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Viertes Kapitel.

Unter den gleichen Verhältnissen war Roland in sein siebzehntes Lebensjahr getreten, als ihn an einem Morgen in aller Frühe sein Weg in die Falknerei Sir Halbert Glendinnings führte, wo er nachsehen wollte, wie es einem Nestfalken ging, den er aus einem berühmten Horste der Umgegend selbst gehoben hatte. Er fand hier jedoch keine Ursache, mit der Abwartung des Lieblingsvogels zufrieden zu sein, und stellte den Burschen des Falkners, der sich besser um ihn hätte kümmern sollen, zur Rede. Da sich der Junge hierzu nicht still verhielt, versetzte ihm Roland ein Paar Püffe, und auf sein Geschrei hierüber kam der Falkner selbst, ein Engländer von Geburt mit Namen Adam Woodcock, herbei und verwies Roland, seinen Burschen zu schlagen, was er, wenn's nötig sei, schon selbst zu besorgen wisse.

»Ihn und Dich prügle ich,« rief Roland heftig, »wenn Du Dich nicht besser um das zu kümmern weißt, was Deines Amts ist. Ist das wohl eine Art, einen Nestfalken mit ungewaschnem Fleisch zu füttern? Er soll mir wohl die Räude kriegen?«

»Sei doch nicht so vorlaut, Rolandchen,« erwiderte der Falkner spöttisch, »bist doch selbst noch ein kleines Nestkücken, und was verstehst du groß von der Fütterei? Ein ungewaschner Vogel muß auch noch ungewaschnes Fleisch haben, denn gewaschnes verträgt er erst, wenn er flügge ist, andernfalls kriegt er den Pips, und das weiß jeder, der einen Geier von einem Falken zu unterscheiden weiß.«

»Du falscher englischer Kujon, bist ja selbst so faul, daß Du Dich den Geier drum kümmerst, was Dein Junge macht. Schlafen und saufen, das ist Deine liebste Arbeit, und Dich weißbrennen, wenn Dein Junge was anrichtet, das verstehst Du freilich!«

»Ist der Page der gnädigen Dame etwa mit Arbeit so überhäuft, daß er ein Recht hätte, mich zu hofmeistern? Ich hab drei Falkenhecken zu beschicken, und das gibt für einen Mann schon Arbeit so viel, wie er haben muß. Und was meine englische Herkunft angeht, so ist die wohl immer noch edler, als wenn ich wie Du hinterm Zaune geboren wäre. Soll Dich der Geier holen dafür, daß Du als gemeiner Geier so gern den Edelfalken herausbeißen mochtest.«

Die Antwort hierauf war eine derbe Ohrfeige, die so sicher gezielt war, daß sie den Falkner direkt in den Trog hinein warf, worin die Falken sich badeten. Adam Woodcock war wie vom Teufel besessen wieder auf den Beinen und hatte nach einem Knüppel gegriffen, den er auf Roland hob, und hätte diesen sicher nicht schlecht traktiert, hätte er nicht im Nu die Hand am Dolche gehabt und bei allem, was ihm heilig sei, geschworen, ihn kalt zu machen, wenn er sich erfrechen wollte, einen Schlag nach ihm zu führen.

Der Lärm war so laut geworden, daß sich andre Personen vom Hausgesinde einfanden, darunter der Hausverwalter Wingate, eine Respektsperson sondergleichen, wie die goldne Kette, die er um den Hals trug, und der weiße Stab in seiner Hand deutlich bekundeten. Sobald er sich zeigte, wurde zwischen den streitigen Parteien Ruhe, nichtsdestoweniger hielt es der »Majordomus« für angezeigt, Roland Gräme Vorhaltungen über die unziemliche Art, wie er mit dem Gesinde umgehe, zu machen. »Es sei recht schade,« schloß er seinen Sermon, »daß der Schloßherr grade wieder auf einer seiner Ritterfahrten abwesend sei; dessen dürfe der jugendliche Unband sich aber versichert halten, daß seines Bleibens auf dem Schlosse nicht mehr lange sein werde, wenn er sich so etwas herausnehmen wolle in Gegenwart des Schloßherrn. Seine Pflicht sei es jedoch, von diesem Vorfalle der Schloßherrin Kenntnis zu geben, und das wolle er auch auf der Stelle tun.«

