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Zwei Herren dienen? – Dieser will's versuchen. –
Gott möcht' er dienen und dem Teufel auch
Sein Recht thun. Eh' er einen Schurkenstreich
Ausführt, spricht er andächtig sein Gebet
Und dankt dem Himmel, wenn er ihm gelungen.
Altes Schauspiel.
Das Zimmer, in welches der Besitzer von Cumnor-Place seinen würdigen Gast führte, war größer als das, worin sie sich zuerst unterhalten hatten, und sah noch verfallener und verwüsteter aus. Große eichene Bücherrepositorien mit Bretern von demselben Holze umgaben das Zimmer. Früher war darin eine große Büchersammlung aufgestellt gewesen, wovon noch viele übrig waren, aber zerrissen und entstellt, mit Staub bedeckt und ihrer kostbaren Schlösser und Einbände beraubt und in Haufen auf die Breter hingeworfen wie etwas, was man gar nicht geachtet, und der Willkür jedes Zerstörers überlassen. Die Regale selber schienen das Mißfallen jener Feinde der Gelehrsamkeit erfahren zu haben, welche die Bände zerstört hatten, womit sie bis dahin angefüllt gewesen. An verschiedenen Stellen waren sie ihrer Breter beraubt oder sonst zerbrochen und beschädigt, und überdies mit Spinnweben überzogen und mit Staub bedeckt.
»Die Leute, die diese Bücher schrieben,« sagte Lambourne, indem er sich umblickte, »haben wohl schwerlich gedacht, in wessen Hände sie fallen würden.«
»Noch welchen Dienst sie mir leisten würden,« sagte Anton Foster. »Die Köchin hat sie gebraucht, um ihr Küchengeräth damit zu scheuern, und der Bediente hat seit vielen Monaten nichts Anderes gehabt, um meine Stiefeln zu reinigen.«
»Und doch bin ich in Städten gewesen, wo man dergleichen gelehrte Bequemlichkeiten zu solchen Diensten würde für zu gut gehalten haben.«
»Pah, pah,« antwortete Foster, »sie sind papistischer Auswurf alle mit einander – Privatstudien des listigen alten Abts von Abingdon. Der neunzehnte Theil einer rein evangelischen Predigt wäre mehr werth, als ein Karren voll von dem, was die römischen Hunde zusammengescharrt haben.«
»Ei der Tausend, Tony Feuerbrand!« sagte Lambourne statt der Antwort.
Foster blickte ihn finster an, während er antwortete: »Hört, Freund Michel, vergeßt den Namen und den Umstand, worauf er sich bezieht, wenn Ihr nicht wollt, daß unsere erst eben wieder erneuerte Kameradschaft eines plötzlichen und gewaltsamen Todes sterbe.«
»Ei,« sagte Michel Lambourne, »Ihr pflegtet Euch ja des Antheils zu rühmen, den Ihr an dem Tode der beiden alten ketzerischen Bischöfe gehabt.«
»Das war, während ich mich in den Banden der Ungerechtigkeit befand und der Haß in mir glühte,« sagte sein Kamerad, »doch gehört es nicht zu meinen Wegen und Handlungen, jetzt da ich in die Schranken gerufen bin. Herr Melchisidec Maultext verglich mein Mißgeschick in dieser Sache mit dem des Apostels Paulus, der den Zeugen die Kleider hielt, welche den heiligen Stephan steinigten. Er redete drei Sonntage über diesen Gegenstand und erläuterte ihn durch die Handlungsweise einer gegenwärtigen achtbaren Person, womit er mich meinte.«
»Schweig, ich bitte Dich, Foster,« sagte Lambourne; »denn, ich weiß nicht wie es geschieht, es läuft mir kalt über den Rücken, wenn ich den Teufel die heilige Schrift citiren höre; und überdies, Mann, wie konntest Du das Herz haben, jene bequeme alte Religion zu verlassen, die Du so leicht wie Deinen Handschuh aus- und anziehen konntest? Erinnere ich mich nicht, wie Du Dein Gewissen bestimmt jeden Monat zur Beichte trugst? Und wenn der Priester es gescheuert, polirt und angeweißt hatte, so warst Du stets so bereit, wie man nur wünschen konnte, zu der ärgsten Schurkerei, gleich einem Knaben, der immer am meisten geneigt ist, durch den Koth zu rennen, wenn er sein reines Sonntagskleid anhat.«
