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Drittes Kapitel.

»So? Soldat willst Du auch werden, Roland?« fragte die Dame von Avenel, während sie, auf einer steinernen Ruhebank sitzend, dem Knaben zusah, wie er mit einem langen Stecken die Exerzitien der Schildwache nachmachte, die bald ihre Lanze schulterte, bald hinter sich her schleifte.

»Jawohl, gnädige Frau,« versetzte der Knabe, denn er war schon vertrauter geworden und gab auf alle Fragen schnell und frisch Antwort, »ich will Soldat werden, denn noch nie hat ein Adeling gelebt, der sich nicht mit dem Schwert gegürtet hätte!«

»Du und Edelmann?« meinte die Zofe Lilias, die wie gewöhnlich den Dienst bei der Schloßherrin hatte, »so einer, wie man ihn aus jeder Bohnenstange sich schneiden kann.«

»Still, Lilias, schilt mir den Jungen nicht!« sagte die Dame von Avenel, »denn ich glaube ganz bestimmt, daß er aus edlem Blute stammt. Sieh doch nur, wie er sich verfärbt bei Deinem Spott!«

»Wenn es nach mir ginge,« meinte die Zofe, »dann sollt ein strammes Birkenreis ihm die Blässe bald aus dem Gesichte treiben!«

»Aber, Lilias,« sagte die Dame, »fast sollte man meinen, das Kind hätte Dir was zu leide getan ... oder gönnst Du ihm die Gunst nicht, die ich ihm schenke, weil Du meinst, sie entginge Dir?«

»Da sei der Himmel vor, gnädige Herrin,« erwiderte die Zofe, »ich bin, gedankt sei Gott, zu lange im Dienst bei vornehmen Herrschaften gewesen, um mich in Widerspruch zu ihren Grillen und Launen zu setzen. Ob sich die Herrschaft interessiert für einen Hund oder einen Vogel oder einen Jungen, das ist mir alles ganz egal.«

Lilias war eine von jenen verwöhnten Kammerzofen, die sich mehr herauszunehmen, als sich manche Herrin mit Maß und Vernunft anzuhören vermag. Aber die Dame von Avenel pflegte, was ihr nicht gefiel zu überhören, und so tat sie es auch in diesem Falle. Sie nahm sich vor, den Knaben der Obhut der Zofe zu entziehen und sich hinfort selbst mehr um ihn zu bekümmern. Sie war der bestimmten Meinung, daß er von edlem Blute abstammen müsse, denn wie besäße er sonst eine so edle Gestalt und so vornehme, ansprechende Züge? ... Nicht minder ließen sein Ungestüm, das ihn zuweilen befiel, die Verachtung jeder Gefahr, das Widerstreben gegen jeden Zwang darauf schließen, daß er nicht von bäurischer Herkunft war. Nach dieser Ueberzeugung richtete sie ihr Verhalten hinfort ein. Die andre Dienerschaft, die nicht so ungebundnen Sinnes war wie die Zofe, verhielt sich wie sich Dienervolk in der Regel zu verhalten pflegt: sie suchte sich gemäß den Neigungen, von denen sich die Schloßherrin leiten ließ, zu verhalten. Der Knabe hingegen eignete sich bald jene überlegene Miene an, die sich leicht einzufinden pflegt, wenn jemand fortwährend unterwürfige Leute um sich sieht. Ihm schien Befehlen zur zweiten Natur zu werden, und es fiel ihm nicht schwer, für seine Grillen und Launen Beachtung nicht allein zu erwarten, sondern auch zu erlangen. Allerdings war der Pfarrer der Mann, solche Miene von Ueberlegenheit, wie sie Roland sich anmaßte, in ihre Schranken zu verweisen, und er hätte ihm solchen Dienst ganz sicher auch recht gern erwiesen, aber einige wichtige Auseinandersetzungen mit seinen Kollegen hatten ihn eine Zeitlang vom Schlosse fern gehalten.

