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Freundschaft der Schulzeit, Kindesalters Unschuld!
Wie zwei kunstreiche Götter, Hermia, schufen
Wir
eine Blume da mit unsern Nadeln,
Auf
einem Sitz, nach
einem Muster stickend.
Und dazu sangen beide wir
ein Lied,
Als wären unsre Hände, Stimmen, Herzen
Ganz innig eins.
Sommernachtstraum.
»Wie vermagst du mir, theuerste Matilde, Nachlässigkeit in der Freundschaft oder Schwanken in meiner Zuneigung vorzuwerfen? Ist es mir möglich, zu vergessen, daß du die Erwählte meines Herzens bist, in deren treuen Busen ich jedes Gefühl niederlegte, welches deine arme Julie sich nur selbst zu bekennen wagte? Gleiches Unrecht thust du mir durch den Vorwurf, daß ich deine Freundschaft für die der Lucie Bertram aufgegeben hätte. Ich versichere dir, sie besitzt nicht die Eigenschaften, die ich vom Herzen einer Freundin verlange. Sie ist allerdings ein liebenswürdiges Mädchen und gefällt mir sehr; auch muß ich gestehn, daß unsere Vormittags- und Abendbeschäftigungen mir weniger Zeit für den Gebrauch meiner Feder ließen, als die beabsichtigte Regelmäßigkeit unserer Correspondenz verlangt. Elegante Bildung und Fertigkeit hat sie nicht; doch versteht sie das Französische und Italienische, welches sie von dem seltsamsten Ungeheuer erlernte, das man nur sehen kann; mein Vater hat dies Wesen als eine Art von Bibliothekar angestellt und protegirt diesen Mann, wie mir scheint, um der Meinung der Welt Trotz zu bieten. Oberst Mannering scheint es sich zum Grundsatze gemacht zu haben, nicht zu dulden, daß man etwas für lächerlich halte, so lang es auf irgend eine Weise mit ihm in Verbindung steht. Ich erinnere mich, daß er einst in Indien irgendwo einen kleinen häßlichen Hund aufgelesen hatte, ein Thier mit krummen Beinen, langem Rücken und großen Hängohren. Es beliebte ihm, diese garstige Creatur zu seinem Liebling zu machen, allem guten Geschmack zum Trotz; auch entsinne ich mich eines Falles, wo er Brown den Vorwurf der Unhöflichkeit machte, weil dieser die krummen Beine und hängenden Ohren Bingo's stark getadelt hatte. Auf mein Wort, Matilde, ich glaube, seine hohe Meinung von diesem steifsten aller Pedanten beruht auf einem ähnlichen Grundsatze. Er läßt dies Geschöpf mit am Tische sitzen, wo es ein Tischgebet hören läßt, welches ganz wie das Geschrei jenes Mannes auf dem Markte klingt, der Makrelen auszurufen pflegte; seine Speise schafft der Mensch haufenweise die Kehle hinab, wie etwa ein Tagelöhner seinen Sandkarren vollschaufelt, und dabei scheint er nicht das mindeste Bewußtsein von dem zu haben, was er hinunterschlingt, – sodann läßt er wieder eine Anzahl unnatürlicher Töne hören, welche als Dankgebet gelten, stürzt aus dem Zimmer und vergräbt sich unter einen Haufen wurmstichiger Folianten, die eben so ungeschlacht sind, als er selbst! Ich würde dies Geschöpf noch so ziemlich ertragen können, hätt' ich nur Jemand, der mit mir darüber lachte; sobald ich aber nur den leisesten Scherz über diesen Abel Simson (das ist des schrecklichen Mannes schrecklicher Name) aussprechen will, macht Lucie Bertram alsbald ein so weinerliches Gesicht, daß es mir allen Muth zum Fortfahren raubt, und mein Vater runzelt die Stirn, sein Auge sprüht Feuer, er beißt die Lippen zusammen und sagt irgend etwas, was für mein Gefühl hart und unerträglich ist.