»Recht so, recht so,« rief die Dienerschaft, »die Schloßherrin mag darüber entscheiden, ob man gegen uns wegen eines Wortes zuviel gleich den Dolch vom Leder ziehen darf, und ob sich das verträgt mit der Gottesfurcht, die sonst im Hause herrscht!«

Roland, das Ziel dieses allgemeinen Unwillens, schob den Dolch in die Scheide, warf einen geringschätzigen Blick auf die um ihn her stehenden Leute, schob beiseite, wer ihm nicht freiwillig Platz machte, und ging.

»In diesem Baume mag ich nicht nisten,« brummte der Falkner, »wenn solcher Spatz uns über den Kopf wachsen soll.«

»Mich hat er gestern mit der Reitpeitsche geschlagen,« sagte einer von den Reitknechten, »weil dem Wallach der Schweif nicht so gestutzt war, wie er es wollte.«

»Und ich sag Euch,« fiel die Waschfrau ein, »keine Minute besinnt er sich, uns Vettel und Schlampe zu titulieren, wenn sich auch nur ein unsaubres Fleckchen an seiner Halskrause vorfindet.« Der allgemeine Refrain lautete: »Wenn Herr Wingate es nicht der Dame von Avenel meldet, dann ist keines Bleibens mehr hier in diesem Schlosse.«

Herr Wingate schien sich aber, je mehr die Dienerschaft in ihn einredete, desto reiflicher zu überlegen, ob es auch für ihn geraten sei, um eines Falkners willen Stellung bei der Schloßherrin gegen ihren ausgesprochnen Günstling zu nehmen. Da kam er aber der Zofe Lilias ins Gehege, die sich unter keinen Umständen die Gelegenheit entgehen lassen mochte, »dem Teufelspagen« eins auszuwischen, dem sie noch immer den alten Groll nachtrug.

»Ich meine bloß,« sagte der Majordomus auf ihren Vorhalt, daß er in solchen Dingen viel zu wenig seine Würde zu wahren wisse, »daß es keinem gut bekommen ist im Leben, wenn er die Partie der Dame gegen den Herrn nahm, aber miserabel ist's immer solchen gegangen, die es mit dem Herrn gegen die Dame hielten.«

»Also sollen wir uns, Mann oder Weib, Hahn oder Henne, von solch jungem Schößling ankrähen lassen? ... Nichts da, und wenn ich zuerst von allen mir das Maul verbrennen soll. Soviel wenigstens erhoffe ich von Euch, Herr Wingate, daß Ihr, wenn die gnädige Frau sich nach dem Sachverhalt erkundigt, der Wahrheit gemäß berichten werdet, wie Ihr den Fall hier mit eignen Augen mit angesehen habt.«

»Der Wahrheit gemäß zu berichten, wenn ich von der Schloßherrin nach dem Verlaufe des Auftritts gefragt werde, ist meine Pflicht und Schuldigkeit, Jungfer Lilias, immer freilich solche Fälle ausgenommen, in denen sich die Wahrheit nicht sagen läßt, ohne Unheil und Unsegen über mich selbst wie über das Gesinde im allgemeinen zu bringen.« »Aber der grüne Junge gehört nicht zum Gesinde und ist auch mit keinem vom Gesinde befreundet. Drum weiß ich, daß es Euch wohl kaum beikommen dürfte, Euch durch Parteinahme für ihn mit dem ganzen Hauspersonal in Feindschaft zu setzen.«

»Glaubt mir, Jungfer Lilias, von Herzen gern bisse ich zu, wenn ich die rechte Zeit zum Beißen für gekommen erachten könnte.«

