis gefährlich zu werden drohte, wie sich Sir Piercies Herz aus Dankbarkeit ihr zuwendete. Aber da fielen ihre Blicke gleichzeitig auf den kleinen Spiegel, neben den sie ihre kleine Lampe gestellt hatte, und in dem kleinen Spiegel sah sie eine Figur, die von schönstem Ebenmaße war, und ein Paar Augen, die lustig blitzten und funkelten, und noch durch jenen Ausdruck veredelt wurden, der Gemütern zu eigen ist, die kühne Taten entwerfen und in Ausführung setzen können.

»Ei, sollten diese Augen, diese Züge und diese Figur nicht im Verein mit dem Dienste, den ich dem Ritter zu tun im Begriff stehe, den Rangunterschied zwischen uns beiden bis zu einem gewissen Grade aufheben können?«

Diese Frage wurde durch die nicht geringe Portion von Eitelkeit, die in ihrem Köpfchen steckte, bei ihr wachgerufen, und wenn ihre Phantasie auch nicht gleich mit einem schnellen Ja darauf antworten mochte, so wurde doch ein Mittelweg in dem Schlusse gefunden: »Zunächst will ich dem jungen Menschen mal aus der Patsche helfen, und für das andre mag dann der Himmel sorgen.«

Alle selbstsüchtigen Gedanken nunmehr aus dem Sinne schlagend, richtete das ebenso sehr unbesonnene wie mutige Mädchen ihren ganzen Sinn auf die Ausführung des Gedankens, den jungen Ritter zu befreien.

Noch kaum ein Viertelstündchen war verflossen, seit der Unterprior die Eßstube verlassen hatte, als Mysie auch schon ihren Plan fertig hatte. Kühn war er freilich, aber er versprach Erfolg, sobald er mit der richtigen Vorsicht ausgeführt wurde. Vor allen Dingen war es notwendig, daß sie das Kämmerchen, in welchem sie sich befand, nicht früher verließ, als bis sich alles im Turme zur Ruhe begeben hatte, die Wachen natürlich ausgenommen. Die Zwischenzeit benützte sie dazu, das Verhalten des Mannes zu beobachten, zu dessen freiwilligem Champion sie sich aufzuwerfen gewillt war.

Sie hörte, wie er in der Eßstube hin und her ging, wahrscheinlich in Gedanken vertieft über sein ungünstiges Schicksal und seine keineswegs ungefährliche Lage. Dann hörte sie ihn in seinen Koffern kramen, die ihm auf seinen Wunsch durch den Unterprior aus der Stube, die er bisher bewohnt hatte, geschickt worden waren. Wahrscheinlich suchte er, so dachte das Mädchen bei sich, durch solche Beschäftigung sich von seinen trübsinnigen Betrachtungen Ablenkung zu verschaffen. Dann hörte sie ihn deklamieren, dann ein Liedchen trällern, dann den Takt zu einem Tanze summen, und hieraus schloß Mysie, daß es ihm gelungen sein möchte, seinen Sinn durch die Beschäftigung mit seiner Garderobe aufzuheitern. Zuletzt hörte sie, wie er sich auf sein Lager warf, das man ihm für die nächste Nacht zurecht gemacht hatte, wie er ein paar Gebetsworte vor sich hin brummte, und nach kurzer Zeit gewann sie den Eindruck, daß er eingeschlafen sein müsse.

Nun betrachtete sie ihr Vorhaben von allen Seiten, und so große Gefahr damit auch verbunden sein mochte, so half ihr der ruhige Blick, den sie für alles hatte, doch auf die richtigen Mittel und Wege zur Ausführung. Wirken ja Mitgefühl und Liebe an sich schon mit außerordentlicher Macht auf jedes weibliche Gemüt!

Es war ungefähr eine Stunde nach Mitternacht. Bis auf die den Gefangnen bewachenden jungen Leute schlief alles im Turme, sogar die Witwe und Mary Avenel waren von dem schweren Kummer, der an ihrem Herzen nagte, so niedergedrückt, daß sie für die Außenwelt so gut wie unzugänglich waren. An Werkzeug, um Feuer zu schlagen, war in dem Kämmerchen das Nötige bei der Hand, und es gelang Mysie, die ja in allen häuslichen Arbeiten wohl bewandert war, die kleine Lampe, die Mary Avenel zu brennen pflegte, anzustecken. Zitternd und zagend machte sie nun die Tür leise auf, die sie von der Eßstube trennte, in welcher der Ritter aus dem Süden eingeschlossen war, und wenig fehlte, so wäre sie wankend in ihrem Entschlusse geworden, als sie sich mit dem schlafenden Gefangnen in dem gleichen Raume sah. Kaum getraute sie sich, die Blicke auf ihn zu richten; in seinen Mantel gehüllt, lag er auf dem ärmlichen Schragen und schlief. Mit abgewandten Augen versuchte sie ihn am Aermel zu zupfen und munter zu machen. Aber er regte sich nicht eher, als bis sie es ein paarmal wiederholt hatte. Dann aber drehte er sich um und war so verwundert, daß wenig fehlte, so hätte er laut aufgeschrieen.

