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Er ist's, der mit dem Wind der Hofgunst segelt;
Der ihre Flut beherrscht und alle Klippen,
Die sonst versteckt dem Seemann Tod bereiten,
Und Wirbel kennet; dessen finstrer Blick
Darniederschmettert, dessen Lächeln hebt.
Er scheinet einem Regenbogen gleich –
Vielleicht sind auch so wechselnd seine Farben.
Altes Schauspiel.
Ein Anflug von Mißvergnügen und Verwirrung, durch ihren Kampf gegen Varney's Beharrlichkeit veranlaßt, umwölkte noch das schöne Antlitz der Gräfin, wich aber schnell der reinsten Freude und Zärtlichkeit, als sie sich dem Ankommenden in die Arme warf, ihn mit Heftigkeit an den Busen drückte und ausrief: »Endlich – endlich bist Du da!«
Varney zog sich beim Eintritt seines Herrn bescheiden zurück und Jeannette war im Begriff dasselbe zu thun, als ihre Gebieterin ihr zu bleiben winkte. Sie nahm sich daher am äußersten Ende des Zimmers ihren Platz und harrte der Befehle der Gräfin.
Der Graf – denn er war es selbst – erwiderte die Liebkosungen seiner Gemahlin mit dem innigsten Feuer, und stellte sich, als widersetze er sich ihr, da sie ihm den Mantel abnehmen wollte.
»Nein,« sagte sie, »ich will Dich von der Hülle befreien – ich muß sehen, ob Du mir Wort gehalten hast, und als der große Graf, wie Dich die Leute nennen, und nicht wie bisher als einfacher Cavalier zu mir kommst.«
»Du bist doch ganz wie die übrige Welt, Emma,« sagte der Graf, indem er ihr in dem muthwilligen Kampfe den Sieg verstattete; »Juwelen, Federbüsche und Seide gelten ihr mehr, als der Mann, den sie schmücken. – Manche schlechte Klinge nimmt sich schön in sammetner Scheide aus.«
»Das können die Leute nicht von Dir sagen, edler Graf,« sagte die Lady, als nun der Mantel zu Boden sank, und er in einer so reichen Kleidung vor ihr stand, wie Fürsten sie trugen, wenn sie über Land ritten. »Du bist der ächte erprobte Stahl, dessen innerer Werth den äußern Schmuck verdient, den er verachtet. Glaube nicht, daß Emma Dich inniger im Schmucke lieben kann, als sie that, da sie dem Manne in dem dunkelbraunen Mantel in den Wäldern von Devon ihr Herz schenkte.«
»Und auch Du,« sprach der Graf, indem er seine schöne Gemahlin mit Anmuth und Würde zu dem für sie bereiteten Thronsitze führte, »auch Du, meine Theure, hast eine Kleidung angelegt, die Deinem Range gebührt, wenn sie gleich Deine Reize nicht erhöhen kann. Was denkst Du von dem Geschmacke unsers Hofes?«
Die Gräfin warf einen Seitenblick auf den mächtigen Spiegel, als sie an ihm vorübergingen, und sagte dann: »Ich weiß nicht, wie es kommt, ich denke nicht an mich, wenn ich mich in den Strahlen Deines Glanzes sonne. Nimm Du dort Deinen Platz,« sagte sie, indem sie sich dem Prunksessel näherten, »als der Gegenstand allgemeiner Verehrung und Bewunderung.«
»Gern, meine Liebe,« sprach der Graf, »wenn Du den Sitz mit mir theilen willst.«
»Nicht doch,« sagte die Gräfin, »ich will mich auf diesen Sessel zu Deinen Füßen setzen, damit ich Deinen vollen Glanz überschaue und zum ersten Mal sehe, wie Fürsten gekleidet sind.«
Mit kindlichem, ihrer Jugend und ländlichen Erziehung natürlichem und verzeihlichem Staunen, gemischt mit dem zarten Ausdrucke der innigsten ehelichen Zuneigung, untersuchte und bewunderte sie von Kopf bis zu Fuß die edle Gestalt und den fürstlichen Anzug des Mannes, der die stolzeste Zierde des Hofes von Englands jungfräulicher Königin war; so berühmt dieser auch durch glänzende Hofleute und weise Rathgeber war. Mit einem Blick voll zärtlicher Liebe auf seine reizende Gemahlin, und geschmeichelt durch ihre unverstellte Bewunderung, drückten das schwarze Auge und die edlen Züge des Grafen sanftere Gefühle aus, als die gebieterischen, emporstrebenden Blicke, die gewöhnlich unter seiner hohen Stirn aus seinem durchdringenden Feuerauge hervorblitzten. Er lächelte über die kindliche Einfalt, mit der sie ihn über die verschiedenen Ehrenzeichen befragte, womit er geschmückt war.
»Der gestickte Streif, wie Du es nennst, um mein Knie hier,« sagte er, »ist der Orden des Hosenbandes, ein Ehrenzeichen, auf welches Könige stolz sind! Sieh, hier ist der dazu gehörige Stern und hier der Diamant des Ordens. Du wirst gehört haben, wie König Eduard und die Gräfin von Salisbury –«
»O, ich kenne die ganze Geschichte,« sagte die Gräfin leicht erröthend, »und wie das Strumpfband einer Dame das stolzeste Sinnbild von Englands Ritterschaft wurde.«
»So ist es,« sprach der Graf; »und diesen ehrenvollen Orden hatte ich das Glück zu gleicher Zeit mit drei der edelsten Genossen, dem Herzog von Norfolk, dem Marquis von Northampton und dem Grafen Rutland zu empfangen. Ich war von allen Vieren der Niedrigste an Rang – aber gleichviel! – wer eine Leiter ersteigen will, muß mit der ersten Stufe beginnen.«
»Aber diese andere, schöne, reichgearbeitete Ordenskette da, an deren Mitte ein Juwel in der Gestalt eines Schafes herabhängt, was bedeutet dieses Emblem?« fragte die junge Gräfin.
»Diese Kette hier,« sagte der Graf, »besetzt mit wechselnden Knäufen und Quasten, die sprühende Feuersteine vorstellen, und das Kleinod umgeben, wonach Du fragst, ist das hohe Ordenszeichen des goldenen Vließes, einst dem Hause von Burgund gehörig. Dieser Schmuck verleiht hohe Vorrechte, liebe Emma, denn selbst der König von Spanien, dem jetzt die Würden und Besitzungen Burgunds zugefallen sind, kann nicht ohne Zuziehung des hohen Ordenskapitels über einen Ritter des goldenen Vließes zu Gericht sitzen.«
»Wie, dieser Orden gehört dem grausamen König von Spanien?« fragte die Gräfin. »Ach, mein edler Lord, wie könnt Ihr Eure edle englische Brust mit solch einem Emblem verunzieren! Denkt an die Tage der unglücklichen Königin Maria, wo eben dieser Philipp von Spanien mit ihr die Herrschaft über England theilte, und an die Scheiterhaufen, errichtet für die edelsten, weisesten und wahrhaft frommen Prälaten und Gottesgelehrten – und könnt Ihr, den das Volk den Panierträger des wahren protestantischen Glaubens nennt, ein Sinnbild dieses papistischen spanischen Tyrannen tragen?«
»Beruhigt Euch, meine Theure,« antwortete der Graf; »wir, deren Segel der Hofwind schwellen muß, können nicht immer die Flagge aufziehen, die uns am besten gefällt, noch zu jeder Zeit ablehnen, unter solchen zu segeln, die uns zuwider sind. Glaube mir, ich bin kein minder guter Protestant, wenn mir die Politik räth, die mir von Spanien angebotene Ehre der Mitgliedschaft des höchsten Ordens der Ritterschaft anzunehmen. Ueberdies gehört er eigentlich Flandern zu; und Egmont, Oranien und Andere waren stolz darauf, ihn auf einer englischen Brust glänzen zu sehen.«
»Nun wohl, Mylord, Ihr kennt am besten den Weg, den Ihr zu gehen habt,« erwiderte die Gräfin. »Und diese andere Kette, welchem Lande gehört dieses Kleinod an?«
»Einem sehr armen Lande, meine Liebe,« antwortete der Graf; »es ist der Sanct Andreasorden, erneuert von Jakob, dem letzten König von Schottland. Er wurde mir verliehen, als man glaubte, die junge Wittwe von Frankreich und Schottland würde sich gern mit einem englischen Baron vermählen; aber eine englische Freiherrnkrone wiegt eine Königskrone auf, die man der Laune eines Weibes verdankt, das nur unfruchtbare Felsen und Sümpfe des Nordens beherrscht.«
Die Gräfin schwieg, als ob seine letzten Worte schmerzliche, aber interessante Gedanken in ihr erregt hätten; und da sie noch immer stumm blieb, fuhr der Graf fort: »Und nun, Geliebte, ist Dein Wunsch erfüllt, Du hast Deinen Vasallen in allem Glanze gesehen, den ein Reitanzug gestattet; denn Staatsgewänder und Freiherrnkronen trägt man nur in fürstlichen Hallen.«
»Wohl denn,« sagte die Gräfin, »aber die Befriedigung eines Wunsches hat, wie gewöhnlich, einen zweiten in mir erweckt.«
»Und wie könnte ich Dir etwas verweigern, um das Du mich bittest?« versetzte der zärtliche Gemahl.