»Genug, genug, Wingate,« versetzte die Zofe, »da die Dinge so stehen, soll ihm bald sein letztes Brot im Schlosse gebacken sein. Sofern die Herrin binnen jetzt und zehn Minuten nicht selbst sich danach erkundigt, was es denn gegeben habe, so rück ich ihr selbst damit vor die Ohren, oder ich will nicht länger mehr Lilias Bradbourne sein.« Sie ließ keine Zeit verstreichen, um ihren Plan zur Ausführung zu bringen, sondern wußte es einzurichten, daß ihre Herrin bald merkte, ihre Zofe wollte etwas sagen, fände aber nicht die rechte Veranlassung oder die rechten Worte, es anzubringen. Lilias kannte infolge der vielen Jahre, die sie um die Schloßherrin gelebt hatte, dieselbe wie »einen bunten Dreier.« Neugierig war auch sie, wie alle Evastöchter, und so dauerte es nicht lange, bis sie sich erkundigte, was es denn mit dem komischen Wesen der Zofe auf sich habe. Die aber ließ eine Weile fragen und fragen, ohne mit der Sprache herauszurücken, seufzte bloß und verdrehte die Augen, meinte, man müsse eben das Beste hoffen, daß es nicht noch schlimmer werde, und reizte natürlich auf diese Weise die Herrin bald so, daß sie die Geduld verlor und der Zofe befahl, ihr offen und unverblümt zu sagen, wie es sich um die Sache verhalte, mit der die Zofe in Gedanken so lebhaft beschäftigt sei.

»Gott sei Dank, die Ohrenbläserei ist mir immer zuwider gewesen, und als Zuträgerin habe ich mich noch nie ausgewiesen. Ich habe auch noch keinem mißgönnt, was er besser hatte als ich, und hab's mir auch noch nie angelegen sein lassen, jemand bei der Herrschaft anzuschwärzen ... und bis jetzt ist's ja, Gott sei Dank, im Schlosse noch immer gegangen ohne Mord und Totschlag ...«

»Ohne Mord und Totschlag?« wiederholte die Schloßherrin, »was sollen solche Worte aus solcher Närrin Munde? ... Das laß Dir gesagt sein, Lilias, sofern Du Dich nicht deutlicher ausdrückst, so hab ich Dir was zugedacht, was Dir kaum Freude bereiten dürfte.«

»Nun, gnädige Herrin,« hub die Zofe an, »sofern Ihr mir befehlt, die Wahrheit zu sagen, dürft Ihr denn auch nicht ungehalten sein, die Wahrheit zu hören! und dürft mir nicht gram werden, wenn ich was sage, das Euren Ohren nicht angenehm klingt.«

»Was ist's, das Du sagen willst und zu sagen so hinhältst?« fuhr die Herrin sie an.

»Nun, gnädige Frau, der Roland hat bloß dem Adam Woodcock eins mit dem Dolche versetzt ...«

»Gott im Himmel!« rief die Dame von Avenel, »ist der Mann erstochen?«

»Nein, gnädige Herrin, so schlimm ist's zum Glück nicht ausgegangen, aber geschehen wär's wohl, wenn nicht so schnell andre beigesprungen wären. Na, vielleicht ist's der gnädigen Herrin recht so, daß der junge Herr nach uns armem Bedientenvolk sticht und haut und schlägt.«

»Was läßt Du Dir denn beikommen, mein Püppchen?« rief die Schloßherrin, »Du wirst ja recht naseweis! Geh hin zum Hausmeier und sage ihm, er solle sich ja auf der Stelle zu mir herbemühen.«

Lilias ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern lief zum Herrn Wingate und meldete ihm, was die Herrin ihr befohlen. Aber sie unterließ es nicht, ihm zuzuraunen: »So! nun ist der Stein ins Rollen gebracht. Sorgt bloß, daß er nicht unterwegs wo hängen bleibt.«

Der Hausmeier, ein gar kluger Mann, blinzelte der Zofe wohl zu, hütete sich aber vor jedem Worte und trat gleich darauf, entschlossen, sich der äußersten Vorsicht zu befleißigen, mit einer ehrfürchtigen Verbeugung bei der Schloßherrin ein.

