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Es ist nicht schwer zu erraten, was der Herzog gedacht hatte, als er Flattich eine schöne große Pfarre versprach und ihm zur Bedingung machte, ihm nach anberaumter Zeit zu sagen, ob er dem Pietismus treu bleiben könne. Es sind schon je und je Wetten und Absprechungen gemacht worden, eine im Buch Hiob zwischen Gott und Satan und eine andere zwischen Faust und dem Schalkskerl Mephisto, und jedesmal hat der Böse alle denkbaren Anstrengungen gemacht und ist doch zuletzt der Geprellte gewesen ...

Münchingen im Strohgäu war damals ein reicher und ansehnlicher Ort. Wenn ein Gau nach dem Stroh benannt wird, so muß es dort wohl vieles geben; wo aber viel Stroh ist, wächst auch viel Weizen, wo viel Weizen, ist viel Geld, – und wo viel Geld, hat der Pfarrer keine Not im Haus. Flattich wurde Pfarrer in Münchingen. Das Pfarrhaus war ein Gespann von zwei Häusern, die ineinandergeschoben waren, und hatte, nach den Fenstern zu rechnen, sieben Stuben und fünf Kammern. Dazu gehörte ein Garten, in den man bequem zehn Häuser hineinstellen konnte, und eine Scheuer mit zwei Einfahrten. Äcker und Wiesen, die zur Pfründe gehörten, vergab der Pfarrer in Pacht.

Flattich wäre kein Ökonom gewesen, wenn ihm die große Wirtschaft Sorge gemacht hätte. Der wahre Ökonom ist ein Vater der Seinen. Es ist ihm nicht darum zu tun, Reichtümer zu sammeln, sondern die Schätze zum Nutzen der Seinen zu verwalten und seinen Gehilfen Brot und Geschäft, Bett und Haus, leibliche und geistige Heimat zu geben und sie zu gottwohlgefälligen Menschen zu erziehen.

Was die Münchinger betraf, so waren sie ein fleißiges und arbeitsames Volk, das leicht zu regieren war. Unter den Kirchgängern waren die Pietisten in der Überzahl. Sie gaben den andern ständig ein gutes Vorbild und erzogen sich beinahe von selbst. Es gibt gewisse geistliche Rutengänger, die beim Betreten eines Ortes aufs bestimmteste sagen können, ob darin gute oder schlechte Einwirkungen vorherrschen; etwas von dieser Gabe eignete auch unserem Flattich: – er wußte vom ersten Tage seines Dortseins an, daß der Boden seines neuen Wirkens so eingegeistet war, wie es nur die glorreichen Gnadenorte sind. Daß sich solche auch in protestantischen Ländern finden lassen, ist nur wenig bekannt.

Noch im heftigsten inneren Wachstum begriffen, fühlte er sich anfänglich in Münchingen eher bedrückt und elend als beglückt und erhoben – und beschränkte sich in seinem Wirken auf den engsten Kreis, der sich ja immer um das eigne Haus bildet. Um aber nicht in kleinlichen Dingen aufzugehen und aus lauter Langeweile Gerstenkörner zu riffeln, das heißt: unnotwendige Geschäfte zu tun, besprach er sich mit Margarete über einen langgehegten Plan. »Du weißt, liebe Margarete,« sagte er zu ihr einmal, als sie in der Dämmerung nach dem Nachtmahl beisammensaßen und noch kein Licht anzünden wollten, »daß ich ebensogern Schulmann geworden wäre wie Pfarrer. Der Jugend zu raten und zu helfen hat mich immer beglückt. Da nun unser Töchterchen in seinem zarten Alter noch keiner schulmäßigen Unterweisungen bedarf und es auch noch lange Zeit bis dahin hat, denke ich immer wieder daran, einige Kostgänger ins Haus zu nehmen, und zwar solche, die sich in der Stille auf weltliches und geistliches Studium vorbereiten sollen ...« Er machte eine kleine Kunstpause, suchte in der Dämmerung ihre Miene zu studieren und fuhr dann fort: »Nicht daß ich ein verhinderter Schulfuchs wäre, dem's nicht wohl ist, wenn er nicht jeden Tag ein Dutzend faule Bursche prügeln kann! Sondern mein Vorhaben, die jungen Leute in ihren Studien zu leiten, ist mit der Sorge um ein tüchtiges Geschlecht, das uns einstmals übertreffen soll, so genau verbunden, daß ich ungern von dem Plan lasse und immer dabei denke, wenn ich's nicht tue, geht mancher gute Tropf noch eines Tages zu den Luftspringern oder aufs Ballett, der vielleicht sonst ein tüchtiger Pfarrer, Minister oder Konsulent geworden wäre! Was meinst du dazu?« Die Meinung einer gewöhnlichen Frau ist in solchen Dingen meist – gar keine, oder, wenn es schlimm steht und sie eine Putznärrin und Staubwedlerin ist, eine schlechte, denn sie denkt dabei zunächst an die Mühe und Plage, die sie mit einer solchen Einquartierung ins Haus nimmt. Da aber die Margarete ein sehr verständiges Wesen und eines Flattichs ebenbürtige Genossin und Mithelferin war, kam es anders. Sie erinnerte sich, daß ihr Vater solche Liebeswerke genug an jungen Leuten übernommen hatte, wußte sich auch der Dankbarkeit der Zöglinge aus späteren Jahren zu erinnern, und weil sie ihre Jugend ohne die Genossenschaft der heiteren und kurzweiligen Hausgenossen um vieles schwerer getragen hätte, antwortete sie: »Was du an der Jugend tun willst, Flattich, es ist gut! Ich bilde mir ein, daß es ein lustigeres und reicheres Leben sein wird, das bei uns einkehrt! Die Dummheiten und Verkehrtheiten der jungen Leute sind recht dazu angetan, daß man sich Gedanken über sich selber macht!«