»Ich wünschte meinen gräflichen Gemahl in diesem abgeschiedenen und verborgenen Aufenthalt in vollem Glanze seiner fürstlichen Herrlichkeit zu sehen,« sprach die Gräfin, »und jetzt möchte ich in einer seiner fürstlichen Hallen sitzen, und ihn, in einfaches Dunkelbraun gekleidet, so wie er das Herz seiner armen Emma Robsart gewann, hereintreten sehen.«
»Der Wunsch mag leicht befriedigt werden,« versetzte der Graf – »schon morgen, wenn Du willst, soll Dir der dunkelbraune Mantel seine Aufwartung machen.«
»Aber soll ich,« sagte die Lady, »Euch auf eines Eurer Schlösser folgen, um sehen zu können, wie sich die Pracht Eurer Wohnung neben dem einfachen Anzuge ausnehmen wird?«
»Wie, Emma,« versetzte der Graf um sich herblickend, »sind nicht diese Gemächer glanzvoll genug ausgeschmückt? Ich gab unbeschränkte Befehle, und man ist ihnen, dünkt mich, ziemlich gut nachgekommen. – Wenn Du mir aber angeben kannst, was hier noch fehlt, so will ich sogleich Befehle dazu geben.«
»Nein, Mylord, Ihr spottet meiner,« erwiderte die Gräfin; »der Glanz dieser prachtvollen Gemächer übertrifft Alles, was sich meine Einbildungskraft denken mag, eben so sehr, als er mein Verdienst übersteigt. Aber soll Deine Gattin, Trauter, nicht wenigstens eines Tages, – nicht bald von der Würde umgeben werden, die weder von den Arbeiten der Künstler, die ihre Gemächer schmücken, noch von der Seide und den Edelsteinen ausgeht, womit Deine Großmuth sie schmückt, sondern welche an den Rang geknüpft ist, den sie unter den Damen von Stande als die anerkannte Gattin des edelsten Grafen von England einzunehmen berechtigt ist?«
»Eines Tages?« sprach ihr Gemahl; »ja, liebe Emma, das Glück soll Dir eines Tages zu Theil werden; und glaube mir, Du kannst diesen Tag nicht sehnlicher herbeiwünschen, als ich selbst. Mit welchem Entzücken würde ich mich von den Staatsgeschäften, den Sorgen und Mühen des Ehrgeizes zurückziehen, um mein Dasein in Ehre und Würde auf meinen großen Besitzungen mit Dir, Emma, meiner Freundin und Lebensgefährtin zu verleben! Allein, Emma, das kann jetzt noch nicht sein, und diese mir so theuren, aber verstohlenen Zusammenkünfte sind Alles, was ich der Liebenswürdigsten und Reizendsten ihres Geschlechts für jetzt zu bieten vermag.«
»Aber warum kann das nicht sein?« fragte die Gräfin im Tone der sanftesten Ueberredung, »warum kann sie nicht sogleich vor sich gehen – diese vollkommnere, ununterbrochene Vereinigung, die Ihr so zu wünschen vorgebt, und welche von göttlichen und menschlichen Gesetzen auf gleiche Weise geboten wird? – Ach, wenn Ihr es nur halb so eifrig wünschtet, wie Ihr sagt, wer oder was könnte Euch, den Mächtigsten und vor Allen Begünstigten verhindern, Euren Willen zu vollbringen?«
Des Grafen Stirne umwölkte sich. »Emma,« sprach er, »Du sprichst da von Dingen, die Du nicht verstehst. Wir, die wir an den Höfen leben müssen, sind Denen zu vergleichen, die einen Berg von lockerem Sande erklimmen; – wir dürfen nicht Halt machen, bis irgend ein hervorragendes Felsstück uns einen Ruheplatz und Haltpunkt sichert; ruhen wir früher, so gleiten wir durch unser eigenes Gewicht zurück, zum Hohngelächter aller Welt. Ich stehe hoch, aber ich stehe nicht sicher genug, um meiner eigenen Neigung zu folgen. Meine Vermählung erklären, hieße mir mein eigenes Verderben bereiten. Aber glaube mir, ich will einen Punkt erreichen, und zwar bald, wo ich Dir und mir Gerechtigkeit widerfahren lassen kann. Inzwischen trübe nicht das Glück des gegenwärtigen Augenblicks durch Wünsche, die nicht im Augenblicke befriedigt werden können. Laß mich lieber hören, ob Alles hier zu Deiner Zufriedenheit geschieht. Wie benimmt sich Foster gegen Dich? – Er beweist Dir doch hoffentlich in allen Stücken die gebührende Hochachtung; sonst sollte der Bursche es schwer büßen.«
»Er erinnert mich zuweilen an die Nothwendigkeit dieser Verborgenheit,« antwortete die Gräfin mit einem Seufzer; »aber dies heißt mich an Eure Wünsche erinnern, und so bin ich mehr verpflichtet, ihm zu danken, als böse zu sein.«
»Ich habe Dir gesagt, welche harte Nothwendigkeit auf uns lastet,« erwiderte der Graf. »Foster ist, wie ich bemerke, von etwas mürrischer Gemüthsart, aber Varney bürgt mir für seine Treue und Dienstergebenheit. Wenn Du Dich aber über die Art, wie er sich seiner Pflicht entledigt, zu beklagen hast, so soll er es hart entgelten.«
»Ich habe über nichts zu klagen,« antwortete die Lady, »wenn er nur sein Geschäft mit Treue gegen Euch versieht; und seine Tochter Jeannette ist mir die liebste und beste Gefährtin meiner Einsamkeit – selbst der kleine Anstrich von Frömmelei steht ihr gut.«
»Ist sie es,« rief der Graf, »die zu Deinem Vergnügen beiträgt, so darf sie nicht unbelohnt bleiben. – Komm hieher, Jüngferchen!«
»Jeannette!« rief die Gräfin, »komm hieher!«
Jeannette, die sich, wie schon erwähnt, bescheiden in einige Entfernung zurückgezogen hatte, um das vertraute Gespräch des Lords und der Lady nicht zu stören, trat nun vor; und als sie ihre ehrerbietige Verbeugung machte, konnte der Graf sich eines Lächelns nicht enthalten über den Contrast, den die höchste Einfachheit ihrer Kleidung, und die strenge Ehrbarkeit ihrer Blicke mit ihrem sehr hübschen Gesichte und ihren schwarzen Augen bildeten, in denen trotz dem Streben ihrer Gebieterin, ernst zu scheinen, ein Lächeln sichtbar war.
»Ich bin Dir verbunden, schönes Kind,« sagte der Graf, »für die treuen Dienste, die Du dieser Dame hier geleistet hast.« Indem er dies sagte, nahm er einen Ring von Werth vom Finger, und ihn Jeannette Foster überreichend fügte er hinzu: »Trage ihn zu ihrem und meinem Andenken.«
»Ich schätze mich glücklich,« antwortete Jeannette bescheiden, »daß meine geringen Dienste Mylady's Beifall erhielten, der sich Niemand naht, ohne den Wunsch, ihr zu gefallen; aber wir Mitglieder der Congregation des ehrwürdigen Herrn Holdforth streben nicht, gleich fröhlichen Töchtern der Welt, unsere Finger mit Gold, noch unsern Hals mit Edelsteinen zu zieren, wie die eiteln Weiber von Tyrus und Sidon.«
»Du bist ein echter Professor der frommen Schwesterschaft, schöne Jeannette,« sagte der Graf, »dann, denk' ich, ist auch Dein Vater wohl dieser Congregation in vollem Ernste zugethan; und Ihr seid mir Beide deshalb um so lieber; Eure Congregationen haben für mich gebetet und mir Gutes gewünscht. Uebrigens kannst Du leicht den Schmuck entbehren, Miß Jeannette, denn Deine Finger sind allerliebst und Dein Hals ist lilienweiß. Hier aber hast Du Etwas, vor dem weder der Papist noch der Puritaner, weder der Freidenker noch der Frömmler einen Abscheu hat, oder das Gesicht verzieht. Nimm es, mein Kind, und brauche es, wie es Dir Vergnügen macht.«
Mit diesen Worten drückte er ihr fünf große Goldstücke von Philipp und Maria in die Hand.
