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Der Liebende kommt leicht in die Gefahr, sich mehr aufzubürden, als seine Schultern zu tragen vermögen. Der Gierige ist ihm darin verwandt, aber wie anders!
Wenn der Liebende die Ströme seines Herzens entsendet, fließen ihm aus unterirdischen Quellen die frischen Wasser stetig zu. Der Gierige aber gleicht einer Wüste, die den Sturzregen hastig schlürft und darnach, wenn er versickert ist, um so heftiger nach Wasser lechzt, aber sie hat nirgendwo eines aufgespart, und wenn einmal der Regen gefallen ist, so ist er für lange Zeit gefallen ...
Flattichs Menschenliebe ging in breiten Strömen von seinem Herzen. Je mehr er schenkte, desto heftiger floß ihm der verjüngte Zustrom von innen.
Es ist ein Zeichen höherer, ja höchster Natur, wenn solches in einem Menschen geschieht, und jenes Gleichnis vom immerfort spendenden und quellenden Brunnen, das die Dichter mit so großem Glück besingen, ist auf niemanden besser angewandt als auf die liebende Menschenseele, deren innerer Vorrat nur wächst, je mehr sie sich ihrer Geschenke entäußert. – Nicht daß Margarete ihrem Mann an Opfermut und Liebe nachgestanden hätte, aber es ging mit der Zeit über ihre Kraft, den rasch wachsenden Pflichten zu genügen; und so trat ein Verzagen des Gemütes ein, das durch nichts anderes geheilt werden kann als durch Ruhe und gütliche Zusprache.
Als die Veränderung eingetreten war, riet Flattich seiner Frau, daß sie sich in eine stille Stube zurückziehe und nur mit dem beschäftige, was ihr Zustand erlaube. Er selbst nahm zu seinen Aufgaben die der Frau oder überwachte sie wenigstens, so gut es ein Mann vermag.
Weil er in seiner gewohnten Art großzügig zu Werke ging und sogleich einige häusliche Neuerungen einführte, bekam er als erstes den Widerstand der Mägde zu spüren, die nichts mehr fürchten als eine Veränderung der gewöhnten Verrichtungen. Dies wäre noch gegangen, aber bald stellten sich andere Widerwärtigkeiten ein. Die Geschäftsleute, die das Haus mit Waren versorgten, sahen in der Veränderung eine willkommene Gelegenheit, ihren Vorteil zu suchen, so daß Flattich, der indessen mißtrauisch geworden war, mit dem Nachwiegen der Ware und dem Feilschen um den Preis manche gute Stunde verlor. Stand ihm endlich eine freie Minute zur Verfügung, so widmete er sie seiner Frau und berichtete ihr von seinen Erfahrungen mit dem kindlichen Stolz, den alle Männer fühlen, wenn sie der Frau in ihrem eigenen Bereich einen Nutzen gebracht zu haben glauben.
Der Zustand Margaretens schien sich aber nicht so schnell bessern zu wollen, wenn auch ein kleiner Aufstieg der Kräfte begonnen hatte; – da war es ein äußerer, unerwarteter Anlaß, der die Frau aus ihrer Schlaffheit und Flattich aus seinen Sorgen riß. Eines Tages (es war etwa ein halbes Jahr nach Flattichs Aufzug in Münchingen) erschien Herzog Karl zu Besuch. Es war an einem Vormittag und Flattich war gerade in der Schule.
