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Roland Gräme kam nicht gleich, sondern ließ eine Zeit warten. Die Botin, die ihm den Bescheid bringen sollte, hatte zuerst an seiner Tür geklinkt, ohne Zweifel in der liebevollen Absicht, sich an der Verwirrung des Schuldigen zu weiden und zu beobachten, wie er sich verhalte.
Aber Roland hatte den Riegel vorgeschoben, und dies kleine Stück Eisen hinderte sie daran. Lilias klopfte nun und rief ein paarmal hintereinander:
»Roland Gräme! Roland Gräme!« dann (mit Nachdruck auf dem Worte »Herr«) – »Herr Roland Gräme« – dann fragte sie: »Aber fehlt Euch denn was, Gräme? und wollt Ihr nicht öffnen, Roland? seid Ihr etwa in stillem Gebet begriffen, das Ihr so plötzlich im Stich gelassen? Redet doch, was los ist! wenn Ihr Euch noch einmal so in der Kirche aufführt, dann wird der Herr Pfarrer wohl Sorge tragen müssen, daß Ihr in einem eingefriedeten Raum zu sitzen kommt, damit Euer Benehmen nicht der ganzen Gemeinde zum Aergernis werde!«
Aber Roland Gräme rührte sich nicht in seiner stillen Klause. Die Zofe begann nun das Thema fallen zu lassen, das bisher ihren Rufen zu Grunde gelegen hatte, und fragte kurz und grob:
»Heda! Ihr junger Mensch dadrinnen, Ihr sollt auf der Stelle Bescheid geben, ob Ihr zur Schloßherrin kommen wollt oder nicht. Sie schickt mich her, Euch zu ihr zu holen!«
»Was sagt Eure Herrin?« fragte jetzt der Page von drinnen.
»Schockschwerenot!« rief die Zofe ärgerlich, »da steht man wie ein Ochs am Scheunentor! Könnt Ihr denn nicht aufmachen und Bescheid geben?«
»Der Name Eurer Herrin ist ein zu schöner Deckmantel für Eure Frechheit,« sagte der Page, noch immer von drinnen. ... »Sagt mir kurz, was die Dame von Avenel will.«
»In ihrem Kabinett sollt Ihr Euch sogleich einfinden,« rief ihm die Zofe zu. »Die Schloßherrin wird Euch wohl einige Winke geben wollen, wie Ihr Euch künftighin in der Kirche zu verhalten habt.«
»Sagt der Dame von Avenel,« erwiderte Roland Gräme, daß ich sogleich zu ihren Diensten stehen werde; Ihr aber macht, daß Ihr von meiner Tür wegkommt.«
»Ist das ein Flegel!« brummte die Zofe und ging; ihrer Herrin aber meldete sie, daß Roland Gräme sich bei ihr einfinden werde, sobald es ihm genehm sein werde.
»Wie?« fragte die Schlußherrin, »rührt der Zusatz von ihm her oder von Dir?«
»Je nun, gnädigste Herrin,« antwortete die Zofe, die eigentliche Frage umgehend, »es hörte sich so an, wie wenn er noch ganz andre Dinge auf den Lippen hätte; ich hielt es aber für besser, nicht erst zu warten, bis er sie gesagt hätte. Aber da ist er ja schon und kann Euch selbst Rede und Antwort stehen.«
Roland Gräme trat stolzer, und mit tieferer Röte auf den Wangen als sonst, in das Zimmer. Aus seiner Haltung sprach Verlegenheit, aber nicht Furcht oder Reue.
»Junger Mann,« redete die Schloßherrin ihn an, »was soll ich wohl von Eurer heutigen Aufführung denken?« »Wenn sie Euch gekränkt hat, meine gnädigste Herrin, so betrübt mich das sehr,« erwiderte der Jüngling.
