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Zwölftes Kapitel.

Weh' mir! Die Blum' und Blüthe Eures Hauses
Hat hingeweht der Wind zu andern Burgen.

Johanna Baillie's Familiensage.

Der alte Rittersitz Lidcote Hall lag in der Nähe des Dorfes gleichen Namens, und grenzte an den großen, weitläufigen Wald Exmoor, worin sich viel Wild befand, und wo einige alte der Familie Robsart zustehende Gerechtsame den alten Ritter in den Stand setzten, seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd, nachzugehen.

Das alte Herrenhaus war ein niedriges, ehrwürdiges Gebäude, welches einen beträchtlichen Raum einnahm und von einem tiefen Graben umgeben war. Der Eingang und die Zugbrücke wurden von einem achteckigen Thurme von altem Mauerwerk gedeckt, der aber so mit Epheu und anderem Schlingkraut bewachsen war, daß man nur mit Schwierigkeit unterscheiden konnte, aus welchem Material er bestand. Jede Ecke dieses Thurmes war mit einem Thürmchen geziert, sehr verschieden an Gestalt und Größe, und daher den einförmigen steinernen Pfefferbüchsen sehr ungleich, welche in der neuern gothischen Bauart zu demselben Zwecke angewendet werden. Eines von diesen Thürmchen war viereckig, und auf diesem befand sich eine große Uhr, welche aber still stand, was Tressilian besonders auffiel, weil der gute alte Ritter unter andern harmlosen Eigenheiten eine kleinliche Sorgfalt für die genaue Abmessung der Zeit zeigte, die gewöhnlich Leuten eigen ist, welche viel von dieser Waare zu ihrer Verfügung haben und sie lästig finden – gerade wie die Kaufleute, wenn am wenigsten Nachfrage nach ihrer Waare ist, sich gern die Zeit damit vertreiben, ein Verzeichniß ihrer Vorräthe anzufertigen.

Der Eingang zu dem Hofplatze des alten Rittersitzes führte durch einen Thorweg, der sich unter dem erwähnten Thurme befand; doch die Zugbrücke war niedergelassen, und ein Flügel des eisenbeschlagenen Thores stand sorglos offen. Tressilian ritt hastig über die Zugbrücke, trat auf den Hofplatz und rief die Diener laut bei ihren Namen. Eine Zeitlang antwortete ihm nur das Echo und das Geheul der Hunde, deren Stall sich nicht weit vom Hause befand und ebenfalls von dem Schloßgraben umgeben war. Endlich erschien Will Badger, der alte und begünstigte Lieblingsdiener des Ritters, der die Stelle eines Kammerdieners und Jagdaufsehers bei ihm vertrat. Der rüstige, abgehärtete Jäger zeigte große Freude, als er Tressilian erkannte.

»Gott grüß' Euch, Herr Edmund!« rief er, »seid Ihr es wirklich, wie Ihr leibt und lebt? – Das wird Sir Hugh erfreuen, denn wir Alle, ich und der Pfarrer und Herr Mumblazen wissen nicht, wie es mit ihm werden wird.«

»Geht es denn schlimmer mit Sir Hugh, seit ich fort war?« fragte Tressilian.

»Körperlich nicht – im Gegentheil ist er viel besser,« versetzte der Diener; »doch ist er ganz wie verdutzt – er ißt und trinkt wie gewöhnlich – schläft aber nicht, oder wacht vielmehr nicht, denn er ist beständig in einem Zustande zwischen Schlafen und Wachen. Frau Swineford meinte, es sei eine Art von Schlagfluß. – Aber nein, gute Frau, sagte ich, das Uebel sitzt im Herzen, – ja im Herzen.«

»Könnt Ihr ihn nicht zu seinen früheren Zeitvertreiben bewegen?« fragte Tressilian.

»Er ist ganz und gar von seinen Lieblingsbeschäftigungen abgekommen,« entgegnete Will Badger, »hat weder Tricktrack noch Häufelspiel wieder angerührt – auch nicht mit Herrn Mumblazen in dem dicken Wappenbuche geblättert. Ich ließ die Uhr da ablaufen und meinte, er werde den Ton der Glocke vermissen; denn Ihr wißt, Herr Edmund, wie genau er auf die Zeit achtete; aber kein Wort sprach er darüber, und so kann ich immerhin das alte Glockenspiel wieder in Gang bringen. Ich nahm mir sogar einmal heraus, den Bungay auf den Schwanz zu treten, und Ihr wißt, wie theuer mir das sonst wäre zu stehen gekommen; doch er kehrte sich so wenig an sein Geheul, als hätte eine Nachteule im Schornsteine gekreischt. – So weiß ich nicht, was ich daraus machen soll.«

»Du sollst mir das Uebrige im Hause erzählen, Will. – Inzwischen laß diesen Mann in die Bedientenstube führen und sorge dafür, daß er mit Achtung behandelt wird – er ist ein Künstler.«

»Weiß- oder Schwarzkünstler, gleichviel,« sagte Will Badger, »ich wollte nur, er besäße die Kunst zu helfen. – Hier, Tom Kellner, nimm Dich dieses Künstlers an – und gib Acht, daß er Dir keinen von Deinen Löffeln stiehlt, Bursche,« flüsterte er dem Kellner zu, der sich in einem unteren Fenster zeigte, »ich habe schon Leute gekannt, die ein eben so ehrliches Gesicht hatten, wie dieser, und sich doch auf diese Kunst trefflich verstanden.«

Dann führte er Tressilian in ein Sprachzimmer im untern Stockwerk und ging auf dessen Verlangen zu seinem Gebieter, um zu sehen wie er sich befinde, damit nicht die plötzliche Rückkehr seines Mündels, den er zu seinem Schwiegersohne bestimmt hatte, ihn zu sehr ergreifen möge. Er kehrte sogleich mit der Nachricht zurück, daß Sir Hugh im Lehnstuhle schlummere, Herr Mumblazen wolle aber Herrn Tressilian sogleich benachrichtigen, wenn er erwacht sei.

