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Ein Mann, der den Tod für nichts schrecklicheres ansieht, als den Schlaf eines Trunkenen; sorglos, furchtlos, so in Bezug auf das Vergangene, wie auf das Gegenwärtige und Künftige.
Maaß für Maaß.
Glossin hatte sich Alles sorgfältig aufgemerkt, was er durch jene Nachforschungen erfahren hatte. Es war dadurch für ihn freilich wenig Licht auf die ganze Angelegenheit geworfen worden, aber der besser unterrichtete Leser ist mittelst jener Untersuchungen von Browns Verfahren unterrichtet worden, von dem Augenblicke, wo er nach Kippletringan ging, bis zu der Zeit, wo er, von Eifersucht gepeinigt, so rasch und unbedacht vor Julie Mannering trat, und dem Zwist, der sein Erscheinen fast zu einem unglücklichen Schlusse führte.
Glossin ritt langsam zurück nach Ellangowan, erwägend, was er gehört hatte; und mehr und mehr kam er zu der Ueberzeugung, daß er eine günstige Gelegenheit haben werde, sich bei Hazlewood und Mannering in Gunst zu setzen, wenn es ihm glücken sollte, die geheimnißvolle Geschichte aufzuklären. Er glaubte vielleicht auch, daß er, um nicht den Ruf eines scharfsinnigen Beamten auf's Spiel zu setzen, alles aufbieten müsse, um einen glücklichen Erfolg herbeizuführen. Als er von Kippletringan nach seiner Wohnung zurückkam, hörte er daher mit großer Freude die Dienstleute hastig verkünden, »daß Mac-Guffog, der Häscher, und zwei oder drei Gehilfen einen Mann in der Küche hätten und auf Sr. Gestrengen warteten.«
Er sprang sogleich vom Pferde und eilte in's Haus. »Schickt meinen Schreiber sogleich hieher, ihr findet ihn bei der Arbeit im grünen Zimmer. Macht Alles zurecht in meiner Studierstube und rollt den großen ledernen Stuhl zum Schreibtisch; setzt einen Stuhl für Mr. Scrow hin. – Scrow« (dies sagte er zu dem Schreiber, als er das Empfangzimmer betrat,) »langt mir Sir Georg Mackenzie über Verbrechen herunter; schlagt die Stelle auf Vis publica et privata, und zeichnet die Seite, wo die Abhandlung »über das Tragen unerlaubter Waffen« steht. Und sodann laßt den Gefangenen herbeibringen – ich hoffe, ich werde ihn gehörig ausforschen – doch halt, erst soll Mac-Guffog kommen. – Nun, Mac-Guffog, wo fandet ihr diesen Burschen?«
Mac-Guffog, ein stämmiger, krummbeiniger Kerl, mit einem Hals, wie ein Stier, einem Gesicht, wie ein Feuerbrand, und furchtbar mit dem linken Auge schielend, begann, nach mancherlei seltsamen Verbeugungen vor dem Richter, seine Geschichte zu erzählen, indem er dabei immer auf besondere Weise mit dem Kopf nickte oder mit dem Auge winkte, woraus sich auf eine vertraute Ideengemeinschaft mit dem Erzähler und seinem Zuhörer schließen ließ. »Ew. Gestrengen müssen wissen, ich ging nach jenem Hause, wovon Ihr spracht, und welches sie inne hatte, die Ihr kennt, an der Seeseite. – Nun fragte sie, was ich vorhätte? ihr bringt gewiß etwas von Ellangowan? – Ei, sagt ich, ihr kennt ja den Herrn von Ellangowan selber von frühern Zeiten« –
»Schon gut,« sagte Glossin, »keine Weitläufigkeiten, erzählt das Wesentliche.«
»Nun gut, wir saßen bei einem Gläschen Branntwein, den ich mir hatte geben lassen, bis er hereinkam.«
»Wer?«
»Er!« dabei zeigte er mit rückwärtsgebogenem Daumen nach der Küche, wo der Gefangene bewahrt wurde. Er hatte seinen Mantel um sich gewickelt und ich vermuthete, daß er nicht waffenlos wäre. Da dacht' ich, das Beste wäre, ihn recht sicher zu machen und fing so vertraut mit ihm zu schwatzen an, daß er glaubte, ich wäre von der Insel Man. Ich setzte mich zwischen ihn und sie, damit sie ihm keinen Wink geben sollte. Als wir nun im besten Trinken waren, wettete ich mit ihm, er könnte nicht, ohne abzusetzen, ein Quart Branntwein austrinken – darauf versuchte er das – und im gleichen Augenblicke kamen Slounging Jock und Dick Spur'em herein, wir legten ihm die Ketten an und fingen ihn so ruhig wie ein Lamm; nun hat er seinen Hieb schon wieder ausgeschlafen und ist so munter wie ein Maikäfer, um Euch auf Alles Antwort geben zu können.« Diese Erzählung, von einer Menge Geberden und Grimassen begleitet, ärntete am Schlusse den Dank und das Lob, welches der Erzähler erwartete.