»Ueber die Kränkung können wir schweigen,« antwortete die Dame von Avenel, »aber Ihr habt Euch eine Aufführung zu schulden kommen lassen, die Euren Herrn sehr erzürnen wird. Wie konntet Ihr so gewalttätig handeln gegen Eure Dienstgenossen und so unehrerbietig gegen Gott und seinen Stellvertreter? »Ich muß hierauf sagen, gnädigste Herrin,« antwortete Roland Gräme, »daß es mich aufrichtig betrübt, Euch gekränkt zu haben, aber dies ist's, was mich in diesem Falle mit Schuld belastet, und was mich mit Reue erfüllt. Zu dem weitern aber wollt Ihr gelten lassen, daß mich Sir Halbert Glendinning nicht seinen Diener nennt, und ich ihn nicht meinen Herrn ... er hat kein Recht, mich zu schelten darum, weil ich einen frechen Lümmel züchtigte, wie es ihm gebührte. Ebensowenig fürchte ich den Zorn des Himmels, weil ich einem Pfaffen zu verstehen gab, daß ich seine Einmischung in meine persönlichen Angelegenheiten mit Verachtung zurückweise.«
Vor diesem Auftritt hatte die Dame von Avenel an ihrem Lieblinge wohl Aeußerungen knabenhaften Mutwillens und Auflehnung gegen jeden Tadel und Vorwurf bemerkt, aus seinem jetzigen Benehmen leuchtete ein ernster und fester Charakter hervor, und sie wußte eine Zeitlang nicht, wie sie ihm entgegentreten sollte, denn er schien über Nacht zum Manne gereift zu sein, dem es an Kühnheit und Entschlossenheit nicht gebrach. Dann aber sagte sie mit der ihm eigentümlichen Würde:
»Solche Sprache gegen mich, Roland? Geschieht es in der Absicht, mir die Gunst zu verleiden, die ich auf Dich verwendet habe? Erklärst Du Dich deshalb für frei jeglicher Herrschaft des Himmels und der Erde? Hast Du vergessen, wer Du warst, und vergißt Du, in welche Lage Du gelangen mußt, wenn Du meines Schutzes entbehrst?«
»Gnädigste Herrin, ich habe nichts von alledem vergessen,« versetzte der Page, »nur zu lebhaft steht alles in meinem Gedächtnis. Ich bin mir wohlbewußt, daß ich ohne Euch in den blauen Fluten dort umgekommen wäre, und daß ich Eurer Güte und Liebe viel, sehr viel zu verdanken habe. Glaubt nicht, meine Dame, ich sei hierfür undankbar, aber ich habe hier doch auch manches ertragen müssen, was ich nicht ertragen hätte, wäre es nicht geschehen um Euretwillen.«
»Um meinetwillen?« wiederholte die Dame von Avenel, »habe ich Dir jemals zugemutet, etwas zu ertragen, was sich mit den Gefühlen der Dankbarkeit und Erkenntlichkeit nicht vertrüge, die ich bei Dir voraussetzen mußte?«
»Ihr seid zu gerecht, gnädige Frau, daß Ihr von mir fordern könntet, ich solle dankbar sein gegen die kalte, mit Widerwillen gepaarte Verachtung, mit der mich Euer Gemahl ständig behandelt hat; Ihr seid zu gerecht, daß Ihr von mir Dankbarkeit erwarten könntet für die ständigen Aeußerungen von Hohn und Mißgunst, mit denen mich andre in so überreichem Maße bedacht haben, oder gar etwa für die Bußpredigt, die mir der Herr Schloßkaplan heute gehalten hat!«
»Hat jemand wohl je solche Reden vernommen?« fragte die Zofe, indem sie die Hände zusammenschlug und die Augen gen Himmel hob; »redet er nicht, als sei er ein Grafensohn oder die letzte Auslese eines edlen Ritters?«
Der Page würdigte sie keiner Antwort, sondern warf nur einen Blick tiefer Verachtung auf sie. Ihre Herrin, aber, die sich ernstlich gekränkt fühlte und um der Torheit des Jünglings willen doch Sorge fühlte, schlug den gleichen Ton an.
»Roland, Du vergißt Dich in der Tat auf so seltsame Weise, daß ich mich versucht fühle, Deinen Dünkel in ernster Weise zu dämpfen, und zwar dadurch, daß ich Dich auf den Platz zurückversetze, der Dir im Leben und in der Welt zukommt.«
»Das beste wäre wohl, die gnädige Herrin spedierte ihn als die gleiche Bettelbrut wieder zum Schlosse hinaus, als die er seinen Weg hineingefunden hat,« rief Lilias.
»Lilias braucht eine derbe Ausdrucksweise,« meinte die Schloßherrin, »aber die Wahrheit spricht sie. Ich bin nicht der Meinung, daß es gut sei, ferner Rücksicht auf den Stolz zu nehmen, der Dir den Kopf, wie es scheint, so stark verdreht hat. Dadurch, daß ich Dich mit schönen Kleidern herausgeputzt habe und als Sohn eines Edelmannes behandelte, hast Du völlig vergessen, aus welch niedrigem Blute Du stammst.«
»Mit Verlaub, gnädigste Dame,« nahm jetzt der Page das Wort, »die Zofe hat nicht die Wahrheit gesprochen, und Euer Gnaden ist über meine Abkunft nicht das geringste bekannt. Ihr seid mithin keineswegs berechtigt, mit solch verächtlichen Worten davon zu sprechen. Ich bin keine Bettelbrut, denn meine Großmutter ist nie jemand um ein Almosen angegangen, weder hier noch anderwärts. Wir sind verjagt worden von Haus und Hof, ein Fall, der in unsrer Zeit durchaus nicht vereinzelt dasteht, und den auch andre Leute erlebt haben. War doch auch Schloß Avenel mit seinen Türmen und seinem See nicht immer fest genug, seine Bewohner vor Jammer und Elend zu schützen.«
»Ist das eine Frechheit!« rief die Zofe, »unsrer Herrin das Unglück ihres eignen Hauses in Erinnerung zu bringen!«
»Dieser Punkt wäre allerdings besser unbemerkt geblieben,« sagte die Schloßherrin, durch diese Anspielung sichtlich betroffen.