»Bekümmere Dich nicht um mein Gewissen,« sagte Foster, »es ist etwas, was Du nicht verstehen kannst, da Du selber nie eins gehabt hast; doch laß uns sogleich zur Sache übergehen, und sage mir mit einem Worte, welches Geschäft Du bei mir hast, und welche Hoffnung Dich hieher geführt hat?«
»Gewiß, die Hoffnung, mich zu bessern,« antwortete Lambourne, »wie die alte Frau sagte, als sie zu Kingston über die Brücke sprang. Sieh, diese Börse enthält Alles, was mir übrig ist von einer so runden Summe, wie man sie nur in der weiten Hosentasche zu tragen wünschen kann. Du bist hier gut eingerichtet, wie es scheint, und hast vornehme Freunde, wie ich glaube, denn die Leute sagen, daß Du unter besonderer Protection stehst; Du kannst nicht in einem Netze tanzen, ohne daß man Dich sieht. Nun weiß ich, daß solche Protection nicht umsonst erkauft wird; Du mußt dagegen Dienste zu leisten haben, und dabei wünsche ich Dir zu helfen.«
»Aber wenn ich nun keines Beistandes von Dir bedarf, Michel? Ich meine, vermöge Deiner Bescheidenheit hättest Du vermuthen sollen, daß dies ein möglicher Fall sei.«
»Das heißt,« entgegnete Lambourne, »Du möchtest lieber den ganzen Handel an Dich reißen, als die Belohnung theilen; aber sei nicht zu habsüchtig, Anton. Habsucht macht, daß der Sack platzt und das Korn verschüttet wird. Wenn der Jäger ausgeht, um einen Hirsch zu tödten, so nimmt er mehr als einen Hund mit. Er hat den starken Spürhund, um das verwundete Wild über Hügel und Thal zu verfolgen; doch er hat auch den schnellen Windhund, um ihn beim ersten Anblick anzufallen. Du bist der Spürhund, ich bin der Windhund, und Dein Patron wird unseres beiderseitigen Beistandes bedürfen und wird uns schon dafür belohnen können. Du besitzest tiefe Verschlagenheit – feste Entschlossenheit – von Natur eine dauernde Bosheit, welche die meinige übertrifft. Dagegen aber bin ich kühner, schneller und mehr zum Handeln bereit. Getrennt sind unsere Eigenschaften nicht so vollkommen; aber vereinigt man sie, so treiben wir die Welt vor uns her. Was sagst Du – wollen wir zusammengekoppelt auf die Jagd gehen?«
»Es ist ein hündischer Vorschlag – Dich so in meine Privatangelegenheiten einzudrängen,« versetzte Foster; »doch Du warst immer ein schlecht gezogener Hund.«
»Du sollst nicht Ursache haben, das zu sagen, wenn Du meine Gefälligkeit nicht zurückweisest,« sagte Michael Lambourne; »doch wenn das ist, so hüte Dich wohl vor mir, Herr Ritter, wie es in der Romanze heißt. Ich will entweder Deine Rathschläge theilen oder sie vereiteln; denn ich bin hieher gekommen, um thätig zu sein, entweder mit Dir oder gegen Dich.«
»Nun, da Du mir eine so gute Wahl stellst,« sagte Anton Foster, »so will ich lieber Dein Freund als Dein Feind sein. Du hast Recht, ich kann Dich zu dem Dienste eines Patrons befördern, welcher Mittel genug hat, um uns Beide und noch Hundert mehr zu ernähren. Und um die Wahrheit zu sagen, Du bist zu dem Dienste wohl befähigt. Kühnheit und Geschicklichkeit verlangt er – die Gerichtsprotokolle zeugen günstig für Dich – keine Bedenklichkeiten in seinem Dienste – und wer hegte auch je den Verdacht, daß Du ein Gewissen habest? – Unerschrockenheit muß der besitzen, welcher einem Hofmanne dienen will – und Deine Stirne ist so undurchdringlich wie eine mailändische Maske. Nur Eins wünschte ich an Dir verbessert zu sehen.«
»Und was wäre das, mein Herzensfreund Tony?« versetzte Lambourne, »ich schwöre Dir beim Kopfkissen der Siebenschläfer, dem Dinge soll abgeholfen werden.«
