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Neuntes Kapitel.

»Wie Ihr wißt, ehrwürdiger Vater,« begann Sir Piercie Shafton die Unterhaltung, »hatte jener Bauernbursche mir in Gegenwart Eures verehrten Obern und Eurer selbst und andrer würdigen Männer, der jungen Dame von Avenel nicht zu vergessen, die ich mit aller Ehrerbietung als meine Protektion bezeichnen darf, eine so bittre Kränkung zugefügt, daß ich mich in Rücksicht auf Zeit und Ort wohl der mir zustehenden Rache auf eine gewisse Zeit enthalten konnte, zuletzt aber zu dem Entschlusse kommen mußte, ihm das Vorrecht eines Ebenbürtigen einzuräumen, ihm also die Eigenschaft der Satisfaktionsfähigkeit zuzusprechen.«

»Ihr laßt zwei Umstände dabei unaufgeklärt, Herr Ritter,« fiel ihm der Mönch ins Wort, »erstens, warum das kleine Ding, das der Jüngling Euch zeigte, Euren Grimm in solch maßloser Weise wachrufen konnte, und zweitens, woher der Jüngling, mit dem Ihr doch erst ein paarmal höchstens zusammengewesen sein konntet, von Eurer Vergangenheit so viel wußte, daß er Euch solcherweise zu erregen vermochte?«

Der Ritter wurde von tiefer Röte übergossen.

»Eure erste Frage, ehrwürdiger Vater,« antwortete er, »möchte ich, als zur Sache nicht gehörig, übergehen, und in betreff der andern beteure ich, daß ich die Mittel und Wege, wie er zu solcher Kenntnis gelangt ist, ebenso wenig begreife wie Ihr selbst, ja daß ich mich fast geneigt fühle zu der Annahme, er müsse es mit dem Satan halten. Indessen davon nachher ein Weiteres. ... Zur Sache denn, Herr Prior! An jenem Abend habe ich, wie es bei uns Kriegsleuten so Brauch ist, meine Absicht hinter allerhand Tändelei mit meiner schönen Protektion versteckt, die für ihre unerfahrenen Ohren köstliche Musik sein mußten. Am Morgen darauf habe ich meinen Gegner getroffen, von dem ich übrigens sagen muß, daß er sich für einen ungehobelten Villaggio so wacker benommen hat, wie man nur eben wünschen kann. . . . Als es nun zum Zweikampfe ging, maß ich den Wert seiner Klinge durch ein Halbdutzend simpler Stöße, und hätt ihn mit einem jeden derselben auf den Rasen strecken können, wenn mir daran gelegen gewesen wäre, mich solch verabscheuenswerten Vorteils zu versichern. Ich dachte statt dessen Gnade für Recht ergehen lassen zu sollen und suchte ihm bloß einen geringfügigen Denkzettel zu erteilen. Er aber häufte, während ich so gelind mit ihm verfuhr, weitere Beleidigungen auf mich und jagte mich in Wut. Ich mache eine Parade, gleite dabei aus, aber nicht durch einen Fehler meiner- oder einen Trick seinerseits, sondern weil, wie gesagt, der Teufel sein Spiel dabei haben mußte, vielleicht den Rasen genäßt oder sonst was angestellt hatte, so daß der Bursche, ehe ich meine Stellung wiedergewinnen konnte, mir das Schwert so entgegenhält, daß ich mit dem Unterleib hineinrenne, und, wie es mir vorkommt, mitten durch gestochen werde. Ganz außer sich über diesen ihm selbst höchst unvermuteten Ausgang unsers Kampfes, reißt der Bursche aus und läßt mich in meinem Blute liegen, so daß ich infolge starken Blutverlusts in Ohnmacht falle. Als ich hierauf endlich wieder zu mir komme, da sehe ich, daß mich jemand in meinen Mantel gewickelt und an den Fuß einer der Birken getragen hat, die unfern von der Quelle in einer Gruppe stehen. Ich drehe mich um und lege meine Hand an die Wunde, ich fühle wenig Schmerz, aber große Schwäche, die Wunde ist, wie ich merke, schon wieder zugeheilt und vernarbt, genau so, wie ich sie Euch vorhin zeigte; ich stehe auf und komme hierher ... und was dann hier noch geschehen ist, das wißt Ihr ja!«