»Es war notwendig, gnädige Frau, dies zu erwähnen, wenn ich mich rechtfertigen sollte,« sagte der Page, »sonst hätte ich gewiß nicht von Dingen gesprochen, die für Eure Ohren nicht angenehm zu hören sind. Daß ich indes nicht von niedriger Herkunft bin, das dürft Ihr mir wohl glauben, wenn ich auch nicht sagen kann, woher ich stamme, aber das hat mir die einzige Verwandte gesagt, die ich gekannt habe, und das hat sich in mein Herz geprägt und wird aus meinem Herzen nicht schwinden. Und demnach verdiene ich die Behandlung, wie sie Leuten von Herkunft gehört.«
»Und auf solche unbestimmte Andeutung hin,« sagte die Dame, »meinst Du Anspruch zu haben auf all die Rücksichten und Vorrechte, die einem hohen Rang und einer vornehmen Geburt zustehen? Geh, geh, Bursche, und halte Einkehr, oder unser Hausmeier soll Dir sagen, daß einem vorlauten Bengel wie Dir die Hosen noch straff gezogen werden müssen. Dir gegenüber ist viel zu viel Nachsicht geübt worden.«
»Eher soll der Herr Hausmeier meinen Dolch zwischen seinen Rippen fühlen, als daß mich ein Schlag von ihm trifft. Ich merke schon, meine gnädige Dame, ich habe zu lange unter weiblichem Pantoffel gestanden und zu lange einem silbernen Pfeifchen pariert. Es wird gut sein, Ihr seht Euch nach einem andern Burschen um, der sich dazu besser eignet als ich, mag er auch von Geburt und Sinn so niedrig sein, daß er sich von Eurem Hausgesinde allen Spott und Hohn einsteckt und einen Lehnsmann der Kirche für seinen Herrn ansieht.«
»Es geschieht mir recht, daß mich solche Kränkung jetzt aus Deinem Munde trifft,« sprach tief errötend die Dame von Avenel; »warum habe ich Deinen Trotz so lange genährt und Deine Unarten so ruhig mitangesehen! Geh Deiner Wege, Bursche; noch heute nacht verläßt Du das Schloß! Die Mittel zum Unterhalt, bis Du ein Unterkommen gefunden hast, will ich Dir geben, sofern Du nicht in Deinem Dünkel alles verschmähst außer Mitteln, die Du Dir durch Gewalttätigkeiten verschaffen kannst. ... Fort, sage ich, Bursche! und komm mir nicht wieder vor die Augen!« Der Page warf sich, von schrecklicher Angst ergriffen, der Dame zu Füßen.
»Meine teure, innig verehrte Herrin –« Hub er an, war aber außer stande, eine Silbe weiter zu sprechen.
»Steh auf, Bursche,« rief die Dame von Avenel unwillig, »und nimm die Hand von meinem Mantel. Heuchelei ist eine zu schnöde Hülle für Undank.«
»Ich bin weder des Undanks fähig noch der Heuchelei,« sagte der Page, indem er mit einem Ungestüm aufsprang, wie es seinem heftigen Temperament angemessen war. »Meint nicht, ich wolle um Erlaubnis betteln, hier bleiben zu dürfen. Mein Entschluß, Avenel den Rücken zu wenden, steht schon lange fest, und nie werde ich es mir verzeihen, daß ich es darauf ankommen ließ, daß Ihr mir das Wort: »Fort!« früher gesagt habt, als ich Euch Lebewohl geboten habe. Ich sank vor Euch auf die Kniee, um Euch um Verzeihung zu bitten wegen eines ungestümen Wortes aus meinem Munde, das den Weg in einem hohen Grade von Unmut über meine Lippen nahm, das ich aber nicht hätte aussprechen sollen. Um andre Gnade wollte ich nicht bitten und um andre Gnade bitte ich nicht, denn Ihr habt mir der Gnaden schon zuviel erwiesen, aber ich wiederhole, daß Euch besser bekannt ist, was Ihr selbst getan, als was ich geduldet habe.«
»Roland,« nahm jetzt die Dame in einem sanfteren Tone das Wort, denn die Liebe zu dem schönen Jüngling brach wieder hindurch, »wenn Du meintest, daß man Dich nicht angemessen behandle oder gar Dich beleidige, so war es Deine Pflicht, Dich an mich zu wenden. Unrecht hinzunehmen, war so wenig Deine Sache, wie Dir ein Recht zustand, es selbst zu ahnden, denn Du standest unter meinem persönlichen Schutze.«
»Und wenn mir Unrecht widerfuhr von Personen, die Ihr liebtet, sollte ich dann Eure Ruhe stören durch ewige Klagen, durch Klatscherei und Zwischenträgerei? Nein, gnädige Herrin, lieber trug ich, was mir widerfuhr, in Ruhe und ohne Murren. Ich hätte es nicht über das Herz bringen können, Euch fort und fort in den Ohren zu liegen mit meinem Leid, dazu verehrte ich Euch zu innig. Und darum, gnädigste Herrin, ist es gut, daß wir scheiden. Ich eigne mich nicht dazu, so lange mich in Gunst zu wiegen, bis mich Verleumdungen von Subjekten aus dieser Gunst verdrängen. Ich werde immer zum Himmel flehen, daß er sein reiches Segensfüllhorn über Euch ausschütte und, um Euretwillen, auch über alle diejenigen, die Euch teuer sind.«