»Du hast eben erst eine Probe davon geliefert,« sagte Foster. »Deine Rede klingt zu sehr nach der alten Weise. Sie ist noch immer mit seltsamen Schwüren ausstaffirt, die nach dem Papstthum schmecken. Ueberdies sieht man's Dir im Aeußern noch zu sehr an, daß Du ein ausschweifender, liederlicher Bursche bist, als daß Du in Sr. Herrlichkeit Dienste aufgenommen werden könntest; denn er muß seinen Ruf in den Augen der Welt zu erhalten suchen. Du mußt Deinen Anzug etwas verändern, und ihm eine ernstere und gesetztere Form geben, mußt Deinen Mantel auf beiden Schultern tragen und Deine Halskrause muß gestärkt und unzerknittert sein. Du mußt einen Hut mit breiter Krämpe, und nicht so übermäßig weite Beinkleider tragen – mußt alle Monat zur Kirche, oder noch besser in die Betstunde gehen – nur bei Ehr' und Gewissen schwören – Dir den übermüthigen Blick abgewöhnen und nie nach Deinem Schwerte greifen, als wenn Du diese weltliche Waffe in vollem Ernste gebrauchen willst.«
»Bei diesem Lichte, Anton, Du bist toll,« antwortete Lambourne, »und hast da den Diener einer Puritanerin, aber nicht den Dienstmann eines ehrgeizigen Hofmannes geschildert! Solch ein Ding, wie Du aus mir machen willst, sollte statt des Dolches ein Gebetbuch im Gürtel tragen und nicht mehr Mannhaftigkeit zeigen, als nöthig ist, eine stolze Bürgersfrau am St. Antonstage in die Kirche zu begleiten, und sie gegen einen flachmützigen Webstuhlritter zu vertheidigen, welcher ihr den Vortritt streitig macht. Wer im Gefolge eines Lords zu Hofe gehen will, muß sich auf andere Weise benehmen.«
»O glaub mir, Freund,« versetzte Foster, »es hat sich seit Deiner Zeit sehr Vieles in England geändert, und es gibt Leute, welche die kühnsten und geheimsten Wege einschlagen, ohne ein prahlerisches, profanes Wort oder einen Fluch im Gespräch verlauten zu lassen.«
»Das heißt,« entgegnete Lambourne, »sie handeln mit dem Teufel gemeinschaftlich, ohne jedoch seinen Namen in der Firma zu nennen. – Nun gut, ich will mein Möglichstes thun, mich zu verstellen, um in dieser Welt meinen Platz zu behaupten, wo man es so genau nimmt, wie Du sagst. Aber Anton, wie heißt der Edelmann, in dessen Dienste ich ein Heuchler werden soll?«
»Aha, Meister Michael, wollt Ihr da hinaus?« sagte Foster mit boshaftem Lächeln; »Ihr wollt mir die Fährte ablauern? – Wie wißt Ihr aber, daß es überhaupt einen solchen Lord in rerum natura gibt, und daß ich Euch nicht die ganze Zeit über zum Besten gehabt habe?«
»Du mich zum Besten gehabt, Du schwachköpfiger Tropf?« antwortete Lambourne unerschrocken. »Glaube mir, so tief im Kothe auch Deine Wege gehen mögen, so will ich mich doch anheischig machen, in Tagesfrist Dich und Deine Pläne so klar zu durchschauen, als wenn ich durch das bestäubte Horn einer alten Stalllaterne sähe.«
In diesem Augenblicke wurde ihre Unterhaltung durch einen Schrei im nächsten Zimmer unterbrochen.
»Beim heiligen Kreuz von Abingdon!« rief Anton Foster, der vor Schreck seinen Protestantismus vergaß, »ich bin ein verlorner Mann.«
Mit diesen Worten eilte er in das Zimmer, woher der Schrei kam, und Michael Lambourne folgte ihm. Um aber den Schrei zu erklären, der ihre Unterhaltung störte, müssen wir etwas in unserer Erzählung zurückgehen.
Wir haben bereits gesagt, daß Foster und Lambourne, als sie in das Bibliothekzimmer gingen, Tressilian in dem alterthümlichen Sprachzimmer zurückließen. Sein dunkles Auge warf ihnen einen verächtlichen Blick nach; doch rechnete er sich selber einen Theil dieser Verachtung zu, denn er machte sich einen Vorwurf daraus, auch nur auf einen Augenblick ihr vertrauter Gesellschafter geworden zu sein.