»Sagst du's nicht selber,« fiel ihr Flattich begeistert ins Wort, »wir sind und bleiben doch immer ein wenig die alten Buben, wenn wir noch so klug werden! Und es ist auch gut so! Man muß wieder von vorne anfangen können. Wenn sich eine Gerte nicht mehr biegt, soll sie bald brechen ... Ich sehe mich schon mit den Buben in die Äpfel gehen, wenn's herbstet, und im Winter auf einer Schleifbahn dahinfahren. Das soll mir niemand wehren!«

»Das junge Volk«, fuhr Margarete bedächtig fort, »wird uns zuweilen auch schwere Tage und Nächte bereiten, aber ich will dir die Freude nicht vergällen, Flattich!«

»Weil du halt so ein gutes und verständiges Weib bist«, erwiderte er glücklich, »und mich zuweilen selber wie eine junge Haut nimmst und viel Geduld mit mir hast! Ich will es dir immer danken. – Aber jetzt wollen wir doch ein Licht anzünden, weil ich dein liebes Gesicht wieder sehn muß. Leider ertrag ich's nicht vor lauter Glück!«

Zuvor aber gaben sie sich noch einen herzhaften Kuß im Dunkeln.

*

Man stelle sich einen Reisewagen vor, der außer seinen drei jugendlichen Insassen so viele Kisten, Körbe und Säcke mit sich führt, daß er einem fahrenden Turme gleicht, – einen Fuhrmann, der sich von seinen übermütigen Gästen in jedem Dorfe, das passiert wird, zu einem Trunke nötigen lassen muß, schon weil die Gäste selber einen begehren,– außerdem einen grauhaarigen Köter, der bald die Pferde, bald die Räder ankläfft, – dazu eine Schar von Gassenbuben, die den seltsamen Ankömmlingen am Ziele der Fahrt eine johlende Ovation bereiten und dafür einige Kupfermünzen an den Kopf geschleudert bekommen, und wir wissen, wie sich der Einzug der längst erwarteten Kostgänger in Münchingen vollzieht und welcher Art die Gäste sind, die Flattich in sein Pfarrhaus aufnehmen will.

»Da hätten wir also das rohe Material«, sagt der Pfarrer zu seiner Frau, die neben ihm am Fenster steht, während der schwankende Wagenturm in den Pfarrhof fährt und die drei Gesellen ihren Erzieher, den sie bereits am Fenster erkannt zu haben glauben, mit einem studentischen »Vivat!« begrüßen. Flattich dankt mit freundlichem Kopfnicken und sieht dem Abrüsten der wackelnden Kofferburg vergnüglich lächelnd zu und nimmt die drei Individuen, die sich bei den Hantierungen aufs beste auszuweisen beginnen, scharf in Augenschein. Da ist einer, der seine Kisten ganz dem Fuhrmann überläßt und gerne zuschaut, wie der Alte sich mit ihnen plagt, bis er sie ganz herunter hat, sich dann auf seine Kofferpyramide setzt und nur noch der Betrachtung seiner neuen Umgebung obliegt.