»Indeß wollte ich nicht von diesem Geschöpf mit dir sprechen; ich wollte nur erwähnen, daß er, der in den neuern wie in den alten Sprachen vollkommen bewandert ist, Lucie Bertram in den erstern gehörig unterrichtet hat; sie hat es, wie ich glaube, übrigens nur ihrem eignen gesunden Verstande und ihrer Beharrlichkeit zu danken, daß sie sich das Griechische, Lateinische (und das Hebräische obendrein) nicht auch zu eigen gemacht hat. Somit besitzt sie wirklich einen reichen Schatz von Kenntnissen, und ich kann dir sagen, daß ich täglich darüber erstaune, wie gut sie sich durch Erinnerung und Betrachtung des früher Gelesenen zu unterhalten weiß. Wir lesen jeden Morgen gemeinsam, und ich beginne weit mehr Gefallen am Italienischen zu finden, als da mich das phantastische Geschöpf Cicipici ermüdete; – Cicipici muß nämlich sein Name buchstabirt werden, und nicht Chichipichi – du siehst, daß ich an Gelehrsamkeit zunehme.
»Aber vielleicht liebe ich Miß Bertram mehr um der Talente willen, die ihr fehlen, als der Kenntnisse wegen, die sie besitzt. Sie versteht gar nichts von Musik, und vom Tanze nichts weiter, als was hier bei den gemeinsten Bauern gewöhnlich ist, die, beiläufig gesagt, dem Tanze mit vielem Eifer und Feuer huldigen. In diesen Dingen trete ich nun als Lehrerin auf und sie nimmt meinen Unterricht auf dem Klavier sehr dankbar an; ich habe sie sogar einige von La Pique's Pas gelehrt, und du weißt ja, daß er mich für eine vielversprechende Schülerin hielt.
»Abends liest der Vater oft vor, und gewiß, ich habe noch von Niemand poetische Stücke besser lesen hören – er macht es keineswegs wie der Deklamator, welcher ein Mittelding zwischen Lesen und Handlung gibt, mit den Augen starrt, die Stirn runzelt, das Gesicht verzieht und sich geberdet, als ständ' er in vollem Kostüm auf der Bühne. Meines Vaters Manier ist ganz anders; er liest wie ein anständiger Mann, welcher durch Gefühl, Geschmack und Biegsamkeit der Stimme eine Wirkung hervorbringt, nicht aber durch Bewegungen und Mummerei. Lucy Bertram reitet sehr gut, und ich kann sie jetzt zu Pferde begleiten, da mich ihr Beispiel ermuthigt hat. Trotz des rauhen Wetters gehen wir auch viel spazieren. – So bleibt mir denn freilich zum Schreiben nicht so viel Zeit, als ich sonst darauf verwandte.
»Ueberdies, meine Liebe, muß ich mich wirklich des Entschuldigungsgrundes aller thörichten Correspondenten bedienen: daß ich nichts zu sagen habe. Meine Hoffnungen, Befürchtungen und Besorgnisse hinsichtlich Browns sind jetzt minder anziehend, seit ich weiß, daß er frei und gesund ist. Uebrigens muß ich gestehen, daß mir der junge Herr während dieser Zeit wohl eine Nachricht von seinem Thun und Treiben hätte geben können. Unser Umgang mag wohl unbesonnen sein, aber es wäre eben nicht schmeichelhaft für mich, wenn Mr. Vanbeest Brown zuerst diese Entdeckung machen und deßhalb unser Verhältniß aufgeben sollte. Er kann gewiß sein, daß wir in diesem Falle nicht sehr verschiedener Meinung sein würden, denn zuweilen kam es mir schon vor, als habe ich in dieser Angelegenheit äußerst thöricht gehandelt. Indeß habe ich eine so gute Meinung von dem armen Brown, daß ich glaube, seinem Schweigen liege gewiß nur etwas Außerordentliches zum Grunde.