Auf solche Weise hatten sich die Dinge im Schlosse gestaltet, als vom Seeufer herauf Hornstöße erschallten, die von den Turmzinnen lustig erwidert wurden. Die Dame von Avenel erkannte das Hornsignal ihres Mannes und stürzte zum Fenster. Ein Trupp von etwa dreißig Lanzenträgern, voran ein Mann mit fliegender Fahne, zog an den ausgefransten Ufern entlang zum Dammwege hin. Allen voran, im Abstande mehrerer Ellen, ritt ein Mann in glänzender Rüstung, auf der sich die Oktobersonne in Tausenden von Strahlen brach, und selbst auf den großen Abstand hin erkannte die Dame an dem stolzen Federbusche, der ihre Leibfarben, mit einem Palmenzweig geschränkt, zeigte, an der stolzen, festen Haltung und an dem würdevollen Anstand des Reiters ihren Gemahl, Sir Halbert Glendinning.

Die erste Regung, die die Dame von Avenel fühlte, war grenzenlose Freude. Dann beschlich sie eine unbestimmte Furcht, ihrem Gemahl möchte es nicht recht sein, daß sie den Knaben aufs Schloß genommen; noch ängstlicher aber wurde sie, wenn sie daran dachte, wie sie den Knaben bevorzugt und verhätschelt hatte, denn sie wußte recht gut, wie sehr ihr Mann in allen Dingen ein Freund der goldnen Mittelstraße war. Sie faßte deshalb einen raschen Entschluß, des Vorfalls mit dem Knaben erst am andern Morgen Erwähnung zu tun, und gab der Zofe die Weisung, sich mit ihm aus dem Zimmer zu begeben. Aber der verzogene Knabe, der schon öfter einmal seinen Willen durchgesetzt hatte und eine besondre Freude daran fand, sich in ein Ansehen zu setzen – eine Schwäche, die er mit andern vornehmen Leuten teilt – sagte laut und entschieden:

»Aber, gnädige Dame, ich will doch den tapfern Kriegsmann, der so stolz über die Zugbrücke reitet, auch mit ansehn – warum soll ich denn mit der Lilias in das finstre Turmzimmer hinauf? ... Nein, dorthin gehe ich nicht mit ... ganz gewiß nicht! ganz gewiß nicht!«

»Roland,« sagte die Dame von Avenel streng, »Du darfst jetzt nicht bleiben.«

»Ich will aber bleiben,« versetzte eigensinnig der Knabe, denn er merkte, daß er schon wieder bei der Dame gewann.

»Roland, was ist das für ein Benehmen,« fuhr die Dame fort, strengern Tones, als sie sonst dem Knaben gegenüber ihn anzuschlagen pflegte – »wie kannst Du mir gegenüber sagen, Du willst? Ich sage Dir doch, Du mußt mit Lilias mitgehen.«

»Nein, ich muß nicht,« rief der Knabe, »weil ich nicht will! Muß ist kein Wort, das sich für eine Frau schickt, aber will ein Wort, das sich für den Mann schickt.«

»Du wirst ja ein ganz ungezogenes Bürschchen, Roland,« verwies ihn die Dame ... »Lilias, bring ihn sofort aus der Stube!«

»Daß mein junges Herrchen dem alten noch einmal werde Platz machen müssen,« meinte die Zofe schnippisch, »das hab ich mir immer gedacht, und nun kommt's schneller, als ich dachte.«

»Sie liebt es ja auch, recht naseweis zu sein, Jungfer,« sagte die Dame von Avenel. »Haben wir etwa Mondwechsel, daß Ihr Euch alle so vergeßt?«

Lilias sagte nichts, sondern führte den Knaben hinweg, der zu stolz war, einen Widerstand fortzusetzen, der keinen Zweck hatte, aber einen Blick auf seine Wohltäterin schoß, der deutlich erkennen ließ, wie gern er auf seinem Willen bestanden hätte, wenn Aussicht vorhanden gewesen wäre, ihn durchzusetzen.