»Das muß der Paul sein,« sagt Flattich zu Margarete, »Paul und faul, das reimt sich! Wie er so dasitzt mit seinem kugelrunden Rücken und vor lauter Zugucken schwitzt! Meiner Seel, hätte er doch seinen Magisterschein schon im Sack! Es wird eine sauere Mühe mit ihm werden. Herentgegen der Dettinger Fritz, der wenigstens den Fuhrmann nicht zu lohnen vergißt, hat schon feinere Maßer im Holz!

Die kleinen Füßchen und die feinen Händ sind zwar zum Schaffen nicht geboren, aber im Gesicht ist etwas, was mir gefällt, ich möcht's nur nicht so mit Namen nennen. Das Grübchenkinn ist von einem Mädchenschmecker. Der bringt's schon bis zum Hofmeister oder zum maître de plaisir bei so einem Grafen Ludribus von Liederlinghausen!

Das Vanillefrätzchen aber, das der junge Herr vom Adel hat, der seine Bonbons den Münchinger Gassenbuben in die offenen Mäuler schmeißt und damit seines Vaters Geld vertut, gefällt mir am wenigsten. Ich werde mich zu seinem Bankier machen müssen, damit er dir am Ende nicht das Kostgeld schuldig bleibt, wenn er einmal abreiset, und ich möchte wetten, das läßt nicht lange auf sich warten ...«

Die Betrachtungen eines Menschenkenners in Ehren! – aber wir wollen sie jetzt doch unterbrechen und unserem Flattich Gelegenheit geben, seine Beobachtungen in nächster Nähe fortzusetzen, nämlich bei Tisch, wo sich die drei jungen Herren alsbald einzufinden und die leicht hingeworfenen Umrisse ihrer Charaktere zu runden, zu füllen und mit Farbe zu verbinden bestrebt sind.

Wie im Pfarrhause der Brauch, sollte zu Beginn der Mahlzeit, die den jungen Herrn zum erstenmal im Pfarrhause gegeben wurde, ein Tischgebet gesprochen werden. Flattich sprach es gewöhnlich selbst, da aber junge Leute vorhanden waren, hätte er es gern gesehen, wenn sie sich dabei hervorgetan hätten, und bat den Paul, die Pflicht zu übernehmen.

Der Paul war aber offenbar so sehr in den Anblick der dampfenden Schüsseln vertieft, daß er die Frage entweder überhörte oder willentlich überging, worauf sich Flattich an den Dettinger wandte. Der schaute zwar mit gefalteten Händen nicht gerade in die Schüsseln, sondern auf die hübsche Pfarrmagd, die ihm gegenüber stand, und schien in ganz anderer Andacht versunken.

Ein stumm auffordernder Blick auf den jungen Herrn von Werbel fruchtete gar nichts, so daß Flattich das Tischgebet selber vortrug und sich schon mit einiger Unlust zum Essen setzte. Beim Essen zeigten die Zöglinge jene Seiten vortrefflich, die Flattich zur Abrundung seiner Beobachtungen nötig hatte. Mit Ausnahme des Herrn von Werbel. der sich einer anerzogenen Mäßigkeit beim Essen befliß und mit dem Tischbesteck so geschickt umzugehen verstand, daß es manchmal aussah, als wickelte er Luftgespinste um seine Gabel, schnitte Luftbraten oder löffelte Luftsoßen aus dem Teller, ließen es die andern sehr wenig am Appetit, viel mehr aber an Geschicklichkeit und guten Sitten fehlen. Besonders Paul, der eßlustige Sohn des Backnanger Amtmannes, schmatzte, schleckte, schnaufte und machte einen Lärm wie eine ganze Hochzeitstafel. Wogegen der Dettinger wohl seinen Hunger stillte, aber weil er zugleich seine Gafflust befriedigen mußte, kam es vor, daß er seinen Löffel, statt ihn zum Munde zu führen, auch einmal in die Wange stieß oder ins Ohr schob, wo dann die heruntertropfende Suppe sich nicht zum besten ausnahm. Paul, der Amtmannssohn, war außerdem sehr durstig und verlangte, nachdem er sein Glas Wein mit einem Schluck geleert hatte, ein zweites. Es wurde ihm nicht versagt, weil man ja die glückliche Ankunft und erste Bekanntschaft feierte. Flattich ließ aber nicht ungesagt, daß ein Student bezüglich des Weintrinkens Maß halten müsse; er selbst, der sich immer noch als alter Student fühle, gehe darin mit dem Beispiel voran und trinke zum Essen nur ein kleines Gläschen Wein mit Wasser gemischt.

