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Die Klause des heiligen Cuthbert, wie sie allgemein in der Gegend hieß, und zu der jetzt Roland Gräme die Schritte lenkte, war ein Absenker der stattlichen Abtei von Kennaqhuair und lag in nordwestlicher Richtung ein paar Wegstunden von ihr entfernt. Die Umgegend wies manche jener angenehmen Dinge auf, die der wohlerfahrene katholische Geistliche bei der Wahl der Oertlichkeit für seine Andachtsstätten niemals außer acht läßt.
Eine Heilquelle war vorhanden, die natürlich unter den Schutz eines Heiligen gestellt wurden war und eine gewisse Einnahmequelle sicherte, da keinem Sterblichen ihre Segnungen zu teil wurden, der nicht für den Kaplan einen Obolus übrig hatte. Dann waren ein paar Streifen bebaubaren Bodens vorhanden, die dem Kaplan die Anlage eines Gemüsegartens möglich machte. Hinter der Klause erhob sich eine kleine Höhe, die sie gegen Nord- und Ostwinde schützte, aber den Südwinden offen hielt, zugleich Aussicht in ein wildromantisches Tal gewährte, in welchem ein muntrer Bach entlang floß, in regem Kampfe wider alles sich ihm in den Weg legende Gestein.
Die Bauart war einfacher Art und fast roh zu nennen, ein kleines gotisches Gebäude mit zwei Stübchen, von denen eines dem Priester als Wohnung, das andre als Kapelle diente. So lange die katholische Religion die Oberhand hatte, war die Anwesenheit des Geistlichen für diese Grenzgegend von mancherlei Wohltat gewesen, denn es durften nur wenige damals riskieren, sich so nahe an die Grenze zu setzen. Seit aber die protestantische Lehre sich immer weiter ausbreitete, hatte es der Geistliche für angemessen erachtet, in strenger Abgeschiedenheit zu leben und sich aller Aufmerksamkeit so viel wie möglich zu entziehen.
Der Anblick, den die Klause bot, als Roland Gräme sie erreichte, bewies jedoch deutlich, daß all seine Vorsicht zuletzt gar nichts genutzt hatte. Im ersten Augenblick dachte der Page, an die Pforte um Einlaß zu klopfen, aber im andern Augenblick sah er, daß sie offen stand und aus den Angeln gehoben war. Hierdurch beunruhigt und da er keinerlei Geräusch hörte, meinte er, es möge klüger sein, sich erst draußen ein wenig umzusehen, ob alles geheuer sei, ehe er sich in das Innere wagte. Die Blumen, die an der Mauerkante geblüht hatten, waren ausgerissen, das kleine Gitterfenster neben der Pforte war eingedrückt, die Wege im Garten waren Zertreten, Spuren von Hufen und Stiefeln sah man überall. Sogar die Heilquelle war der Verwüstung nicht entgangen, der Bogen, unter dem sie hervorsprudelte, war zerschlagen, die Steine, aus dem er errichtet worden war, hatten die Vandalen vor die Quelle gewälzt, wie um sie zu verstopfen; vom Dache der Kapelle war ein ganzes Stück abgelöst worden, so daß der Regen frei ins Innere strömen konnte, und als nun Roland Gräme sich entschloß, den Fuß ins Innere der Ruine zu setzen, da sah er die wenigen Gerätschaften des Klausners in Scherben am Buden liegen; und was irgend brennbar gewesen war, das hatte einem Feuer zur Nahrung gedient, das in einem Winkel angesteckt worden war, darunter auch das uralte, roh gezimmerte Bildnis des Heiligen Cuthbert, das in halb verkohlten Stücken zwischen der Asche lag. In dem kleinen Raume, der als Kapelle gedient hatte, war der Altar umgestürzt, die vier großen Steine, aus denen er bestanden hatte, lagen auf dem Boden umher, das große steinerne Kruzifix war in den Garten hinaus geschleudert worden, wo es, in drei Stücke zerschellt, auf dem Sande lag. Aber wie von höherer Hand erhalten, war die Form, die es von dem Bildhauer erhalten hatte, noch deutlich, zu erkennen, und die drei Bruchstücke lagen so beieinander, daß Roland Gräme, der mit Grausen dieses gottesschänderische Werk sah, auf der Stelle die Möglichkeit, das Kruzifix wieder aufzurichten, erkannte.