Noch rötete Mißmut die Wangen der Dame von Avenel, noch hatte sie die ungetrübte Heiterkeit der Seele nicht wiedergefunden, als ihr Gemahl, ohne Helm, aber mit den übrigen Waffen, angetan, eintrat. Seine Gemahlin dachte, als sie seiner ansichtig wurde, an nichts andres mehr; sie flog ihm entgegen, umschlang seine stahlbedeckte Brust mit ihren Armen und küßte sein kriegerisches, männliches Gesicht mit einer Inbrunst, die nicht bloß auffällig, sondern in höherm Grade noch aufrichtig war. Sir Halbert gab ihr Umarmung und Kuß mit gleicher Innigkeit zurück, denn wenn auch vielleicht die Zeit, die seit ihrer Vereinigung verstrichen war, die romantische Glut ihrer Liebe vermindert hatte, so war an ihre Stelle eine Zuneigung getreten, die mehr auf Vernunft fußte, und die wiederholte Abwesenheit des Ritters von seinem Schloß und seiner Gattin hatte verhütet, daß diese Zärtlichkeit nicht in Gleichgültigkeit überging.

Als die ersten Begrüßungen gewechselt waren, blickte die Dame von Avenel ihrem Gemahl liebevoll ins Antlitz und sagte: »Aber, Halbert, ich finde, Du hast Dich recht verändert. Hast Du etwa heut einen weiten Ritt gemacht, oder ist Dir nicht wohl gewesen?«

»Ich hab mich nie unwohl befunden, Maria, die ganze Zeit, seit ich weg bin,« erwiderte Sir Halbert, »und ein starker Ritt kommt bei mir alle Tage vor. Das weißt Du doch. Wer als Adeling geboren ist, der mag das Leben in den Mauern seines Schlosses verträumen. Wer aber sich den Adel selbst erworben hat, darf nie aus den Steigbügeln, sondern muß zeigen, daß er seines Adels auch würdig ist.«

Die Dame von Avenel blickte ihren Gemahl liebevoll an, wie wenn sie versuchen wollte, in seiner Seele zu lesen, denn der Ton, in welchem die Worte gesprochen worden waren, war nicht frei von einer gewissen Entmutigung.

Sir Halbert Glendinning war noch der gleiche wie früher, und doch ein andrer geworden, als er in früheren Jahren gewesen war. Die heiße Ungebundenheit war verschwunden, um der ruhigen, strengen Haltung des Kriegs- und Staatsmannes das Feld zu räumen. Die Sorge hatte die edlen Züge gefurcht, über die sonst jede Gemütsbewegung spurlos hinweg zog, wie leichtes Gewölk über sommerlichen Himmel. Die Stirn war höher und kahler geworden, die dunklen Locken wallten wohl noch immer dicht um das Haupt, an den Schläfen waren sie aber, wenn noch nicht verschwunden, so doch merklich dünner geworden, eine Wirkung nicht sowohl der verwichenen Jahre, als vielmehr des Druckes, den die Stahlhaube übte. Den Bart trug er der herrschenden Sitte gemäß dicht und kurz, in Zwickelbartform, und spitz zulaufend. Die von Sturm und Regen gebräunte Wange hatte ihren jugendlichen Glanz verloren, kündete aber von gestählter Manneskraft. Mit einem Worte, Sir Halbert Glendinning war ein Ritter, wie geschaffen, zur Rechten eines Königs zu reiten, das Banner eines Königs im Felde zu tragen, der Berater eines Königs im Frieden zu sein.

Und doch lagerte jetzt über diesen stolzen Zügen eine Niedergeschlagenheit, deren er sich vielleicht selbst gar nicht recht bewußt war, die aber dem scharf beobachtenden Blicke der zärtlichen Frau nicht entging.