»Es ist noch die Frage, ob er Euch kennt,« sagte der Jäger, »denn er hat die Namen aller seiner Hunde vergessen. Vor einer Woche glaubte ich schon, es werde besser mit ihm – ›Sattle mir den alten Rothfuchs,‹ sagte er plötzlich, nachdem er seinen gewöhnlichen Nachttrunk aus dem großen silbernen Pokale genommen, ›und führe morgen die Hunde nach Hazelhurst.‹ Wir waren Alle froh und am andern Morgen brachten wir ihn auch wirklich heraus. Er ritt wie gewöhnlich seines Weges, ohne weiter Etwas zu sprechen als: ›der Wind ist südlich, die Witterung wird sich halten.‹ Doch ehe wir die Hunde entkoppelt hatten, starrte er um sich, wie Einer, der plötzlich aus einem Traume erwacht, lenkte sein Pferd herum, ritt auf's Schloß zurück und überließ uns die Jagd, wenn wir Lust dazu gehabt hätten.«

»Das ist eine traurige Nachricht, Will,« versetzte Tressilian, »nur Gott kann uns helfen – bei Menschen ist keine Hülfe.«

»So bringt Ihr uns also keine Nachricht von Fräulein Emma? – Doch was frage ich – die Trauerbotschaft steht ja auf Eurer Stirn geschrieben. Ich hoffte immer, wenn je Einer sie ausforschen könnte oder wollte, so müßtet Ihr es sein. Also ist Alles vorbei und dahin! – Aber kommt mir je dieser Varney auf Schußweite nahe, so will ich ihm, bei meiner Seele! einen Pfeil nachsenden, so scharf und spitzig, wie nur je einer geschmiedet wurde.«

Bei diesen Worten öffnete sich die Thüre und Herr Mumblazen erschien – ein hagerer ältlicher Mann, dessen Wangen einem Apfel im Winter glichen, und sein graues Haar halb bedeckt mit einem hohen kegelförmigen Hute mit schmalem Rande, nicht unähnlich den Erdbeerkörbchen, welche die Fruchthändlerinnen in London an ihren Fenstern aufzustellen pflegen. Zu einsylbig, um an bloße Begrüßungen Worte zu verschwenden, bewillkommte er Tressilian mit einem Kopfnicken und Händedruck, und ersuchte ihn, mit auf Sir Hugh's großes, gewöhnlich von dem Ritter selbst bewohntes Zimmer zu gehen. Unaufgefordert folgte Will Badger, ungeduldig zu sehen, ob sein Herr durch Tressilian's Ankunft aus seinem gefühllosen Zustande erwachen werde.

In einem langen niedrigen Sprachzimmer, reich verziert mit Jagdgeräthen und den Trophäen des Waldes, an einem Kamin, über welchem ein Schwert und eine etwas vernachlässigte Rüstung hing, saß Sir Hugh Robsart von Lidcote, ein Mann von bedeutender Körperfülle, dessen Umfang nur beständige starke Körperbewegung in mäßigen Grenzen gehalten hatte. Es schien Tressilian, als ob die Schlafsucht, woran sein alter Freund offenbar litt, schon während der wenigen Wochen seiner Abwesenheit, seine Körperfülle vermehrt habe; dagegen hatte die Lebhaftigkeit seines Auges bedeutend abgenommen. Bei ihrem Eintritte folgten seine Blicke Anfangs Herrn Mumblazen langsam zu einem großen eichenen Tische, worauf ein dickes offenes Buch lag, und ruhten dann ungewiß auf dem Fremden, welcher mit ihm eingetreten war. Der Pfarrer, ein Geistlicher mit grauem Haar, welcher zur Zeit der Königin Maria Beichtiger gewesen war, saß mit einem Buche in der Hand in einem andern Winkel des Zimmers. Auch er begrüßte Tressilian mit kummervollen Blicken und legte sein Buch nieder, um die Wirkung zu beobachten, welche sein Erscheinen auf den niedergeschlagenen alten Mann hervorbringen würde.

Als Tressilian sich mit Thränen in den Augen dem Vater seiner verlobten Braut näherte, schien Sir Hugh's Denkkraft wieder aufzuleben. Er seufzte tief, wie Einer, der aus einem Zustande der Betäubung erwacht, ein leichtes Zucken überflog seine Züge, er öffnete seine Arme ohne ein Wort zu reden, und als Tressilian sich in dieselben warf, drückte er ihn fest an seine Brust.