Er war schon bis zur Tür gegangen, da rief ihn die Schloßherrin von Avenel zurück. Der Page blieb stehen, und die Dame sagte:
»Daß ich Dich ohne Mittel zum Unterhalt ziehen lassen sollte, kann weder meine Absicht gewesen sein, noch entspräche es der Billigkeit, und wenn meine Unzufriedenheit mit Dir größer noch wäre als sie ist. Also nimm hier diese Börse!«
»Bitte um Eure gütige Nachsicht, gnädigste Herrin,« sagte der Jüngling, »aber laßt mich scheiden mit dem Bewußtsein, daß mir die Erniedrigung, Almosen entgegenzunehmen, erspart geblieben ist. Selbst angenommen, meine bescheidnen Dienstleistungen hätten wettmachen können, was Ihr an Kost und Kleidung für mich aufgewandt habt, so bleibe ich Euch noch immer Schuldner für die Rettung meines Lebens, und das allein schon ist eine Schuld, die ich zeitlebens nicht zu tilgen im stande wäre. Drum nehmt Eure Börse wieder zu Euch, meine gnädigste Herrin, und laßt mich gehen mit dem Bewußtsein, daß Ihr nicht im Zorne von mir scheidet.«
»Nein, Roland, nicht im Zorne wollen wir scheiden,« wiederholte die Dame, »aber in schwerer Sorge um Deines Starrsinns willen sehe ich Dich ziehen. Nimm hier das Geld, Du wirst es brauchen können.«
»Möge Gott Euch segnen, beste Herrin, für und für, aber dies Geld kann ich nicht nehmen. Ich habe Kräfte genug, mir Geld zu verdienen, und auch an Freunden fehlt es mir nicht so völlig wie Ihr zu meinen scheint. Vielleicht kommt einmal noch eine Zeit, da ich meine Dankbarkeit auf andre Weise zu bezeigen vermag als durch bloße Worte.«
Er ließ sich auf ein Knie nieder und küßte die Hand, die sie ihm nicht entzog. Dann verließ sie schnellen Schrittes das Zimmer.
Die Dame von Avenel stand ein paar Augenblicke da, so bleichen Gesichts und so unsichrer Haltung, daß sie einer Ohnmacht nahe zu sein schien. Die Zofe wollte ihr zu Hilfe eilen, aber die Dame winkte ihr, sich zu entfernen. Sie faßte sich schnell und begab sich in ihre Gemächer.
Früh am Morgen nach diesem Auftritte verließ der in Ungnade gestürzte Liebling der Dame von Avenel das Schloß, in welchem er den Stoff noch zu mancher Unterhaltung zwischen der ihm aufsässigen Dienerschaft liefern sollte, und wanderte fürbaß, ohne alles Ziel. Das Boot, worin er über den See gesetzt war, hatte er nach der vom Dörfchen am weitesten abgelegnen Stelle gerudert, um über die Richtung, die er einschlüge, völlige Ungewißheit bestehen zu lassen. In seinem Stolze sagte er sich, daß er als Ausgewiesener bei den Dörflern nur Verwunderung, höchstens noch Mitleid wecken werde, und von beidem mochte er nichts wissen. Anderseits mußte er sich sagen, daß jeder Beistand, der ihm etwa geleistet werde, zu den Ohren der Leute auf dem Schlosse den Weg und dort mißgünstige Deutung finden könne.
Ein nichtiger Vorgang sollte ihn bald lehren, daß er sich um seiner Freunde am jenseitigen Ufer willen keine Sorge zu machen brauche.
Ein junger Mensch, um ein Paar Jahre älter als er, begegnete ihm, der sich früher, als Roland noch in Gunst bei seiner Herrin stand, überglücklich gefühlt hatte, wenn er an Rolands Spielen und Zerstreuungen hatte teilnehmen dürfen, wenn auch nur in der untergeordneten Rolle eines jugendlichen Dienstmannes. Er kam mit der schmeichlerisch-frohen Miene eines sklavischen Freundes auf ihn zu und sagte ihm guten Morgen.
»Ei, ei, Junker Roland, unterwegs auf dieser Seeseite und schon so früh und ohne Hund und Falken?«
»Falken und Hund,« erwiderte Roland, »werde ich wohl kaum wieder Halloh rufen. Ich bin weg vom Schlosse, das heißt, ich bin auf dem Wege wo anders hin.«
Ralph Fischer – so hieß der junge Mensch – war höchlich verwundert.
»Wie? also im Begriff, in die Dienste des Ritters zu treten?« das Panzerhemd wollt Ihr anlegen und die Lanze nehmen?«
»Nein, so ist's nicht gemeint,« versetzte Roland, »ich stehe im Begriff, den Dienst auf dem Schlosse Avenel ganz aufzugeben.«
»Und wohin, gedenkt Ihr den Fuß zu setzen?« fragte der junge Dörfler.