»Hat er keine Waffen?« fragte der Richter.
»Ei wohl, die sind nie ohne Dolche und Messer.«
»Etwa Papiere?«
»Dies Bündel,« sagte Mac-Guffog, indem er ein altes Taschenbuch darreichte.
»Geht nun hinunter, Mac-Guffog, und wartet.« Der Gerichtsdiener verließ das Zimmer.
Das Klirren von Eisenketten ward unmittelbar nachher auf der Treppe gehört, und nach wenigen Minuten wurde ein gefesselter Mann hereingeführt. Er war dick, rüstig und muskulös, und obwohl sein ergrautes Haar ein schon vorgerücktes Alter andeutete, auch seine Statur keineswegs lang war, so schien er dennoch ein Mensch, mit welchem wenige zu einem persönlichen Kampfe geneigt sein mochten. Seine groben und wilden Züge waren noch geröthet und auch seinem Auge sah man noch die Spuren des Rausches an, welcher seine Gefangenschaft herbeigeführt hatte. Aber der, wenn auch kurze Schlaf, den ihm Mac-Guffog vergönnt hatte, und noch mehr das Bewußtsein von seiner gefährlichen Lage, hatte ihm den vollen Gebrauch seiner Geisteskräfte wiedergegeben. Der würdige Richter und der nicht minder achtbare Gefangene blickten einander eine Zeitlang ohne zu sprechen fest in's Auge. Glossin erkannte offenbar seinen Gefangenen wieder, schien aber in Verlegenheit zu sein, wie er seine Untersuchung einrichten solle. Endlich brach er das Schweigen. »Ach, Capitain, Ihr seid's? – Ihr seid an dieser Küste seit vielen Jahren fremd geworden.«
»Fremd?« erwiederte der Andere; »fremd genug, glaub' ich – denn hol' mich der Teufel, wenn ich schon einmal hier gewesen bin.«
»Damit kommt Ihr nicht durch, Herr Capitain.«
»Damit muß ich durchkommen, Herr Richter – Sapperment!«
»Und wer wollt Ihr denn jetzt sein und wie soll man Euch nennen,« sagte Glossin, »bis ich einige andere Leute holen lasse, die Euer Gedächtniß auffrischen werden in Betreff dessen, was Ihr seid oder zum wenigsten was Ihr gewesen seid?«
»Was ich bin? – Donner und Blitz! ich bin Jans Janson, von Kuxhaven – Was soll ich sonst sein?«
Glossin nahm aus einem Kasten im Zimmer ein Paar kleine Taschenpistolen, die er mit ausfallender Sorgfalt lud. »Ihr könnt abtreten,« sagte er zu seinem Schreiber, »und die Leute mit Euch nehmen, Scrow – aber bleibt in der Nähe, damit Ihr hört, wenn ich rufe.«
Der Schreiber hätte gern seinen Vorgesetzten an die Gefahr erinnert, mit einem so verzweifelten Menschen allein zu bleiben, wenn dieser gleich durch die Fesseln so ziemlich zur Unthätigkeit genöthigt war; aber Glossin winkte ihm ungeduldig zu, sich zu entfernen. Als er hinausgegangen war, ging der Friedensrichter rasch einigemal auf und ab, rückte seinen Stuhl sodann dem Gefangenen gegenüber, so daß er ihm vollkommen in's Gesicht schauen konnte, legte die Pistolen vor sich hin in Bereitschaft, und sagte mit fester Stimme: »Ihr seid Dirk Hatteraick, nicht wahr?«
Der Gefangne wandte den Blick instinktmäßig nach der Thür, als wenn er einen Lauscher fürchtete. Glossin stand auf, öffnete die Thür, so daß sich der Gefangene von seinem Stuhl aus völlig überzeugen konnte, es sei Niemand in der Nähe; darauf schloß er die Thür wieder, nahm seinen Stuhl ein und wiederholte seine Frage: »Ihr seid Dirk Hatteraick, früher auf der Jungfrau Haagenslaapen, nicht wahr?«
»Tausend Teufel! – und wenn Ihr das wißt, warum fragt Ihr mich?« sagte der Gefangene.