»So ist mir doch noch Etwas übrig, was des Lebens werth ist,« waren seine ersten Worte, und während er sprach, machte er seinen Gefühlen in einem Thränenstrome Luft, der über seine gebräunten Wangen und seinen langen weißen Bart herabfloß.

»Ich hätte nicht gedacht, daß ich Gott danken würde, wenn ich einmal meinen alten Herrn weinen sähe,« sagte Will Badger, »und dennoch thue ich es jetzt, obgleich ich nahe daran bin, in Gesellschaft mit zu weinen.«

»Ich will keine Fragen an Dich richten,« sagte der alte Ritter; »keine Fragen, Edmund – Du hast sie nicht gefunden, oder in solchem Zustande, daß es besser wäre, sie verloren zu haben.«

Tressilian war nicht im Stande, anders zu antworten, als sein Gesicht mit beiden Händen zu bedecken.

»Es ist genug – es ist genug. Aber weine Du nicht um sie, Edmund. Ich habe Ursache zu weinen, denn sie war meine Tochter – Du hast Ursache, Dich zu freuen, daß sie nicht Dein Weib wurde. – Großer Gott! Du weißt am Besten, was gut für uns ist. – Es war mein beständiges Gebet, Emma und Edmund mit einander verheirathet zu sehen. – Hättest Du es gewährt, so würde jetzt noch Galle zur Bitterkeit hinzugekommen sein.«

»Beruhigt Euch, mein Freund,« sagte der Pfarrer zu Sir Hugh, »es kann nicht sein, daß die Tochter all' unserer Hoffnungen und unserer Neigung ein so niedriges Geschöpf sollte geworden sein, wie Ihr sie bezeichnen wollt.«

»O nein,« versetzte Sir Hugh ungeduldig, »ich that Unrecht, das gerade herauszusagen, was sie geworden ist – gewiß gibt es am Hofe einen neuen Namen dafür. Es ist Ehre genug für die Töchter eines alten Edelmannes in Devonshire, das Liebchen eines glänzenden Hofmannes zu sein – und noch dazu eines Varney – eines Varney, dessen Großvater von meinem Vater unterstützt wurde, als er sein Vermögen verloren hatte in der Schlacht bei – in der Schlacht – wo Richard fiel – mein Gedächtniß ist zu Ende und Keiner von Euch will mir helfen.«

»In der Schlacht bei Bosworth, meint Ihr,« sagte Mumblazen, »geliefert zwischen Richard Crookbak und Heinrich Tudor, dem Großvater der gegenwärtigen Königin, Primo Henrici Septimi, und im Jahre ein tausend vier hundert und fünfundachtzig.«

»Ja, so war es,« sagte der alte Ritter, »das weiß jedes Kind; aber mein armer Kopf vergißt Alles, was er behalten, und behält nur das, was er doch am liebsten vergessen sollte. Mein Gehirn ist fast die ganze Zeit Deiner Abwesenheit verwirrt gewesen, Tressilian, und auch jetzt ist es auf einer verkehrten Spur.«

»Ihr würdet wohl thun, würdiger Herr,« sagte der gute Pfarrer, »Euch auf Euer Zimmer zu begeben und zu versuchen, ob Ihr nicht ein wenig schlafen könntet. Der Arzt hat einen beruhigenden Trank zurückgelassen, und der große Arzt droben hat uns geboten, irdische Mittel anzuwenden, um uns in den Prüfungen zu stärken, die er uns sendet.«

»Es ist wahr, alter Freund,« sagte Sir Hugh, »und wir wollen unsere Prüfungen männlich bestehen. Wir haben ja nur ein Weib verloren. – Sieh, Tressilian« – hier zog er eine lange schöne Haarlocke aus seinem Busen – »sieh diese Locke! – ich sage Dir, Edmund, an demselben Abend, wo sie verschwand und mir wie gewöhnlich gute Nacht wünschte, hing sie an meinem Halse und liebkoste mich mehr als gewöhnlich. Ich alter Thor hielt sie bei dieser Locke fest, bis sie ihre Scheere nahm, sie abschnitt und in meiner Hand zurückließ – als Alles, was mir von ihr zurückbleiben sollte.«

Tressilian war nicht im Stande zu antworten, indem er bedachte, welcher Kampf der Gefühle in jenem Augenblicke in der Brust des unglücklichen Flüchtlings mußte vorgegangen sein. Der Geistliche war im Begriff zu reden, doch Sir Hugh unterbrach ihn.

»Ich weiß, was Ihr sagen wollt, Herr Pfarrer – ist es doch nur eine Locke von dem Haar eines Weibes – und durch das Weib kam Schande, Sünde und Tod in eine unschuldige Welt. – Auch der gelehrte Herr Mumblazen kann sehr gelehrt über die Schwachheit derselben reden.«

» Cest l'homme, qui se bast et qui conseille,« (Es ist der Mann, welcher kämpft und Rath giebt,) sagte Mumblazen.