»Auf solch seltsame Erzählung, Herr Ritter, kann ich nichts weiter sagen,« antwortete der Unterprior, »als daß es wohl kaum jemand zugemutet werden kann, sie zu glauben.«

»Ehrwürdiger Vater,« erwiderte der Ritter, »ich bitte zuvörderst gelten zu lassen, daß ich mich auf eine nochmalige Erörterung dessen, was ich bereits als wahrhaftig verbürgt habe, nur eingelassen habe aus geziemender Rücksicht auf Eure Ordenstracht, und daß ich vor niemand anders als einem Geistlichen oder einer Edeldame oder meinem Landesfürsten einmal Bezeugtes anders als mit der Spitze meines Schwertes bekräftigen würde. Nach dieser Erklärung habe ich bloß noch hinzuzufügen, daß ich meine Ehre als Edelmann und als katholischer Christ zum Pfande dafür setze, daß die Dinge sich genau so zugetragen haben, wie ich sie Euch erzählt habe, und kein Jota anders.«

»Das ist gewiß eine feierliche Versicherung, Herr Ritter,« antwortete der Unterprior, »bedenkt aber, daß es doch immer nur eine Versicherung ist, und daß Ihr keinen einzigen Grund dafür nennen könnt, daß man Dinge für wirklich annehmen soll, die aller Vernunft so gerade entgegengesetzt sind. War das Grab, das man auf Eurem Kampfplatze antrifft, bedeckt oder offen?«

»Offen,« versetzte Sir Piercie, »ich bin dessen so gewiß, wie wenn ...«

»Laßt, bitte, alle Gleichnisse beiseite und gebt acht! Gestern abend war dort noch kein Grab vorhanden, denn der alte Martin ist zufällig auf der Suche nach einem verirrten Schafe, dort vorbeigekommen. Bei Tagesanbruch dagegen ist, nach Eurer Aussage, das Grab ausgeschachtet gewesen, dann hat ein Zweikampf stattgefunden, nur einer der beiden Kämpfer kommt wieder zum Vorschein, und der ist mit Blut befleckt und dem Anschein nach verwundet –-« hier machte Sir Piercie eine Gebärde der Ungeduld – »Nur einen Moment noch, bitte!« sagte der Unterprior, »das Grab ist voll geschüttet, mit Rasen bedeckt ... was läßt sich da anders annehmen, als daß es den Leichnam des andern Kämpfers aufgenommen habe?«

»Unmöglich, beim Himmel, ganz unmöglich!« rief der Ritter, »es müßte denn sein, daß der Jüngling sich selbst umgebracht und in das Grab gebettet habe; um mich als seinen Mörder zu brandmarken.«

»Das Grab soll nachgesehen werden, sobald der Tag graut,« sagte der Mönch. »Ich selbst will es in Augenschein nehmen.«

»Nachdem ich nun hiermit Euer Ehrwürden,« nahm der Schönredner wieder das Wort, »einen vollständigen und ungekünstelten Bericht über alles gegeben habe, was mir in dieser Angelegenheit bekannt ist, überlasse ich es Eurer Weisheit, dasjenige daraus zu entnehmen, was Euch nützlich und verwendbar zu sein scheint. Ich selbst gedenke morgen in aller Frühe mich nach Edinburg zu begeben.«

»Ich bedaure, Herr Ritter,« erwiderte hierauf der Mönch, »Euren Plan stören zu müssen, aber es ist nicht gut möglich, ihn zur Ausführung zuzulassen.«

