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Nichts geht schneller vorüber als eine Reise oder ein Fest, – und von uns allen, die wir keine Könige, Luftschiffer und Kapitäne sind, verlangt das Leben Gleichmaß und einen festen Ort! Wir wundern uns darum nicht, daß der glücklich Verehelichte am Tage nach dem Hochzeitsfest wieder in seiner Studierkammer sitzt. Das hochgelegene Kämmerchen hat einen Auslug durch ein kleines Fenster. In einer der Scheiben spiegelt sich die Straße und über der Straße das Backhaus, in einer anderen der Kirchturm, dessen Spitze gekrümmt scheint wie ein Seepferdchenschweif, weil sich die Wandung des Fensters buckelt.
Flattich hat seinem Auslug manche gute Predigt zu verdanken!
An den Backtagen versammelt sich auf der Straße das ganze Volk des Dorfes. Da macht er sein Guckfenster leise auf und horcht hinunter in den Sudkessel, in das Gärfaß der Zeit, und die Dünste, die ihm oben in die Nase steigen, destilliert er fleißig als ein frommer Laborant. Im stille brennenden Feuer verzehrt sich das Zufällige der Dinge, und noch aus der trübsten und unsaubersten Mischung klärt sich am Ende ein Körnlein beständigen Salzes heraus.
Er hütet sich geflissentlich, über die Menschen, die ihm von Gott anvertraut sind, ein Urteil zu sprechen, auch den sündigsten verwirft er nicht, hat doch Gott in ihm ein Urbild dessen verborgen, was er zu sein hat, und wenn es auch vielfach gequetscht und befleckt worden ist, es hat die Auferstehungskraft in sich, wenn es sich den Einstrahlungen Gottes nicht entzieht! –
Bisweilen natürlich bedarf es handgreiflicher Eingriffe und deutlicher Ratschläge, um eine Seele wieder in ihr Gleichgewicht zu rücken, und dafür hat der Seelsorger seine erprobten Mittel zur Hand!
Zum Exempel: Die Tür geht auf – und in der Stube steht Frau Motz, das unglückliche Eheweib eines Rohlings, eines Trinkers und ortsbekannten Lüdrians!
Sie hat es nicht leicht mit ihrem Mann. Sieben Kinder hat sie ihm in einer harten Ehe geboren! Was der Mann verdient als ein bescheidener Handwerker, vertrinkt er zur Hälfte, und wenn sie den Pflichtvergessenen schilt, wird sie von ihm geprügelt, wenn sie ihm ins Gewissen redet, wird er sperrig, und wenn sie in Gutem mit ihm spricht, wird er noch leichtsinniger und lädt das nächste Mal die Saufgesellen ins Haus, und sie selber muß ihnen aufwarten!
Dem Prediger geht auf, daß die Frau überhaupt zuviel redet, ob nun im Guten oder im Schlimmen!
»Weiß Sie was, Motzin,« sagt er zu ihr, »rede Sie doch gar nicht mit Ihrem Mann!«
»Ja, wer da schweigen könnte!« ruft die Frau verzweifelt aus, »man ist halt nur ein Mensch!«
»Wer weiß,« fährt Flattich ruhig fort, »vielleicht kann Sie mehr ertragen als andere Menschen! Will Sie's einmal versuchen?«
»Herr Pfarrer, ich will's ja gern versuchen,« antwortet sie und weint noch lauter als zuvor, »aber es wird halt nicht gehn! Es wird halt nicht –«
»Da fällt mir eben ein,« unterbricht sie Flattich, »daß es ja ein Mittel gibt, wodurch Sie schweigen lernen kann! Es ist ein seltenes Mittel und nicht jedem zugänglich!«
»Und das wäre?« frägt die Frau ruhig und ganz verwundert.
»Es ist ein geheimnisvolles Ding«, sagt Flattich leise, – »von wundertätiger Wirkung! Ein besonderer Stein! Versteht Sie? – Weiß nicht, ob es der vielgesuchte Stein der Weisen ist! Aber weise macht er Euch, das ist gewiß! – Will Sie's mit dem Stein versuchen, Motzin?«
Die Motzin macht auf einmal große Augen. Von dem wundertätigen Stein hat sie schon einmal gehört und sie fragt:
»Bringt er Glück ins Haus, Herr Pfarrer?«
»Recht hat Sie! Der Stein bringt Ihr wahrscheinlich viel Glück ins Haus!« antwortet Flattich lächelnd, »und wenn Sie will, kann Sie ihn haben!«
»Nur gleich her damit!« sagt die Motzin aufs bestimmteste, »so ein Stein kommt mir nie wieder aus dem Haus!«
»Also will ich ihn suchen!« sagt Flattich, steht auf und läßt die glückliche Motzin in der Stube zurück. –
Dann geht er in seinen Garten, sucht und findet einen flachen glatten Kiesel, der nicht zu groß ist, wäscht ihn am Brunnen und trocknet ihn säuberlich an seinem Flausch. Steigt wieder die Stiege hinauf und findet die Motzin noch glücklicher als zuvor. Er tritt vor sie hin und verbirgt den Stein hinterm Rücken.