»Dies sind also die Menschen, Emma,« sagte er bei sich selber, »zu deren Umgang Dein grausamer Leichtsinn, Deine unbesonnene, höchst unverdiente Verachtung Denjenigen verdammte, von dem seine Freunde einst ganz andere Dinge hofften, und der sich jetzt verachten muß, weil er von Andern verachtet wird, daß er sich aus Liebe zu Dir so weit erniedrigen konnte! Aber unablässig will ich Deine Spur verfolgen, die Du einst der Gegenstand meiner reinsten und innigsten Zuneigung warst; obgleich Du mir von jetzt an nichts weiter sein kannst, als ein Wesen, welches ich beweine – so will ich Dich doch vor Deinem Verführer, vor Dir selber beschützen – ich will Dich Deinen Eltern – Deinem Gotte zurückgeben. Ich kann dem hellen Sterne nicht gebieten, wieder in die Sphäre zu leuchten, aus welcher er gewichen ist, aber –«
Ein leises Geräusch im Zimmer unterbrach seine Träumerei; er blickte um sich und erkannte in dem schönen und reich gekleideten Frauenzimmer, welches in diesem Augenblicke durch eine Seitenthür eintrat, den Gegenstand seiner Nachforschung. Der erste Eindruck, den diese Entdeckung auf ihn machte, veranlaßte ihn, sein Gesicht mit dem Kragen seines Mantels zu bedecken, bis er einen günstigen Augenblick finden werde, sich ihr zu zeigen. Doch seine Absicht wurde von der jungen Dame vereitelt – sie war nicht über neunzehn Jahre alt – welche freudig auf ihn zueilte, ihn am Mantel zupfte und scherzend sagte:
»Nein, mein süßer Freund, nachdem ich so lange auf Dich gewartet habe, darfst Du nicht Verstecken mit mir spielen, da Du endlich zu mir kommst. – Du bist des Verraths an treuer Liebe und zärtlicher Neigung verklagt, mußt vor Gericht erscheinen und Dich mit unbedecktem Gesichte verantworten. Was sagst Du, schuldig oder nicht?«
»Ach Emma!« sagte Tressilian in leisem, schwermüthigem Tone, als er sich den Mantel vom Gesichte ziehen ließ. Der Ton seiner Stimme und noch mehr der unerwartete Anblick seines Gesichts verscheuchten augenblicklich die scherzende Stimmung der Dame. Sie bebte zurück, wurde todtenblaß und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Tressilian selber war einen Augenblick sehr ergriffen, doch da er sich der Nothwendigkeit zu erinnern schien, die Gelegenheit zu benutzen, welche vielleicht nicht wiederkehren würde, so sagte er mit leiser Stimme: »Emma, fürchtet mich nicht.«
»Warum sollte ich Euch fürchten?« sagte die Dame, indem sie ihre Hände von ihrem schönen Gesichte entfernte, welches jetzt mit hohem Roth bedeckt war, – »warum sollte ich Euch fürchten, Herr Tressilian? Und warum, mein Herr, habt Ihr Euch uneingeladen und unerwünscht in meine Wohnung eingedrängt?«
»In Eure Wohnung, Emma!« sagte Tressilian. »Ach, ist ein Gefängniß Eure Wohnung? – ein Gefängniß, von einem der schmutzigsten Männer bewacht, der aber bei alledem kein größerer Schuft ist, als sein Herr.«
»Dieses Haus ist mein,« sagte Emma, »mein, so lange es mir gefällt, darin zu wohnen. Wenn es mir Vergnügen macht, in der Einsamkeit zu leben, wer wird es mir verbieten?«
»Euer Vater, Mädchen,« antwortete Tressilian – »Euer Vater, dessen Herz gebrochen ist, und der mich mit der Vollmacht ausgestattet abschickte, die er nicht persönlich anwenden kann. Hier ist sein Brief, geschrieben, während er sich wegen seines Körperschmerzes glücklich pries, weil derselbe seine Seelenqual einigermaßen betäubte.«
»Schmerz? – Ist mein Vater denn krank?« sagte die Dame.