Mit einer Kraft, deren er sich nie zuvor für fähig erachtet hatte, gelang ihm das Werk. Zuerst hob er den untern Kreuzbalken am einen, sodann am andern Ende in die Höhe, dann fügte er die beiden Ränder in den Säulenfuß ein, aus dem sie herausgerissen worden waren, dann stellte er es aufrecht und fügte die drei zerschlagenen Stücke so aneinander, daß sie einigermaßen zusammenhielten. Wie er noch bei der mühsamen Arbeit war, klang hinter ihm eine ihm bekannte Stimme in hellem, fast schrillem Tone:
»Das hast Du brav gemacht, Du guter und getreuer Knecht! O, so meinem Kinde wieder zu begegnen, das war die stille, aber heiße Sehnsucht meiner alten, müden Augen.«
Tief erstaunt drehte Roland sich um und sah vor, sich die hoheitsvolle Gestalt der Magdalene Gräme stehen, in ein weites schwarzes Gewand gehüllt, das dem Pilgergewande sich nur so weit näherte, wie es in einem Lande geraten erschien, wo der Verdacht, katholischen Glaubens zu sein, von großer Gefahr für die persönliche Sicherheit werden konnte. Roland lag im nächsten Augenblick der Frau zu Füßen. Aber sie hob ihn sogleich auf und schloß ihn in die Arme, zärtlich und liebevoll, aber nicht ohne eine an Strenge grenzende Würde.
»Du hast Deinen Glauben treu bewahrt, selbst unter ketzerischer Umgebung, und trotzdem Du noch Jüngling bist .... Du hast Dein und mein Geheimnis treu und fest bewahrt, auch unter Deinen Feinden. Damals als ich vom Schlosse schied, ohne Dich noch einmal zu selben, habe ich bittre Tränen vergossen, nicht sowohl weil Dein leibliches Leben in Gefahr geschwebt hatte, als vielmehr Deine Seele in Gefahr kam ... aber Du hast Dich als treu bewährt. Kniee nieder vor dem heiligen Bilde, das böse Menschen verlästern und höhnen. Kniee nieder und preise die Engel für die Gnade, die sie Dir erwiesen haben dadurch, daß sie Dich vor dem Gift des Aussatzes bewahrten, das an dem Hause haftet, in welchem Du erzogen wurdest.«
»Wenn ich zurückgekehrt bin, Mutter, denn so muß ich Euch nennen,« erwiderte Roland Gräme, »Eurem Wunsche gemäß, so müßt Ihr es den Bemühungen des Paters Ambrosius danken, durch dessen Unterricht Eure Lehren in mir gefestigt wurden und der mich lehrte, gläubig und verschwiegen zu sein.«
»Sei er gesegnet dafür!« antwortete die Gräme, »gesegnet, wohin ihn sein Weg führt... aber über Deine Abkunft war ihm nichts bekannt!«
»Davon konnte doch ich ihm nichts sagen,« versetzte Roland, »denn nur dunkel konnte ich aus Euren Andeutungen den Schluß ziehen, daß Sir Halbert Glendinning mir mein Erbe vorenthält, und daß ich so edlen Blutes bin, wie nur je in eines schottischen Adelinges Adern fliehen kann. Solche Dinge vergißt man nicht, aber nähere Aufklärung möchte ich nun von Euch erwarten.«