»Weil ich erstaunt bin, Euch gerade an dem Orte zu sehn, wo Ihr am wenigsten sein solltet, wenn Euch Eure Sicherheit lieb ist,« bemerkte Glossin kalt.
»Der Teufel! – kein Mensch liebt seine eigene Sicherheit, der so zu mir spricht!«
»Wie? unbewaffnet und in Fesseln! – wohlgesprochen, Capitain!« erwiederte Glossin ironisch. »Jedoch, Capitain, damit werdet Ihr nichts ausrichten; schwerlich kommt Ihr fort aus diesem Lande, ohne über ein kleines Ereigniß Nachricht gegeben zu haben, welches vor einigen Jahren bei der Warrochspitze stattfand.«
Hatteraicks Blicke wurden finster wie Mitternacht.
»Was mich betrifft,« fuhr Glossin fort, »so habe ich keinen Vortheil davon, hart mit einem alten Bekannten zu verfahren – aber ich muß meine Pflicht thun – ich werde Euch noch heute in einer Postkutsche nach Edinburg schicken.«
»Kreuz Donner! das werdet Ihr doch nicht thun?« sagte Hatteraick in einem leisern und demüthigern Tone; »ei, hattet Ihr nicht die halbe Ladung in Wechseln auf Vanbeest und Vanbrüggen erhalten?«
»Das ist so lange her, Capitain Hatteraick,« sagte Glossin, »daß ich wirklich vergessen habe, welchen Lohn ich für meine Mühe erhielt.«
»Eure Mühe? für Euer Schweigen, wollt Ihr sagen.«
»Es war eine Geschäftssache,« sagte Glossin, »und ich habe mich seit einiger Zeit von Geschäften zurückgezogen.«
»Gut, aber ich habe eine Nachricht, die Euch wohl veranlassen könnte, die alte Laufbahn wieder mit Eifer zu betreten,« antwortete Dirk Hatteraick. »Ja, Mann, ich wollt' Euch, hol mich der Teufel, besuchen, und Euch etwas sagen, was Euch betrifft.«
»Von dem Knaben?« sagte Glossin unruhig.
»Ja, Mynheer,« erwiederte der Capitain kalt.
»Er lebt nicht mehr, nicht wahr?«
»So lebendig ist er, wie Ihr oder ich,« sagte Hatteraick.
»Guter Gott! – aber in Indien?« rief Glossin.
»Nein, tausend Teufel, hier! hier an Eurer verfluchten Küste,« bestätigte der Gefangene.
»Aber Hatteraick, dies, (wenn es nämlich wahr ist, was ich nicht glaube,) dies wird uns beide ruiniren, denn er muß sich wohl Eurer Behandlung erinnern; und was mich betrifft – für mich wird es die ärgsten Folgen haben! Es wird uns beide ruiniren, sag' ich Euch.«
»Ich sag' Euch,« bemerkte der Seemann, »es wird Niemand außer Euch ruiniren – denn ich bin es schon, und wenn ich nicht diesmal davon komme, so soll Alles aus sein.«
»Aber,« sagte der Richter unwillig, »was brachte Euch denn an diese Küste zurück, gleich einem Tollen?«
»Nun, Alles Geld war fort, das Haus war wankend, und ich dachte, die alte Geschichte wäre mit Gras überwachsen und vergessen,« antwortete der würdige Seemann.
»Hm – was läßt sich thun?« sagte Glossin besorgt. »Ich wage nicht, Euch loszulassen – aber Ihr könnt das ja unterwegs zu Stande bringen – ja, gewiß – ein Wort dem Leutnant Brown, – und ich lasse die Leute mit Euch den Weg am Strande nehmen.«
»Nein, nein, das geht nicht – Brown ist todt – erschossen – der Teufel hat ihn geholt.«
»Todt? – Erschossen? – bei Woodbourne, vermuthlich?« erwiederte Glossin.