»Weiß Sie auch, was Sie tun muß, wenn Ihr der Stein helfen soll!?«
»Herr Pfarr, ich tu alles, was Ihr sagt!« antwortet die Motzin und öffnet schon die Hand.
»Sie nimmt«, belehrt sie der Prediger, »jedesmal, wenn Ihr Mann betrunken von der Kneipe heimkommt, den Stein unter die Zunge und bewahrt ihn dort so lange, als Sie mit ihm zusammen ist! Verspricht Sie das?«
Die Motzin verspricht's.
Da gibt er ihr den Stein. Sie schaut ihn lange an, verwundert, und sagt, solche könne sie alle Tage auf der Straße sehn!
Das läßt er aber nicht gelten und macht ihr begreiflich, daß es auf das Äußere bei einem solchen Stein nicht ankomme! »Der Stein, den ich Ihr gebe,« sagt er, »hat das Richtige in sich!«
Und was er denn in sich habe? meint sie.
»Das eben ist das Geheimnis,« antwortet ihr Flattich, »das Sie erproben soll! Im übrigen vergesset nicht, Motzin, für Euren Mann zu beten!«
Da ist das arme Weib wieder voll Verwunderung und Glauben, nimmt den Stein in die Faust, küßt Flattich die Hand und geht.
Flattich steht wieder an seinem Auslug.
Es dauert nicht lange, da tritt die Frau aus dem Haus und geht geradeaus auf das Backhaus zu, wo sie einige Leidensgenossinnen anzutreffen hofft, denen sie ihren wundertätigen Stein zeigen will. Sie kommt aber nicht so weit, denn aus dem Nebenhaus torkelt der Motz, ihr Mann, der sie belauert hat und genau weiß, warum sie in das Pfarrhaus gegangen ist!
Er schwankt auf sie zu, grätscht die Beine auseinander und will ihr den Weg verstellen, aber der Hauptstock seines Leibes gerät darüber ins Wanken; sie springt ihm bei und stützt ihn, weil sie fürchten muß, daß er in den Straßenschmutz fällt, – und da hält er sie schon fest, schimpft, flucht, wettert und kneipt sie in den Arm. Sie beißt sich los, schiebt schnell etwas in den Mund – und läßt das Hagelwetter auf sich niedergehen! Es ist ein schlimmer Brockenhagel, ein Steinbruchregen! Es ist ein wüster Auftritt.
Der Prediger muß verbissen an sich halten, daß er nicht das Fenster aufreißt und den Wüstling mit einem Felssturz von oben bedenkt. Aber das Weib hält stand und schweigt. Endlich läßt er sie los, ist zwar noch sehr grimmig, schaut am Pfarrhaus hinauf, ob der Prediger am Fenster steht, erschrickt nicht wenig, als ihm Flattich gebieterisch in sein Haus winkt, zieht den Kopf ein und gehorcht.
Unser Prediger ist kein erschrockener Mann, er nimmt das wiederspenstige Vieh am Horn wie der Bauer, und wenn er einmal donnert, wird ihm eine Stimme wie ein Ur.
Der betrunkene Motz rumpelt in die Stube herein, keucht, schnaubt und schreit ungebärdig: »War sie wieder da, das Weib?« Da donnert ihn Flattich mit einem wütenden »Schweig Er!« nieder, daß der Trunkenbold augenblicklich zusammenknickt wie eine Kutsche, wenn ihr das Rad bricht!
Und nun ist langes Schweigen.
Als der Motz nach einer Weile die Augen erhebt, steht Flattich in einer Ecke der Stube und schaut ihn so innig forschend durch seine Brille an, daß der Motz gleich wieder die Augen niederschlägt. Das wiederholt sich ein paar Male, bis Flattich das erste Wort findet und fragt: »Weiß der Motz eigentlich, warum er ein so schändlicher Mensch ist?« –
Der Sünder läßt den Kopf tiefer hängen, grübelt lange, und endlich bringt er hervor: »Es kommt davon, Herr Pfarr, weil ich unter einem unglücklichen Planeten geboren bin!«
Flattich ist nicht im geringsten über die Antwort verwundert und sieht so drein, als dächte er über Motzens Planeten tüchtig nach. Dann geht er hinüber an sein Schreibpult, spitzt eine Feder und legt sich einen Bogen Papier zurecht.