Nun wich die Verschämtheit bei Mysie der Furcht. Sie legte die Finger auf den Mund zum Winke für ihn, daß er das strengste Stillschweigen wahren solle, und dann zeigte sie nach der Tür, um ihm verständlich zu machen, daß sie bewacht würden. Jetzt wurde auch Sir Piercie wieder Herr seiner Aufregung und richtete sich in die Höhe. Verwundert betrachtete er die hübsche Mädchengestalt, die sich seinem Blicke zeigte, mit den tadellosen Formen und dem wallenden Haar und den zarten Gesichtsumrissen, und die romantische Phantasie des jungen Ritters wäre sicherlich nicht lange in Verlegenheit gewesen um eine artige Redewendung, aber Mysie ließ ihn nicht Zu Worte kommen.

»Ich komme, Herr Ritter,« Hub sie an, »Euer Leben zu retten, das von großer Gefahr bedroht ist. Sofern Ihr mir Antwort geben wollt, so sprecht nur leise, denn Eure Tür ist mit Bewaffneten besetzt.«

»Huldreichste aller Müllerstöchter,« erwiderte Sir Piercie, der sich bereits auf seinem Lager aufgerichtet hatte, »sei ohne Furcht wegen meiner Sicherheit! Du darfst mir glauben, daß ich Dir die Wahrheit sage, wenn ich es bestreite, die rote Pfütze, die von den höchst ungesitteten Verwandten des Bauernjungen für dessen Blut gehalten wird, vergossen zu haben. Deshalb bin ich auch ohne alle Sorge um des Ausgangs dieser Haft willen, denn ich weiß, daß sie mir keinen Schaden bringen kann. Immerhin soll Dir, meine schönste Molinara, der Dank, den Deine liebevolle Aufmerksamkeit fordert, nicht vorenthalten bleiben.«

»Nicht doch, Herr Ritter, ich verdiene keinen Dank,« antwortete das Mädchen, aber mit so leiser, bebender Stimme, daß er es kaum verstehen konnte, »so lange Ihr meinen Rat befolgt. Edward Glendinning hat nach mehreren jungen Burschen geschickt, ihm Beistand zu leisten, und die sind nun gekommen, und ich hörte sie zusammen sprechen, als sie vorhin im Hofe abstiegen, daß die Buße für den an ihrem Verwandten verübten Mord entrichtet werden müsse, und wenn alle Mönchskutten darüber in Brand gerieten. Die Vasallen sind heute so aufsässig, daß selbst der Abt ihnen nicht Einhalt gebieten könnte, denn das ganze Kloster lebt doch jetzt in ständiger Furcht, sie möchten gleich den andern Leuten in Schottland auch ketzerisch werden und ihren Lehnszins nicht mehr entrichten.«

»Freilich, solche Versuchung mag stark sein,« erwiderte Sir Piercie Shafton, »und vielleicht könnten sich die Mönche, wenn sie mich über die Grenze an Sir John Foster oder Lord Husdon, die beiden englischen Grenzhüter, auslieferten und auf diese Weise England und seine Klostervasallen zugleich befriedigten, von all ihren Sorgen befreien. In Anbetracht dessen, schönste Molinara, will ich Deinen Rat befolgen und Deine Schönheit, sowie Deinen Geist, wenn es Dir gelingt, mich aus diesem Hundestall zu erlösen, feiern und preisen, daß Rafaels Bäkernymphe im Vergleich mit meiner Molinara eine gemeine Zigeunerin sein soll.«

»Still, still, ich bitt Euch,« erwiderte die Müllerstochter, »denn wenn durch Eure Worte die Wächter draußen aufmerksam werden, dann kann mein Plan nicht gelingen, und nur der Gnade des Himmels und der Fürsorge unsrer lieben Frau haben wir es zu danken, daß uns bis jetzt noch niemand gehört und entdeckt hat.«