»Um wieder auf Lucy Bertram zu kommen – Nein, meine theuerste Matilde, sie kann nie, nie deine Nebenbuhlerin bei mir werden, und all deine liebende Eifersucht in dieser Hinsicht ist also ohne Grund. Sie ist allerdings ein recht artiges, hübsches, gefühlvolles und liebreiches Mädchen, und ich glaube, es wird wenig Personen geben, zu deren tröstender Freundschaft ich lieber meine Zuflucht nehmen möchte, wenn ich von dem, was man gewöhnlich Unglück nennt, bedroht würde. Dies begegnet einem nun aber so selten im Leben und man bedarf einer Freundin, die uns bei dem eingebildeten Uebel Trost schenkt, gleich als ob es wirkliches wäre. Der Himmel weiß es, und auch du, theuerste Matilde, daß jene Herzensbekümmernisse ebensowohl den Balsam des Mitgefühls und liebender Zuneigung verlangen, als die Uebel von strengerm und entschiedenerem Charakter. Nun besitzt aber Lucy Bertram nichts von jenem lindernden Mitgefühl, gar nichts, meine theuerste Matilde. Wenn ich das Fieber hätte, so würde sie mich Nacht für Nacht mit der unermüdlichsten Geduld pflegen; für das Fieber des Herzens jedoch, welches meine Matilde so oft besänftigte, hat sie nicht mehr Mitgefühl, als ihr alter Lehrer. Am meisten auffällig ist mir indeß der Umstand, daß dies seltsame Dämchen in der That selber einen Geliebten hat, und daß ihre wechselseitige Neigung (denn für gegenseitig halte ich sie,) gar viel des Verwickelten und Romantischen hat. Du mußt wissen, daß sie einst eine reiche Erbin war; die Verschwendung ihres Vaters aber und die Schurkerei eines schändlichen Menschen, auf den er traute, haben sie arm gemacht. Einer der hübschesten jungen Herren der ganzen Umgegend hat sie lieb gewonnen; da er jedoch Erbe eines großen Vermögens ist, so weist sie seine Bewerbungen unter dem Vorwande ihrer Armuth immer zurück.
»Aber bei all dieser Mäßigung, Selbstverläugnung, Bescheidenheit u. s. w. ist Lucy doch ein schlaues Mädchen – ich bin gewiß, sie liebt den jungen Hazlewood, und eben so gewiß bin ich, daß er etwas davon weiß und sie wahrscheinlich zum Geständniß bringen würde, wenn mein Vater oder sie ihm nur eine Gelegenheit dazu gestattete. Aber du mußt wissen, daß Oberst Mannering immer selbst der Miß Bertram jene Aufmerksamkeiten erzeigt, welche einem jungen Herrn in Hazlewoods Lage die besten indirekten Gelegenheiten zu geben pflegen. Ich wünsche nur, daß sich mein guter Papa in Acht nimmt, um sich nicht die gewöhnliche Strafe für Einmischung in fremde Angelegenheiten zuzuziehen. Ich versichere dich, wenn ich Hazlewood wäre, ich würde seine Complimente, seine Verbeugungen, dies Mantel- und Shawlumhängen und dies Armgeben mit nicht geringem Argwohn betrachten; und wirklich thut dies Hazlewood in manchem launischen Augenblicke, wie ich glaube. Stelle dir vor, welche einfältige Rolle bei solchen Gelegenheiten dann deine arme Julie spielen muß! Hier ist mein Vater, der bei meiner Freundin den Angenehmen spielt; dort ist der junge Hazlewood, der jedes ihrer Worte und jede Bewegung ihrer Augen bewacht; und ich habe nicht die armselige Genugthuung, irgend ein menschliches Wesen zu interessiren – nicht einmal das geistliche Ungethüm, denn das sitzt da mit offenem Munde und großen glotzenden Augen, gleich einer Statue, und starrt bewundernd Meß Baartram an.