»Ich würde auch dieses Gold nicht annehmen,« sagte Jeannette, »aber ich hoffe es so zu verwenden, daß es uns Allen Segen bringt.«
»Schalte damit ganz nach Deinem Gefallen, hübsches Kind,« sagte der Graf, »so ist meine Absicht erreicht. – Nun aber bitte ich Dich, dafür zu sorgen, daß das Abendessen beschleunigt wird.«
»Ich habe Herrn Varney und Herrn Foster eingeladen, mit uns zu speisen, Mylord,« sprach die Gräfin, als sich Jeannette entfernte, um des Grafen Befehle auszurichten, »Ihr seid doch damit zufrieden?«
»Was Du thust, meine süße Emma, wird mir immer angenehm sein,« erwiderte ihr Gemahl; »und um so lieber ist es mir, daß Du ihnen diese Ehre erzeigtest, denn Varney ist mir mit Leib und Leben zugethan, und der Vertraute meiner geheimen Berathungen! und für den Augenblick bin ich genöthigt, auch in Anton Foster großes Vertrauen zu setzen.«
»Ich habe noch eine Bitte an Dich, und muß Dir etwas insgeheim eröffnen, mein theurer Lord,« sprach die Gräfin mit schwankender Stimme.
»Laß es bis morgen, meine Liebe!« erwiderte der Graf, »dort öffnet man schon die Flügelthüren des Speisesaales, und da ich weit und schnell geritten bin, so wird mir ein Trunk Wein nicht übel munden.« Mit diesen Worten führte er seine liebenswürdige Gattin in das nächste Gemach, wo Varney und Foster sie mit tiefen Verbeugungen empfingen, der Erstere nach der Sitte des Hofes, der Letztere nach der Sitte der puritanischen Congregation. Der Graf erwiderte ihre Begrüßung mit der nachlässigen Höflichkeit eines an solche Ehrfurchtsbezeugungen gewöhnten Mannes, die Gräfin dagegen mit einer pünktlichen Sorgfalt, welche zeigte, daß ihr ein solcher Empfang noch neu war.
Das Mahl, zu welchem sich die Gesellschaft niederließ, entsprach der Pracht des Zimmers, in dem es aufgetragen war, allein keine Dienerschaft wartete dabei auf. Jeannette allein war zugegen, um diesen Dienst zu versehen. In der That war die Tafel auch mit Allem, was man verlangen könnte, so überreichlich versorgt, daß wenig oder gar keine Bedienung nöthig war. Der Graf nahm mit seiner Gemahlin das obere Ende der Tafel ein, Varney und Foster setzten sich unterhalb des Tafelaufsatzes, wie es die damalige Sitte den Untergebenen vorschrieb. Foster, dem es vielleicht in einer ihm so ungewohnten Gesellschaft unbehaglich war, sprach während der Mahlzeit keine Sylbe; Varney dagegen nahm mit vielem Schicklichkeitsgefühl gerade so viel Antheil an der Unterhaltung, als ohne Anschein von Zudringlichkeit seinerseits nöthig war, sie zu beleben, und die gute Laune des Grafen bis zum höchsten Grade zu steigern. In der That war auch dieser Mann von der Natur mit allen den Eigenschaften begabt, welche für den Platz, auf dem er stand, erforderlich waren. Eben so bescheiden und umsichtig, als witzig und erfinderisch, wußte er selbst die Gräfin, so sehr sie auch aus mehreren Gründen gegen ihn eingenommen war, so für sich zu gewinnen, daß sie, durch den Geist seiner Unterhaltung angezogen, weniger als sonst abgeneigt war, in die Lobsprüche einzustimmen, womit der Graf seinen Günstling überhäufte. Endlich war die Stunde der Ruhe gekommen, der Graf und die Gräfin zogen sich in ihr Schlafgemach zurück, und die tiefste Stille herrschte den übrigen Theil der Nacht auf dem Schlosse.
Früh Morgens verrichtete Varney bei dem Grafen das Amt seines Kammerdieners sowohl als das seines Stallmeisters; obgleich das letztere eigentlich die Stelle war, die er in jenem glänzenden Haushalte bekleidete, wo Ritter und Edelleute von guter Abkunft eben so willig ähnliche Dienste versahen, als es bei Mitgliedern des höheren Adels im Dienste des Königs der Fall war. Mit allen diesen Dienstleistungen war Varney vertraut, der aus einem alten aber herabgekommenen Hause stammte, in jüngeren Jahren des Grafen Page gewesen war, und, seinem Herrn auch im Mißgeschick treu, sich diesem späterhin, als er sich zu glänzendem Glücke erhob, nicht weniger nützlich zu machen wußte; so daß er durch gegenwärtige und vergangene Dienste sein fast unentbehrlicher Vertrauter geworden war.
»Hilf mir ein einfacheres Reitkleid anlegen, Varney!« sprach der Graf, indem er seinen reichen seidenen Schlafrock abwarf, »und lege diese Ketten und Fesseln – (hier deutete er auf die verschiedenen auf dem Tische liegenden Ordenszeichen) an ihren Ort. Ich vermochte vorigen Abend kaum ihr Gewicht zu tragen. Ich bin beinahe entschlossen, mich nicht mehr länger von diesen Banden fesseln zu lassen; sie sind von Schelmen erfunden worden, um Narren daran zu gängeln. Was meinst Du, Varney?«
»Traun, Mylord!« entgegnete sein Kammerdiener, »ich dächte, goldene Fesseln sind nicht mit andern zu vergleichen, sie sind um so willkommener, je gewichtiger sie sind.«
»Bei alledem, Varney,« erwiderte sein Gebieter, »bin ich beinahe entschlossen, mich nicht länger durch sie an den Hof binden zu lassen. Was können fernere Dienste und höhere Gunst mir noch außer dem hohen Range und den reichen Besitzungen gewähren, die ich bereits in Sicherheit habe? – Was brachte meinen Vater auf das Schaffot, als daß er seine Wünsche nicht nach Recht und Billigkeit beschränkte? – Ich war, wie Du weißt, schon in mancher Gefahr, und bin ihr nur mit genauer Noth entgangen, und fast bin ich jetzt entschlossen, die See nicht weiter zu versuchen, sondern mich ruhig am Gestade niederzulassen.«
»Und mit Herrn Cupido Muscheln zu sammeln,« fiel Varney ein.
»Wie meinst Du das, Varney?« fragte der Graf mit einiger Heftigkeit.
»Nun, Mylord,« erwiderte Varney, »seid nicht böse auf mich. Wenn Ew. Herrlichkeit durch den Besitz einer liebenswürdigen Gemahlin so vollkommen glücklich ist, daß Ihr, um ihres Umgangs mit mehr Freiheit zu genießen, Euch von Allem, wofür Ihr bisher lebtet, trennen wollt, so mögen immerhin einige Eurer armen Diener darunter leiden; mich hat Eure Güte so reichlich bedacht, daß ich jederzeit genug haben werde, so zu leben, wie es dem Range eines armen Edelmannes gebührt, den er in Euren Diensten eingenommen hat.«
»Und dennoch seid Ihr nicht zufrieden, wenn ich mir vornehme das gefahrvolle Spiel aufzugeben, das mit unserm beiderseitigen Untergange enden kann?«
»Ich, Mylord?« sprach Varney, »wahrlich, ich habe keinen Grund darüber unzufrieden zu sein, wenn Ew. Herrlichkeit sich zurückziehen will. – Nicht Richard Varney wird die Ungnade Ihrer Majestät und den Spott des Hofes zu erdulden haben, wenn das stattlichste Gebäude, auf Fürstengunst gegründet, wie leichter Morgenfrost dahinschmilzt, – ich wünschte nur, Mylord, daß Ihr, bevor Ihr einen Schritt thut, der nicht wieder zurückgethan werden kann, Euren Ruf und das Glück auf der neuen Laufbahn, die Ihr vorhabt, zu Rathe ziehen wolltet.«
»Sprich weiter, Varney,« sagte der Graf; »ich sage Dir, ich habe mich noch zu nichts entschlossen, es sollen alle Gründe für und wider abgewogen werden.«
»Wohl denn, Mylord,« versetzte Varney; »angenommen nun, der Schritt sei geschehen, die königliche Ungnade, das Gespött und das Wehklagen sei verschmerzt, Ihr sollt Euch auf eins Eurer entferntesten Schlösser zurückgezogen haben, wo Euch weder die Klagen Eurer Freunde, noch das höhnische Frohlocken Eurer Feinde erreichen kann. Euer glücklicher Nebenbuhler soll sich damit begnügen (was noch sehr zu bezweifeln ist) die Aeste des großen Baumes abzuhauen, der ihm so lange den Sonnenschein vorenthielt, soll nicht darauf bestehen, ihn mit der Wurzel auszureißen. – Nun, dann ist der bisherige erste Günstling Englands, der den Commandostab seines Vaterlandes führte und dessen Parlamente leitete, ein bloßer Landbaron, der sich die Zeit mit der Jagd und der Falkenbeize vertreibt, mit den Landjunkern in starkem Biere zecht und auf's Commando des Sheriffs seine Mannen mustert.«
»Hör' auf, Varney!« fiel der Graf ein.