»Es ist etwas vorgegangen oder soll etwas vorgehen,« sagte die Dame von Avenel, »denn solcher Unmut umwölkt nicht grundlos Deine Stirn; ich fürchte, es ist ein Unglück im Anzuge gegen uns selbst oder gegen unser Vaterland.«

»Es hat sich nichts Neues ereignet, nicht daß ich wüßte,« versetzte Sir Halbert; »aber es gibt wenig Unglück, das sich nicht in unserm unglücklichen, durch schweren Zwist geschiedenen Reiche befürchten ließe.«

»Du machst mich nicht irre,« sagte die Gattin. »Ich sehe es Dir an, daß sich etwas Unangenehmes ereignet haben muß. Sonst hätte Lord Murray Dich nicht so lange in Holyrood festgehalten. Es muß eine ernste Sache gewesen sein, für die ihm Dein Rat von Wichtigkeit war.«

»Ich bin nicht in Holyrood gewesen, Maria,« versetzte der Ritter, sondern mehrere Monate außerhalb des Landes.«

»Außerhalb unsers Landes,« rief die Dame, »und Du hast mir keine Botschaft gesandt?«

»Was konnte die Nachricht Dir frommen? sie hätte Dich doch höchstens in Sorge und Herzeleid gestürzt!« versetzte der Ritter. »Deine Besorgnis hätte den leisesten Hauch, der über Deinen kleinen See hier gestrichen wäre, zu einem rasenden Orkan entfacht.«

»Also über See bist Du gewesen?« fragte die Dame von Avenel erschrocken. »Deine Heimat hast Du verlassen, hast an fernen Gestaden geweilt, wo man die schottische Sprache nicht versteht und spricht?«

»Freilich, freilich,« antwortete Sir Halbert, mit zärtlichem Getändel ihre Hand erfassend und streichelnd, »solche bewundernswerte Tat habe ich vollbracht, drei Tage und drei Nächte habe ich mich auf dem Meere schaukeln lassen, und bloß ein dünnes Brett hat mich von den Wellen geschieden.«

»Wie konntest Du die göttliche Vorsehung so in Versuchung setzen, Halbert?« fragte die Dame voll stillen Vorwurfs. »Ich hab Dich nie gedrängt, das Schwert von der Hüfte zu lösen oder die Lanze beiseite zu tun; hab Dich nie gebeten, die Hand in den Schoß zu legen, wenn Dich Geschäfte riefen. Aber sind Schwert und Lanze nicht Gefahren genug für einen Mann? Mußtest Du auch noch das grimmige Meer dazu gesellen?«

»Wir haben in Deutschland und in den Niederlanden, Maria,« nahm der Ritter wieder das Wort, »Männer mit uns verbunden im gleichen Glauben, denen es nützlich erschien, mit uns in ein Bündnis zu treten. Zu einigen bin ich gesandt worden in vertraulicher Angelegenheit. Wohlbehalten bin ich an ihrem Gestade gelandet und wohlbehalten heimgekehrt. Aber schwerere und mannigfachere Gefahren birgt das Leben zwischen hier und Holyrood, als in allen Gewässern, die die niederländischen Gestade bespülen.«

»Und Land und Volk, Halbert, sind wie Schottland und die Schotten? ebenso gutmütig? Und wie sind sie gegen Fremde?« fragte Maria.

»Holland ist mächtig durch seinen Reichtum, Maria,« antwortete Sir Halbert, »der alle andren Völker schwächt, aber schwach in den Künsten des Kriegs, die alle andren Völker stark machen.«

»Ich verstehe Deine Rede nicht,« versetzte die Dame.

»Der Sinn des Holländers ist bloß auf Erwerb gerichtet, Maria, und zur Kriegsführung wirbt er sich fremdes Kriegsvolk, und durch fremdes Kriegsvolk verteidigt er seinen Reichtum. Er baut Dämme am Gestade des Meeres, zum Schirm für sein Land, und aus den Scharen der Schweizer und Deutschen holt er sich die Besatzung dazu. So ist der Holländer mächtig in seiner Ohnmacht, denn eben der Überfluß, der den Machtvollern zum Raube reizt, bewaffnet fremde Mannen in holländischem Dienst.«

»Solch feige Knechte!« rief die Dame von Avenel empört, denn sie war die echte Schottin damaliger kriegerischen Zeit, »Hände haben sie und gebrauchen sie nicht? Abschlagen sollte man sie ihnen unterm Ellbogen!«