»So krank,« antwortete Tressilian, »daß selbst Eure äußerste Eile ihn nicht wieder gesund machen könnte; doch soll Alles im Augenblicke zu Eurer Abreise bereit sein, sobald Ihr dazu Eure Einwilligung gebt.«
»Tressilian,« antwortete die Dame, »ich kann, ich darf, ich wage nicht, diesen Ort zu verlassen. Geht zu meinem Vater zurück – sagt ihm, ich werde mir Erlaubniß verschaffen, ihn binnen zwölf Stunden zu besuchen. Geht zurück, Tressilian, – sagt ihm, ich sei wohl, ich sei – glücklich – glücklich, wenn ich denken könnte, daß er es auch wäre – sagt ihm, er solle nicht fürchten, daß ich ausbleiben werde. Ich werde kommen, und auf solche Weise, daß er allen Schmerz vergessen wird, den die arme Emma ihm verursacht hat – die arme Emma ist jetzt größer, als sie sagen darf. – Geht, guter Tressilian – ich habe auch Euch Leid zugefügt, aber glaubt mir, ich habe Macht, die Wunden zu heilen, die ich geschlagen habe – ich beraubte Euch eines kindischen Herzens, welches Eurer nicht werth war, und ich kann den Verlust mit Rang und Erhöhung bezahlen.«
»Sagt Ihr mir das, Emma? – Bietet Ihr mir das Schaugepränge eitlen Ehrgeizes für den ruhigen Frieden, dessen Ihr mich beraubt habt? – Doch lassen wir das – ich kam nicht, um Euch zu tadeln, sondern um Euch zu dienen und Euch zu befreien. – Ihr könnt es mir nicht verleugnen, Ihr seid eine Gefangene. Sonst würde Euer zärtliches Herz – denn es war einst ein zärtliches Herz – schon an der Seite Eures kranken Vaters sein. – Kommt – armes, getäuschtes, unglückliches Mädchen, – Alles soll vergessen – Alles soll vergeben sein. Fürchtet nicht meine Zudringlichkeit, denn unsere Uebereinkunft war nur ein Traum – und ich bin erwacht. Aber kommt – Euer Vater lebt noch – kommt, ein Wort der Zärtlichkeit – eine Thräne der Reue wird das Andenken an alles Vergangene auslöschen.«
»Habe ich nicht schon gesagt, Tressilian,« erwiderte sie, »daß ich gewiß zu meinem Vater kommen will, und zwar ohne weitern Aufschub als nothwendig ist, um mich anderer, gleich bindender Pflichten zu entledigen? – Geht, und bringt ihm die Nachricht – ich komme, so gewiß wie die Sonne am Himmel scheint – das heißt, wenn ich Erlaubniß erhalte.«
»Erlaubniß? – Erlaubniß, Euren Vater auf dem Krankenbette, vielleicht auf dem Sterbebette zu besuchen!« wiederholte Tressilian ungeduldig; »und Erlaubniß von wem? – Von dem Schurken, welcher unter der Maske der Freundschaft jede Pflicht der Gastlichkeit verletzte und Dich aus dem Hause Deines Vaters stahl!«
»Schmähe ihn nicht, Tressilian! – Der, von dem Du redest, führt ein Schwert, so scharf, ja schärfer als das Deinige, eitler Mann – denn die besten Thaten, die Du im Frieden wie im Kriege vollbrachtest, waren ebenso unwürdig, neben den seinigen genannt zu werden, als Dein unbedeutender Rang sich der Sphäre gleich zu stellen, worin er sich bewegt. – Verlaß mich! Geh und richte meine Botschaft an meinen Vater aus, und wenn er wieder zu mir sendet, möge er einen willkommenern Boten wählen.«
»Emma,« versetzte Tressilian ruhig, »Du bringst mich nicht auf durch Deine Vorwürfe. Sage mir nur eins, damit ich wenigstens meinem alten Freunde einen Schimmer von Trost bringen kann. – Diesen seinen Rang, dessen Du Dich rühmst – theilst Du ihn mit ihm, Emma? – Hast Du das Recht einer Gattin, so daß dadurch Deine Handlungen beschränkt sind?«
»Zügele Deine verleumderische Zunge!« sagte die Dame; »auf keine Frage, die meiner Ehre Eintrag thut, werde ich Antwort ertheilen.«
»Ihr habt genug gesagt, indem Ihr die Antwort verweigert,« antwortete Tressilian. »So unglücklich und elend Ihr seid, bin ich mit der Vollmacht Eures Vaters ausgerüstet, und will Euch selbst wider Euren Willen von der Sclaverei der Sünde und des Elends befreien.«