»Es ist wahr,« sagte Sir Hugh, »und darum wollen wir uns wie Männer betragen, welche Muth und Weisheit in sich tragen. – Tressilian, Du bist mir so willkommen, als hättest Du bessere Nachrichten gebracht. Doch wir haben zu lange mit trockenen Lippen gesprochen. – Emma, fülle Edmund einen Becher Wein und für mich auch einen.« – Dann besann er sich plötzlich, daß Emma ihn nicht hören könne, schüttelte den Kopf und sagte zu dem Geistlichen: »Dieser Schmerz ist für mein verwirrtes Gemüth, was die Kirche von Lidcote für unsern Park ist; wir können uns wohl eine Zeitlang in dem Gebüsche verirren, doch am Ende jedes Ganges sehen wir den alten grauen Kirchthurm und das Grab meiner Väter. Ich wollte, ich hätte morgen jenen Weg zu wandeln.«

Tressilian und der Pfarrer vereinten ihre Bitten, den erschöpften alten Mann zu bewegen, sich zur Ruhe zu legen, was ihnen auch endlich gelang. Tressilian blieb neben seinem Bette, bis er endlich einschlummerte, und kehrte dann zurück, um sich mit dem Pfarrer zu berathen, was unter diesen unglücklichen Umständen anzufangen sei.

Sie konnten Herrn Michael Mumblazen von dieser Berathung nicht ausschließen, und ließen ihn um so bereitwilliger Antheil daran nehmen, als, außer der Hoffnung, die sie von seiner Erfindungsgabe hegten, sie ihn als einen zu großen Freund der Verschwiegenheit kannten, um deshalb die geringste Sorge zu tragen. Es war ein alter Junggeselle aus guter Familie, aber von geringem Vermögen und entfernt mit dem Hause Robsart verwandt. In Folge dieser Verwandtschaft war Lidcote Hall seit den letzten zwanzig Jahren mit seiner Gegenwart beehrt worden. Seine Gesellschaft war für Sir Hugh angenehm, besonders wegen seiner tiefen Gelehrsamkeit, die sich zwar auf Heraldik und Genealogie beschränkte, nebst den damit verbundenen historischen Kenntnissen. Außer der Bequemlichkeit, einen Freund um sich zu haben, an den er sich wenden konnte, wenn sein eigenes Gedächtniß, was häufig vorkam, unzuverlässig war, und ihm hinsichtlich der Namen und Jahreszahlen einen Streich spielte, welche Lücken Herr Michael Mumblazen mit gehöriger Kürze und Bescheidenheit ausfüllte, gab er auch in Sachen, die sich auf das moderne Leben bezogen, in seiner räthselhaften heraldischen Sprache oft Rathschläge, die wohl der Beachtung werth waren, oder in Will Badger's Jägersprache das Wild aufjagten, während Andere nur auf die Büsche klopften.

»Wir haben einen schlimmen Stand gehabt mit dem guten Ritter, Herr Edmund,« sagte der Pfarrer. »Ich habe nicht so viel gelitten, seit ich von meiner geliebten Heerde entfernt wurde, und genöthigt war, sie den römischen Wölfen zu überlassen.«

»Das war Tertio Mariae« (im dritten Regierungsjahre der Königin Maria), versetzte Herr Mumblazen.

»Im Namen des Himmels!« fuhr der Pfarrer fort, »sagt uns, habt Ihr Eure Zeit besser angewendet, als wir? Habt Ihr einige Nachricht von diesem unglücklichen Mädchen erhalten, die seit so vielen Jahren die vorzüglichste Freude dieses tiefgebeugten Hauses war und jetzt unser größtes Unglück geworden ist? Habt Ihr nicht wenigstens Ihren Aufenthaltsort entdeckt?«

»Ja,« versetzte Tressilian. »Kennt Ihr Cumnor Place in der Nähe von Oxford?«

»Gewiß,« sagte der Geistliche; »es war ein Zufluchtsort für die Mönche von Abingdon.«

»Deren Wappen ich über einem steinernen Kamin in der Halle gesehen habe,« sagte Herr Michael; »es besteht aus einem Kreuz zwischen vier Mauerschwalben.«

»Dort wohnt das unglückliche Mädchen in Gesellschaft des Schurken Varney,« sagte Tressilian. »Durch ein seltsames Mißgeschick wurde mein Schwert verhindert, das ihr und uns zugefügte Unrecht an seinem unwürdigen Haupte zu rächen.«

»Danke Gott, der Deine Hand von Blutschuld zurückgehalten hat, rascher junger Mann,« antwortete der Geistliche. »Die Rache ist mein, spricht der Herr, und ich will vergelten. – Es wäre besser, darauf zu denken, wie wir sie aus den Netzen der Schande befreien können.«

»In der Heraldik nennt man das laquei amoris, oder lacs d'amour,« sagte Mumblazen.

»Dazu wünsche ich Euren Beistand, meine Freunde,« sagte Tressilian; »ich bin entschlossen, diesen Schurken am Fuße des Thrones der Falschheit, der Verführung und der Verletzung des Gastrechts anzuklagen. Die Königin soll mich anhören, wenn auch der Graf von Leicester, der Patron des Schurken, an ihrer rechten Seite steht.«

»Ihre Majestät,« sagte der Pfarrer, »hat ihren Unterthanen ein so rühmliches Beispiel von Enthaltsamkeit gegeben, und wird ohne Zweifel an diesem Schänder des Gastrechts, diesem Entführer Gerechtigkeit ausüben. Aber wäre es nicht besser, Ihr wendetet Euch zuerst an den Grafen von Leicester, damit er seinen Dienstmann zur Verantwortung ziehe? Wenn er Euch Gehör gibt, so entgeht Ihr der Gefahr, Euch einen Mächtigen zum Feinde zu machen, was gewiß geschehen wird, wenn Ihr seinen Stallmeister und ersten Günstling sogleich bei der Königin verklagt.«