»Darauf läßt sich so schnell nicht antworten, wie es sich fragen läßt,« sagte Roland Gräme, »darüber bin ich noch nicht mit mir einig.«
»Nun, nun, es wird wohl auf eins herauskommen, wohin Ihr Euch wendet,« meinte Ralph Fischer, »denn die gnädige Dame von Avenel wird ja nicht vergessen haben, Euch Euer Wams tüchtig mit Geld zu Polstern.«
»Niedriger Sklave,« versetzte Roland stolz, »meinst Du, ich ließe mich traktieren von einer Frau, die mich in Mißgunst fallen ließ und mich von sich wies um der Klatschereien einer Zofe und eines salbadernden Pfaffen willen? Am kleinsten Bissen Brot, den sie mir noch gegeben hätte, wär ich erstickt.«
Ralph gaffte seinen einstigen Gespielen an mit einer Miene, die halb Staunen, halb Geringschätzung kündete.
»Na, was geht's, mich an?« sagte er dann, »jeder muß am besten wissen, was ihm frommt und wie er mit seinem Magen zurecht kommt. Aber ich wär froh gewesen, wenn ich so ins Blaue hinein laufen müßt, es hätt sich jemand gefunden, der mir die Taschen voll machen wollte. Ist's Euch vielleicht recht, auf eine Nacht mit mir beim Vater zu bleiben? freilich bloß auf eine Nacht, denn morgen kommt Onkel Menelaus mit seinem Jungen zu mir und da ist's dann vorbei mit dem Platze ... aber auf eine Nacht, wie gesagt ...«
Der Page fühlte sich, da das Anerbieten in so wegwerfendem Tone und mit solcher Einschränkung gemacht wurde, mehr verletzt dadurch als erfreut und erwiderte:
»Lieber schlaf ich aus offner Heide, wie bei geringerer Veranlassung schon in so manch andrer Nacht,« sagte er stolz, »als in Eures Vaters verräucherter Dachstube, die doch nach Torf und Branntwein stinkt wie ein Hochschottenplaid.«
»Das könnt Ihr ganz halten, wie Ihr wollt,« versetzte Ralph, »ich denk aber, es wird sich wohl noch mit dem spröden Wesen legen und seid Ihr erst mal ein paarmal ohne Obdach gewesen, dann wird Euch wohl eine Streu mit ein bißchen Torfqualm und einem Schnaps dazu gar so Unrecht nicht sein. Bedanken wenigstens hättet Ihr Euch schon können, wenn Euch jemand was anbietet, denn es ist schließlich nicht jedermanns Sache, sich Scherereien auszusetzen wegen eines aus dem Dienst entlassenen Lakeien.«
»Ralph,« versetzte Gräme, »vergiß doch lieber nicht, daß Du die Reitpeitsche, die ich noch in der Hand halte, schon ein paarmal gekostet hast. Es könnte Dir wohl noch einmal passieren.«
Ralph, ein strammer, untersetzter Bursche, der sich seiner Kräfte sattsam bewußt war und es sich wohl zutraute, einen Kampf mit dem Junker bestehen zu können, lachte ob der Drohung desselben hell auf.
»Was mich schlug, war der Stiel, die Hand tat dazu nicht viel,« sagte er und lachte hell auf. »Der Reim paßt so gut, wie wenn er in einer Ballade stände. Ich will Euch bloß sagen, junges Herrchen, wenn ich mir den Stiel von Eurer Peitsche hab gefallen lassen, dann war's um der Schloßherrin willen, bei der ich's nicht verderben wollte, aber jetzt wüßte ich nicht was mich abhalten sollte, alte Rechnungen hier mit dem Haselstocke wettzumachen und Euch fühlen zu lassen, daß ich nicht Eure Knochen, mein junger Herr Roland, sondern bloß Eure Livree hab schonen wollen.«
So ergrimmt auch Roland über diese bäurische Frechheit war, so riet ihm doch in diesem Falle die Klugheit, sich in die Gefahr eines Streits mit dem um so viel stärkeren Menschen nicht einzulassen, und während sein Widersacher ihn mit höhnischem Lachen zum Kampfe herausforderte, wurde ihm die Bitternis seiner gegenwärtigen Lage nur allzu bewußt und er brach in heftiges Weinen aus, außer stande, die Tränen zu verbergen. Selbst dem rauhen Bauernburschen ging der Schmerz des ehemaligen Gefährten nahe.