Die aufgeregte Magd, die ihm den hohen Besuch im Pfarrhaus meldete, brachte mit dem Schrecken zugleich die Glücksbotschaft, daß die Pfarrerin in dem Augenblick, als der Herzog das Haus betreten hatte, das Regiment wieder an sich gerissen und sich mit dem gnädigen Fürsten schon in einer Unterhaltung befände, so frisch und munter, als ob sie gar nicht krank gewesen wäre! Welch ein Wunder! Zu Hause fand Flattich eine gesunde und muntere Frau und einen wohlgelaunten Fürsten, der ihm gleich beim Betreten der Stube entgegenrief:
»Nun, lieber Flattich, wie steht es mit dem Pietismus?«
»Ich muß gestehen, gnädiger Herr,« erwiderte Flattich, noch ganz außer Atem, »daß ich ihm zwar nicht näher gekommen, daß ich aber auch nicht abgekommen bin von ihm! Die große Pfarre hat mir ganz andere Aufgaben gestellt. Ich danke meinem Herrgott, daß ich bis heute noch nicht habe verzagen müssen.«
Der Herzog schwieg, dann sagte er mit klug erwogenen Worten: »Als ich zwanzig Jahre alt war, hat man mir ein ganzes Herzogtum auf die Schultern gelegt. Ich verdanke die Last meiner hohen Geburt. Wohl hätte ich mich ihrer entledigen können, aber nur durch einen selbstgewählten Tod. Das war nicht meine Sache. Ich habe mich also beholfen – und gab mich in die Hand einiger Ratgeber. Sie betrogen mich. Am Ende habe ich die Last wieder ganz auf meinen Rücken genommen, und ich muß gestehen, daß ich sie besser tragen kann als die andern. Mir scheint, es wird jedem gerade das auferlegt, was er mit Not noch ertragen kann. Und die Gewichte nehmen mit der Zeit leider nicht ab.«
Flattich verstand gut, was der Fürst mit seinem Bekenntnis andeuten wollte, da er überdies darin das Verlangen eines Einsamen nach der freundschaftlichen Hand eines Menschenbruders fühlte, fand er die rechten Worte, dem Hochgeborenen so viel Tröstliches zu sagen, als im Augenblick angebracht war. Nähere Vertraulichkeit liebte der Herzog nicht.
Da es ihm schon wieder ein wenig leid tat, daß er sich so weit erschlossen hatte, ließ er sogleich seine andere Natur hervor und scherzte: »Nun, kleiner Pietiste, was sagt Er dazu, wenn ich in einigen Tagen mit der katholischen Kaiserin gegen den König von Preußen zu Felde ziehe, der doch ein Volk regiert, das so lutherisch ist wie das meine?«
Flattich war auf solche herzogliche Fallen gefaßt und antwortete: »Es wird in diesem Krieg wahrscheinlich nicht um den Glauben gefochten werden, Durchlaucht!«
»Aber was werden Seine Freunde, die Pietisten, dazu sagen?«
»Sie werden ›Amen‹ sagen und ›Herr, vergib uns!‹ oder im besten Falle schweigen ...«
»Mir also nicht beistehen?« forschte der Herzog.
»Auf die beste Art!« antwortete Flattich, »mit Gebet für die Erhaltung Eurer Person und Ihrer Landeskinder.«
»Was wird Er selber tun, Flattich?« –
»Ich bin ein Friedensbote, Durchlaucht!« sagte Flattich, »und werde mich so verhalten, daß ich nach dem Kriege mit gutem Gewissen vor Eure Augen treten kann!«
»Da bin ich begierig«, entgegnete der Herzog. »Mehr wollt Ihr nicht verraten?«
»Werden mir Durchlaucht vielleicht Seine Schlachtenpläne verraten?«
»Keine Silbe!«
»So auch bei mir.«
»Dann bin ich für heute fertig!« lachte der Fürst und schlug scherzend mit der flachen Hand auf den Tisch.
Zu Margarete gewendet, die während der Unterhaltung mehr als einmal blaß geworden war, sagte er: »Ich glaube Ihr anzusehen, Madame, daß die Friedensboten bisweilen ebenso große Anforderungen an ihre Soldaten stellen als wir Kriegsmänner! Schone Sie sich!«
Er küßte ihr höflich die Hand, aber die Pfarrerin wollte seine Vermutungen nicht wahrhaben und sagte, die ›Feuertaufe‹ sei gottlob überstanden, worüber sich niemand mehr freuen durfte als Flattich selbst.