»Nein, Mylord, Ihr müßt mich mein Gemälde vollenden lassen. – Sussex regiert England – die Gesundheit der Königin nimmt ab – die Thronfolge soll festgesetzt werden – dem Ehrgeiz öffnet sich eine Bahn, weit glänzender, als sie sich dieser jemals träumen ließ. – Ihr laßt Euch Alles dies an Eurem Kamine erzählen, dann überdenkt Ihr alle die Hoffnungen, die zu Wasser wurden, als Ihr in freiwillige Unbedeutsamkeit versanket, um Eurer reizenden Gemahlin öfter als alle vierzehn Tage einmal in die schönen Augen zu schauen.«
»Kein Wort mehr, Varney, über diesen Punkt,« sprach der Graf. »Ich sagte nicht, daß der Schritt, den meine Ruhe und Zufriedenheit zu thun mich antreibt, sogleich und ohne gehörige Berücksichtigung des öffentlichen Wohls gethan werden soll. Du bist Zeuge, daß ich meinem Wunsche, mich zurückzuziehen, nicht aus Ehrgeiz entsage, sondern weil ich die Stellung behaupten muß, in der ich meinem Vaterlande zur Stunde der Noth am besten dienen kann. – Man führe sogleich die Pferde vor – ich will, wie früher, einen Livreemantel überwerfen und hinter Dir vor dem Stallknecht reiten. Du, Varney, sollst heute der Herr sein – vergiß nichts, wodurch die Täuschung unterhalten wird. Wir wollen zu Pferde, bevor noch hier der Tag anbricht. Ich will mich nur von meiner Gemahlin verabschieden und bin dann zur Abreise bereit. Ich thue jetzt meinem eigenen armen Herzen Gewalt an, und verwunde eins, das mir noch theurer ist; aber dem Patrioten muß der Gatte weichen!« Nachdem er dies in melancholischem aber festen Tone gesprochen, verließ er das Ankleidezimmer.
»Ich bin froh, daß Du gegangen bist,« dachte Varney, »sonst hätte ich, so vertraut ich auch mit den Thorheiten der Menschenkinder bin, Dir in's Gesicht lachen müssen! Du magst Deine neue Spielpuppe, das niedliche Evatöchterchen, so sehr herausputzen, wie Du willst, ich werde Dir nicht im Wege sein. Aber Deiner alten Spielpuppe, der Ehrsucht, sollst Du deshalb nicht untreu werden; wenn Du den Berg erklimmst, Mylord, mußt Du Richard Varney mit hinaufziehen; und bewegt er Dich zu Handlungen, die ihm Vortheil bringen, so glaube mir, wird er nicht Peitsche noch Sporn schonen. – Und was Euch betrifft, meine reizende Lady, die Ihr für's Leben gern eine Gräfin in aller Form Rechtens wäret, Ihr thätet am besten, meine Pläne nicht zu durchkreuzen, wenn nicht eine alte Schuld auf neue Rechnung kommen soll. – Du sollst Herr sein! sagte er – meiner Treu, er mag finden, daß er wahrer gesprochen, als er selber geglaubt hat; und so ist denn er, der nach dem Urtheil vieler weisen Männer einem Burleigh und Walsingham in der Politik und einem Sussex im Kriege die Stange hält, der Mündel seines eigenen Dienstmannes, und das Alles wegen eines nußbraunen Augenpaars, eines Gesichtchens wie Milch und Blut, und einer Ehrfurcht, die ihm die Augen blendet. – Und dennoch, wenn je die Reize eines sterblichen Weibes einem Manne sein politisches Hirn verrücken konnten, muß ihn der gestrige, seligverlebte Abend dafür entschuldigen! Wohl denn – mögen die Würfel fallen, wie sie wollen, er soll mich groß oder ich selbst will mich glücklich machen, und wenn dies liebliche Geschöpf seine Zusammenkunft mit Tressilian nicht ausschwatzt, was sie vermuthlich aus Vorsicht nicht thun wird, so muß sie trotz all ihrem Widerwillen zur Verheimlichung und zum wechselseitigen Bestande auf meine Pläne eingehen. – Doch ich muß hinunter in die Ställe. – Heute, Mylord, ordne ich Dein Gefolge an; die Zeit mag kommen, wo mein eigner Stallmeister das meinige beordert.« Mit diesen Worten verließ er das Gemach.
Indessen war der Graf wieder in das Schlafgemach getreten, entschlossen, der reizenden Gräfin ein eiliges Lebewohl zu sagen, indem er kaum wagte, sich in ein vertrauliches Gespräch mit ihr einzulassen, um nicht neue Bitten von ihr zu vernehmen, welche abzuwehren ihm so schwer wurde. Die mit seinem Stallmeister soeben gehabte Unterredung hatte ihn bestimmt, nicht nachzugeben. Er fand sie in einem weißseidenen mit Pelzwerk gefütterten Morgenmantel, in Eile war sie mit den bloßen Füßchen in ihre Pantoffel geschlüpft. Ihr Lockenhaar wogte unter dem Nachthäubchen hervor, und ohne andern Schmuck, als ihre eignen Reize, ward ihre Liebenswürdigkeit durch den Kummer über die bevorstehende Trennung, der sich in ihren Zügen aussprach, mehr erhöht, als vermindert.
»Nun, Gott sei mit Dir, mein theures geliebtes Weib!« sprach der Graf, indem er sich mit Mühe ihren Umarmungen entwand, um sie auf's Neue wieder in seine Arme zu schließen, ihr nochmals Lebewohl zu sagen, sie noch einmal zu küssen und an seine Brust zu drücken.
»Die Sonne ist am Rande des blauen Horizontes aufgegangen, ich darf nicht länger weilen. Schon sollte ich zehn Meilen hinter mir haben.«
Mit diesen Worten war er endlich bemüht, die Abschiedsscene abzubrechen.