Der Amtmannssohn fand das zu wenig, sagte aber nichts, denn der Pfarrer gefiel ihm im ganzen recht gut. Er war früher schon von seinem Vater bei Pfarrherren in Kost und Erziehung getan worden – und war viel strengere Herren gewöhnt. Es lag durchaus in Flattichs Art und Absicht, die jungen Leute von sich reden zu lassen – denn ›Rede, dann sehe ich dich!‹ dachte er – und begann ihnen vorsichtig die Zunge zu lüpfen, wie man im Schwäbischen sagt.

Da war der Paul, der sonst zur Beschaulichkeit neigte, nicht faul und erzählte umständlich, was er alles von zu Hause mitbekommen und mitgenommen hatte, und zählte auf: fünf Töpfe Honig, zwei Körbe Winteräpfel, einen Sack Hutzeln, ein Säcklein Nüsse, zehn schwarze Rauchwürste und einen geräucherten Schinken.

Mit solchen Herrlichkeiten konnte der Dettinger nicht aufwarten. Er liebte vielmehr den Putz und hübsche Kleider, prahlte aber nicht wie der Amtmannssohn mit seinen Besitztümern, sondern erwähnte, daß er zu seinem Vergnügen eine kleine Bibliothek der neuesten und galantesten Schriftsteller mitgenommen habe, in deren Studium er mehr Genuß fände als in den langweiligen Schwarten der alten Griechen und Römer. Der Herr Pfarrer möge die Büchelchen doch einmal selber einsehen, sagte er freimütig, dann werde er zugeben müssen, daß man heute besser zu schreiben verstünde als in den Zeiten Ciceros, wo man sich nur über albernes Zeug gestritten und zwischendurch abscheuliche Kriege geführt hätte!

Als nun die Reihe an den Herrn von Werbel kam, geruhte dieser zu bemerken, daß er weder Würste noch Bücher mitgenommen habe, aber um so mehr bares Geld, mit dem er sich diese Genüsse jederzeit erkaufen könne, wenn es ihn danach verlange. Im übrigen schwieg er sich über seine stilleren Neigungen vorsichtig aus – und überließ es Flattich, ihn dafür zu loben oder zu tadeln.

Nach der Mahlzeit zeigte Flattich seinen Gästen das Haus, den Garten, die Scheune und den Stall. Es fügte sich, daß gerade den Schweinen das Futter vorgeschüttet wurde, während sich die Gäste im Stall befanden. Die hungrigen Dickhäuter fuhren mit so ungestümer Gier auf die Schüsseln und Tröge zu, schnupperten, grunzten, schnüffelten und schmatzten, daß die jungen Herrn in ein schallendes Gelächter ausbrachen über die unmäßige Freßgier und schweinische Ungeduld und nur erstaunten, daß Flattich so ernst dabei blieb und keine Falte des Gesichtes verzog. Nachdem sie sich tüchtig ausgeschüttet vor Lachen, neigte sich der Pfarrer über den Verschlag, breitete die Arme aus, als wollte er den Vierbeinern eine Tischpredigt halten, und sagte: »Es ist das Schwein ein träges, faules Tier, welches nur nach der Mästung trachtet und nichts als Fraß und eine gute Streu zur Ruhe sucht. So gibt es unter uns auch einige Freßsäcke, die niemals zu sättigen sind. Ja, es gibt solche Unmenschen, die – wie das Schwein zum Trog – sich an den Tisch setzen, ohne zuvor oder nachher ein Vaterunser zu beten und den ganzen Tag auf der Streu des Müßiggangs liegen, grunzen und lungern, bis die Zeit kommt, wo sie der Tod holt, der göttliche Hofmetzger! Für die Schweine ist mit dem Tode ja nicht viel verloren, für den Menschen aber, der wie eine Butze lebt, ist alles verloren, weswegen ich den lieben Herrn zu bedenken gebe, daß sie zum Essen ein Vaterunser beten sollen! Nichts für ungut!«

Das war nun allerdings eine herbe Lehre für die jungen Menschen, da sie aber am richtigen Platz und zur rechten Zeit gegeben wurde, verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Insbesondere der Paul, der an seine Prahlereien bei Tisch denken mußte, kratzte sich am Kragen und machte eine verdrießliche Schnute ...