»Ich bin abgeneigt, Euren Rath zu befolgen,« sagte Tressilian. »Ich kann es nicht über mich gewinnen, die Sache meines edlen Patrons – die Sache der unglücklichen Emma – anderswo, als vor meiner rechtmäßigen Beherrscherin geltend zu machen. Ihr werdet sagen, Leicester ist edelmüthig – es mag sein; – er ist aber doch nur ein Unterthan, wie wir Alle, und ich will meine Klage nicht vor ihn bringen, wenn ich sie nachdrücklicher kann geltend machen. Doch will ich näher überlegen, was Ihr mir sagtet; aber ich bedarf Eures Beistandes, um den guten Sir Hugh zu bewegen, mich in dieser Sache zu seinem Bevollmächtigten und Stellvertreter zu ernennen; denn in seinem und nicht in meinem Namen muß ich reden. Da sie sich einmal so sehr verändert hat, sich in diesen schurkischen, gottlosen Hofschranzen zu vergaffen, so soll er ihr wenigstens die Gerechtigkeit widerfahren lassen, die noch in seiner Macht steht.«

»Besser, sie stirbt caelebs und sine prole,« (ledig und ohne Nachkommenschaft) fiel Mumblazen mit mehr Lebhaftigkeit als gewöhnlich ein, »als daß Robsart's Wappen mit dem eines solchen Bösewichts vereint werde.«

»Wenn es Euer Zweck ist, wie ich nicht bezweifeln kann,« versetzte der Geistliche, »so viel als möglich die Ehre dieses unglücklichen jungen Fräuleins zu retten, so muß ich wiederholen, daß ich es für nöthig halte, Euch zuerst an den Grafen von Leicester zu wenden. Er ist so unbeschränkt in seinem Haushalte, wie die Königin in ihrem Reiche, und wenn er Varney sagt, daß dies sein Wille ist, so wird ihre Ehre nicht so öffentlich gebrandmarkt werden.«

»Ihr habt Recht – Ihr habt Recht,« sagte Tressilian lebhaft, »und ich danke Euch, daß Ihr mich auf das aufmerksam macht, was ich in meiner Eile übersehen hatte. Ich habe freilich nicht gedacht, daß ich Leicester noch einmal um Gnade bitten sollte; doch ich würde vor dem stolzen Dudley niederknieen, wenn ich dadurch die Schande dieser unglücklichen Dame um etwas verringern könnte. Ihr wollt mir also behülflich sein, daß ich die nöthige Vollmacht von Sir Hugh Robsart erhalte?«

Der Geistliche versicherte ihn seines Beistandes, und der Heraldiker nickte ihm seine Zustimmung zu.

»Ihr müßt auch bereit sein, im Fall Ihr dazu aufgefordert werdet, die Gastfreundschaft zu bezeugen, welche unser guter Patron gegen diesen trügerischen Verräther ausübte, und den Eifer, womit er seine unglückliche Tochter zu verführen suchte.«

»Anfangs,« sagte der Geistliche, »schien sie keinen großen Gefallen an seiner Gesellschaft zu finden, später aber sah ich sie öfter beisammen.«

» Seiant (sitzend) in dem Sprachzimmer,« sagte Michael Mumblazen, »und passant (gehend) im Garten.«

»Einmal überraschte ich sie zufällig an einem Frühlingsabend auf der südlichen Seite des Gehölzes,« sagte der Pfarrer – »Varney war in einen röthlichen Mantel gehüllt, so daß ich sein Gesicht nicht sah – sie trennten sich hastig, als sie das Geräusch unter den Blättern hörten, und ich bemerkte, wie sie sich umwendete und ihm lange nachsah.«

»Mit dem Nacken reguardant,« sagte der Heraldiker – »und an dem Tage ihrer Flucht, nämlich am Vorabend des Sanct Augustintages sah ich Varney's Reitknecht in seiner Livree, das Pferd seines Herrn und Fräulein Emma's Zelter propre gezügelt und gesattelt hinter der Kirchhofsmauer halten.«

»Und jetzt wird sie in ihrem geheimen Aufenthaltsorte gefangen gehalten,« sagte Tressilian, »der Schurke ist auf diese Weise überführt, und ich wünsche, daß er sein Verbrechen leugnen mag, damit ich ihn Lügen strafen kann. Doch ich muß mich zur Reise rüsten. Beredet Ihr den Ritter, meine Herren, daß er mir die nöthige Vollmacht ertheilt, um in seinem Namen handeln zu können.«

Mit diesen Worten verließ Tressilian das Zimmer.