»Ja, Mynheer.«
Glossin schwieg. Der Angstschweiß trat auf seine Stirn, während der rohe Unhold, der ihm gegenübersaß, kaltblütig seinen Tabak kaute und dabei in den Kamin spuckte. »Es würde Untergang, unumgänglichen Untergang bereiten,« sagte Glossin zu sich selbst, »wenn der Erbe wieder erschiene – und welche Folge würde dann der Verkehr mit diesen Menschen haben? – aber die Zeit ist kurz, um Maßregeln zu ergreifen – hört an, Hatteraick; ich kann Euch nicht in Freiheit setzen aber ich kann Euch in eine Lage bringen, wo Ihr Euch selber frei machen könnt – einem alten Freunde steh' ich immer gern bei. Für heute werd' ich Euch in dem alten Schloß einsperren, und den Wächtern geb' ich eine doppelte Portion Grog. Mac-Guffog wird in die Schlinge fallen, in welcher er Euch fing. Die Gitter am Fenster des sogenannten festen Gemachs sind in Stücke gebrochen, bis zum Boden außerhalb sind es keine zwölf Fuß, und überdies liegt der Schnee hoch.«
»Aber das Eisen?« sagte Hatteraick, auf seine Ketten blickend.
»Hört nur,« sagte Glossin, indem er zu einem Schubfach ging und eine kleine Feile herausnahm, »hier ist ein Freund für Euch, und Ihr kennt den Weg zur See, die Stufen hinab.« Hatteraick schüttelte seine Ketten so entzückt, als ob er schon frei gewesen wäre, und bemühte sich, die gefesselte Hand dem Beschützer zu reichen. Glossin legte den Finger auf den Mund, indem er einen bedeutsamen Blick nach der Thür warf, und dann fuhr er in seinen Weisungen fort. »Wenn Ihr frei seid, so wär' das Beste, Ihr ginget nach Derncleugh.«
»Donner! das Nest ist verwüstet.«
»Der Teufel – nun gut, dann stehlt meinen Kahn, der in der Bucht liegt und macht Euch fort. Aber bei der Warrochspitze bleibt, bis ich zu Euch komme.«
»Bei der Warrochspitze?« sagte Hatteraick, während sich seine Miene wieder verdunkelte; »wahrscheinlich in der Höhle? – ich würde lieber sonstwo bleiben – es spuckt da! – Man sagt, es geht dort ein gewisser Jemand um – Aber, Donner und Blitz! ich hab' ihn lebendig nie gefürchtet und will ihn todt nicht fürchten; straf' mich die Hölle! man soll nie sagen, daß Dirk Hatteraick einen Hund oder Teufel fürchtet! – Also soll ich Euch erwarten, bis ich Euch sehe?«
»Ja,« antwortete Glossin, »und nun muß ich die Leute herein rufen.« – Dies that er alsbald.
»Ich kann mit Capitain Janson, wie er sich nennt, nichts anfangen, Mac-Guffog; es ist nun wohl zu spät, ihn nach dem Landgefängniß zu schaffen. Ist nicht etwa ein fester Raum im alten Schlosse drüben?«
»O ja, Sir; mein Oheim, der Constable, hielt zu Ellangowans Zeiten einmal einen Mann drei Tage lang dort fest. Aber es war ein gewaltiger Staub drin« –
»Ich weiß das Alles; aber diese Person wird nicht lange dort bleiben – es ist nur für eine Nacht, er soll nur bis auf weitere Untersuchung dort bleiben. Davor befindet sich ein kleines Gemach, dort könnt Ihr Euch ein Feuer machen, und ich werd' Euch hinreichende Mittel senden, um es Euch behaglich zu machen. Aber verwahrt die Thür, die den Gefangenen einschließt, ja sorgfältig; und hört, laßt ihn auch in dem festen Gemache ein Feuer haben, die Jahrszeit verlangt das. Vielleicht wird er morgen früh beredtsamer sein.«
Mit diesen Weisungen und mit einem reichlichen Vorrath von Speisen und Branntwein entließ der Friedensrichter seine Leute, die während der Nacht im alten Schlosse Wache halten sollten; er hoffte und glaubte, daß sie die Nacht weder mit Wachen noch Beten hinbringen würden.