*

Der Unterricht, den Flattich seinen Zöglingen gab, begann mit dem Tag ihrer Ankunft. Wir müssen uns nicht vorstellen, daß Flattich im Sinn und Geist eines heutigen Examinators zu Werke ging, Aufgaben stellte und sie darnach abhörte. Solche Gedächtniskunst, die besser zur Anleitung eines Affen taugt, war nicht der Sinn einer geistigen Information, wie er sie seinen Schülern aufprägte. Mit dem Rüstzeug der Logik zergliederte er vor ihnen Art und Wesen der alten Sprachen, nicht aber der Sprache allein, sondern der Menschen, wie ja sein Unterricht auf nichts anderes hinauslief als auf die Erziehung eines reinen, wahren, hochstrebenden Geschlechtes, das seine irdischen Pflichten erfüllend den Willen Gottes tut und dabei weiß, daß dieses Leben der Entscheidungstag ist, ob uns ewige Existenz beschieden sein soll!

Daß er mit seinen Zöglingen die sonderbarsten Erfahrungen gemacht hat, sei nicht verschwiegen, und da sich ein launiger Brief gefunden hat, an seinen lieben Thammenser gerichtet, wollen wir dem Informator selbst das Wort lassen!

Mein lieber Freund!

Weil Du mich gebeten hast, Dir Mitteilung über den Anfang meiner Information an unseren Zöglingen zu geben, will ich Dir gleich von vornherein sagen, daß ich mir drei ausgewachsene, im Charakter sehr differierende, abscheulich-allerliebste Tröpfe ins Haus gelegt habe!

Sie kamen verwichenen Donnerstag, nachdem sie sich in Ludwigsburg verabredetermaßen getroffen, in einer Prachtskutsche hier angefahren und haben gleich am ersten Abend ihren Habitus, geistig und leiblich, derart enthüllt, daß ich ihnen vis-à-vis des Schweinestalles, wo sie selbst die Gelegenheit dazu gaben, ein Empfindliches gelehrt habe.

Darüber mündlich! –

Anderen Tages gab mir der Paul, Amtmannssohn aus Backnang, ein gefräßiger, aber gutmütiger Junge, Grund zu einem nicht alltäglichen Ärger, indem ich ihn mit seinem Schlafgesellen Dettinger, der mir viel besser gefällt als der Paul, beim Karteln auf ihrer Stube erwischte. Dies wäre nun so schlimm nicht gewesen, hätte ich nicht bemerkt, daß mir der Bursch auch an meinen Wein gegangen ist, wovon ein anständiger Krug auf dem Tische stund, als ich eintrat, und welchen der Paul auch gar nicht wegpraktizierte, sondern die Frechheit hatte, mir sogar davon anzubieten. – Ich verschmähte ihn nicht, lobte das Gewächs und sagte nur, daß es eine große Ähnlichkeit im Geschmack mit meinem Haustrunk aufweise, was der Bursche mit herablassender Gefälligkeit quittierte, die mich in Erstaunen setzte. Die Wut hielt ich noch zurück – und tat so, als ob ich das Karteln gar nicht ungern sähe, nahm mir auch einige von den Schellen, Eicheln und Buben und fing ganz munter an zu dreschen, daß die Burschen eine wahre Lust kriegten ›mit ihrem Informator um die Wett‹ zu spielen. Es dauerte aber nicht lange, so hatte ich sie beide unter, forderte aber, daß sie weiter spielten, chassierte und persuadierte sie so, daß ihnen alsbald der Dampf ausging und sie wegen Müdigkeit aufzuhören verlangten. Das ließ ich aber nicht gelten, sagte, sie hätten viel zu wenig Eifer und müßten noch manches lernen, weil sie gar so schlecht spielten, mischte von neuem und verlangte, daß sie weiterspielten. Sie taten's ungern, aber ich sagte, sie hätten mich nun einmal in Feuer gebracht und da müsse ich meinen Willen haben! – Ich klopfte mit ihnen noch zwo oder drei Stunden Eicheln, Schellen und Buben heraus, bis sie vor Müdigkeit die Karten sinken ließen und mit den Köpfen über den Tisch schlummerten. Da warf ich das Zeug hin und verlangte, daß in der Früh um sechse Kassa gemacht werden müsse, ich sei in solchen Dingen genau, wünschte ihnen eine gute Nacht und sie möchten recht schnell schlafen, weil es nicht mehr weit sei bis zum Hahnenschrei.