»Alles dies macht mich zuweilen ein Bißchen nervenkrank und zuweilen auch ein Bißchen mißlaunisch und boshaft. Ich war neulich gegen meinen Vater und die Liebenden so gereizt, daß ich, da ich mich von ihrer Gesellschaft und Unterhaltung gänzlich vernachlässigt sah, einen Angriff auf Hazlewood unternahm, dem er, ohne unhöflich zu scheinen, nicht leicht ausweichen konnte. Er ward allmälig warm in seiner Vertheidigung. Du kannst glauben, Matilde, daß er ein eben so artiger als hübscher junger Mann ist, und er war mir bisher noch nie in so vortheilhaftem Lichte erschienen. Aber mitten in unserer lebhaften Unterhaltung drang plötzlich ein leiser Seufzer von Miß Lucy zu meinem gar nicht unzufriedenen Ohr. Ich war viel zu großmüthig, als daß ich meinen Sieg hätte weiter verfolgen sollen, selbst wenn ich den Vater nicht gefürchtet hätte. Zum Glück für mich war er gerade eifrig mit Schilderung der Eigenheiten und Sitten eines gewissen indischen Volksstammes beschäftigt, welcher tief im Innern des Landes wohnt, und er erläuterte seine Beschreibung durch Zeichnungen, die er auf Miß Bertrams Stickmuster machte, deren einige er durch seine Proben orientalischer Trachten gänzlich verdarb. Aber ich glaube, sie dachte in diesem Augenblicke so wenig an ihr eigenes Kleid, als an indische Turbane. Indeß war es immer gut für mich, daß er den Erfolg meines kleinen Manövers nicht bemerkte, denn er sieht scharf wie ein Falke und ist ein geschworener Feind auch des leichtesten Schattens von Coquetterie.
»Nun, Matilde, Hazlewood vernahm denselben leisen Seufzer und bereute alsbald, seine momentanen Aufmerksamkeiten an einen so unwürdigen Gegenstand, wie deine Julie, verschwendet zu haben; sonach zog er sich mit einem recht komischen Ausdrucke des Schuldbewußtseins nach Lucy's Arbeitstische zurück. Er machte eine unbedeutende Bemerkung, und ihre Erwiederung war von der Art, daß nur das scharfe Ohr eines Liebenden oder ein so neugieriges wie das meine etwas mehr Kälte und Trockenheit als gewöhnlich darin unterscheiden konnte. Aber der schuldbewußte Held fühlte den Vorwurf und blieb eingeschüchtert stehen. Du wirst zugeben, daß die Großmuth es mir zur Pflicht machte, als Vermittlerin aufzutreten. Daher mischte ich mich in die Unterhaltung, und zwar mit dem ruhigen Tone eines ziemlich gleichgiltigen und unbetheiligten Dritten; ich führte sie wieder in ihr früheres bequemes Geleise der Unterhaltung und nachdem ich eine Zeitlang auf solche Weise ihr Gespräch vermittelt hatte, setzte ich sie zu einem tiefsinnigen Schachspiele nieder; darauf ging ich hin, meinen Vater ein wenig zu necken, der noch immer mit seinen Zeichnungen beschäftigt war. Die Schachspieler saßen nämlich nah am Kamin neben einem kleinen Arbeitstische, und mein Vater befand sich etwas entfernt davon vor einem Büchertische; das Zimmer ist groß und altmodisch, unregelmäßig und mit Tapeten behangen, welche Dinge darstellen, die der Künstler wohl schwerlich selber hätte erklären können.
»Ist das Schach ein unterhaltendes Spiel, Vater?«
»So sagt man,« antwortete er, ohne mich weiterer Aufmerksamkeit zu würdigen.