»Wie, ehrwürdiger Vater?« rief der Ritter mit der Miene des höchsten Erstaunens, »wenn ich es mir vorgenommen habe abzureisen, dann wird es Wohl möglich sein müssen, zu reisen!«

»Ich wiederhole, es wird nicht möglich sein, Euch diesen Plan ausführen zu lassen, so lange wenigstens nicht, bis über die Entscheidung des Lord-Abtes das Nähere bekannt geworden ist.«

»Ehrwürdiger Herr,« rief der Ritter, eine Miene höchster Würde annehmend, »ich bin dem Lord-Abt gewiß auf das tiefste verpflichtet, aber in diesem Falle habe ich mit seinem liebwerten Willen nicht das geringste zu schaffen, sondern bin einzig und allein gesonnen, mich nach meinem und nicht nach seinem Willen zu richten.«

»Bitte um Verzeihung,« versetzte der Unterprior, »dem Lord-Abt in dieser Angelegenheit vorzugreifen ist durchaus unzulässig.«

Sir Piercie Shafton wurde blutrot.

»Was?« rief er, »Euer Ehrwürden wollen mich um des eingebildeten Todes eines gemeinen Grobians willen in meiner Freiheit beschränken, mich, einen Verwandten des ritterlichen Geschlechtes der Piercie Shafton?«

»Herr Ritter,« erwiderte der Unterprior höflich, aber fest, »Eure hohe Abkunft wird Euch in diesem Falle so wenig nützen, wie Euer wieder aufsteigender Zorn. Ihr hättet hier nicht Zuflucht suchen sollen, wenn Ihr hier bloß Blut vergießen wolltet wie Wasser.«

»Ich sage Euch nochmals, daß kein Blut vergossen worden ist,« rief Sir Piercie, »außer meinem eignen.«

»Den Beweis hierfür seid Ihr uns aber noch schuldig geblieben,« antwortete der Prior, »und wir von der Klosterbrüderschaft zu Sankt Marien von Kennaqhueir sind nicht gewohnt, schöne Redensarten für das Leben unsrer Vasallen in Tausch zu nehmen.«

»Und wir vom Hause Piercie Shafton lassen uns weder Drohungen bieten, noch fügen wir uns Zwangsmaßregeln. Ich wiederhole hiermit, daß ich morgen abreisen werde, geschehe, was wolle!«

»Und ich dagegen,« versetzte der Unterprior im gleichen entschiednen Tone, »erkläre hiermit, daß ich Eure Reise verhindern werde, geschehe, was wolle!«

»Wer will mich abhalten,« rief der Ritter, »wenn ich mir den Weg mit Gewalt bahne?«

»Ihr werdet klug tun,« erwiderte der Mönch gefaßt, »Euch erst reiflich zu überlegen, was Ihr tut, bevor Ihrs tut, denn es fehlt im Klostersprengel nicht an Männern, die ihre Rechte gegen jeden, wahren, der sie anzutasten wagt.«

Bei diesen Worten klatschte er in die Hände und rief mit lauter Stimme. Sogleich trat Edward ein in Begleitung von zwei jungen Männern, die sich zufolge seiner Nachricht bereits wohlbewaffnet eingefunden hatten.

»Edward,« redete der Unterprior ihn an, »Du wirst den englischen Ritter in diesem Räume hier mit anständiger Kost für die Nacht versorgen, und ihn im übrigen so behandeln, wie wenn nichts vorgefallen wäre. Aber Du wirst scharfe Wache halten, daß er nicht entkommt. Und sollte er versuchen, Dir Widerstand zu leisten, dann kämpfe mit ihm auf Leben und Tod; doch darfst Du ihm in keinem andern Falle, so gewiß Dich die Verantwortung dafür trifft, ein Haar auf seinem Haupte krümmen.«