»Nicht doch,« wagte ihr Gemahl, »ihre Hände dienen dem Vaterlande nicht minder, wenn auch in anderer Weise. Schau hin auf diese kahlen Hügel, Maria, auf dieses tiefgewundne Tal, durch das eben die Herde von ihrer magern Weide heimkehrt. Die Hand des fleißigen Niederländers würde diese Berge mit Wald bedecken, ließe Getreide aufsprießen, wo wir jetzt bloß dürre Heide sehen. Mir tut's weh, Maria, wenn ich die Blicke auf dieses Land lenke, und mir vorstelle, welchen Reichtum ihm Menschen bringen könnten, wie ich sie jüngst kennen gelernt habe, Männer, die nicht nach eitlem Ahnenruhme trachten, nicht nach der blutigen Ehre, sich in täglicher Fehde aufzureiben dürsten, die ihr Land bewohnen, nicht um seinen Wohlstand zu hindern und zu unterdrücken, sondern ihn zu erhalten und zu fördern.«

»Solche Kultur, wie es dort wohl heißt, lieber Halbert, wäre hier wenig am Platze,« bemerkte Maria, »denn die uns feindlichen Engländer würden sie verwüsten, ehe sie aus dem gröbsten heraus wäre, und der erstbeste Nachbar, der mehr Reiter besäße als der andre, würde die Saaten, die Deinen Schweiß gekostet haben, niedermähen! Warum willst Du Dich deshalb grämen? Das Geschick, das Dir Schottland als Vaterland gab, gab Dir auch Kopf und Herz und Hand, Dich als Schotte zu behaupten, wie es einem Schotten geziemt.«

»Mir gab es keine Ursache, mich als Schotte zu behaupten,« versetzte Halbert, langsam durch das Zimmer schreitend. »Mein Arm hat sich hervorgetan in jedem Kampfe, meine Stimme hat sich vernehmen lassen bei jeder Beratung, und selbst die Weisesten verschmähten nicht meinen Rat. Der schlaue Lethington, der düstre Morton pflogen mit mir geheimen Rat, und Grange und Lindsay haben nicht in Abrede gestellt, daß ich in jeder Feldschlacht meinen Mann gestellt habe, wie es einem Ritter zukommt. Aber laß die Zeit der Not, in der sie mich brauchen, vorüber sein, und keiner von ihnen wird sich des unbekannten Herrn von Glendinning, der über keine Ahnen verfügt, noch erinnern.«

Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die die Dame von Avenel immer scheute, denn der Rang, in den ihr Mann erhoben worden war, die Gunst, deren er sich bei dem Grafen von Murray, dem mächtigsten Manne im Reiche, erfreute, sowie die Eigenschaften, die ihn zu diesen Auszeichnungen befähigt hatten, konnten begreiflicherweise den Neid, mit dem man ihn betrachtete, nicht vermindern, sondern nur vermehren. Zog man doch vor allem die niedrige Herkunft in Betracht, neben der die persönlichen Tugenden, durch die er sich emporgerungen hatte, in den Augen seiner Zeitgenossen zu einem Nichts zusammenschrumpften. Die ihm angeborene Charakterfestigkeit befähigte ihn nicht dazu, die in der öffentlichen Meinung als feststehend erachteten Vorzüge einer hohen Abkunft als geringwertig anzusehen, ja es gab Augenblicke, – so leicht finden eifersüchtige Grillen Eingang auch in die edelsten Gemüter – wo es ihn bitter verdroß, daß sein Ansehen als Besitzer von Avenel darin fußte, daß er es bloß besaß, als Erbe seiner Frau. Er war nicht so ungerecht, solcher Regung die Herrschaft über sein Gemüt zu lassen, aber so recht los wurde er diese Regung eigentlich nie, und das entging der Aufmerksamkeit seiner Gemahlin nicht. »Wären wir mit Kindern gesegnet,« sagte sie dann bei sich, »die sich in die Vorteile meiner Abkunft und in die Tugenden des Vaters hätten teilen können, dann hätten solche schmerzlichen Empfindungen unser Glück nicht einen Augenblick gestört. Aber solcher Segen ist uns nun einmal versagt geblieben.«

Es war mithin nicht zu verwundern, daß es die Dame von Avenel nicht gern sah, wenn ihr Gemahl die Rede auf dieses Thema brachte, das ihrem Verdruß so reiche Nahrung gab. Und wie jedesmal, so suchte sie auch jetzt diesen Gedanken eine andre Richtung zugeben.