»Ich werde mich mäuschenstill verhalten,« entgegnete der Engländer, »still wie die Sternennacht! aber, schönste Molinara, sofern Dein Plan Dich selbst irgendwie in Gefahr setzt, dann wäre es doch meiner gänzlich unwürdig, wenn ich meine Rettung Deiner Hand zu verdanken hätte.«

»Denkt nicht an mich, Herr Ritter,« erwiderte Mysie, »ich bin geborgen und werde schon an mich denken, sofern ich nur erst Euch aus dieser Gefahr befreit weiß. Und nun macht schnell! besinnt Euch nicht lange, sofern Ihr von Euren Kleidern oder Sachen etwas mitnehmen wollt.«

Darüber verging nun freilich noch einige Zeit, bis der Ritter sich schlüssig war, was er von seinen Sachen alles, mitnehmen und was er davon zurücklassen wollte, denn an jedes Stück knüpfte sich eine Erinnerung, bald an eine Festlichkeit, bald an ein Gastmahl, bald an dies oder jenes Abenteuer, wobei er es getragen hatte. Mysie ließ ihm eine Weile Zeit, da ja auch sie selbst einige Vorkehrungen zu der schnellen Abreise zu treffen hatte. Als er aber bei ihrem Wiedereintritt noch immer nicht bereit war, bat sie ihn mit ein paar schlichten Worten, sie nicht beide durch längern Aufenthalt in Fährlichkeit zu setzen, sondern sich entweder zur Flucht aufs schnellste einzurichten oder darauf zu verzichten. Da packte der Ritter trostlos ein paar Sachen in ein Bündel, warf auf seine Koffer noch einen stummen Blick voll Schmerz und Weh und erklärte nunmehr seiner freundlichen Führerin, ihr folgen zu wollen »durch dick und dünn«.

Mysie wandte sich nach der Tür und bedeutete den Ritter, sich ihr dicht anzuschließen. Dann klopfte sie leise. Es dauerte eine Weile, bis Edward antwortete, wer denn poche und was man wolle?

»Sprecht doch leise,« versetzte Mysie, »sonst wird der englische Ritter munter. Ich bins, Mysie Happer. Ich will hinaus. Ihr habt mich ja in der kleinen Kammer eingeschlossen, und da Hab ich warten müssen, bis der englische Ritter eingeschlafen war. Nun will ich aber nicht länger eingesperrt bleiben.«

»Was? Ihr seid eingesperrt gewesen, Mysie?« fragte Edward verwundert.

»Ja doch,« erwiderte die Müllerstochter. »Ihr seids doch selbst gewesen, der mich eingesperrt hat! Ich war doch in der kleinen Kammer, in der früher Mary geschlafen hat.«

»Könnt Ihr denn nicht warten bis morgen?« versetzte Edward, »Ihr könnt doch die Nacht auch dort schlafen!«

»So?« rief Mysie empört, »das wäre ja schön! Nicht um alles in der Welt bliebe ich eine Sekunde länger in einem Raume, der neben der Stube liegt, in der sich ein Mann allein befindet. Nein, dazu ist doch meines Vaters Tochter zu sittsam und streng erzogen, als daß sie ihren guten Namen preisgeben sollte!«

»Na, dann kommt heraus und verfügt Euch in Eure Kammer!« sagte Edward und machte die Tür auf.

Die Stiege draußen war finster, wie Mysie sich schon vorher überzeugt hatte. Kaum war sie herausgetreten, so faßte sie Edward am Arm, wie wenn sie sich auf ihn stützen wolle, und zog ihn ein kleines Stück von der Tür weg. Dann stellte sie sich unauffällig so, daß sie den Raum zur Tür vertrat, so daß Edward den ihr auf dem Fuße folgenden Engländer nicht gewahren konnte. Barfuß und behutsam schlich dieser auf den Zehen einher, während Mysie sich laut bei Edward darüber beklagte, daß kein Stümpfchen Licht da sei.

»Ich kann Euch keins verschaffen, Mysie,« erwiderte Edward, »denn ich darf nicht von diesem Posten weichen. Unten werdet Ihr aber schon Feuer finden.«

»Nun, dann kann ich mich schließlich gefaßt machen, bis morgen früh unten zu sitzen,« sagte unwillig das Mädchen und ging die Treppe hinunter, während Edward die Tür der nun leeren Stube unnützerweise wieder abschloß.