Es war nicht zu erwarten, daß Glossin in dieser Nacht tief und fest schlafen werde. Seine Lage war äußerst gefährlich, denn die Pläne eines schurkischen Lebens schienen mit einemmal über ihm zusammenstürzen zu wollen. Er legte sich zur Ruhe, fand aber lange den Schlaf nicht auf seinem Kissen. Endlich entschlief er, aber nur, um von seinem Wohlthäter zu träumen, – erst, wie er ihn zuletzt gesehn hatte, mit der Blässe des Todes im Gesicht; dann sah er ihn wieder in aller Frische und Kraft der Jugend erscheinen, um ihn aus dem Hause seiner Väter zu verjagen. Dann träumte er wieder, er käme, nachdem er lang' über eine wilde Haide gewandert, endlich zu einem Wirthshaus, aus welchem das Getöse eines wilden Gelags schallte; als er darauf eintrat, war die erste Person, die er erblickte, Frank Kennedy, ganz zerschmettert und blutig, wie er am Gestade der Warrochspitze gelegen hatte, aber mit einem dampfenden Punschglas in der Hand. Sodann verwandelte sich die Scene in einen Kerker, wo er Dirk Hatteraick hörte, der, eben zum Tode verurtheilt, seine Verbrechen einem Geistlichen beichtete. – »Nachdem die blutige That vollbracht war,« sagte der arme Sünder, »zogen wir uns in eine nahe Höhle zurück, welche nur einem einzigen Menschen in der Gegend bekannt war; wir stritten darüber, was mit dem Kinde zu thun sein, und wir waren Willens, es den Zigeunern zu übergeben, als wir das Geschrei der Verfolger hörten, die einander zuriefen. Nur ein einziger Mann kam in unsre Höhle – aber wir machten ihn zu unserm Freunde, indem wir ihm die Hälfte des Werthes der geretteten Güter überließen. Auf seinen Rath nahmen wir das Kind mit uns nach Holland auf einem befreundeten Schiffe, welches uns in der folgenden Nacht von der Küste abholte. Jener Mann war« –
»Nein, ich läugne es! – ich war's nicht!« sagte Glossin mit stammelnder Stimme; und während er in seiner Todesangst seine Verneinung bestimmter auszudrücken suchte, erwachte er.
Es war das Gewissen, welches ihm diese Bilder vor die Seele geführt hatte. Die Wahrheit war, daß er, der die Schliche der Schmuggler besser als jeder andere kannte, in der Zeit, wo die andern in verschiedenen Richtungen forschten, direkt nach der Höhle gegangen war, und zwar noch bevor er den Mord Kennedy's erfahren hatte, den er dort als Gefangenen zu finden erwartete. Er gedachte den Vermittler zu machen, als er zu ihnen kam, fand sie aber von Schrecken ergriffen, da die Wuth, die sie zu dem Morde getrieben hatte, bei Allen, außer bei Hatteraick, zu Gewissensangst und Furcht herabzusinken begann. Glossin war damals arm und verschuldet, aber er war bereits Bertrams Vertrauter; und bekannt mit dem lenksamen Charakter desselben, fand er keine Schwierigkeit, sich auf dessen Kosten zu bereichern, wofern nur der männliche Erbe entfernt war, in welchem Falle das Vermögen unbeschränktes Eigenthum des schwachen und verschwenderischen Vaters ward. Gereizt durch den augenblicklichen Gewinn und die Aussicht auf künftige Vortheile, nahm er die Bestechung an, welche die erschreckten Schmuggler anboten, und war nachgiebig, oder munterte vielmehr auf, als sie ihm die Absicht mittheilten, das Kind seines Wohlthäters zu entführen, welches alt genug wäre, um das blutige Schauspiel beschreiben zu können. Glossin konnte sein Gewissen bloß dadurch beschwichtigen, daß die Versuchung groß gewesen sei, ihn plötzlich überrascht, alle schon lange ersehnten Vortheile dargeboten und versprochen habe, ihn aus der unglücklichen Lage zu retten, die ihn sonst bald erdrückt haben würde. Er suchte sich überdies zu überreden, daß Selbsterhaltung ihm keine andre Wahl gestatte. Er war gewissermaßen in der Gewalt der Räuber, und suchte sein Gewissen durch den Vorwand zu übertäuben, daß, wenn er ihre Anträge abweisen wolle, die Hilfe, welche er herbeirufen könne, zwar nicht sehr entfernt sei, aber doch nicht so schnell bereit sein möchte, um ihn vor Leuten zu retten, die, bei geringerm Anlaß, so eben einen Mord begangen hatten.