»Ich sollt' es auch denken, wenn ich die Aufmerksamkeit beobachte, die ihm Mr. Hazlewood und Lucy schenken.«
»Er erhob schnell den Kopf und hielt den Pinsel einen Augenblick empor. Offenbar bemerkte er nichts, was seinen Argwohn rege machen konnte, denn er arbeitete alsbald ruhig weiter an den Falten eines Mahrattaturbans, als ich ihn mit der Frage unterbrach: Wie alt ist Miß Bertram, Vater?«
»Wie kann ich's wissen? vermutlich in deinem Alter.«
»Aelter, sollt' ich denken, Vater. Du sagst mir immer, daß sie sich weit anständiger beim Theetisch zu benehmen wisse; ei, Vater, willst du ihr nicht das Recht geben, ein für allemal da den Vorsitz zu führen?«
»Liebe Julie,‹ erwiederte der Vater, ›entweder bist du eine vollkommene Thörin, oder du bist weit geneigter, Unheil zu stiften, als ich es bisher von dir dachte.«
»O, theurer Vater! deute es so gut als möglich – aber ich möchte um alles in der Welt nicht für eine Thörin gelten.«
»Warum schwatzest du dann als eine solche?« sagte mein Vater.
»Lieber Gott, Vater, ich weiß, daß es gar nicht so thöricht ist, was ich eben sagte – Jedermann weiß, daß du ein sehr hübscher Mann bist,« (ein Lächeln ward hier sichtbar,) »das heißt für dein Alter« (der Schimmer trübte sich hier,) »welches doch keineswegs vorgerückt ist, und ich weiß in der That nicht, warum du nicht deiner Neigung folgen solltest. Ich bin ein leichtsinniges Mädchen, das weiß ich wohl, und wenn dich eine ernstere Gefährtin glücklicher machen könnte« –
»Es lag eine Mischung von Mißfallen und ernster Zärtlichkeit in meines Vaters Zügen, als er meine Hand jetzt nahm, und sie drückten einen strengen Vorwurf für den Scherz aus, den ich mit seinen Gefühlen getrieben hatte. »Julie,« sagte er, »ich sehe deinem Muthwillen viel nach, weil ich in gewisser Hinsicht schuld daran bin, indem ich es vernachlässigte, sorgfältiger über deine Erziehung zu wachen. Aber ich möchte nicht, daß du diesem Muthwillen bei einem so zarten Gegenstande allzu freien Spielraum ließest. Wenn du die Gefühle deines Vaters gegen das Andenken deiner gestorbenen Mutter nicht achtest, so achte wenigstens die heiligen Ansprüche des Unglücks; und bedenke, daß die leiseste Andeutung eines solchen Scherzes, wenn sie Miß Bertram's Ohr erreichte, diese veranlassen würde, ihr gegenwärtiges Asyl aufzugeben und ohne Beschützer hinaus in die Welt zu gehen, deren Härte sie bereits so unfreundlich fühlen mußte.«
»Was konnte ich dazu sagen, Matilde? – ich bat bloß herzlich um Verzeihung und versprach, künftig ein gutes Kind zu sein. Und so stehe ich nun hier wieder allein, denn ich kann, ohne herzlos zu erscheinen, nun nicht mehr die arme Lucy durch Angriffe auf Hazlewood necken, obwohl sie mir sowenig Vertraulichkeit schenkt, auch kann ich nach jener ernsten Standrede nicht mehr wagen den zarten Punkt hinsichtlich meines Vaters zu erwähnen. So zünde ich nun kleine Röllchen von Papier an, und zeichne mit dem verkohlten Ende Türkenköpfe auf Visitenkarten – gestern Abends gelang mir wirklich ein Hyder Aly trefflich – oder ich spiele auf dem heillosen Klavier, fange auch wohl ein ernsthaftes Buch am Ende an und lese es rückwärts. – Wirklich macht mich allmälig Browns Stillschweigen besorgt. Hätte er das Land verlassen müssen, so würde er mir gewiß davon geschrieben haben. Konnte etwa mein Vater seine Briefe aufgefangen haben? Aber nein; das wäre ganz gegen seine Grundsätze – ich glaube nicht, daß er einen Brief an mich heute Nacht öffnen würde, könnt' er auch damit verhüten, daß ich morgen früh aus dem Fenster spränge. Welch' ein Wort hab' ich da meiner Feder entschlüpfen lassen! ich sollte mich desselben schämen, selbst vor dir, Matilde, und obwohl es im Scherz gesagt ward. Aber ich brauche es nicht für verdienstlich zu halten, daß ich handle, wie ich muß. Dieser Mr. Vanbeest Brown ist keineswegs ein so glühender Liebhaber, daß er den Gegenstand seiner Neigung zu so unbedachten Schritten verleiten sollte. Er gibt volle Zeit zum Ueberlegen und Nachdenken, das muß wahr sein. Indeß will ich ihn nicht ungehört tadeln, und will auch nicht an der männlichen Festigkeit eines Charakters zweifeln, den ich so oft gegen dich erhoben habe. Wäre er fähig zu zweifeln, zu fürchten, oder nur im geringsten treulos zu sein, so würde ich wenig zu klagen haben.