Unten traf Mysie wieder den Mann ihrer Sorge, dem sie wiederum das strengste Schweigen befahl, wozu er sich auch, wohl zum ersten Male in seinem Leben bequemte. Mit der größten Behutsamkeit, wie wenn sie über brüchiges Eis schritten, schlichen sie bis zu einem finstern Winkel, der als Holzstall benützt würde, und hier flüsterte Mysie dem Ritter zu, sich hinter dem Reisig zu verstecken, bis sie wiederkäme. Dann steckte sie das Küchenfeuer mit ihrer Lampe an und setzte sich an Rocken und Spindel, um nicht unbeschäftigt zu erscheinen, falls jemand hereinkommen sollte. Von Zeit zu Zeit schlich sie auf den Zehen zum Fenster hin, weil sie zur weitern Ausführung ihres Planes das erste Frühlicht abwarten mußte. Endlich färbte sich der Himmel, und mit gefalteten Händen dankte sie der Jungfrau Maria für ihre bisherige Hilfe und bat um weitern Segen für das Werk, das sie vorhatte.

Aber bevor sie mit ihrem Gebet zu Ende war, fühlte sie zu ihrem namenlosen Schreck plötzlich die Hand eines Mannes auf ihrer Schulter.

»Ei, die schmucke Mysie ans der Klostermühle, und schon so früh bei einem frommen Gebet? Ei, dafür muß ich doch einen Kuß bekommen!" rief eine rauhe Stimme gleichzeitig unter derbem Lachen hinter ihr.

Einer von den jungen Burschen war es, die Edward nach dem Turm von Glendearg gerufen hatte, Dan von Howlet-Hirst. Und er ließ seiner lustigen Rede auf der Stelle die kecke Tat folgen, bekam aber dafür nach ländlicher Art einen so derben Knuff in die Seite, daß er kaum einen Aufschrei zu unterdrücken vermochte, im übrigen aber den Knuff ganz ebenso hinnahm, wie ein feiner Herr den Klaps einer schönen Dame mit dem Fächer hingenommen hätte.

»Ei was, Herr Hanswurst,« meinte Mysie, »habt Ihr um Narretei willen Euren Wachtposten bei dem englischen Gefangenen im Stich lassen müssen?«

»Ganz und gar nicht, schönste Mysie,« antwortete Dan von Howlet-Hirst, »ich habe den Edward noch gar nicht von seinem Posten abgelöst; und wärs nicht schädlich, ihn länger Posten stehen zu lassen, so brächt ichs, meiner Treu, nicht fertig, Euch die ersten zwei Stunden allein mit Euch zu lassen.«

»O, Ihr habt Zeit genug, unsereins zu sehen, Dan,« antwortete die Müllerstochter, »aber jetzt solltet Ihr an den Kummer denken, der die Hausleute betroffen hat, und Edward ablösen, damit er sich auch ein bißchen aufs Ohr legen könnte, denn der arme Mensch hat die ganze Nacht gewacht.«

»Aber erst muß ich noch einen Kuß haben, Mysie,« sagte Dan von Howlet-Hirst.

Mysie war jedoch auf ihrer Hut und leistete dem Burschen, vielleicht auch, weil sie an den nahen Holzstall dachte, kräftigen Widerstand, bis schließlich der liebeskranke Schäfer die spröde Dirne unter ein paar kräftigen Ausdrücken, die von Liebe wenig an sich hatten, stehen ließ, und die Stiege hinauf rannte, um den Kameraden abzulösen. Mysie, die sich bis zur Tür hin schlich, hörte nun die beiden Burschen eine Weile zusammen reden, dann verließ Edward den Posten, den Dan von Howlet-Hirst an seiner Statt bezog.

Mysie ließ nun noch einige Zeit verstreichen, bis es noch ein wenig heller draußen geworden war. Dann ging sie zu Dan hinauf, in der Meinung, daß er inzwischen Zeit genug gehabt hätte, allen Groll gegen sie wegen ihrer Sprödigkeit zu vergessen, und sagte ihm, er solle ihr die Schlüssel zum äußern Tor geben.

»Und wozu denn?« fragte der Bursche.

»Ei, die Kühe müssen doch gemolken und ins Freie gelassen werden,« antwortete Mysie, »oder soll das arme Vieh den ganzen Morgen im Stall bleiben? Die Hausleute sind doch noch alle dermaßen von ihrem Kummer übermannt, daß keiner die Arbeit verrichten kann, außer mir und der Magd.«

»Und wo ist die Magd?« fragte Dan.