Punkt sechs Uhr ließ ich sie aus dem Bette holen – und machte mit ihnen eine Abrechnung, daß ihnen Hören und Sehen verging, das heißt eine moralische, die auch so gewirkt hat, daß sie mir beide versprochen haben, keine Karte mehr anzurühren. »Was den Spendierwein betrifft,« sagte ich zu Paul, »den du mir gestern angeboten hast, so wirst du ihn an die Adresse bezahlen, wo du ihn herbezogen hast – und mir als deinem Freund die gute Quelle nicht verschweigen. Denn ein guter Wein lobt seinen Herrn und soll in aller Munde sein! –«

Das Geständnis ließ nicht auf sich warten; da mir aber der arme Kerl doch ein wenig leid tat, denn bei seiner natürlichen Trägheit hat er bisweilen eine Stimulans nötig, gewährte ich ihm Erlaß und versprach ihm bei Wohlverhalten täglich ein Gläschen zu Mittag und zu Abend, wenn er sonst fleißig und redlich sein wolle!

Um nun aber auf den Dettinger zu kommen, der ein ganz wohlerzogenes und feines Bürschchen ist, habe ich mit ihm kurz nach dem Vorkommnis einen ganz anderen Auftritt gehabt.

Ich bemerkte schon am ersten Tag, daß er eine Schwäche für das weibliche Geschlecht habe und sah die Augen wohl, die er auf unsere Asperger Magd, die hübsche Gretel, geworfen hatte. Daß er sich immer gern in der Küche und auf dem Boden herumgetrieben und den weiblichen Hausgehilfen kleine Dienste angeboten, entging mir gleichermaßen nicht; auch wurde mir's von meiner Frau hinterbracht.

Unlängst erwischte ich ihn auf dem Boden, wie er der Gretel beim Wäschehängen einen Antrag machte, und weil das dumme Ding so was zum ersten Male gehört und sich nicht zu helfen gewußt hatte, sogleich zum Embrassement schritt, welches durch mich im rechten Augenblick unterbrochen wurde, worauf ich den Sünder zum Verhör auf meine Stube nahm.

Da stellte sich's zu meiner Beruhigung heraus, daß er in diesen Dingen noch nicht eben erfahren war und gerade in den Anfangsgründen schwebte, daß aber sein Kopf des dummen verliebten Zeugs schon ziemlich voll war infolge seiner Lektüren, der franzmännischen esprits d'amour und Schürzendichter, die ich ihm resolut konfiszierte. Als ich ihn fragte, ob er denn das Mädchen, dem er so hübsche Versprechung gemacht habe, zu heiraten gedenke, mußte er gestehen, daß er noch keine Wege sehe, es auch nicht so bestimmt vorhätte. Ich setzte ihm nun auseinander, daß er in Hinsicht auf das alberne und gutmütige Mädchen eine Unredlichkeit begangen hätte, und belehrte ihn, daß das weibliche Geschlecht im allgemeinen, wenn es noch nicht verdorben sei, dergleichen Anträge sehr ernst zu nehmen geneigt sei, und bat ihn, den Fall doch recht gründlich zu überlegen.

Im Laufe des Gesprächs stellte sich's heraus, daß er ein angehender Poet sei, der sich mangels besserer Gelegenheit in meiner Magd ein Objekt seiner dichterischen Versuche genommen habe, worüber ich beinahe in ein Gelächter ausgebrochen wäre, wenn der Herr Poet nicht vor mir gestanden hätte. Um aber ernst zu bleiben, sagte ich zu ihm: »Aha, ich verstehe, unsere Gretel ist Seine Muse! Das ist nun weiter nicht schlimm. Ich hab es aber gar nicht gewußt, daß Er ein Poet ist!«

Als ich nun ein Produkt seines Geistes zu sehen verlangte, zog er sogleich eines aus der Brusttasche, wo der rechte Poet ja immer dergleichen in einiger Fülle zu verwahren pflegt, und ließ es mich lesen. Es war an eine der griechischen Göttinnen gerichtet, unter die Gesellschaft er wohl auch die Asperger Magd rechnete, war nicht übel versifiziert, aber in Ansehung des Gegenstandes, der Magd, mehr als übertrieben und unangebracht, dazu voll mythologischer Bilder, recht à la mode gedichtet und so kurios, daß ich mir keine bessere Probe auf das Gedicht wußte als die, es seiner Freundin vorlesen zu lassen und die Wirkung auf den Gegenstand abzuwarten.