»Herr Roland,« sagte er gutmütig, »es war ja nicht so gemeint, und weh tun hab ich Euch nicht wollen, ganz gewiß nicht, schon um der alten Bekanntschaft willen nicht. Aber laßt Euch eins raten! Ehe Ihr von Eurer Reitpeitsche zu reden anfangt, dann seht Euch lieber den Kerl zuvor an, ob er nicht ein paar Zoll länger ist als Ihr und nicht bloß ein paar solche Spindelchen von Armen hat wie Ihr ... Aber, horch! da hör ich doch Adam Woodcok den Falken rufen! ... Kommt mit, Page, Zum Vater, wir wollen uns einen vergnügten Nachmittag machen; kehrt Euch nicht an das bißchen Torfqualm und an den Fusel! Wer weiß, ob sich nicht ein ganz anständiges Mittel zu Brot und Auskommen für Euch dabei finden läßt, wenn es auch eine gar schwere Sache heutzutage ist, ein Unterkommen zu finden.«
Roland fühlte sich so tief unglücklich, daß er kein Wort zur Antwort fand, sondern noch immer die Hand vor die Augen hielt, um die Tränen nicht sehen zu lassen, die ihm nach wie vor über die Wangen rannen. Ralph aber fuhr fort in dem Tone, der seiner Meinung nach der rechte war, ihn zu trösten:
»Seht, Freund, als Ihr noch Liebling der Gnädigen wart, da haben die Leute gesagt, Ihr seiet stolz, haben Euch für einen Papisten gehalten und alles mögliche. Drum müßt Ihr nun, da Ihr auf eignen Füßen stehn wollt, Euch befleißigen, recht hübsch manierlich und gesellig zu werden, auch mal ein gutes Wort jemand zu sagen wissen, müßt beim Prediger in die Nachmittagsbetstunde gehen, und dergleichen. Und wenn er sagt, Ihr hättet gesündigt, dann müßt Ihr mit dem Kopf unters Wasser fahren, und wenn Euch mal ein Adeling eins mit der Gerte überzieht, dann müßt Ihr Euch nicht mucksen, sondern bloß sagen, schönen Dank, daß Ihr mir das Wams ausgeklopft habt, oder so etwas, wie ich's ja auch mit Euch gemacht habe ... Aber da pfeift Adam schon wieder mit der Schalmei. Ich will Euch unterwegs alle Schliche lehren, wie man's machen muß, um durch die Welt zu kommen.«
Roland Gräme hatte sich inzwischen wieder so weit beruhigt, daß es ihm gelang, eine gleichgültige Miene zu machen, und er erwiderte: »Nun, ich weiß, daß es noch andre Wege gibt, und selbst wenn das nicht der Fall wäre, so möcht ich in Eure Fußtapfen doch nicht treten.«
»Wie gesagt, Herr Roland,« versetzte der Bauernbursche, »ganz wie Ihr wollt und denkt. Es muß jeder am besten wissen, wie er sich sein Leben einrichtet. Ich mag Euch nichts dreinreden. Noch einen Händedruck, Kamerad, um der alten Bekanntschaft willen. Was? auch nicht? Na, ein Dickkopf läßt sich eben von nichts abbringen, drum lebt wohl, noch einen guten Morgen auf den Weg!«
»Guten Morgen!« sagte Roland hastig, »guten Morgen!« während der Bauer sich schnell entfernte, offenbar froh, jemand los zu sein, der nichts mehr hatte, sich nützlich zu erweisen, aber einem leicht Dinge zumuten konnte, die einem Ungelegenheiten machen konnten.
Als sich sein Gemüt einigermaßen beruhigt hatte, trat die Erinnerung an seine Wohltäterin und an ihre Güte ihm wieder vor die Seele, und alle Kränkung, die er ihr angetan hatte, zeigte sich ihm jetzt in den schwärzesten Farben. Wie oft hatte sie ihn nicht in Schutz genommen gegen die Ränke andrer, und nie würde sie aufgehört haben es zu tun, hätte nicht er in seinem Uebermaß von Trotz und Herrschsucht sie vor die Notwendigkeit gestellt, die schützende Hand von ihm zu ziehen.
»Ja,« rief er bei sich, »und wenn ich auch Unwürdiges gelitten habe, so war es doch nur der verdiente Lohn für meinen Undank. War es wohl recht von mir, ihre Gastfreundschaft anzunehmen, mich mit mehr als mütterlicher Liebe von ihr behandeln zu lassen und ihr zu verschweigen, daß ich andern Glaubens bin als sie? ... Aber sie soll es noch hören, daß ich katholischen Glaubens bin, und daß ein Katholik ganz ebenso dankbar sein kann wie ein Puritaner, daß ich wohl unbesonnen war, aber nicht schlecht von Charakter, daß ich sie immer hochgeachtet habe, ihr immer in Liebe zugetan blieb, selbst in den zornigsten Augenblicken, daß ich wohl unüberlegt handeln konnte, aber nicht undankbaren Herzens bin.« Während diese Gedanken ihm durch den Sinn gingen, drehte er sich um und wandte die Schritte wieder dem Schlosse zu. Dann aber kam der Gedanke an den Hohn, mit dem ihm die Dienerschaft begegnen würde, und dämpfte die erste schnelle Regung von Reue, die ihn überkommen hatte. Hätten diese gemeinen Seelen denn andre Gründe für seine Umkehr finden können, als daß er um Verzeihung für sein unartiges Benehmen bitten, daß er sich wieder ins Schloss einvettern wolle? Er mäßigte wohl die Schnelligkeit seines Schrittes, blieb aber nicht stehen. »Mögen sie sagen, was sie wollen, mögen sie mit dem Finger weisen, mögen sie reden von Hochmut, der vor dem Falle kommt, und was sonst noch, ich will es nicht achten, ich will es ansehn als eine Buße, die mir gebührt, und will alles mit Geduld tragen. Aber wenn auch sie, meine Gönnerin, mich für so niedrig und schwachherzig ansehen sollte, daß ich nicht käme, bloß sie um Verzeihung zu bitten, sondern um mir wieder Vorteile zu schaffen, die mir ihre Gunst bisher gewahrte – das vermöchte ich nicht zu ertragen, das will und werde ich nicht ertragen!«
Er blieb stehen, und sein Stolz raunte ihm zu, daß er sich durch solchen Schritt weniger die Gunst der Dame von Avenel als ihre Geringschätzung verschaffen werde, und während er so stand und sann, da glitt ein Gegenstand an ihm vorbei, so dicht, daß er ihm die Augen blendete und die Feder seines Hutes streifte. Es war der Lieblingsfalke Sir Halberts, der seinen Kopf umflatterte und die Aufmerksamkeit des Pagen, der so oft mit ihm in den Wald hinaus gewandert war, auf sich lenken zu wollen schien. Roland ließ den gewohnten Lockruf ertönen, und sogleich setzte sich der Falke auf den ausgestreckten Arm des Pagen und fing sich zu putzen an und heftete von Zeit zu Zeit einen scharfen, funkelnden Blick aus den nußbraunen Augen auf ihn, wie wenn er fragen wollte, warum er ihn nicht mit der sonstigen Zärtlichkeit behandle.