»Sie sitzt bei mir in der Küche, denn es könnte ja sein, daß die Hausleute dringender Hilfe bedürfen.«

»Na, da nimm den Schlüssel, Du Plagegeist!« sagte der Wachtposten.

»Dank schön, Du Tunichtgut,« antwortete die Müllerstochter und rannte die Treppe hinunter.

Im Nu war sie im Holzstall und warf dem Ritter einen alten Weiberrock über, der dort am Rechen hing, dann riß sie die Tür auf und lief in den Kuhstall, der im andern Hofwinkel lag, während Sir Piercie Shafton sich über den hierdurch entstehenden Aufenthalt beklagen zu müssen meinte.

»Allerschönste und huldreichste Molinara,« rief er, »wäre es nicht gescheiter von uns, wir öffneten das äußre Tor und machten uns wie ein Paar Seemöwen, die bei drohendem Sturmwetter Schutz auf einem Felsen suchen, auf den Weg?«

»Zuerst müssen wir die Kühe hinaustreiben,« antwortete Mysie, »es wäre doch sündlich, die Witwe um ihre Herde zu bringen, sündlich um ihretwillen und um der armen Tiere willen. Daß jemand den Turm mir nichts dir nichts verlassen und uns nachsetzen werde, davor habe ich keine Sorge. Zudem müßt Ihr doch auch Euer Pferd haben, denn Ihr müßt schon zusehen, so schnell wie möglich weiter zu kommen, wenn Ihr Euch in Sicherheit bringen wollt.«

Mit diesen Worten verschloß und verriegelte sie das innere und äußere Turmtor, rannte in den Kuhstall, trieb das Vieh heraus zum Hoftore und führte das Pferd des Ritters zum Holzstalle, worin derselbe noch steckte. Sie wollte nun noch einmal zum Stalle eilen, um ihren eignen Klepper zu holen, aber das Stampfen der Hufe hatte Edwards Aufmerksamkeit wachgerufen. Er trat an das Fenster seiner Stube und rief hinaus, was denn vorgehe?

Ohne Zögern erwiderte Mysie, daß sie die Kühe ins Freie hinaus treibe, weil noch niemand anders im Hause am Gange sei und die Tiere ja hungern müßten.

»Schönen Dank, gutes Mädchen,« erwiderte Edward, aber im andern Augenblick wurde er wieder stutzig. »Was hast Du denn für ein Weibsbild bei Dir?« fragte er wieder.

Mysie wollte Antwort geben, aber Sir Piercie kam ihr zuvor, weil er nicht leiden mochte, wie es den Anschein hatte, daß das große Werk seiner Befreiung vollständig ohne sein Zutun ins Werk gesetzt werde, und rief ihm vom Hofe aus zu:

»Ich bins, mein schöner Hirtenknabe, dessen Aufsicht die milchreichen losen Mütter der Herde von Glendearg unterstellt worden sind.«

»Holla, holla!« schrie Edward, von Grimm und Staunen zugleich ergriffen, »das ist ja Piercie Shafton! Verrat, Verrat! Holla, Dan! holla, Kaspar! holla, Martin! Der Schurke entwischt!«

»Zu Pferd! zu Pferd!« rief, Mysie und saß im Nu hinter dem Ritter, der sich bereits in den Sattel geschwungen hatte. ... Und los ging es nun auf Tod und Leben.

Edward hatte die Armbrust ergriffen und schoß. Dicht an Mysies Ohr schwirrte der Bolzen vorbei.

»Flugs, flugs!« rief sie dem Gefährten zu, »der nächste Bolzen fehlt uns sicher nicht. Hätte Halbert an Edwards Stelle geschossen, dann lägen wir schon im Sande!«

Der Ritter preßte dem Pferde die Sporen in die Weichen, daß das Blut herausschoß. Er sprengte an den Kühen vorbei und sauste den Hügel hinunter, auf dem der Turm stand. Dann nahmen sie ihren Weg ins Tal hinein, und bald brachte das flinke Tier seine doppelte Last weit genug, daß von dem Lärm, der nun im Turme von Glendearg entstand, nichts mehr zu den Ohren des Ritters und des Mädchens drang.

Auf solch wunderliche Weise geschah es, daß ein Menschen-Paar zu gleicher Zeit in verschiedner Richtung von dannen floh, von welchem jeder als des andern Mörder betrachtet wurde.


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