»Du sollst nicht umsonst darum bitten, nur warte die Zeit ab!« lautete die Antwort aus dem Munde der Greisin. »Aber, mein Sohn, es geht die Rede, Du seiest kühn und schnell, und Jünglingen solchen Temperaments vertraut man nicht ohne weiteres Dinge an, die sie leicht in heftige Erregung setzen können.«
»Sprecht lieber, Mutter, ich sei schlafmützig und kalt,« entgegnete Roland Gräme; »könnt Ihr Euch vergegenwärtigen, welches Maß von Geduld und Mäßigung dazu notwendig war, es jahrelang mit anzusehen, wie meine Religion in den Staub gezogen wurde, und doch dem Gotteslästerer den Dolch nicht ins Herz zu stoßen!«
»Tröste Dich, mein Kind,« versetzte die Gräme, »es sind große Dinge im Werke und Du – ja, Du sollst das Deinige beitragen, sie zu befördern ... Du hast also den Dienst der Dame von Avenel verlassen?«
»Entlassen aus dem Dienste bin ich, Mutter, erleben Hab ich es müssen, daß man mich gehen hieß, als sei ich der geringste ihrer Dienerschaft.«
»Um so besser, mein Kind,« versetzte sie, »so ist Dein Herz gestählt zu dem, was geschehen muß!«
»Nur gegen die Dame von Avenel möge nichts unternommen werden,« sagte der Page, »doch scheinen Wort und Blick von Euch es zu verraten. Ich hab ihr Brot gegessen, ich hab ihrer Güte vieles zu danken ... ich will sie nicht kränken oder beleidigen, noch weniger aber zum Verräter an ihr werden.«
»Hiervon später, mein Sohn,« sagte sie, »doch merke Dir, darüber, was Deine Pflicht gebeut, Bedingungen zu machen, kommt Dir nicht zu, auch nicht zu sagen, das paßt mir zu tun, und jenes nicht ... Nein, Roland, die Verworfenheit dieses Geschlechts können weder Gott noch Menschen länger ertragen. Siehst Du hier diese Trümmer? weißt Du, was sie bedeuten? Und meinst Du, es stehe Dir zu, einen Unterschied in dieser Rotte zu machen, auf der des Himmels Fluch lastet, daß sie alles zertrümmern und lästern und verleugnen, was noch zu glauben und zu verehren wert und geboten ist?«
Mit einer Miene schwärmerischer Andacht neigte sie das Haupt zu dem zertrümmerten Bilde, erhob die linke Hand in der Weise jemands, der ein Gelübde tut, und fuhr dann fort:
»Du heiliger Gottesmann, in dessen entweihtem Tempel wir stehen, sei mir Zeuge, daß mein Haß nicht diese Menschen verfolgt, um mich selbst zu rächen, so wenig wie ich aus Gunst oder irdischer Zuneigung zu einem unter ihnen meine Hand von der Pflugschar ziehen will, wenn sie über die dem Verderben geweihte Furche hinziehen soll. Sei mir des Zeuge, Du Heiliger! der Du einst selbst landesflüchtiger Pilger warest, wie jetzt wir – sei mir des Zeuge, Du heilige Gottesmutter und Himmelskönigin! – seid mir des Zeugen, Ihr Heiligen und Engel!«
Gespenstisch sah sie aus, wie sie dastand mit den gen Himmel gerichteten Augen und den über die Schultern wallenden langen grauen Locken, die der Wind von Zeit zu Zeit hob, daß sie flatternd wie Schleichen und Nattern in der Luft umherschossen.