»Er ist zu hitzig,« sagte der Pfarrer, »und ich bitte Gott, daß er ihm die nöthige Geduld verleihen möge, Varney auf die gebührende Weise zu begegnen.«

»Geduld und Varney,« entgegnete Mumblazen, »passen eben so wenig zusammen, wie nach den Regeln der Heraldik Metall auf Metall. Er ist falscher als eine Syrene, räuberischer als ein Greif, giftiger als ein Drache und grausamer als ein aufgerichteter Löwe.«

»Ich zweifle sehr,« sagte der Pfarrer, »ob wir in seiner gegenwärtigen Lage von Sir Hugh Robsart eine Urkunde fordern können, wodurch er sein väterliches Recht auf Fräulein Emma an irgend Jemand überträgt.«

»Euer Hochehrwürden dürfen das nicht bezweifeln,« sagte Will Padger, der während der letzten Worte eingetreten war; »denn ich setze mein Leben zum Pfande, daß er ein ganz anderer Mann sein wird, wenn er erwacht, als er die letzten dreißig Tage gewesen ist.«

»Hast Du denn so großes Vertrauen auf Doctor Diddleum's Trank?« fragte der Geistliche.

»Nicht das geringste,« sagte Will, »weil der Herr nie einen Tropfen davon nahm, sondern das Dienstmädchen ihn immer ausgießen mußte. Aber Herr Tressilian hat einen Herrn mitgebracht, der hat Sir Hugh einen Trank gegeben, welcher zwanzig Mal so viel werth ist, als der andere. Ich habe ihn etwas ausgeforscht, und noch nie sah ich einen Hufschmied, der größere Kenntnisse in der Heilung der Pferde und Hunde besaß; und ein solcher kann einen Christen niemals unrichtig behandeln.«

»Ein Thierarzt! bist Du von Sinnen? und wer hat ihn denn dazu bevollmächtigt? wer wird uns für den neuen Arzt bürgen?«

»Mit Euer Hochehrwürden Erlaubniß, die Vollmacht habe ich ihm ertheilt, und was die Bürgschaft betrifft, so glaube ich nicht fünf und zwanzig Jahre in diesem Hause gewesen zu sein, ohne ein Recht zu haben, Bürgschaft zu leisten, wenn Vieh oder Menschen heilsame Tränke zu geben sind – besonders da ich selber Mixturen und Pillen zu verordnen, zur Ader zu lassen und Zugpflaster zu legen verstehe.«

Die Rathgeber des Hauses Robsart hielten es für nöthig, Tressilian sogleich davon in Kenntniß zu setzen, welcher augenblicklich den Schmied Wayland kommen ließ und ihn insgeheim fragte, wer ihn ermächtigt habe, dem Sir Hugh Robsart Arznei einzugeben?

»Euer Gnaden werden sich erinnern,« versetzte der Künstler, »daß ich Euch sagte, ich habe größere Fortschritte in den Geheimnissen meines Herrn, des gelehrten Doctor Doboobie gemacht, als ihm lieb war, und in der That kam seine Bosheit gegen mich, außerdem, daß ich zu tief in seine Geheimnisse blickte, besonders daher, daß mehrere ausgezeichnete Personen, und vorzüglich eine hübsche junge Wittwe zu Abingdon, meine Vorschrift der seinigen vorzogen.«

»Laß Deine Gauklerkünste, Kerl!« sagte Tressilian finster. »Wenn Du Deinen Scherz mit uns getrieben hast – ja wenn Du Etwas gethan hast, was Sir Hugh Robsart's Gesundheit gefährden kann, so sollst Du Dein Grab in der Tiefe eines Zinnbergwerks finden.«

»Ich weiß zu wenig von dem großen Geheimniß, Erz in Gold zu verwandeln,« sagte Wayland mit Festigkeit. »Aber seid unbesorgt, Herr Tressilian, Herr William Badger erzählte mir von der Krankheit des guten Ritters, und ich hoffe, eine kleine Dosis Allaunwurzel, welche schlafbringend ist, wird Alles leisten, was Sir Hugh Robsart bedarf, um seine zerrütteten Lebensgeister wieder herzustellen.«

»Ich hoffe, Du handelst aufrichtig gegen mich, Wayland,« sagte Tressilian.

»Ehrlich und aufrichtig, wie der Erfolg zeigen wird,« versetzte der Künstler. »Was würde es mir helfen, dem armen alten Manne Leid zuzufügen, an dem Ihr so großen Antheil nehmt? Da ich es Euch verdanke, daß Gevatter Pinniewinks in diesem Augenblicke nicht mein Fleisch und meine Sehnen mit seinen verfluchten Zangen zerreißt, und jeden Theil meines Leibes mit seinen geschärften Pfriemen (verflucht sei die Hand, die sie schmiedete!) prüft, um das Zaubermal an mir aufzufinden! Ich hoffe mich als einen treuen Diener Eurer Gnaden zu zeigen und wünsche nur, daß man mich nach dem Erfolge beurtheilen möge, den der Schlummer des guten Ritters haben wird.«

Schmied Wayland hatte richtig geurtheilt. Der besänftigende Trank, den er bereitet, und den Will Badger dem Ritter eingegeben hatte, war von den wohlthätigsten Wirkungen begleitet. Der Schlaf des Patienten war ruhig und währte lange, und als der arme alte Ritter erwachte, war er freilich noch sehr niedergeschlagen und matt, konnte aber Alles, was ihm vorkam, weit besser beurtheilen, als er seit langer Zeit vermocht hatte. Er widersetzte sich eine Zeitlang dem von seinen Freunden gemachten Vorschlage, daß Tressilian eine Reise an den Hof unternehmen solle, um die Wiedererlangung Emma's zu versuchen, und zu bewirken, daß sie, so weit es möglich sei, wieder zu Ehren gebracht werde.