»Wingate,« fragte die Dame kurz, »was ist das für Ordnung im Schloß in Abwesenheit des Schloßherrn, daß seine Dienerschaft mit Knütteln und Dolchen aufeinander losschlägt, wie in einer Diebes- und Mörderhöhle? ist der verwundete Mann noch am Leben? und was ist aus dem unseligen Knaben geworden?«

»Zurzeit, gnädigste Herrin, ist überhaupt niemand verwundet und in Gefahr ist auch noch keines Menschen Leben,« versetzte der Hausmeier ... »es übersteigt aber meinen Wissensbereich, wenn ich sagen sollte, wieviel am Ende bis zum Passahfeste noch verwundet werden können, wenn nicht ernstliche Maßregeln getroffen werden, den jungen Menschen in Räson zu halten. Man muß ja gelten lassen, daß er ein ganz hübscher junger Mensch ist,« setzte er sich selbst verbessernd hinzu, »und geschickt in all seinem Tun ist er auch, aber leider zu vorschnell im Handeln, es scheint, als jucke es ihm in den Fingerspitzen, wenn er die Reitpeitsche in der Hand oder den Dolch in der Scheide fühlt.«

»Und wessen Schuld ist das als Eure?« sagte die Dame erzürnt. »Ihr solltet ihn Bessres gelehrt haben, als sich herumzustreiten und seine Meinung mit dem Dolche zu verfechten.«

»Wenn es Euer Gnaden belieben mich in solcher Weise zu tadeln, so muß ich es über mich ergehen lassen, das steht außer Zweifel. Aber erlauben werdet Ihr mir wohl mögen darauf hinzuweisen, daß ich seiner Waffe den Weg aus der Scheide nicht zu wehren vermag, wenn ich sie ihm nicht nehmen oder festnageln darf. Denn das ginge noch über die Kunst des Raimund Lullus, der auch das Quecksilber nicht in seiner Röhre zum Stillstande hat bringen können.«

»Laßt mir den Raimund Lullus aus dem Spiele,« erwiderte die Dame von Avenel, der nun die Geduld riß. »Aber schickt mir den Kaplan her! Ihr wachst mir alle über den Kopf, infolge der leider so häufigen Abwesenheit meines Herrn und Gemahls. Möchte Gott es geben, daß seine Geschäfte ihm bald längeres Verweilen in seinem Haus und Hof gestatteten, denn es geht wirklich über meine Kräfte, allem immer so allein vorzustehen.«

»Verhüt's Gott, daß es Eure ernstliche Meinung sei, was Ihr jetzt ausgesprochen habt,« sagte der Hausmeier, »denn Eure alten Diener sollten doch hoffen dürfen, nach so langen Jahren eifrigen Dienstes Gerechtigkeit zu finden. Zum wenigsten verdienen sie darum nicht Mißtrauen, weil sie nicht im stande sind, den Mutwillen eines jungen Brausekopfs im Banne zu halten.«

»Laßt mich allein,« sagte die Dame von Avenel, »Sir Halbert ist jeden Tag zu erwarten, er mag diese Sache selbst untersuchen. Ihr braucht mir weiter nichts darüber zu sagen, denn ich weiß wohl, daß Ihr gewissenhaft und pünktlich seid, und daß der junge Bursche leicht über die Stränge schlägt. Immerhin kann ich mich der Meinung nicht verschließen, daß Ihr ihm hauptsächlich darum so gram seid, weil er sich meiner Gunst zu erfreuen hat.«

Der Majordomus verneigte sich und ging, nachdem ihm die Dame den Versuch, sich gegen die letzte Insinuation zu verwahren, direkt untersagt hatte. Darauf erschien der Kaplan, aber auch von ihm bekam die Dame keinen Trost. Sie fand ihn im Gegenteil nur geneigt, die Unruhe, die der Jüngling im Schlosse stifte, einzig und allein auf Schuld ihrer allzu großen Milde gegen ihn zu setzen.