Gemartert von den bangen Gefühlen eines schuldigen Gewissens stand Glossin nun auf und blickte in die Nacht hinaus. Die Scene, die wir bereits im Anfang dieses Buches schilderten, war jetzt in das Schneegewand gehüllt und die schimmernde, obwohl öde, Weiße des Landes gab durch den Kontrast dem Meere eine düstere Färbung. Eine schneebedeckte Landschaft, wenn sie auch an und für sich schön zu heißen verdient, hat, wegen des begleitenden Begriffs der Kälte und Unfruchtbarkeit und wegen der verhältnißmäßigen Leere, ein wildes, seltsames und trostloses Ansehn. Gegenstände, uns wohlbekannt in ihrem gewöhnlichen Zustande, sind dann entweder unsichtbar, oder so seltsam verwandelt und verhüllt, daß wir auf eine fremde Welt zu blicken meinen. Aber solche Gedanken waren es nicht, die die Seele dieses schlechten Menschen beschäftigten. Sein Blick ruhte auf den gigantischen und finstern Umrissen des alten Schlosses, wo, in einem Eckthurm von ungeheurem Umfang und Stärke, zwei Lichter schimmerten, eines aus dem Fenster des festen Gemachs, wo Hatteraick eingesperrt war, das andere aus dem angränzenden Zimmer, welches die Wächter inne hatten. »Ist er schon geflohen? oder wird er es im Stande sein? – Sind diese Leute wachsam gewesen, was sie sonst nie waren, um mein Verderben vollständig zu machen? – Wenn ihn der Morgen dort findet, so muß er dem Gefängniß übergeben werden; Mac-Morlan oder eine andere Person wird die Sache führen – er wird erkannt, überführt werden – und aus Rache wird er alles gestehen!«
Während diese quälenden Gedanken schnell durch Glossins Seele einander folgten, bemerkte er, daß sich eines der Lichter verdunkelte, indem sich ein dunkler Körper vor das Fenster bewegt hatte. Welch ein spannender Moment! – »Er hat sich von den Fesseln befreit! – Er ist mit den Stäben des Fensters beschäftigt – sie sind sicher ganz morsch, sie müssen nachgeben – O Gott! Sie sind nach außen gefallen, ich hörte sie auf den Steinen klirren! – Der Lärm muß sie nothwendig wecken – Der Teufel hole das holländische Ungeschick! – Das Licht brennt wieder hell – sie haben ihn vom Fenster gerissen, und binden ihn im Gemache! – Nein, er hat sich nur einen Augenblick zurückgezogen, wegen des Lärms der gefallenen Stäbe – Er ist wieder am Fenster – und jetzt ist das Licht ganz verdunkelt – Er ist herausgekommen!« – –
Ein dumpfer Schall, wie wenn ein Körper von der Höhe auf den Schnee fiele, verkündete, daß Hatteraick seine Flucht bewerkstelligt hatte, und kurz nachher sah Glossin eine dunkle Gestalt, wie ein Schatten, auf dem weißen Strande hinschleichen und zu dem Orte gelangen, wo der Kahn lag. Neuer Grund zur Furcht! »Seine alleinige Kraft wird nicht hinreichen, ihn flott zu machen,« sagte Glossin zu sich selbst; »ich muß dem Schuft zu Hilfe kommen. Aber nein! er ist schon zu Stande damit, und jetzt, Gott sei Dank, breitet sich das Segel im Mondschein – ja, jetzt hat er den Wind – Wollte der Himmel, es wär' ein Sturm, damit er auf dem Grunde versänke!«
Nach diesem letzten herzlichen Wunsche fuhr er fort, die Fortschritte des Bootes, wie es nach der Warrochspitze segelte, zu beobachten, bis er das dunkle Segel von den düstern Wellen, über die es glitt, nicht mehr unterscheiden konnte. Zufrieden, daß nunmehr die unmittelbare Gefahr beseitigt war, begab er sich mit etwas mehr Fassung wieder auf sein sorgenschweres Lager.