Roland war von früher her gewöhnt, daß sie nicht litt, über das was sie im Schilde führte, gefragt zu werden. Auch drang sie selbst nicht weiter in ihn, sondern schlug, nachdem sie sich bekreuzigt hatte, die Hände zusammen zu frommem Gebet und wandte sich dann mit ruhiger, dem gewöhnlichen Verkehrston angemessener Stimme zu Roland:
»Deines Bleibens kann hier nicht lange sein. Du mußt schon morgen von hier fort. Für diese Nacht, wirst Du freilich ein hartes Lager haben, mit dem sich Deine durch weichen Pfühl verwöhnten Glieder kaum werden zufrieden erklären wollen.«
»Mutter,« sagte Roland, »als wir umherzogen, war ich Jäger und Fischer und Vogelsteller. Und von denen, die solchem Berufe angehören, ist jeder an rauhes Nachtlager gewöhnt. Ich kann hart liegen, ohne daß es mich hart zu sein dünkt.«
»Und was wirst Du essen?« fragte sie, als sie aus der Kapelle in die verödete Priesterzelle traten. »Armes Kind, für solch weite Reise hast Du Dich schlecht vorgesehen! Dabei fehlt es Dir auch an der Fähigkeit, Dir auf geschickte Weise über Mangel hinwegzuhelfen. Aber unsre liebe Frau hat Dir eine Gefährtin beigesellt, die mit dem Mangel in aller Gestalt vertraut ist, wie sie es früher war mit Pracht und Ueberfluß. ... Mit dem Mangel, Robert, finden sich all die Künste und Fertigkeiten ein, die ihn Vater nennen!«
Mit dienstfertigem Eifer, der von der schwärmerischen Begeisterung wunderlich abstach, begab sie sich nun an die Herrichtung der Speisen. Aus der Tasche, die sie trug, nahm sie Feuerstein und Stahl, und aus den in der Kapelle verstreut liegenden Holzstücken gewann sie, selbst mit sorgfältiger Ausscheidung aller Stücke, die von dem Bilde des Heiligen und von dem Kruzifixe herrührten, Späne genug, daß bald ein lustiges Feuer auf dem Herde der Zelle brannte. Dann sagte sie:
»Und nun, was zum Essen und Trinken von nöten ist.«
»Sorgt nicht dafür, Mutter, sofern Ihr nicht selbst hungert und dürstet. Für mich ist es ein kleines, eine Nacht hindurch zu fasten, und für die notgedrungene Übertretung der kirchlichen Vorschriften während meines Aufenthalts im Schlosse eine wahrlich nur geringe Buße.«
»Du fragst, ob ich selbst Durst und Hunger fühle? ... Wisse, Jüngling, keine Mutter kennt den Hunger, so lange sie nicht ihr Kind gesättigt weiß.« Und mit einer Zärtlichkeit, die zu ihrer sonstigen Strenge in seltsamem Widerspruche stand, sprach sie weiter: »Nein, Roland, Du mußt essen. Du hast Dispensation, Du bist jung, und für die Jugend sind Schlaf und Speise unabweisbare Bedürfnisse. Sei haushälterisch mit Deiner Kraft, Kind! denn Dein Fürst, Deine Religion und Dein Vaterland machen Ansprüche auf Deine Kraft. Alter mag sich kasteien durch Fasten und Nachtwachen, die Jugend soll aber ihre Glieder stählen durch Schlaf und Speise, daß sie die Kraft finde, die sie zur Arbeit braucht.«
Aus ihrer Tasche nahm sie nun auch, was für Robert zur Speise bestimmt war, und wachte mit Eifer darüber, daß er sich satt aß. Roland gehorchte willig, aber als er auch sie aufforderte sich zu stärken, schüttelte sie mit dem Kopfe, und als er nicht ablassen wollte mit Bitten und Vorstellungen, verwies sie ihm stolz alle weitere Rede in diesem Sinne. Dann machte sie aus dürrem Laub ein Lager auf dem Erdboden zurecht, suchte zur Decke ein paar Stücke Zeug zusammen, die auf dem Boden umherlagen, wobei sie jedoch mit frommer Scheu alles unangerührt ließ, was einen Teil der priesterlichen Gewandung ausgemacht hatte, und ebenso heftig wie sie Speise und Trank von sich gewiesen, so wies sie nun auch die Zumutung von sich, das hergerichtete Lager selbst zu benützen. Mit gebieterischer Handbewegung sagte, sie:
»Schlafe Du, Roland Gräme, schlafe Du! Du verfolgtes und enterbtes Waisenkind! Du Sohn einer unglücklichen Mutter! schlafe, schlafe Du! ... Ich gehe in die Kapelle nebenan, um zu beten!«