»Es wäre wohl besser gekommen, gnädigste Herrin,« sagte Warden, »wenn Ihr meinen ersten Worten mehr Gehör gewährt hättet. Ein Uebel an der Quelle zu hemmen ist leicht, aber eine mühsame Sache ist es, sich dagegen zu stemmen, wenn es zum wilden Gießbach angeschwollen ist – Euch aber, edle und verehrte Dame, und ich nenne Euch so nicht, weil es dem höflichen Brauch entspricht, sondern weil es meine tiefste Ueberzeugung ist, weil ich Euch immer lieben und ehren konnte als eine edle vortreffliche Frau, Euch aber sage ich, daß es Euch zu Unrecht beliebt hat, den Knaben aus seinem Stande zu einem Stande emporzuheben, der sich dem Eurigen nähert.«

»Was wollt Ihr damit sagen, hochwürdiger Herr?« fragte die Dame, »ich habe den Knaben zum Pagen genommen ... liegt etwas hierin, was sich mit meinem Stand und Charakter nicht vertrüge?«

»Eure wohltätige Absicht, meine Gnädige, verkenne ich nicht,« sagte der hartnäckige Priester, »Euch des jungen Menschen anzunehmen; auch Eure Befugnis, dem Knaben das müßige Amt eines Pagen zu geben, lasse ich gelten, ob es auch über meine Weisheit hinausgeht zu erforschen, was aus einem Jungen, wenn seine Erziehung ausschließlich in Frauenhand gelegt wird, anders soll werden können als ein auf eitle Dinge eingebildeter Fant. Aber entschiedenen Tadel muß ich Euch aussprechen deswegen, weil Ihr es unterließet, ihn über die Gefahren, die solcher Stand für ihn birgt, aufzuklären und seinen von Natur herrschsüchtigen und heftigen Sinn zu bändigen.«

»Herr Barden, sagte die Dame, tiefgekränkt, »Ihr seid ein alter Freund meines Gemahls und Eure Liebe zu ihm und seinem Hause halte ich für ehrlich und aufrichtig. Aber ich muß Euch sagen, daß ich solch herben Vorwurf nicht von Euch erwartete, wenn ich um Euren Rat bat. Habe ich den armen, verwaisten Knaben mehr geliebt als andre seines Standes, so verdient solche Irrung meines Dafürhaltens solch scharfer Zurechtweisung nicht, und wenn strengere Zucht am Platze war, so sollte nicht außer Berücksichtigung bleiben, daß ich doch nur ein Weib bin und daß es dem Freunde wohl besser hätte anstehen dürfen, mich über Fehler, die mir als Frau dabei unterlaufen sind, zu belehren statt zu schmälen. Indessen lassen wir diese Auseinandersetzungen! Es ist ein Herzenswunsch von mir, diese Zwistigkeiten beseitigt zu, sehen, ehe mein Gemahl zurück ist – – – er ist häuslichem Zwist abhold, und ich möchte nicht, daß er die Meinung bekommt, daß solcher Zwist ausgehe von jemand, der sich meiner Gunst erfreut hat. Was ratet Ihr mir zu tun, hochwürdiger Herr?«

»Entlaßt den Burschen aus Eurem Dienste, gnädige Dame,« versetzte der Pfarrer.