»Droht hier mit keiner Gewalt!« rief die Dame und zog sich von ihm zurück, durch die Entschlossenheit beunruhigt, welche sich in seinem Benehmen und in seinen Blicken ausdrückte. »Droht mir nicht, Tressilian, denn ich habe die Mittel, Eurer Gewalt zu begegnen.«
»Doch werdet Ihr sie nicht in einer solchen Sache anwenden wollen,« sagte Tressilian. – »Mit Deinem Willen – mit Deinem freien und natürlichen Willen kannst Du diesen Zustand der Sclaverei und Unehre nicht gewählt haben; – Du bist durch einen Zauber gebunden – durch List gefangen und wirst jetzt durch ein erzwungenes Gelübde zurückgehalten. – Aber so breche ich den Zauber: Emma, im Namen Deines trefflichen, tiefbekümmerten Vaters gebiete ich Dir, mir zu folgen!«
Während er sprach, näherte er sich ihr und breitete seine Arme aus, als wollte er sich ihrer bemächtigen. Doch sie wich vor ihm zurück und stieß den Schrei aus, welcher, wie vorher erwähnt, Lambourne und Foster in das Zimmer führte.
Der Letztere rief, als er eintrat: »Feuer und Schwert! was geht hier vor?« dann redete er die Dame in halb bittendem, halb befehlendem Tone an: »Alle Wetter! Madame, was thut Ihr außer Eurem Gebiet? – Zieht Euch zurück – es handelt sich hier um Leben und Tod. – Und Ihr, Freund, wer Ihr auch sein möget, verlaßt dieses Haus, ehe mein Degengriff mit Eurem Schädel Bekanntschaft macht. – Zieh Dein Schwert Michel, und befreie uns von diesem Kerl!«
»Bei meiner Seele! das thue ich nicht,« versetzte Lambourne; »er kam in meiner Gesellschaft hieher und ist nach dem Gesetze der Beutelschneider wenigstens so lange sicher, bis wir uns wieder treffen. – Aber hört, mein walisischer Kamerad, Ihr habt eine walisische Windsbraut, oder einen Orkan mitgebracht, wie sie es in Indien nennen. Macht Euch selten, – verschwindet – oder wir fordern Euch vor den Richter von Halgaver, und zwar ehe sich Dudman und Ramhead Zwei Vorgebirge an der Küste von Cornwall. begegnen.«
»Hinweg, gemeiner Knecht!« sagte Tressilian; – »und Ihr, Madame, lebt wohl – das wenige Leben, welches noch in der Brust Eures Vaters übrig ist, wird bei der Nachricht, die ich ihm mitzutheilen habe, vollends dahinschwinden.«
Er entfernte sich und die Dame sagte leise, als er das Zimmer verließ: »Tressilian, übereilt Euch nicht – sagt nichts, was zu meinem Nachtheil gereicht.«
»Das ist eine hübsche Geschichte,« sagte Foster. »Ich bitte Euch, Mylady, geht auf Euer Zimmer und laßt uns überlegen, wie wir dies verantworten wollen. Nein, zögert nicht.«
»Ich entferne mich nicht auf Euer Geheiß, mein Herr,« antwortete die Dame.
»Ihr werdet es aber doch müssen, schöne Dame,« versetzte Foster, »entschuldigt meine Freiheit; doch bei Blut und Nägeln! dies ist keine Zeit zu Höflichkeiten – Ihr müßt auf Euer Zimmer gehen. – Michel, folge jenem Narren, und wenn Du Dein Fortkommen wünschest, so sieh zu, daß er sich rasch von unserem Gebiete entfernt, während ich diese halsstarrige Dame zur Vernunft bringe. Zieh Dein Schwert und folge ihm.«
»Ich will ihm folgen und ihn sicher aus Flandern begleiten,« sagte Michael Lambourne; »doch einem Manne etwas zu Leide zu thun, mit dem ich meinen Morgentrunk eingenommen habe, ist durchaus gegen mein Gewissen.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Mittlerweile ging Tressilian mit hastigen Schritten auf dem ersten Wege fort, der ihn durch den wilden und verwachsenen Park zu führen verhieß, worin Foster's Haus lag. Hast und Gemüthsbewegung führten seine Schritte irre, und anstatt den Gang einzuschlagen, der nach dem Dorfe zuging, wählte er einen andern, auf welchem er, nachdem er ihn eine Zeitlang mit hastigen und sorglosen Schritten verfolgt hatte, zu der andern Seite der Besitzung gelangte, wo eine Hinterpforte durch die Mauer ins Freie führte.