»Laßt sie nur,« sagte er, »sie ist ein Falke, der dem Winde folgt; ich würde mir nicht die Mühe geben, ihn durch Pfeifen zurückzulocken.« – Obgleich er eine Zeitlang bei dieser Ansicht beharrte, so ließ er sich doch endlich überzeugen, daß es seine Pflicht sei, einen Schritt zu thun, wozu ihn sein Vatergefühl antrieb, und zu Tressilian's Versuch zum Besten seiner Tochter seine Einwilligung zu geben. Er unterschrieb daher eine Vollmacht, welche der Pfarrer aufgesetzt hatte; denn in jenen einfachen Zeiten waren die Geistlichen die Rathgeber ihrer Heerde sowohl in rechtlichen als in religiösen Angelegenheiten.

In vier und zwanzig Stunden nach Tressilian's Ankunft in Lidcote Hall war Alles zu seiner zweiten Abreise bereit; doch ein wesentlicher Umstand war vergessen, welchen Herr Mumblazen zuerst gegen Tressilian erwähnte. »Ihr geht an den Hof, Herr Tressilian,« sagte er, »und müßt Euch erinnern, daß dort Argent und Or die Felder Eures Wappenschildes sein müssen – andere Farben gelten dort nicht.« – Die Bemerkung war ebenso richtig, als niederschlagend. Um Etwas bei Hofe durchzusetzen, war auch in Elisabeths goldenen Tagen baares Geld ebenso unentbehrlich, wie in irgend einer anderen späteren Periode, und diese Waare war bei den Bewohnern von Lidcote Hall nicht sehr reichlich vorhanden. Tressilian selber war arm; die Einkünfte des guten Sir Hugh Robsart waren durch seine zu große Gastfreiheit verzehrt und sogar schon vorweggenommen, und so ward es denn nöthig, daß der, welcher den Rath ertheilt hatte, auch die Mittel zur Befolgung desselben hergeben mußte. Herr Michael Mumblazen verstand sich auch gern dazu, indem er einen Beutel mit etwa dreihundert Pfund in verschiedenen Münzsorten zum Vorschein brachte. Dies waren seine Ersparnisse seit zwanzig Jahren, die er nun, ohne ein Wort darüber zu reden, dem Dienste seines Beschützers widmete, dessen wirthliches Dach ihm die Mittel geliefert hatte, diesen kleinen Schatz zu sammeln. Tressilian nahm die Summe ohne Bedenken an, und ein wechselseitiger Händedruck war Alles, was zwischen ihnen vorging, um das Vergnügen auszudrücken, welches der Geber empfand, indem er sein ganzes Besitzthum einem solchen Vorhaben widmete, und der Empfänger, da er ein so mächtiges Hinderniß so plötzlich und unerwartet hinweggeräumt sah.

Als Tressilian sich am folgenden Morgen in aller Frühe zur Abreise vorbereitete, verlangte Schmied Wayland mit ihm zu sprechen und drückte die Hoffnung aus, daß er mit seiner Behandlung des Sir Hugh Robsart zufrieden sein werde und fügte die Bitte hinzu, ihn an den Hof begleiten zu dürfen. Tressilian hatte selber schon mehrmals daran gedacht; denn die schlaue Gewandtheit und Besonnenheit, die dieser Mensch während seiner Reise an den Tag gelegt hatte, überzeugte ihn, daß sein Beistand für ihn von Wichtigkeit sein könne. Doch Wayland war vor der Justiz nicht sicher, und Tressilian erinnerte ihn hieran, indem er zugleich etwas von Pinniewinks Zangen und des Richters Blindass Verhaftsbefehl erwähnte. Schmied Wayland lachte aber über Beides.

»Seht, Herr!« sagte er, »ich habe meine Schmiedskleidung in die eines Dienstmannes umgewandelt; und wäre dies auch nicht der Fall, so brauchte ich nur meinen Schnurrbart, der jetzt herabhängt, in die Höhe zu streichen und mit einer gewissen Tinctur zu färben, die ich zu bereiten verstehe, so würde der Teufel selber mich nicht wieder erkennen.«

Er begleitete diese Worte mit der passenden Geberde, und in weniger als einer Minute erschien er dadurch, daß er seinen Schnurrbart und sein Haar hinaufstrich, als eine ganz andere Person. Tressilian zögerte noch immer, seine Dienste anzunehmen, doch der Künstler wurde nur um so dringender.

»Ich verdanke Euch Leib und Leben,« sagte er, »und möchte gern einen Theil meiner Schuld abbezahlen, besonders da ich von Will Badger weiß, auf welches gefährliche Unternehmen Ihr ausgeht. Freilich gebe ich mich nicht für einen Raufbold oder Bramarbas aus, welche die Händel ihrer Herren mit Schwert und Schild ausfechten. Ich gehöre vielmehr zu denen, welche lieber dem Ende eines Schmauses, als dem Beginn eines Kampfes beiwohnen; doch ich weiß, gestrenger Herr, daß ich Euch in einer Angelegenheit, wie die Eurige, ungleich besser zu dienen vermag, als jene Haudegen und Dolchritter im Stande sind, und daß mein Kopf Euch mehr werth sein wird, als hundert ihrer Hände.«

Tressilian zögerte noch immer. Er wußte nicht viel von dem seltsamen Burschen und war zweifelhaft, ob er das nöthige Vertrauen in ihn setzen könne, um ihm bei gegenwärtiger Angelegenheit nützlich zu sein. Ehe er noch einen festen Entschluß gefaßt hatte, hörte er den Hufschlag eines Pferdes im Schloßhofe und Herr Mumblazen nebst Will Badger traten hastig in Tressilian's Zimmer und sprachen fast zugleich:

»So eben kommt ein Diener an auf dem schönsten Grauschimmel, den ich je gesehen,« sagte Will Badger, welcher zuerst redete.