»Ihr wollt mir also meine Bitte nicht gewähren,« sprach die Gräfin. »Böser Ritter! that je eine Dame baarfuß in den Pantoffeln eine Bitte, welche ihr Ritter verweigern konnte?«
»Alles, Emma, Alles, was Du verlangen magst, soll Dir gewährt werden,« antwortete der Graf, »nur das nicht, was uns Beiden den Untergang brächte.«
»Nein,« sprach die Gräfin, »nicht den Wunsch mache ich geltend, der mich zum Gegenstande des allgemeinen Neides machte – öffentlich als die Gattin meines tapfern und edlen Lords, des ersten und beliebtesten Edelmannes in England anerkannt zu werden! Laßt mich nur dies Geheimniß mit meinem theuren Vater theilen! – Laßt mich nur seinen Jammer über mich Unwürdige enden. – Die Leute sagen, er sei krank, der gute, liebevolle Greis sei krank.«
»Wer sagt das?« fragte der Graf hastig. »Erfuhr er nicht durch Varney Alles, was wir ihm für jetzt über Dein Wohlsein mittheilen können? Und hat er Dir nicht gesagt, daß der gute alte Ritter gerade gesund und guten Muthes seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd oblag? Wer hat es gewagt, Dir andere Gedanken in den Kopf zu setzen?«
»Niemand, Mylord, Niemand,« sagte die Gräfin etwas beunruhigt über den Ton, in welchem die Frage gethan ward; »aber dennoch, Mylord, möchte ich mich gern mit eigenen Augen überzeugen, daß sich mein Vater wohl befindet.«
»Beruhige Dich, Emma, – Du darfst für jetzt noch keine Gemeinschaft mit Deinem Vater oder Deinem Hause haben. Abgesehen davon, daß es eine Hauptregel in der Politik ist, so Wenigen als möglich ein Geheimniß anzuvertrauen, wäre schon der Grund zur Verheimlichung hinreichend, daß jener Mann aus Cornwall, Trevanion oder Tressilian, oder wie er sonst heißen mag, häufig den alten Ritter besucht und so nothwendig Alles erfahren würde, was dort vorgeht.«
»Mylord,« antwortete die Gräfin, »glaubt das nicht. Mein Vater ist seit langer Zeit als ein rechtlicher, achtungswerther Mann bekannt; und was Tressilian betrifft, so will ich die Grafenkrone, die ich einst mit Euch theilen soll, zum Pfande setzen, daß, wenn wir uns nur selbst das ihm zugefügte Unrecht verzeihen können, er unfähig ist, Unrecht mit Unrecht zu vergelten.«
»Ich würde ihm doch nicht trauen, Emma,« versetzte ihr Gemahl. »Bei meiner Ehre, ich würde ihm nicht trauen. – Lieber wollte ich den bösen Feind in unser Geheimniß ziehen, als diesen Tressilian!«
»Und warum, Mylord?« fragte die Gräfin, obgleich sie ein leichter Schauder bei dem entschiedenen Tone überlief, in dem er sprach; »laßt mich doch wissen, warum Ihr so übel von Tressilian denkt?«
»Mylady,« entgegnete der Graf, »mein Wille sollte Euch ein hinreichender Grund sein – wollt Ihr aber weiter wissen, so bedenkt, wie genau dieser Tressilian verbunden ist, und mit wem? – Er ist hochangeschrieben bei jenem Ratcliffe, jenem Sussex, gegen den ich nur mit Mühe meinen Platz in der Gunst unserer argwöhnischen Gebieterin zu behaupten vermag, und würde er diesen Vortheil gegen mich gewinnen, Emma, von unserer Vermählung Kunde zu erhalten, ehe Elisabeth darauf vorbereitet wäre, so würde ich auf immer ihrer Gnade verlustig und vielleicht an Gunst und Vermögen bankerott; sie hat in ihrem Charakter etwas von ihrem Vater Heinrich, – ein Opfer, ein gewisses Opfer ihres beleidigten, argwöhnischen Stolzes würde ich sein.«
»Aber warum, Mylord?« entgegnete seine Gemahlin, »wollt Ihr so ungerecht von einem Manne denken, den Ihr so wenig kennt? Was Ihr von Tressilian wißt, erfuhrt Ihr durch mich, und ich versichere Euch, daß er unter keinen Umständen Euer Geheimniß verrathen wird. Wenn ich ihm Euretwegen Unrecht that, Mylord, so liegt mir um so mehr daran, – daß Ihr ihm Gerechtigkeit widerfahren laßt. – Ihr seid beleidigt, daß ich von ihm rede, was würdet Ihr sagen, wenn ich ihn wirklich gesehen hätte?«
»Hättet Ihr das,« erwiderte der Graf, »so thätet Ihr wohl, Eure Unterredung mit ihm so geheim zu halten, als ob Ihr im Beichtstuhl gesprochen hättet. Ich suche keines Menschen Verderben, aber wer sich in meine Privatverhältnisse eindrängt, der mag sich wohl für die Zukunft in Acht nehmen. Der Bär duldet nicht, daß man seinen furchtbaren Pfad durchkreuzt.«
»Furchtbar in der That!« sprach die Gräfin plötzlich erblassend.
»Ihr seid unwohl, meine Theure,« sprach der Graf, sie mit dem Arme umfassend; »legt Euch wieder zur Ruhe, es ist für Euch noch zu früh am Tage, das Lager zu verlassen; sprecht, habt Ihr noch sonst etwas von mir zu erbitten, wodurch nicht meine Ehre, mein Vermögen und mein Leben gefährdet wird?«
»Nichts, mein Herr und Gemahl,« erwiderte die Gräfin mit schwacher Stimme; »ich hatte Euch noch etwas zu sagen, doch Euer Zorn hat es aus meinem Gedächtnisse verwischt.«
»Spare es auf unser nächstes Wiedersehen, meine Liebe!« sprach der Graf, sie nochmals mit Zärtlichkeit umarmend; »und verschone mich mit Bitten, die ich nicht gewähren kann, noch darf; sonst müßte Dein Wunsch außer der Macht Englands und all' seiner Besitzungen liegen, wenn er nicht buchstäblich erfüllt werden sollte.«
Mit diesen Worten nahm er zum letzten Mal Abschied. Am Fuße der Treppe empfing er aus Varney's Händen einen weiten Livreemantel, nebst einem Hut mit breitem Rande. Er hüllte sich ein, und bedeckte mit letzterem das Gesicht, und machte so seine Gestalt und seine Gesichtszüge völlig unkenntlich. In dem Hofraume standen für ihn und Varney Pferde bereit; denn zwei seiner Leute, in so weit in sein Geheimniß eingeweiht, daß sie wußten oder erriethen, der Graf habe in diesem Schlosse eine Liebschaft mit einer schönen Dame, deren Namen und Stand sie aber nicht kannten, waren bereits in der Nacht vorausgeschickt. Anton Foster selbst hielt den Zügel des gräflichen, durch Stärke und Behendigkeit zu raschem Ritte geeigneten Rosses; während sein alter Diener den Zaum des ansehnlicheren, weit prachtvolleren Rosses gefaßt hatte, welches Richard Varney in der Rolle als Gebieter besteigen sollte.
Als der Graf sich näherte, trat jedoch Varney vor, um seinem Herrn den Zügel zu halten, und Anton Foster an dieser Dienstleistung, die er vermuthlich für ein ihm gebührendes Amt hielt, zu verhindern. Mit mürrischem Gesicht wich Anton seiner Dazwischenkunft, welche die Absicht zu haben schien, ihn abzuhalten, seinem Gönner und Beschützer seine Ehrerbietung zu bezeigen; der Graf aber schwang sich ohne weitere Bemerkung auf sein Roß und ritt, ohne daran zu denken, daß seine angenommene Bedientenrolle ihm seinen Platz hinter dem vorgeblichen Gebieter anwies, gedankenvoll zum Viereck hinaus, nicht ohne wiederholt seine Hand gegen das Fenster zu neigen, um die von der Gräfin mit dem Schleier gegebenen Zeichen zu beantworten.
Während so seine stattliche Gestalt unter dem dunkeln Thorwege verschwand, der aus dem Schloßhofe führte, murmelte Varney vor sich hin: »Seht nur wie politisch, dort reitet der Diener vor dem Herrn!« dann benutzte er den Augenblick, als ihm der Graf aus dem Gesichte war, um noch ein Wörtchen mit Foster zu sprechen. »Du siehst so finster drein, Tony,« sprach er, »als hätte ich Dich um ein gnädiges Kopfnicken von Mylord gebracht; ich habe ihn aber vermocht, Dir ein besseres Andenken für Deine treuen Dienste zurückzulassen; sieh hier, eine Börse mit so gutem Golde gefüllt, als nur je zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger eines Geizhalses klimperte. Ja, zähle sie nur, Alter,« sagte er, als Foster das Geld mit einem grinsenden Lächeln hinnahm, »und lege das schöne Andenken dazu, welches er gestern Abend Deiner Jeannette gab.«
»Wie? was?« fragte Anton Foster hastig; »gab er meiner Jeannette Geld?«
»Ja, Alter, warum sollte er nicht? Verdienen ihre Dienste bei der schönen Lady keine Belohnung?«
»Sie soll keine haben!« sagte Foster; »sie soll sie zurückgeben. Er vergafft sich eben so heftig als vorübergehend in ein schönes Gesicht. – Seine Neigungen sind so wandelbar wie der Mond.«
»Wie, Foster, bist Du verrückt? Du wirst Dir doch nicht schmeicheln, daß Mylord ein Auge auf Jeannetten werfen könnte? – Wer in's Teufels Namen wird wohl auf die Drossel hören, wenn die Nachtigall singt?«
»Drossel oder Nachtigall, das ist Alles eins für den Vogelsteller; Ihr, Varney, versteht Euch auf die Wachtelpfeife so meisterhaft, daß Ihr ihm Vögel aller Art in die Netze lockt. Ich strebe für Jeannette nicht nach solcher teuflischen Erhebung, wie Ihr schon manchem armen Mädchen verschafft habt. Ja, lache nur! – Ein Glied meiner Familie wenigstens will ich vor den Teufelskrallen bewahren, darauf könnt Ihr Euch verlassen. – Sie soll das Geld zurückgeben!«
»Ja, oder Dir in Verwahrung geben, Tony, was ebensoviel heißen wird,« setzte Varney hinzu. »Aber ich habe Dir noch was Wichtigeres zu sagen. Unser Lord kehrt in einer für uns ungünstigen Stimmung nach Hofe zurück.«
»Wie meint Ihr das? Hat er schon seine Docke – seine Spielpuppe satt? Er hat sie für einen wahrhaft königlichen Preis erstanden und ich wette, er bereut seinen Handel.«
»Fehl geschossen, Tony; er ist bis über die Ohren in sie vernarrt, und will ihretwegen den Hof verlassen. – Dann gute Nacht, Hoffnungen und Sicherheit! Die Kirchengüter werden eingezogen, Tony und die Verwalter dürfen von Glück sagen, wenn sie nicht vom Schatzkammergericht zur Rechenschaft gezogen werden.«
»Da sind wir ja verlorne Leute,« sagte Foster, vor Furcht die Stirn runzelnd; »und Alles dies um eines Weibes willen. Wär's noch um unser Seelenheil, so wär' es doch noch was! Ich selbst wünsche zuweilen das Irdische von mir zu streifen, das noch an mir klebt, und einem der Aermsten unserer Kirche gleich zu sein.«
»Du bist auf dem Wege es zu werden, Tony,« antwortete Varney; »ich denke aber, der Teufel wird Dir Deine erzwungene Armuth nicht sehr in Anschlag bringen, und so hast Du doppelten Nachtheil. Aber folge meinem Rathe, und Cumnor Place soll doch noch Dein Lehngut werden. – Sag' nichts von Tressilian's Besuch – kein Wort bis ich Dir Nachricht gebe.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?« fragte Foster argwöhnisch.