Er ging mit Widerwillen auf den Gedanken ein, ich ließ aber die Gretel rufen und verlangte von ihm, sich ins Poetenzeug zu werfen und ihr das Poem auf der Stelle zu deklamieren. Er wußte sich, nachdem die Magd eingetreten und ihm gegenüber Posto gefaßt hatte, plötzlich ganz poetenmäßig zu benehmen, deklamierte das Gedicht zweimal mit richtiger Betonung und ansprechendem Ausdruck, ging an den Glanzstellen sogar vor ihr in die Kniee und hätte bei einem gebildeten – sprich: verbildeten – Frauenzimmer einen gewissen Eindruck sicher hervorgerufen. Ganz anders aber bei der Magd, die den kuriosen Kram überhaupt nicht verstand und nicht wußte, ob sie dazu flennen oder lachen sollte, aber doch so viel begriff, daß in dem Gedicht irgendein Frauenzimmer besungen wurde, mit dem sie sich nicht verwechseln zu dürfen glaubte, und aus Eifersucht auf die vornehme andere, die offenbar mit ihr rivalisierte, eifersüchtig wurde. Sie blieb ihm die Antwort auf den Angesang nicht schuldig, schimpfte und flennte durcheinander und bewies dem Poeten besser als ich, daß sein Gedicht unpassend, zweideutig und der Urheber ein ruchloser Geselle sei, mit dem sie nichts zu schaffen haben wolle!

Der Effekt war vollkommen, sowohl in Hinsicht auf die Magd als auf den Autor, der sein Gedicht auf der Stelle zerriß und es der Magd vor die Füße schmiß, die flennend und schimpfend die Schnitzel zusammenklaubte, was ihr als der Stubenmagd von Pflichts wegen zufiel, worauf sich die beiden trennten und ich den Dettinger in sanfte Vermahnung nahm.

»Sieht Er,« sagte ich zu ihm, »wozu das Ansingen führt! Nun hat Er Seine Freundin auch noch enttäuscht.

Das kommt davon, weil Er ihr einen poetischen Vexierspiegel vorgehalten hat, in dem sich das einfältige Gemüt gar nicht erkennen kann und darum auf sein vexiertes Ich eifersüchtig werden muß! O höllischer Wirrwarr!

Poetenpech mit Weibertränen! Mach' Er den Streich mit einigen Worten wieder gut!« –

Um ihn in seinem Fach zu fördern, schlug ich ihm aber vor, sich ein dankbareres und unempfindlicheres Objekt für seine Muse zu suchen, führte ihn vor meinen Immenstand im Garten und riet ihm, das Leben und Treiben der Immen, das meines Wissens noch kein Poet beschrieben hat, zum Gegenstand eines vernünftigen und andächtigen Gedichtes zu nehmen, machte ihn auf die Materie von ihren sämtlichen reizenden Seiten aufmerksam und erntete sein Versprechen, sich mit der Sache auseinanderzusetzen, wovon ich mir für seinen Verstand, ganz abgesehen von dem, was er poetisieren oder nicht poetisieren wird, einen ziemlichen Nutzen verspreche.

Poeta tamen discitur. – Das Poetisieren kann doch gelehrt werden!

Der dritte und letzte meiner Kostgänger ist ein junger Herr von Werbel, der weder gut noch böse ist, und mit dem ich nicht viel anzufangen weiß. Ich denke, daß er bald von uns scheiden wird. Die Kost ist ihm zu gering, außerdem stehe ich mit seinem Herrn Vater in einem unerquicklichen Briefwechsel über die Prinzipies der Erziehung. Wenn er mit den meinigen nicht einverstanden ist, warum hat er mir dann seinen Sohn geschickt? Mit einem höflichen Stutzer, der keine Natur hat, weiß ich nichts anzufangen. Entweder kalt oder warm ...

Du siehst daraus, mein lieber Freund, wie ich's treibe. Die Moralia verstehen sich von selbst. Hab' mich lieb wie bisher und sei gewiß Deines alten Freundes

Flattich


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