Tressilian stand einen Augenblick still. Es war ihm gleichgültig, auf welchem Wege er den Ort verließ, der jetzt seiner Erinnerung so verhaßt war; doch schien es wahrscheinlich, daß die Pforte verschlossen, und ihm der Ausgang nach dieser Richtung hin versperrt sei.
»Ich muß dennoch den Versuch machen,« sagte er zu sich selber; »das einzige Mittel, dieses verlorne, unglückliche, aber dennoch höchst liebenswürdige Mädchen zurückzufordern, wird darin bestehen, daß ihr Vater die zerrütteten Gesetze dieses Landes in Anspruch nimmt. – Ich muß eilen, ihm diese herzbrechende Nachricht zu bringen.«
Während Tressilian so mit sich selber redete, näherte er sich der Thür, um sie zu öffnen, oder hinüberzuklettern, als er bemerkte, daß von außen ein Schlüssel in das Schloß gesteckt wurde.
Die Thür öffnete sich, und ein Cavalier, welcher sich in einen weiten Reitermantel gehüllt hatte und einen Hut mit breitem Rande und schwankender Feder trug, trat ein und stand nur vier Schritte vor dem, der hinauszugehen begierig war. Beide riefen zugleich in Tönen des Zorns und der Ueberraschung, der Eine »Varney!« der Andere »Tressilian!«
»Was macht Ihr hier?« war die finstere Frage, die der Fremde an Tressilian richtete, als der Augenblick des Erstaunens vorüber war, »was macht Ihr hier, wo Eure Gegenwart weder erwartet noch gewünscht wird?«
»Und was macht Ihr hier, Varney?« versetzte Tressilian. »Seid Ihr gekommen, über die Unschuld zu triumphiren, die ihr vernichtet habt, gleich dem Geier oder dem Raben, der auf das Lamm niederschießt, dem er zuvor die Augen ausgehackt hat? – Oder seid Ihr gekommen, der verdienten Rache eines rechtschaffenen Mannes zu begegnen? – Zieh, Du Schurke, und vertheidige Dich!«
Tressilian zog sein Schwert während er sprach; aber Barney legte nur die Hand an den Griff des seinigen, als er erwiderte: »Du bist toll, Tressilian, – ich gestehe, daß der Schein gegen mich ist, aber bei allen Eiden, die ein Priester vorsagen oder ein Mann schwören kann, ich habe Mistreß Emma Robsart nichts zu Leide gethan, und in der That wäre es mir zuwider, Dich in dieser Angelegenheit zu verletzen – Du weißt, ich kann fechten!«
»Ich habe es Dich sagen hören, Varney,« versetzte Tressilian; »aber jetzt möchte ich gern einen bessern Beweis haben, als Dein eigenes Wort.«
»Daran soll es nicht fehlen, wenn mir nur Klinge und Griff treu sind,« antwortete Varney. Darauf zog er sein Schwert mit der rechten Hand, warf seinen Mantel um seinen linken Arm und griff Tressilian mit einem Muthe an, der ihm für den Augenblick den Vortheil des Kampfes zu gewähren schien. Doch dieser Vortheil währte nicht lange. Tressilian war entschlossen, sich zu rächen und besaß eine Hand und ein Auge, welche bewundernswürdig zu dem Gebrauche des Schwertes geeignet waren, so daß Varney, der sich jetzt sehr in der Enge befand, seine überlegene Kraft anzuwenden suchte, um dem Leben seines Gegners ein Ende zu machen. Zu diesem Zwecke ließ er einen von Tressilian's Hieben unparirt und fing ihn mit dem Arme auf, um den er seinen Mantel gewickelt hatte, und ehe noch sein Gegner das Schwert wieder losmachen konnte, machte er einen Ausfall auf ihn und faßte zugleich sein Schwert kürzer an, um ihn niederzustoßen. Doch Tressilian war auf seiner Hut, zog seinen Dolch und parirte mit der Klinge dieser Waffe den Stoß, welcher sonst dem Kampfe ein Ende gemacht haben würde. Bei dem Ringen, welches jetzt erfolgte, zeigte er so große Gewandtheit, daß man in der Meinung hätte bestärkt werden können, daß er wirklich aus Cornwall sei, dessen Bewohner so große Meister in der Kunst des Ringens sind, daß, wenn die Spiele des Alterthums wieder auflebten, sie im Stande sein würden, ganz Europa auf den Kampfplatz zu fordern. Bei seinem mißlungenen Versuche that Varney einen so heftigen Fall, daß sein Schwert mehrere Schritte von ihm wegflog und sein Gegner ihm den Dolch an die Kehle gesetzt hatte, ehe er sich wieder erheben konnte.