»Dummkopf!« erwiderte Varney; »bei Mylords gegenwärtiger Stimmung wäre das der gerade Weg, ihn in seinem Vorsatze, sich zurückzuziehen, zu bestärken, wenn er erführe, daß seine Gemahlin in seiner Abwesenheit von einem solchen Gespenste heimgesucht würde. Dann wollte er gewiß selber der Drache werden, um seine goldenen Aepfel zu hüten, und so, Tony, wäre Dein Geschäft hier zu Ende. Du weißt, was Du zu thun hast. Lebe wohl, ich muß ihm folgen.«
Er lenkte sein Pferd herum, gab ihm die Sporen und sprengte durch den Bogengang seinem Gebieter nach.
»Ich wollte, Dein Amt wäre zu Ende, oder Du brächest den Hals, Du verdammter Kuppler!« sprach Anton Foster bei sich selber. »Doch ich muß seinem Winke folgen, wir gehen einen Weg, und er kann den stolzen Grafen nach seinem Willen lenken. Jeannette soll mir indeß diese Goldstücke geben – sie sollen auf irgend eine Weise zum Dienste Gottes angewendet werden, ich will sie in meiner Geldkiste bei Seite legen, bis ich eine passende Gelegenheit finde. Kein giftiger Athem soll mein Kind anhauchen! – Sie soll wie ein reiner Geist vor dem Herrn erscheinen, wäre es auch nur, um für ihren Vater zu beten. Ich bedarf ihres Gebetes, denn ich habe einen harten Stand. – Seltsame Gerüchte sind über meinen Lebenswandel im Umlauf. Die Gemeinde behandelt mich mit Kälte; und als Herr Holdforth kürzlich von Heuchlern sprach, die übertünchten, inwendig mit Todtengebeinen angefüllten Gräbern glichen, da kam es mir vor, als blicke er mir gerade in's Gesicht. Da war der katholische Glaube doch viel bequemer, Lambourne hatte vollkommen Recht. Man konnte in solchen Fällen ganz seinen eigenen Weg gehen – brauchte nur seinen Rosenkranz zu beten – seine Messe zu hören – in die Beichte zu gehen – und war absolvirt. Diese Puritaner wählen einen steileren und rauheren Pfad; aber ich will es versuchen – ich will jedesmal eine Stunde in der Bibel lesen, ehe ich wieder meine eiserne Geldkiste öffne.«
Varney galoppirte indeß seinem Herrn nach, den er an der Hinterpforte des Parks seiner wartend fand.
»Ihr verschwendet Zeit, Varney, und mir ist sie sehr kostbar,« sagte der Graf. »Ich muß in Woodstock sein, ehe ich mit Sicherheit diese Verkleidung ablegen kann, und bis dahin schwebe ich in einiger Gefahr.«
»Dazu bedarf es nur eines raschen Rittes von zwei Stunden, Mylord,« sagte Varney. »Ich blieb nur zurück, um jenem Foster Eure Befehle rücksichtlich des Geheimnisses einzuschärfen und nach dem Aufenthalte des Mannes zu fragen, den ich an Trevors Stelle zu dem Dienste Ew. Herrlichkeit erheben wollte.«
»Hältst Du ihn für die Mittagslinie des Vorzimmers geeignet?« fragte der Graf.
»Er verheißt viel, Mylord,« versetzte Varney; »doch wenn es Ew. Herrlichkeit gefällig wäre weiter zu reiten, so könnte ich nach Cumnor zurückkehren und ihn zu Euch nach Woodstock bringen, ehe Ihr aufgestanden seid.«
»Wie Du weißt, schlafe ich angeblich in diesem Augenblicke dort,« sagte der Graf; »und ich bitte Dich, Dein Pferd nicht zu schonen, damit Du bei meinem Lever zugegen bist.«
Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und setzte seine Reise fort, während Varney auf der Landstraße nach Cumnor zurückritt und dem Park auswich. Der Letztere stieg vor der Thür des Schwarzen Bären ab und wünschte Michael Lambourne zu sprechen. Diese würdige Person ließ ihren neuen Patron nicht lange auf sich warten, doch erschien er mit niedergeschlagenen Blicken.
»Du hast die Fährte Deines Kameraden Tressilian verloren,« sagte Varney; »ich sehe es Deinem hündischen Gesichte an. Ist dies Deine Wachsamkeit, Du unverschämter Schurke?«
»Alle Wetter!« sagte Lambourne, »es wurde noch nie einem Wilde so schön nachgespürt. Ich sah, wie er sich hier in meines Onkels Hause niederließ – hängte mich an ihn wie Bienenwachs – sah ihn beim Abendessen – spürte ihm bis auf sein Zimmer nach – und am nächsten Morgen ist er fort, so daß der Stallknecht selber nicht weiß wohin.«
»Das sieht aus, als hättet Ihr mir einen Streich gespielt,« versetzte Varney, »und bei meiner Seele, wenn es sich so findet, sollt Ihr es bereuen.«
»Auch der beste Hund kommt zuweilen von der Spur ab, mein Herr,« antwortete Lambourne; »was sollte es mir helfen, ihn so durchgehen zu lassen? Ihr könnt den Wirth Giles Gosling fragen – fragt den Kellner und den Stallknecht – fragt Cäcilien und das ganze Hausgesinde, wie ich Tressilian beobachtete, als er hier war. – Bei meiner Seele! ich konnte ihn doch nicht wie eine Krankenwärterin hüten, als ich ihn auf sein Zimmer hatte gehen sehen, um sich zur Ruhe zu legen. Das werdet Ihr doch zugeben.«
Varney stellte wirklich im Hause Nachforschungen an, welche die Wahrheit von Lambourne's Aussage bestätigten. Alle sagten einstimmig, Tressilian sei plötzlich und unerwartet vor Tagesanbruch abgereist.
»Doch will ich Niemand Unrecht thun,« sagte der Wirth; »er ließ den vollen Betrag seiner Rechnung auf dem Tische zurück, nebst Trinkgeld für die Dienerschaft, was um so weniger nöthig war, da er, wie es scheint, seinen Wallach ohne des Stallknechts Hülfe sattelte.«
Nachdem sich Varney so von der Richtigkeit der Aussage Lambourne's überzeugt hatte, begann er mit ihm von seinen künftigen Aussichten und Plänen zu reden, indem er zugleich zu verstehen gab, daß er von Foster gehört habe, er sei nicht abgeneigt in den Dienst eines Edelmannes zu treten.
»Seid Ihr je am Hofe gewesen?« fragte er.
»Nein,« versetzte Lambourne; »aber seit ich zehn Jahr alt war, hat es mir jede Nacht geträumt, daß ich da wäre und dort mein Glück machte.«
»Es wird Eure eigene Schuld sein, wenn Euer Traum sich nicht bestätigt,« sagte Varney; »seid Ihr arm?«
»Hm!« versetzte Lambourne, »ich liebe das Vergnügen.«
»Das ist eine genügende und ehrliche Antwort,« sagte Varney. »Kennt Ihr die Erfordernisse, welche von dem Diener eines aufstrebenden Hofmannes erwartet werden?«
»Ich kann sie mir denken, mein Herr,« antwortete Lambourne; »zum Beispiel ein rasches Auge – ein geschlossener Mund – eine kühne und stets fertige Hand – ein scharfer Verstand und ein weites Gewissen.«
»Das Deinige hat sich vermuthlich schon längst ausgeweitet,« sagte Varney.