»Ach, mein schöner Demant!« sagte da Roland zu dem Falken, wie wenn ihn der Vogel verstände, »wir müssen uns nun fremd werden. Hast manchen schönen Fang für mich gemacht, hast manchen kräftigen Reiher in den Sand gestreckt! aber das ist nun alles vorbei, denn für mich, schöner Demant, gibt es nun keine Beize mehr!«
»Ei, und warum nicht, Herr Roland,« sagte ein Stimme, und Roland erkannte sie als die Stimme Adam Woodcocks, des Falkners, der eben hinter Erlenbüschen hervortrat, die ihn Rolands Blicken verborgen hatten, »warum sollte es für Euch keine Beize mehr geben? Was wäre denn das ganze Leben ohne das edle Weidwerk?«
Er sprach's in zutraulichem, freundlichem Tone, aber die Erinnerung an den Zwist, den sie zusammen vor so kurzer Zeit erst gehabt, und an die Folgen, die für ihn so einschneidender Art gewesen waren, lähmte Roland die Zunge
»Herr Roland, meint Ihr denn als halber Engländer, ein ganzer Engländer wie ich könne Groll gegen Euch bewahren jetzt, da Ihr in Not und Verdruß seid? Das sähe doch den Schotten zu ähnlich, meinen Herrn natürlich ausgenommen, die von Gesicht freundlich tun und mit dem Herzen falsch sein können, die einem alles nachtragen, bis ihren Reden nach die rechte Stunde da ist; die mit Euch aus der gleichen Schüssel essen, mit Euch aus dem gleichen Becher trinken und beizen und jagen, und schließlich, wenn sich ein günstiger Anlaß bietet, eine alte Rechnung, die Ihr längst vergessen habt, mit der Dolchspitze ausgleichen! ... Drüben in Yorkshire hat man für solche Schulden kein Gedächtnis. Nein, mein junger Kamerad, Ihr habt mir wohl derb eins ausgewischt, aber es kann wohl sein, daß ich es von Euch noch lieber hingenommen hab als von jedem andern, denn Ihr habt wenigstens gute Kenntnisse von der Falkenbeize, wenn ich auch inbetreff des Auffütterns von Nestfalken andrer Meinung bin als Ihr. Drum gebt mir die Hand, Kamerad, und hegt nicht weiter gegen mich Groll.«
Wenngleich sich Rolands Blut gegen die vertrauliche Weise des Falkners auflehnte, so war er doch außer stande, der treuherzigen Offenheit desselben zu widerstehen, und indem er sich mit der einen Hand das Gesicht verdeckte, streckte er die andre dem Manne entgegen und erwiderte seinen freundschaftlichen Druck.
»Na,« sagte Adam Woodcock, »jetzt kommt's doch von Herzen, ich hab's ja doch immer gesagt, das Herz bei Euch sei gut, wenn Ihr auch ein Stück vom Teufel in Euch hättet. Ich war mit dem Falken unterwegs, um Euch zu suchen, und der ungeschlachte Lümmel dort sagte mir's, wohin Ihr den Flug genommen hättet. Von der Geiersbrut im Dorfe habt Ihr immer zuviel gehalten, Herr Roland, und ich Hab mit angesehn, was zwischen Euch passiert ist. Mit einem Donnerwetter hab ich den Kerl auf den Trab gebracht, als er sich an mich heranmachen wollte ... Und nun, Herr Roland, wohin soll Euer Flug sich wenden?«
»Wie es dem Herrn droben gefällt, Woodcock,« versetzte der Page mit einem Seufzer.