»Du wirst sagen, warum ich, wenn ich so feste und unwandelbare Beständigkeit von einem Geliebten erwarte, so ängstlich bekümmert sei, was Hazlewood thue, oder wem er seine Huldigungen darbringe? – Ich lege mir selbst diese Frage täglich hundert Mal vor, und erhalte immer nur die sehr thörichte Antwort, daß man sich nicht gern vernachlässigt sieht, wenn man auch zu einer ernstlichen Untreue nicht ermuntern möchte.
»Ich schreibe all diese Kleinigkeiten, weil du sagst, sie unterhalten dich, was ich freilich kaum begreifen kann. Ich erinnere mich, wie du bei unsern Reisen in die Welt der Dichtung immer nur das Große und Romantische bewundertest – Erzählungen von Rittern, Zwergen, Riesen, bedrängten Fräulein, Erscheinungen, winkenden Geistern und blutigen Händen, – während mich nur die Verwickelungen des gemeinen Lebens interessirten, oder höchstens nur so viel Wunderbares, als die Thätigkeit eines morgenländischen Genius oder einer gütigen Fee herbeiführen kann. Du hättest deine Lebensbahn gern über das weite Meer, durch seine Windstillen, seine heulenden Stürme, seine Wirbelwinde, seine berghohen Wogen geführt; ich aber wäre mit meinem Nachen bei einem frischen Winde gern in einen Landsee oder in eine stille Bucht eingelaufen, wo die Fahrt nur eben so schwierig gewesen wäre, daß sie Reiz gehabt und einige Geschicklichkeit verlangt, jedoch nicht Gefahr gedroht hätte. Du also, Matilde, solltest meinen Vater bekommen haben, mit seinem Kriegsruhme und seinem Ahnenstolze, seinem ritterlichen Ehrgefühle, seinen hohen Geistesgaben und seinen tiefsinnigen geheimnißvollen Forschungen; deine Freundin würde Lucy Bertram geworden sein, deren Ahnen in diesem romantischen Lande herrschten, (mit Namen, die sich eben so schwer merken, als sie aller Orthographie Hohn sprechen,) und deren Geburt, wie ich nur noch aus unbestimmten Nachrichten weiß, von höchst seltsamen Umständen begleitet war; auch unsre, von Bergen umringte Wohnung und unsre Spaziergänge zu unheimlichen Ruinen würden dir gefallen; – ich aber hätte statt dessen die Grotten, Wiesen und Gebäude eures Parks erhalten, mit der guten, gelassenen und nachsichtigen Tante, ihre Kapelle am Morgen, ihr Schläfchen am Nachmittag, ihr Whist am Abend, nicht zu vergessen ihre runden Kutschpferde und den noch runderen Kutscher. Uebersieh es aber nicht, daß Brown in diesem Tausche nicht mit eingeschlossen ist – seine Gutmüthigkeit, seine lebhafte Unterhaltung und seine Munterkeit passen eben so gut zu meinem Lebensplane, als seine athletische Gestalt, seine hübschen Züge und sein Muth mit Ritterlichkeit vereinbar sein würden. Da wir also nicht Alles austauschen können, so werden wir, denk' ich, wohl bleiben müssen, wie wir sind.«