»Wo ist denn Wolf?« rief da plötzlich der Ritter, »ich habe ja den Kerl noch mit keinem Blick gesehen, und sonst war er doch immer der erste, der mir entgegensprang!«

»Wolf liegt an der Kette,« antwortete die Dame mit einem Anflug von Verlegenheit, von der sie sich vielleicht selbst kaum einen rechten Grund hatte angeben können. »Er benahm sich recht garstig gegen meinen Pagen.«

»Wolf an der Kette? Wolf hätte sich unfreundlich gegen einen Pagen benommen?« rief Sir Halbert Glendinning, »Wolf ist doch niemals gegen jemand unfreundlich gewesen, und die Kette lähmt entweder seinen Mut oder macht ihn wild ... Heda, macht mir auf der stelle meinen Hund los von der Kette!«

Sofort wurde sein Befehl vollzogen, und der große Hund kam ins Zimmer hinein gerast, warf durch seine unbändigen Sprünge alles in den buntesten Haufen, so daß es Alias, die alles wieder in Ordnung zu bringen hatte, nicht zu verargen war, daß sie vor sich hin brummte:

»Der Hund des Laird ist grade so abscheulich wie der Page der gnädigen Frau.«

»Und was ist denn das für ein Page?« fragte der Ritter, durch die Bemerkung der Zofe wieder auf diesen Gegenstand hingelenkt, »den jeder hier mit meinem alten Freund und Liebling zusammenzustellen scheint? Seit wann erhebst Du Anspruch auf das Vorrecht einen Pagen zu halten ... und wer ist der Knabe?«

»Ich denke doch, Du wirst Deiner Frau gleiches vergönnen, Hillbert, wie es andern Frauen ihres Standes auch vergönnt wird,« sagte die Dame, nicht ohne zu erröten. »Das ist selbstverständlich, Maria,« versetzte der Ritter, »es genügt vollständig, daß Du Dir solch einen Diener wünschest. Aber unnützes Gesinde zu halten ist nie meine Sache gewesen, und ich meine, es stehe den stolzen englischen Damen vielleicht an, sich solch ein Bürschchen zu halten, das ihnen die Schleppe nachträgt, Kühlung zuweht und die Laute schlägt, aber unsre schottische Jugend müsse für Lanze und Steigbügel erzogen werden.«

»Es war ja doch bloß ein Scherz, mein Gemahl,« bemerkte die Dame, »daß ich den Knaben meinen Pagen nannte. Es ist ja bloß ein kleiner Waisenjunge, den wir vom Tode des Ertrinkens retteten, und den ich seit der Zeit aus Mitleid im Schlosse behalte habe ... Lilias, geh und hol den kleinen Roland her!«

Alsbald trat nun Roland herein und eilte an die Seite der Dame, sich an den Falten ihres Kleides festzuhalten suchend. Dann wandte er sich um und staunte, nicht ohne Furcht, die stattliche Gestalt des Ritters an.

»Roland,« sagte die Dame, »geh hin und küsse dem edlen Ritter die Hand! Bitt ihn darum, daß er Dir seinen Schutz gewährt.« Aber Roland gehorchte der Dame nicht, sondern fuhr fort, sich dichter an sie drängend, starr und furchtsam auf den Ritter zu blicken.

»Geh doch hin zu dem Ritter und küß ihm die Hand, Knabe,« mahnte ihn die Dame.

»Ich küsse niemand die Hand, außer Euch, gnädige Dame!« sagte Roland Gräme.