»Ich erinnere mich nicht, daß es je sehr enge gewesen,« versetzte Lambourne. »Als ich jung war, hegte ich einige wenige Gewissensscrupel; doch habe ich sie zum Theil auf dem rauhen Schleifsteine des Krieges ausgewetzt und was noch übrig war auf den Wogen des atlantischen Meeres ausgewaschen.«
»Du hast also in Indien gedient?«
»In Ost- und Westindien,« antwortete der Candidat des Hofdienstes, »zur See und zu Lande. Ich habe den Portugiesen und Spaniern, den Holländern und Franzosen gedient und mit einer Schaar munterer Kerle, welche meinten, es sei kein Friede jenseits der Linie, auf eigene Hand Krieg geführt.«
»Du kannst mir, meinem Herrn und Dir selber gute Dienste erweisen,« sagte Varney nach einer Pause. »Aber bedenke, ich kenne die Welt – und antworte mir aufrichtig, kannst Du treu sein?«
»Kenntet Ihr nicht die Welt,« antwortete Lambourne, »so wäre es meine Pflicht, ohne weitere Umstände Ja zu sagen, und es mit Leben und Ehre und dergleichen zu beschwören. – Doch da es mir scheint, daß Ew. Gnaden Einer von denen ist, die ehrliche Wahrheit mehr lieben als politische Lüge, so antworte ich Euch, daß ich bis zum Fuße des Galgens treu sein kann, ja bis zu der Schlinge, die von demselben herabhängt, wenn ich gut behandelt und belohnt werde, sonst aber nicht.«
»Zu Deinen übrigen Tugenden kannst Du ohne Zweifel hinzufügen: die Kunst ernsthaft und religiös zu scheinen, wenn der Augenblick es fordert?« sagte Varney in spöttischem Tone.
»Es würde mich nichts kosten, Ja zu sagen,« entgegnete Lambourne; »doch wenn ich die Wahrheit reden soll, muß ich nothwendig Nein sagen. Wenn Ihr eines Heuchlers bedürft, so müßt Ihr Anton Foster dazu nehmen, der von seiner Kindheit an von einem Phantom verfolgt wurde, welches er Religion nannte, das aber nur in der Art von Gottesfurcht bestand, die großen Gewinn bringt. Doch ich bin darin nicht bewandert.«
»Nun wenn Dir dieser Werth abgeht, hast Du denn auch kein Pferd im Stalle?« fragte Varney.
»Ja, Herr,« sagte Lambourne, »das wird über Gräben und Hecken setzen, trotz dem besten Renner des Herzogs. Als ich auf Shooters Hill einen kleinen Fehler beging und einen alten Viehhändler anhielt, dessen Taschen besser gefüllt waren als sein Hirnkasten, da trug mich der leichtfüßige Braune sicher davon, obgleich mir das Landvolk dicht auf den Fersen war.«
»Sattle ihn sogleich und folge mir,« sagte Varney. »Laß Deine Kleider und Dein Gepäck in der Verwahrung des Wirths zurück, ich will Dir einen Dienst verschaffen, wo es nicht die Schuld des Glücks, sondern Deine eigene sein wird, wenn es Dir nicht wohlgeht.«
»Das ist brav,« sagte Lambourne; »ich werde im Augenblicke im Sattel sein. – Heda, Schurke von Stallknecht, sattle meinen Braunen, ohne einen Augenblick zu verlieren. – Hübsche Cäcilie, nimm die Hälfte dieser Börse, um Dich wegen meiner plötzlichen Abreise zu trösten.«
»Zum Henker!« erwiderte der Vater, »Cäcilie bedarf keines Andenkens von Dir. – Geh, Michel, und suche Dein Glück wo Du kannst, obgleich ich nicht glaube, daß Du in das Land gehst, wo es wächst.«
»Laßt mich doch auch Eure Cäcilie sehen, Herr Wirth,« sagte Varney; »ich habe viel von ihrer Schönheit reden hören.«
»Es ist eine sonnverbrannte Schönheit,« sagte der Wirth, »sie kann wohl Wind und Regen trotzen, ist aber nicht geeignet solchen Cavalieren zu gefallen, wie Ihr seid. Sie bleibt auf ihrem Zimmer, mein edler Gast, denn sie vermag nicht die Blicke so galanter Herren zu ertragen.«
»Nun denn, Friede sei mit ihr, mein guter Wirth,« antwortete Varney; »unsere Pferde sind ungeduldig. Wir sagen Euch Lebewohl.«
»Geht mein Neffe mit Euch, wenn ich fragen darf?« sagte Gosling.
»Ja, das ist seine Absicht,« entgegnete Richard Varney.
»Daran thust Du recht, – ganz recht,« versetzte der Wirth. »Du thust vollkommen recht daran, Vetter. Du reitest ein munteres Pferd, sieh Dich vor, halt' es fest am Strick, und solltest Du einmal durch einen Strick unsterblich werden, was Dein Vorsatz, diesem Herrn zu folgen, nicht unwahrscheinlich macht, so bitte ich Dich, such' Dir einen Galgen, der so weit als möglich von Cumnor entfernt ist; und somit empfehle ich Euch Euren Sätteln.«
Der Stallmeister und sein neuer Diener überließen es dem Gastwirth, sein unglückweissagendes Lebewohl für sich in Muße zu beschließen, und ritten im schnellen Trabe davon, so daß ihnen erst, als es einen steilen sandigen Hügel hinanging, möglich war, die Unterhaltung fortzusetzen.
»Du hast also Lust in Hofdienste zu treten?« fragte Varney seinen Begleiter.
»Ja, edler Herr, wenn Euch meine Bedingungen so gut gefallen, wie mir die Eurigen.«
»Und welche sind dies?« fragte Varney.
»Wenn ich meines Herrn Vortheil im Auge haben soll, so muß er auch Nachsicht mit meinen Fehlern haben,« sagte Lambourne.
»Ja wohl, wenn sie nur nicht so unverschämt daliegen, daß man die Schienbeine darüber brechen muß,« sagte Varney.
»Gewiß, das sollen sie nicht,« sagte Lambourne. »Dann muß ich, wenn ich ein Wild erlege, die Auswahl unter den Knochen haben.«
»Das ist nicht mehr als billig,« versetzte Varney; »doch müssen die, welche höher stehen als Du, die Vorhand haben.«
»Gut!« sagte Lambourne, »nun bleibt nur noch zu verabreden übrig, daß, wenn ich mit den Gesetzen in Zwiespalt gerathe, mein Patron mir heraushelfen muß; und das ist ein Hauptpunkt.«
»Auch das ist nicht mehr als billig,« sagte Varney, »wenn der Streit im Dienste Eures Herrn begann.«
»Von dem Lohn und dergleichen sage ich nichts,« versetzte Lambourne; »denn ich muß von geheimen Belohnungen leben.«
»Fürchte nichts,« sagte Varney; »Du sollst Kleider und Geld genug haben, um es dem Besten Deines Standes gleich zu thun, denn Du kommst in einen Haushalt, wo es Gold regnet wie man zu sagen pflegt.«
»Das Alles ist durchaus nach meinem Sinne,« sagte Michael Lambourne; »es bleibt nur noch übrig, mir den Namen meines Herrn zu nennen.«
»Mein Name ist Richard Varney,« versetzte sein Gefährte.
»Ich meine den Namen des edlen Lords, zu dessen Dienstmann Ihr mich erheben wollt,« entgegnete Lambourne.
»Wie, Du Schurke, bist Du zu gut, mich Deinen Herrn zu nennen?« fragte Varney hastig; »Du darfst keck gegen Andere, gegen mich aber nicht unverschämt sein.«
»Ich bitte Ew. Gnaden um Verzeihung,« sagte Lambourne. »Ihr scheint mit Anton Foster auf vertrautem Fuße zu stehen – nun ist dies auch bei mir der Fall –«
»Du bist ein schlauer Bursche, wie ich sehe,« versetzte Varney. »Versteh' mich wohl – ich will Dich allerdings in die Dienste eines Edelmanns bringen; doch wirst Du besonders in meiner Nähe zu thun haben und mußt auf meine Befehle hören. Ich bin sein Stallmeister – bald sollst Du seinen Namen erfahren – es ist Einer, vor dem der Geheimerath erbebt, und der den Staat nach Willkür lenkt.«
»Beim Sonnenlicht! ein vortrefflicher Zauberspruch,« sagte Lambourne, »um verborgene Schätze damit zu erheben.«
»Mit Vorsicht angewendet, mag er wohl dazu dienen können,« versetzte Varney; »aber wohl gemerkt – auf eigene Hand gebraucht, beschwört er Dir einen Teufel, der Dich in Stücke zerreißt.«
»Genug gesagt,« versetzte Lambourne, »ich werde meine Schranken nicht überschreiten.«
Darauf setzten die Reisenden ihren Ritt wieder in dem früheren raschen Trabe fort, der ihr Gespräch unterbrochen hatte, und gelangten bald in den königlichen Park von Woodstock. Dieses alterthümliche Krongut von England war damals in ganz anderem Zustande, als in den Zeiten, wo es der Wohnsitz der schönen Rosamunde war, und Heinrich der Zweite es zum Schauplatz seiner geheimen und unerlaubten Liebe benutzte. Noch mehr aber war es von dem Anblick verschieden, den es heutiges Tages gewährt, wo Blenheim House an Marlboroughs Sieg und Vanburghs Genie erinnert, obgleich zu seiner Zeit von Leuten getadelt, die viel weniger Geschmack besaßen, als er. Zu Elisabeths Zeit war es ein altes, schlecht unterhaltenes Schloß, welches zum großen Nachtheil des naheliegenden Dorfes schon längst aufgehört hatte, königliche Residenz zu sein. Die Einwohner hatten indeß mehrere Bittschriften an die Königin eingereicht, worin sie baten, sie doch von Zeit zu Zeit mit ihrer königlichen Gegenwart zu beglücken; und zu diesem Zweck hatte der edle Lord, den wir bereits unsern Lesern vorgeführt haben, wenigstens zum Scheine, Woodstock besucht.