»Er trägt auf dem Arme ein silbernes Schild, worauf unter einer Grafenkrone ein feuerspeiender Drache mit einem Ziegelsteine im Rachen zu sehen ist,« fiel Herr Mumblazen ein, »er überbringt einen Brief mit demselben Siegel.«

Tressilian nahm den Brief, welcher die Aufschrift führte: »An den ehrenwerthen Herrn Edmund Tressilian, unsern geliebten Vetter.« Als Weisung für den Boten stand darunter: »Reite, reite, reite auf Leben und Tod.« – Dann öffnete er den Brief und fand folgenden Inhalt:

 

»Herr Tressilian, unser guter Freund und Vetter!

Wir sind gegenwärtig so unwohl und befinden uns in so unerfreulicher Lage, daß uns verlangt, diejenigen von unsern Freunden, auf deren Zuneigung wir unser volles Vertrauen setzen, um uns zu haben. Unter diesen halten wir unsern guten Herrn Tressilian als einen der ersten und nächsten, sowohl hinsichtlich des guten Willens als der Fähigkeit. Wir bitten Euch daher, mit möglichster Eile Euch in unsere demüthige Wohnung zu Say's Court, in der Nähe von Deptfort, zu begeben, wo wir weiter mit Euch über Gegenstände verhandeln wollen, die wir nicht geeignet halten, dem Papier anzuvertrauen. Und so sagen wir Euch ein herzliches Lebewohl, und verbleiben Euer liebender und dienstwilliger Vetter

Radcliffe, Graf von Sussex.«

 

»Führe sogleich den Boten herauf, Will Badger,« sagte Tressilian, und rief, als der Mann in's Zimmer trat: »Ei, Stevens, seid Ihr es? Wie geht es dem guten Lord?«

»Schlecht, Herr Tressilian,« war des Boten Antwort, »und daher bedarf er um so mehr seiner guten Freunde.«

»Doch welches ist Mylords Krankheit?« fragte Tressilian ängstlich. »Ich hörte nicht, daß er sich übel befindet.«

»Ich weiß nichts weiter, Herr,« versetzte der Diener, »als daß er sich sehr unwohl befindet. Die Aerzte wissen nicht, was sie daraus machen sollen, und Viele im Hause argwöhnen ein Bubenstück – Hexerei oder noch etwas Schlimmeres.«

»Welche Symptome zeigen sich denn?« fragte Wayland, welcher hastig hervortrat.

»Wie meint Ihr?« fragte der Bote, welcher die Bedeutung dieser Frage nicht verstand.

»Worüber klagt er?« fragte Wayland, »worin besteht sein Unwohlsein?«

Der Bote blickte Tressilian an, als wünsche er zu wissen, ob er die Fragen des Fremden beantworten dürfe, und als er einen bejahenden Blick erhielt, erzählte er, daß nach und nach seine Kräfte geschwunden, daß sich Nachts ein heftiger Schweiß eingestellt, die Eßlust vergangen sei, daß er Mattigkeit verspüre u. s. w.

»Mit einem nagenden Schmerz im Magen und einem leichten Fieber verbunden?« fiel Wayland ein.

»Ja, so ist es,« antwortete der Bote mit einiger Verwunderung.

»Ich weiß, woher dies Uebel kommt,« entgegnete der Schmied, »ich kenne die Ursache davon. Euer Herr hat Manna von Sanct Nicolas bekommen. Ich weiß, wie dem abzuhelfen ist. – Mein Meister soll nicht sagen, daß ich umsonst in seinem Laboratorium studirt habe.«

»Wie meinst Du das?« sagte Tressilian mit finsterem Blicke. »Es ist von einem der ersten Männer in England die Rede. Deine Gaukelkünste würden hier übel angebracht sein.«

»Behüte Gott!« versetzte Schmied Wayland. »Ich sage nur, daß ich seine Krankheit kenne und ihn heilen kann. Erinnert Euch, was ich für Sir Hugh Robsart gethan habe.«

»Wir wollen uns sogleich auf den Weg machen,« sagte Tressilian. – »Gott ruft uns!«

Nachdem er hastig diesen neuen Beweggrund zu seiner schnellen Abreise erwähnt hatte, ohne jedoch den Argwohn des Dieners Stevens, noch die Versicherungen Waylands zu berühren, nahm er von Sir Hugh und den Hausgenossen von Lidcote Hall zärtlichen Abschied, die ihn mit Gebeten und Segnungen begleiteten, und sprengte dann mit Wayland und dem Diener des Grafen von Sussex in größter Eile auf London zu.

 

Ende des ersten Theiles.

 



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