»Ihr seid mir in jeder Hinsicht ein Vater gewesen, ehrwürdigster Herr,« sagte Edward Glendinning, »und kennt mich gut genug, um zu wissen, daß meine Hand lieber nach dem Buche griff als nach dem Schwerte, und daß der rasche, kühne Geist mir mangelt, welcher das Eigentum mei ...« hier stockte seine Stimme, er schwieg eine Weile, dann fuhr er entschlossen und mit Heftigkeit fort: »Ich wollte sagen, daß ich meinem Bruder nicht gleichkam an Mut und Kühnheit; aber Halbert ist nicht mehr, und ich stehe nun an seiner Statt und meines Vaters Statt als sein Nachfolger in allen seinen Rechten«, – bei diesen Worten sprühten seine Äugen voll Feuer – »und halte mich für verpflichtet, diese Rechte zu wahren und zu schützen, genau so, wie er es getan hätte. Darum bin ich jetzt ein anderer Mensch, ein Mensch, beseelt von höherm Mute und ausgestattet mit bessern Rechten und Ansprüchen. Und als solcher Mensch, ehrwürdiger Vater, erkläre ich Euch, achtungsvoll aber entschieden und unumwunden: hat dieser Mann meines Bruders Blut vergossen, so soll er dafür büßen, denn Halbert soll nicht vernachlässigt in seinem Grabe schlummern, als wäre mit ihm der Geist meines Vaters für immer entwichen. In meinen Adern rollt sein Blut nicht minder, und so lange Halberts Blut ungerochen ist, so lange wird auch das meinige sich nicht beruhigen. Geduldig will ich den Urteilsspruch des Abtes und der Klosterschaft erwarten und mich bescheiden, wenn sie gerecht am Andenken meines Bruders handeln. Trifft solche Voraussetzung aber nicht zu, dann habe auch ich ein Herz und eine Hand, um solche Irrung zu berichtigen. Denn wer in die Erbfolge meines Bruders tritt, der muß auch seinen Tod rächen.«

Nicht ohne Staunen nahm der Unterprior wahr, daß auch bei Edward, trotz der großen Schüchternheit, die sonst seinem Wesen zu eigen war, und trotz des unbedingten Gehorsams, der sonst seine Tugend bildete, die wilden Grundsätze seiner Vorfahren und seiner Umgebung in den Adern tobten, daß seine Augen glühten, daß er am ganzen Leibe bebte und daß ihn ein Rachedurst beseelte, der seinem Wesen eine Heftigkeit verlieh, die an die Ungeduld der Freude stark erinnerte.

»Edward,« sagte der Mönch, »ich verlasse mich auf Dein Wort, daß Du Dich aller vorschnellen Handlung enthalten wirst.«

»Ich werde Euren Worten gewiß nicht zuwider handeln, ehrwürdiger Vater, denn Ihr seid mir wahrlich mehr denn ein Vater gewesen,« erwiderte Edward; »allein meines Bruders Blut, sowie die Zähren meiner Mutter und ... und ... auch Mary Avenels sollen nicht fließen, ohne daß derjenige, der die Schuld daran trägt, zur strengsten Rechenschaft gezogen werde. Ich will Euch nicht hintergehen, Vater; doch wenn dieser Piercie Shafton meinen Bruder gemordet hat, dann muß er sterben, und wenn alles Blut des Hauses Piercie in seinen Adern rönne.«

In dieser Erklärung Edward Glendinnings kam ein so feierlicher Entschluß, ein so tief eingewurzelter Wille zum Ausdruck, daß dem Unterprior nichts andres übrig blieb, als sich für den Augenblick in die Umstände zu fügen. Er verließ das Gemach und begab sich zu den Frauen, um ihnen Trost zuzusprechen. Aber auch hier mußte er erkennen, daß seine tröstliche Stimme vergebens erscholl, und daß er dem Schmerz seinen natürlichen Verlauf lassen mußte.


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