»Gebt mir augenblicklich die Mittel an, das Opfer Eurer Verrätherei zu befreien,« sagte Tressilian, »oder Ihr seht die Sonne zum letzten Mal.«
Und während Varney, zu verwirrt oder zu trotzig, um antworten zu können, eine plötzliche Bewegung machte, um aufzustehen, erhob sein Gegner den Arm und würde seine Drohung vollführt haben, hätte nicht Michael Lambourne, durch das Geklirr der Schwerter geleitet, den Stoß aufgefangen und Varney das Leben gerettet.
»Kommt, Kamerad,« sagte Lambourne, »hier ist genug gethan – mehr als genug – zäumt Euren Fuchs auf und laßt uns davontraben – der Schwarze Bär brummt nach uns.«
»Zurück, Verworfener!« sagte Tressilian, indem er sich von Lambourne losmachte; »wagst Du zwischen mich und meinen Feind zu treten?«
»Verworfener?« wiederholte Lambourne; »das soll mit kaltem Stahl ausgeglichen werden, sobald eine Bowle Sect das Andenken an den Morgentrunk, den wir mit einander gethan, weggewaschen hat. Inzwischen macht Euch auf die Beine und entfernt Euch – wir sind Zwei gegen Einen.«
Er redete die Wahrheit, denn Varney hatte die Gelegenheit benutzt, sein Schwert wieder aufzunehmen, und Tressilian sah ein, daß es Wahnsinn sei, den ungleichen Kampf fortzusetzen. Er nahm seine Börse von der Seite, zog zwei Goldstücke hervor, warf sie Lambourne zu und sagte:
»Hier, Kerl, ist Dein Morgenlohn. Du sollst nicht sagen können, daß Du unbezahlt mein Führer gewesen bist. – Varney, lebt wohl – wir werden uns wieder treffen, wo Niemand zwischen uns treten wird.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging durch die Pforte. Varney schien keine Neigung oder keine Kraft zu haben, seinem Feinde zu folgen, denn er hatte einen harten Fall gethan. Doch blickte er ihm finster nach, als er sich entfernte und sagte dann zu Lambourne: »Bist Du ein Kamerad von Foster, guter Bursche?«
»Wir sind geschworne Freunde, wie Heft und Klinge,« versetzte Michael Lambourne.
»Hier ist ein Goldstück für Dich – folge jenem Kerl, sieh zu, wo er einkehrt, und bringe mir Nachricht hieher. Sei verschwiegen und vorsichtig, Bursche, wenn Dir Dein Hals lieb ist.«
»Genug gesagt,« versetzte Lambourne; »ich kann der Fährte folgen trotz dem besten Spürhunde.«
»So geh' denn,« sagte Varney, indem er sein Schwert einsteckte; dann kehrte er Lambourne den Rücken und ging langsam auf das Haus zu. Michael Lambourne verweilte nur einen Augenblick, um die Goldstücke aufzuheben, welche sein ehemaliger Gefährte ihm so ohne alle Umstände zugeworfen hatte, und murmelte bei sich selber, während er sie nebst Varney's Geschenk in seine Börse steckte: »Ich redete jenen Einfaltspinseln von Eldorado – beim heiligen Antonius! es gibt kein Eldorado für Leute unseres Schlages, welches dem guten Altengland gleicht! Es regnet Goldstücke. Beim Himmel, sie liegen wie Thautropfen auf dem Grase – man darf sie nur auflesen. Und wenn ich nicht meinen Antheil an solchen schimmernden Thautropfen habe, so möge mein Schwert gleich einem Eiszapfen schmelzen!«