»Das könnt Ihr nicht von mir verlangen, weder als Christ noch als Mann, der seine Nächsten liebt,« erwiderte die Dame von Avenel: »ein Wesen soll ich von mir weisen, das keinen Beschützer hat, dem meine Gunst, mögt Ihr sie auch unbedacht nennen, so manchen Feind erweckt hat?«

»Ihr braucht ja Eure Hand nicht gleich von ihm zu ziehen, wenn Ihr ihn anderswohin in Dienst gebt oder zu einem Berufe bestimmt, der seinem Charakter und Stande sich besser schickt,« antwortete der Pfarrer. »An anderm Ort, in andrer Sphäre kann er ein nützliches Glied der Gesellschaft werden, hier aber ist er bloß Friedensstörer und Stein des Anstoßes. Ich lasse gern gelten, daß der junge Mensch Fähigkeiten besitzt, aber an Fleiß fehlt es ihm entschieden. In Leyden an der Universität ist meines Wissens das Amt eines Unterpedellen frei. Ich will ihm gern Empfehlungsschreiben dorthin mitgeben. Neben freiem Unterricht, sofern er sich dieses Vorteils versichern will, erhält er fünf Mark jährlichen Sold und einen abgetragnen Anzug von einem der Professoren, die an der Universität lesen.«

»Das wird wohl nicht das richtige sein, lieber Herr,« erwiderte die Dame von Avenel, und sie konnte kaum ein Lächeln unterdrücken, »indessen soll die Sache in reifliche Erwägung genommen werden. Euch jedoch bitte ich, hochwürdiger Herr, der Dienerschaft ihre Pflichten gegen Gott und ihre Dienstherrschaft in recht nachdrücklicher Weise einzuschärfen, damit uns solche Auftritte in Zukunft erspart bleiben.«

»Ich werde tun nach Eurem Befehle,« versetzte Heinrich Warden, »und sofern mir der liebe Gott nicht seinen Segen vorenthält, wird es wohl gelingen, den Wolf aus dem Schafstalle zu jagen.«

Er wählte für seine nächste Predigt den Text: »Und wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen,« und eiferte gegen alle die Sünder, die nach einer Waffe greifen, die der Mensch ersann, um offne Feindseligkeit zu üben, um sich auf gewalttätige Weise zu einem Vorteil zu helfen, der ihm auf ehrliche und grade Weise nicht werden könne. Dann eiferte er gegen diejenigen, die sich solcher Waffen bedienen, trotzdem sie im Dienste von Frauen stehen und in den Zimmern von ehrenwerten Damen die Aufwartung zu befolgen haben, die also milden Sinnes sein sollten und doch in die Sünde des Zornes verfallen, und sich dadurch zu weibischen Zwittern machten, daß sie zur Hinterlist und Feigheit des Weibes noch die Schwächen und Leidenschaften ihrer Natur als Männer gesellten.« Bei diesen Worten heftete er die Blicke unverwandt auf die Stelle, wo der Page Roland zu Füßen seiner Gebieterin mit einem zierlichen Dolch in karmesinrotem Gürtel saß. Die Wirkung, die die auf diesen Hauptsätzen beruhende Philippika des Pfarrers gegen Roland Gräme auf die kleine Gemeinde hervorbrachte, war erstaunlich. Die Dame von Avenel schien zugleich betroffen und verletzt, die Dienerschaft vermochte kaum ihre Freude über diese Donnerkeile zu, verstecken die Zofe Lilias warf den Kopf in die Höhe, daß er schier in Gefahr geriet, aus dem Halsgelenk zu gleiten, und der Hausmeier heftete in dem eifrigen Bemühen, strenge Neutralität. zu wahren, seine Blicke auf ein altes Wappenschild an der andern Mauerseite. Der mißliebige Gegenstand dieser Strafrede geriet in heftigen Zorn darüber, daß er dem Spott und Tadel der ganzen Dorfgemeinde auf solche Weise öffentlich ausgesetzt werde, ballte die Faust und fuhr unwillkürlich wieder nach der Waffe, die den Unwillen des Kanzelredners so heftig erregt hatte. Dunkle Röte stieg auf seine Wangen, aus seinen Lippen dagegen wich alle Farbe, und als der Pfarrer in immer heftigerer Weise zu eifern fortfuhr und seinem Grimm gegen ihn in immer schärfern Ausdrücken Luft machte, da sprang er, von der Besorgnis befallen, er könne sich an heiliger Stätte zu einem Racheakt hinreißen lassen, von dem Polster auf, auf dem er saß, und verließ eiligen Schrittes die Kapelle. Der Pfarrer schwieg nun eine Weile. Dann aber hub er an in langsamer feierlicher Weise, um den schweren Bann zu künden:

»Hinweg von uns ist er gegangen, weil er keiner war von den Unsern, weil er den Stachel fühlte, der wider ihn löckte. Das Schaf entfloh der Hürde und gab sich selbst preis dem Wolfe, weil es sich nicht bequemen mochte zu dem stillen Wandel, den der große Hirt uns auferlegt. Ach, meine Lieben in Christo, hütet Euch vor dem Zorn, hütet Euch vor dem Stolz, jener todbringenden, verderblichen Sünde, die sich unsern verblendeten Augen so oft im Lichtgewande zeigt. Was ist irdische Ehre? Stolz! Was sind irdische Gaben und Vorzüge? Stolz und Eitelkeit! Stolz zerrte den Lucifer vom Himmel zur Tiefe der Hölle, Stolz und Eigendünkel entzündeten das flammende Schwert, das uns aus dem Paradiese entgegenblitzt, Stolz machte Adam zum Sterblichen und müden Wandrer auf dem Erdenrund, Stolz brachte die Sünde unter uns. Drum reißt ihn heraus mit der Wurzel, nehmt Euch das Beispiel dieses kläglichen Sünders zu Herzen, der eben unsre Gemeinde verlassen, ergreifet die Mittel der Gnade, ehe der andre Tag erscheint, ehe Euer Gewissen wie mit Feuerbränden ausgetrocknet ist, ehe Eure Ohren Taubheit verschließt, ehe Euer Herz verhärtet wie der härteste Mühlstein. Ringet und überwindet! wachet und betet! Aber für den, der heute von Euch ging, für den hebet die Hand nicht mehr! ihn laßt laufen und dort sich Wohnstatt und Mitmenschen suchen, wo die Sitte herrscht, mit dem Dolche auf seinen Mitmenschen loszugehen. Wehe, wehe über den Sünder!«

Lebhaft erregt verließ auch die Dame von Avenel die Kirche. Sie war erzürnt auf den Pfarrer, daß er eine Privatsache, an der sie selbst in nicht geringer Weise beteiligt war, zum Thema für seine Predigt genommen hatte; aber sie wußte, daß sich der Mann in seinem christlichen Eifer hierzu für berechtigt hielt, entsprechend dem Brauche, der zur damaligen Zeit in der christlichen Kirche herrschte. Schweren Kummer bereitete ihr das eigenwillige Benehmen ihres Lieblings. Daß er auf eine so auffallende Weise aller Rücksicht ins Gesicht schlug, die er auf ihre Gegenwart hätte nehmen müssen, obendrein an einer so heiligen Stätte, gegen die zu jener Zeit solcher Verstoß als schwere Versündigung galt: das mußte auch ihr als ein Zeichen seines unfügsamen Geistes gelten, das mußte auch in ihren Augen die Nachreden für wahr erscheinen lassen, die im Hause über ihn geführt wurden. ... Und doch bemächtigte sich ihrer der Gedanke an den elternlosen Jüngling, der ihr so manche Stunde der Einsamkeit verscheucht, so manche frohe Minute bereitet hatte, wieder mit solcher Zärtlichkeit, mit solcher Inbrunst, daß sie sich nicht entschließen konnte, zu lassen von ihm, der ihr immerdar vorkam, wie ihr vom Himmel gesendet, auf daß er die Leeren ausfülle, die ihr das Leben so traurig gestalteten. ... Nein! sie wollte ihn nicht von sich lassen, so lange er nicht selbst den Schutz von sich weisen sollte, den sie ihm bislang in so reichem Maße gespendet hatte; und in der Absicht, darüber zur Gewißheit zu gelangen, in welchem Maße sie sich hierzu noch für berechtigt halten dürfe, ließ sie Roland Gräme zu sich bescheiden.


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