»Na, Kamerad, deshalb nicht so trübe dreingeschaut!« sagte der Falkner, »wer weiß, ob Ihr nicht bald weit bessern Aufflug nehmt, als es hier hätt sein können! Seid Ihr nicht mehr Page, so seid Ihr Euer freier Herr, könnt hingehn, wohin es Euch Paßt, und tun, was Ihr wollt. Und könnt Ihr Euch nicht mehr so schön kleiden, so braucht Ihr auch nicht mehr nach der Pfeife zu tanzen. Es hat eben immer jegliches Ding seinen Vorteil und seinen Nachteil. Und was Euch noch in der Zukunft gebacken wird, wer kann's wissen? Sir Halbert, mit Verlaub, denn er ist jetzt mein Brotherr, soll auch mal froh gewesen sein, daß er als Förster bei seinem Herrn ankam, und jetzt ist er Ritter und hat seine eigne Jagd und Hund und Falken und den Adam Woodcock als Falkner noch obendrein!«
»Recht habt Ihr, Woodcock,« antwortete der Jüngling, dem das Blut die Wangen färbte, »höher schwingt sich der Falkner ohne die Schellen und wenn sie gleich aus Silber wären!«
»Nun, das war auch recht gesagt, Herr Roland,« versetzte der Falkner, »aber nun noch einmal, wohin soll's gehen?«
»Ich wollte nach der Abtei Kennaquheir hinüber,« sagte Roland, »und den Abt Ambrosius um Rat fragen.«
»Nun, dann Glück auf den Weg,« erwiderte der Falkner, »aber Ihr werdet die Mönche wohl in einiger Unruhe finden, denn wie das Gerücht geht, so droht das Volk, sie aus ihren Klöstern und Zellen zu jagen, weil es der Meinung ist, sich ihren Spuk nun lange genug mit angesehen zu haben. Und wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich unumwunden der gleichen Meinung.«
»Dann wird's für den Pater Ambrosius um so erwünschter sein, einen Freund bei sich zu haben!« meinte Roland entschlossenen Tones.
»Aber, mein jugendlicher Unverzagt, für besagten Freund wohl weniger angenehm, denn er könnte grade hinzukommen, wenn die Schläge am dichtesten fallen, und das ist doch allemal die böseste Zeit des Kampfes.«
»Furcht davor, daß mich Schläge treffen könnten, wird mich nicht abhalten,« sagte Roland, »aber ich befürchte, ich könnte den Brüdern zur Last fallen, wenn ich den Vater Ambrosius aufsuche. Ich will heute in St. Cuthberts Zelle nächtigen, der Pater dort gibt mir schon Unterstand, und morgen früh will ich beim Pater Ambrosius im Kloster anfragen lassen, ob ich ihm recht komme.«
»Bei unsrer lieben Frau,« erwiderte der Falkner, »kein übler Gedanke!... und nun noch eins,« – aber hier ging die bisherige Frische und Ungezwungenheit seines Wesens in etwas wie unbeholfene Verlegenheit über – »Ihr wißt wohl, daß ich eine Futterschleppe für meine Falken bei mir trage, aber wißt Ihr auch, womit sie ausgefüttert ist . . he?«
»Doch wohl mit Leder,« meinte Roland, verwundert darüber, daß Woodcock bei einer Frage von so einfacher Natur solch merkwürdige Verlegenheit zeigte.
»Mit Leder, meint Ihr?« wiederholte Woodcock, »nein, aber mit Silber. Da seht,« und bei diesen Worten wies er auf einen verborgnen Schlitz in der Tasche ... hier stecken dreißig Heinrichsgroschen, echt wie sie nur je in den Tagen des lustigen Heinz geschlagen worden sind, und zehn davon könnt Ihr haben, wenn's Euch recht ist ... und nun ist's runter vom Herzen, Gott sei gedankt!«
Rolands erster Gedanke war, das Anerbieten abzuweisen, aber er besann sich auf das Gelübde der Demut, das er sich vor wenigen Augenblicken selbst geleistet hatte, und antwortete dem Falkner mit aller Unbefangenheit, die ihm zur Verfügung stand, daß er das Anerbieten nicht von sich weisen wolle, wenn es auch sonst wider seine Anschauungen laufe. Unterlassen konnte er jedoch nicht, seinen Stolz wenigstens durch die Bemerkung zur Geltung zu bringen, daß er suchen werde, diese Schuld so schnell wie möglich wieder auszugleichen.
»Damit haltet's nur nach Eurem Belieben, ich tret Euch nicht drum auf die Zehen,« erwiderte der Falkner treuherzig, indem er die zehn Silberstücke dem Pagen gewissenhaft in die Hand zählte; dann aber setzte er hinzu mit der alten Fröhlichkeit seines Wesens:
»So, Herr Roland! und nun könnt Ihr den Tanz mit dem Leben wagen! ... denn wer noch weiß, wie man einen Gaul sattelt und einen Hund hetzt und in ein Horn stößt und Schwert und Tartsche führt und einen Falken beizt, dabei ein gutes Paar Schuhe und ein grünes Wams und zehn Heinrichsgroschen im Sack hat, der kann's mit ansehn. Und nun laßt's Euch gut draußen gehen, Herr Roland. Gott befohlen!«
Mit diesen Worten drehte er sich um, wie wenn ihm dran läge, jedem Schön Dank! seines Kameraden zu entgehen, und ließ Roland allein.