Varney und Lambourne sprengten ohne viele Umstände in den Hof des alten verfallenen Schlosses, wo sich an jenem Morgen eine Scene geschäftigen Treibens zeigte, wie es seit zwei Regierungen nicht mehr der Fall gewesen war. Die Hausbeamten des Grafen, Livreebediente und anderes Gefolge kamen und gingen mit all dem lärmenden Uebermuth, der Leuten ihres Schlages eigen ist. Da hörte man das Wiehern der Pferde und das Gebell der Hunde; denn Mylord hatte als Oberaufseher des Schlosses und des dazu gehörigen Gutsbezirks, wie sich von selber versteht, die Mittel in Händen, seine Jagdlust in dem dazu gehörigen Thiergarten oder Park zu befriedigen, der am frühesten in England mit einer Einzäunung soll versehen gewesen sein, und worin das Wild, welches sich dort lange unbelästigt umhergetrieben, in Menge vorhanden war. Viele Dorfbewohner hatten sich in gespannter Erwartung eines günstigen Erfolges dieses ungewohnten Besuches in dem Schloßhofe versammelt und warteten auf das Erscheinen dieses großen Mannes. Durch Varney's eilige Ankunft wurde ihre Erwartung noch mehr gespannt, und das Gemurmel: »Der Stallmeister des Grafen!« lief durch die Menge. Alle bemühten sich, ihn für sich einzunehmen, indem sie ihre Mützen vom Kopfe nahmen und sich herzudrängten, um diesem begünstigten Hausbeamten und seinem Begleiter die Steigbügel zu halten.
»Tretet zurück, meine Herren!« sagte Varney in hochmüthigem Tone, »und laßt die Diener ihre Pflicht thun.«
Die gekränkten Landleute zogen sich zurück, während Lambourne, der sein Auge auf das Benehmen seines Vorgesetzten gerichtet hatte, die, welche ihm ihre Dienste anboten, noch übermüthiger zurückwies; »zurück, Ihr verwünschtes Bauernpack, laßt diese verdammten Bedienten thun, was ihres Amtes ist!«
Als sie den Dienern ihre Pferde übergeben hatten, und in das Schloß gingen, mit einem vornehmen Wesen, das Varney durch lange Gewohnheit und das Bewußtsein seiner edlen Geburt eigenthümlich war, und welches Lambourne nachzuahmen suchte, so gut er konnte, flüsterten die armen Bewohner von Woodstock einander zu: »Behüte uns Gott vor solchen übermüthigen Gelbschnäbeln! Wenn der Herr ist wie die Diener, so möge sie Alle der Teufel holen, wann er will.«
»Still, gute Nachbarn!« sagte der Schultheiß, »haltet Eure Zungen im Zaum, wir werden bald erfahren, wie wir daran sind. – Aber nie wird wohl ein Lord nach Woodstock kommen, der uns so willkommen ist, wie der gute alte König Heinrich! Der theilte einst einem Bauer mit Höchsteigener Hand Peitschenhiebe zu, und warf ihm dann als Schmerzensgeld eine Hand voll Silberstücke hin.«
»Friede sei mit ihm!« riefen die Umstehenden; »da könnten wir lange warten, bis diese Lady Elisabeth Einem von uns Peitschenhiebe gibt.«
»Davon ist keine Rede,« versetzte der Schultheiß; »indessen habt Geduld, Nachbarn, wir wollen uns damit trösten, daß wir solcher Gnade von den Händen Ihrer Majestät nicht unwerth sind.«
Inzwischen trat Varney, dem sein neuer Diener auf dem Fuße folgte, in den Saal, wo Leute von höherem Range und größerer Bedeutung auf das Erscheinen des Grafen warteten, der sein Schlafzimmer noch nicht verlassen hatte. Alle bezeigten Barney ihre Ehrerbietung nach Maßgabe ihres Ranges und der Anliegen, die sie zu dem Lever seines Gebieters führten. Auf die allgemeine Frage: »Wann wird Mylord erscheinen?« antwortete er kurz: »Seht Ihr denn nicht, daß ich noch in meinen Reitstiefeln bin? Ich komme direct von Oxford an, und kann Euch darüber keine Auskunft geben.« Auf dieselbe Frage eines Mannes von höherer Bedeutung erwiderte er aber: »Ich will mich bei dem Kämmerer Sir Thomas Copely erkundigen.« Der Kämmerer, an seinem silbernen Schlüssel kenntlich, antwortete, daß der Graf nur die Ankunft des Herrn Varney erwarte, um herunterzukommen, aber diesen vorher in seinem Cabinet sprechen wolle. Varney verbeugte sich darauf gegen die Anwesenden und ging in Mylords Zimmer.
Ein Gemurmel der Erwartung durchlief einen Augenblick die Versammlung, wurde aber endlich durch das Oeffnen der Flügelthüren am obern Ende unterbrochen, durch welche der Graf in die Halle trat. Sein Kämmerer und Haushofmeister gingen ihm voran und Richard Varney folgte. In seiner edlen Miene und in seinen majestätischen Zügen war nichts von dem Uebermuthe zu bemerken, welcher seinem Gefolge eigen war. Seine Grüße waren zwar nach dem Range Derer abgemessen, an die er sich wandte, doch auch den Geringsten unter den Anwesenden bezeigte er mit derselben Artigkeit seine Aufmerksamkeit. Seine Erkundigungen nach dem Zustande des Schlosses, über die mit der Besitzung verbundenen Rechte der Königin, die Vortheile und Bequemlichkeiten eines einstweiligen Aufenthaltes der Königin in Woodstock schienen zu zeigen, daß er die Bittschrift der Einwohner des Dorfes auf das Genaueste, und zwar mit dem Wunsche geprüft habe, das Interesse des Dorfes zu fördern.
»Nun, Gott sei Dank, der hat eine edle Miene,« sagte der Schultheiß, welcher sich in den Audienzsaal gedrängt hatte; »er sieht etwas blaß aus. Ich wette, er hat die ganze Nacht beim Durchlesen unserer Bittschrift zugebracht. Herr Toughyarn, der sechs Monate bedurfte, um sie aufzusetzen, sagte, es würde eine Woche dazu gehören, sie zu verstehen, und siehe da, der Graf hat keine vier und zwanzig Stunden gebraucht, das Mark davon herauszusaugen!«
Darauf kündigte der Graf den Anwesenden an, er wolle ihre königliche Gebieterin vermögen, Woodstock zuweilen mit ihrer Gegenwart zu beehren, damit diesem Orte und der Umgegend durch ihre Gnade und Unterstützung dieselben Vortheile zufließen möchten, welche sie von ihren Vorfahren genossen hätten. Indeß habe er die Freude, der Verkündiger ihrer königlichen Huld zu sein, indem er ihnen die Versicherung gebe, daß Ihre Majestät zur Belebung des Handels und zur Aufmunterung der würdigen Einwohner von Woodstock geruhen werde, den Ort zu einem Stapelplatz von Wolle zu erklären.
Diese frohe Nachricht wurde nicht nur von den angesehenern in den Audienzsaal zugelassenen Einwohnern, sondern auch von den ärmeren draußen stehenden Leuten mit allgemeinem Jubel aufgenommen.
Dem Grafen wurde das Bürgerrecht von der Ortsobrigkeit knieend überreicht, nebst einem Beutel mit Goldstücken, welchen der Graf Varney einhändigte, der Lambourne einen Theil davon als höchst willkommenes Handgeld zustellte.
Bald darauf stieg der Graf mit seinem Gefolge zu Pferde, um an den Hof zurückzukehren, von dem Jubelruf der Einwohner von Woodstock begleitet: »Lange lebe die Königin Elisabeth und der edle Graf von Leicester!« Die Leutseligkeit und Herablassung des Grafen verbreitete sogar einen Schein von Popularität über seine Dienerschaft, so wie ihr übermüthiges Benehmen früher die ihres Gebieters verdunkelt hatte, und als Varney und Lambourne, jeder nach seinem Range, stolz durch die Straßen von Woodstock ritten, hörte man den wiederholten Ruf: »Der Graf und seine stattlichen Begleiter leben hoch!«