Ehe er schreibt, schaut er dem Motz noch einmal in sein verdrossenes Säufergesicht und sagt:
»Ob Er's nun glaubt oder nicht, auch ich bin unter einem unglücklichen Planeten geboren – und kann es nicht hindern, daß Er beim Amt angezeigt wird und ins Zuchthaus muß!«
Der Motz sieht auf einmal seinen unseligen Saufstern in der größten Bedrängnis, und da er wohl weiß, daß der Planet des Pfarrers der stärkere ist, nimmt er seine Zuflucht zu Flattichs gutem Herzen, bittet bewegt um Verzeihung und Gnade und gelobt einen besseren Wandel.
Aber Flattich läßt sich nicht so schnell erweichen, tunkt die Feder aufs neue ein und sagt nur nebenhin:
»Ihr seid kein ganz schlechter Mensch, Motz – aber so schwach in Euerm Glauben! Wenn Ihr Eurem Stern so schnell die Treue versagt, kann ich auf Euer Wort auch nicht bauen?!«
Da gerät der Motz in wütenden Eifer. »Herr Pfarr,« sagt er, »wenn Ihr bloß wüßtet, wie mir der siedige Stern Tag und Nacht zusetzt! Ich bin ja schon kein Mensch mehr!«
»Ei!« sagt der Pfarrer darauf, »wie gut Er über sich Rat weiß! Aber der Stern, der Ihn vexiert hat, scheint doch nur zur Nacht. Warum ist Er denn auch am hellen Tag betrunken?«
»Ach!« erwidert darauf der Motz nicht unklug, »er scheint ja auch am Tag, man sieht ihn bloß nicht!«
»Dann ist Ihm leider Gottes halt nicht zu helfen«, klagt der Pfarrer, »und Er muß eines Tages oder Nachts ins Zuchthaus!«
»Davor sei Gott!« jammert der Motz.
»Ja, glaubt Er denn auch an Gott?« fragt der Pfarrer begierig, »da Er schon seinen Namen in den Mund nimmt?«
Der Motz verstummt beschämt, und Flattich fährt fort:
»Es scheint doch, daß Er dem Herrgott mehr zutraut als seinem miserabligen Stern! Damit ist ein Anfang gemacht. – Jetzt nur noch eins: Will Er im Namen des dreieinigen Gottes, den Er angerufen, Sein lästerliches Leben aufgeben, Seinem Stern Valet sagen und mir versprechen, keinen Tropfen mehr zu trinken?!«
Der Motz ist in all seinem Elend doch ein ehrlicher Kerl und gesteht: »Keinen einzigen Tropfen mehr, Herr Pfarr, das kann ich Euch nicht versprechen! Der Asperger ist gut und der Besigheimer ist noch besser!«
»Wenn der Wein aber einen Sklaven aus Ihm macht,« entgegnet der Pfarrer zürnend, »dann wäre es besser, man leerte ihn in die Dunggrube!«
Nach einem so kräftigen Spruch spürt Flattich Lust, eine Prise zu nehmen, tut es und wartet ab, was der Motz darauf zu erwidern hat. Der hält nun gar nichts vom Tabak, um so mehr aber vom Wein, und weiß geschickt zu erwidern:
»Kann Er denn von Seinem Tabakschnupfen lassen?!«
Das trifft unseren Prediger sehr empfindlich!
Dem kleinen Laster des Schnupfens hat er sich ergeben, weil es das unschuldigste ist. In früher Jugend hat er sich's angewöhnt, und es ist möglich, daß ihn die feinen Frauenzimmer darum gemieden haben! Weil sie ihn nun gemieden haben, oder weil er damit erreichte, daß sie ihn mieden, hat er die anderen Laster nicht kennengelernt, die alle mit den Frauenzimmern zusammenhängen: das Lügen, das Schmeicheln, das Hofieren, das Kokettieren, das Visitenmachen, das Klatschen, das Pokulieren, das Schuldenmachen, das Hasardieren und das Duellieren, – und deshalb nennt er mit Recht das Schnupfen ein vorbeugendes Laster!
Aber der Sünder Motz kann das Opfer des Tabakschnupfens von ihm verlangen.
»Wohlan,« antwortet ihm Flattich, »ich will vom Tabakschnupfen lassen, wenn Er vom Weintrinken läßt! Er hat meine Hand darauf! Wenn ich aber noch einmal sehe, daß Er Sein Weib mißhandelt, muß Er doch ins Zuchthaus!«
Da schreit der Motz verzweifelt auf:
»Steht denn nicht in der Bibel, daß Mann und Weib ein Leib sind?! Wenn ich also mein Weib haue, gebe ich mir die Streiche ja selber!«
»Hat Er sie denn gespürt?« fragt Flattich herzlich bewegt.