»Nicht doch, Kind,« sagte die Dame, »tu', wie Dir geheißen wird, und sei artig zu dem Ritter ... Er ist durch Deine Anwesenheit geängstigt,« sagte sie, ihn gegen ihren Gemahl in Schutz nehmend, »aber ist es nicht ein hübsches Kind?«

»Auch Wolf,« sagte Sir Halbert, »ist ein hübscher Hund,« und dabei streichelte er seinen ungeschlachten Liebling, »und hat vor Deinem neuen Liebling den Vorzug, daß er tut, was man ihm befiehlt, und nicht hört, wenn man ihn lobt.«

»Nun, Halbert, jetzt bist Du böse auf mich!« sagte die Dame, »und doch, hast Du dazu Grund? Ein armes Waisenkind zu unterstützen ist doch kein Unrecht, und was einem der Zuneigung wert erscheint, dem darf man doch auch gut sein. Aber Du hast in Edinburg den Herrn Warden gesprochen, und der war schon hier auf den armen Jungen nicht zu best zu sprechen.«

»Meine geliebte Maria,« erwiderte ihr Gatte, »Herr Warden weiß zu genau, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen, als daß er sich beikommen ließe, sich in Deine oder meine Dinge zu mischen. Ich tadle Dich doch auch nicht, daß Du freundlich gegen den Knaben bist. Durchaus nicht. Ich meine nur, in Rücksicht auf seine Herkunft wäre es richtiger, ihn mit einem bescheidneren Maße von Zärtlichkeit zu behandeln und ihn nicht so zu verwöhnen, daß er die Tauglichkeit verliert für die beschränkteren Verhältnisse, die ihm für sein Leben nun einmal angewiesen bleiben.«

»Aber, Halbert, sieh doch nur das Kind an!« versetzte die Dame, »hat er denn nicht ganz das Aussehen, als sei er vom Himmel zu etwas Besserm ausersehen als einem bloßen Bauern? Kann er nicht ebensogut, wie andre Menschen auch, sich aus einer beschränkten Lage zu Ansehen und Ehre emporarbeiten?«

Sie hatte den Satz kaum ausgesprochen, als sie inne wurde, einen Fauxpas gemacht zu haben. Sie brach jäh ab, und tiefe Röte zog über ihr Gesicht, während sich auf das von Sir Halbert düstre Wolken zu lagern schienen. Aber nur für einen kurzen Augenblick, denn jede Annahme, als habe seine Frau ihn kränken wollen, war ihm ebenso unmöglich, wie die Worte, die sie eben gesprochen, auf die Goldwage zu legen.

»Tue ganz, wie es Dir genehm ist,« sagte er, »ich bin Dir zuviel schuldig, als daß ich Dir auch das Geringste nicht sollte gönnen wollen, was Deine einsame Lebensweise einigermaßen erträglich zu machen vermag. Mach aus dem Jungen, was Dir gefällt. Ich will Dir nicht dawider sein. Aber behalte immer in Deiner Erinnerung, daß er Dein Pflegesohn ist und nicht meiner! Vergiß nicht, daß er kräftige Glieder hat, den Menschen zu dienen, und einen Geist und eine Zunge, um Gott zu ehren. Erziehe ihn treu gegen seinen Herrn und gegen den Himmel! Im übrigen verfüge über ihn ganz nach Deinem Belieben, er ist Deine Sache und soll es bleiben.«

Dieses Zwiegespräch entschied über das Schicksal Roland Grämes, von dem hinfort der Ritter von Avenel wenig Kenntnis nahm, während die Schloßherrin ihm nach wie vor vieles nachsah und allerhand Gunst zuwandte, die Dienerschaft hingegen zwischen Schloßherrn und Schloßherrin balanzierte, freundlich mit dem Jungen tat, wenn es die Dame, ihn ignorierte, wenn es der Herr von Avenel sah. Und so wuchs Roland Gräme zum Jüngling heran, frei von der strengen Zucht, unter der er sonst, als Diener eines Herrn von Stande, der in jenem Zeitalter herrschenden Strenge gemäß gestanden hätte.


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