Da geschieht es, daß der Motz nickt und dann verstummt. Dabei tritt ihm das helle Wasser in die Augen.
Nun setzt ihm Flattich nicht mehr zu, sondern läßt ihn zur Ruhe kommen, führt ihn dann sanft hinaus und leitet ihn freundlich die Stiege hinunter.
Der redliche Leser wird nun wohl genug haben von Dünsten! Auch Flattich hat genug davon.
Er verläßt seine geistliche Laborantenstube und geht in den Garten hinter das Haus, um sich am Wohlgeruch seiner Blumen zu erquicken. Da blühen Goldraute und Frauenherz, Kaiserkrone und Mädchenauge, Silberkerze und Sonnenbraut und stimmen ein viel schöneres Seelenkonzert miteinander an als der Motz und sein Weib!
Der Garten ist lang und schmal und eigentlich nichts anderes als ein breiter Weg, der sich nach hinten verjüngt.
Hennendarm nennt der Leutemund einen solchen Garten, und seine Art kommt zustande, wenn zwei Nachbarn, deren Gärten durch Zaunwege voneinander getrennt sind, übereinkommen, den ungenutzten Grund, der zwischen ihren Gärten liegt, an einen dritten für gutes Geld zu verkaufen.
Flattich hat seinen Hennendarm sehr lieb. Er beschert ihm einen langen geraden Auslauf. Leicht überschaubar liegen die kleinen Beete rechts und links vom Wege, die Gemüsepflanzungen, die Blumenwäldchen, die Saatkästen – und nur zweimal verzweigt sich der schmale Weg, einmal, wo er um das Regenfaß, und das andere Mal, wo er um ein Rosenstockrondell herumgeht.
Zuhinterst, wo der Darm sich kümmerlich verjüngt, steht eine Bohnenstangenlaube, und an sie grenzt Nachbar Motzens Garten mit einem großen Haufen Mist!
Es ist eben schwer, von Motzens Dünsten loszukommen!
Flattich wandert hin und her, schaut hinauf zu den Bäumen, wo die roten Äpfel hängen, schaut in den Abgrundhimmel, wo sich die Schwalben zum Heimflug sammeln, und wittert – Herbst.
Wer im Schwabenland lebt, kennt den Duft von welkem Laub und reifem Obst, vermischt mit dem Gedüfte gärender Trester vor den Keltern, dem süßen Gedüft des jungen Weines und Apfelmostes, – ah! und erst das Balsamlüftlein, das über die Gärten und Dächer hinwegschwebt, wenn der Nachbar den Keller öffnet, wo all der Segen gebrannt wird!
Ein Destillatum reinen Geistes erfüllt die Luft und ein Wohlgeruch wie von fünftausend Engeln! – Eine Prise muß man zu sich nehmen, wenn man von dem Arom nicht betäubt werden will.
Und das ist es ja, was unseren Flattich so sehr peinigt, daß er sich immerfort die Nase reibt! Alle guten Gedanken verlassen ihn, wenn er nicht mehr in der Nase hat, was ihm so teuer ist! Elend ist er und krank, mißmutig und zerschlagen. Nichts will ihm gelingen!
Aber ein Wortbruch wäre schändlich! Und gar ein Wortbruch an einem Sünder wie Motz! Doch, sieht es der Motz vielleicht?!
Nein! Der ist in seiner Kneipe.
Ach, er bedauert es schon, daß er ihm sein Wort gegeben hat, keinen Tabak mehr zu schnupfen!
Er wandert hin und her. Da sieht er die kleine rote Rose in dem Rondell. Ist Rosenduft nicht köstlicher als der Duft der gebeizten Tabaksstaude? Er tritt vor sie hin, mit dem kleinen Finger biegt er sie heran – und kostet!
Voll ist ihr Duft und keusch! Ihr Innerstes duftet wie eine Schale süß gewürzten Weines. Da schnellt das Zweiglein zurück, und hundertblättrig zerstiebt der Duftleib der Blume und regnet nieder auf das Rondell.
O wie vergänglich sind die Rosen!
Sinnend geht Flattich weiter, und am Ende seines Gartens in der Bohnenlaube greift er schnell in den Rockschlitz, zieht die Dose hervor und begeht den Wortbruch.
Himmel und Hölle! Das ist ein Geschmack!
Gleich einem Bündel Stricknadeln schießt es ihm durchs Gehirn. Hiatz! Hiatz! Hiatz!
Hölle und Himmel! Was ist das?
Lachen die Teufel? Ergötzt sich die Hölle an seinem Fall?
Er wischt sich die Augen. Und wieder: Hiatz! und ein Höllengelächter! – Hilf Himmel! Drüben überm Zaun auf dem Dunghaufen steht der leibhaftige Satan mit der langen Gabel – und lacht, lacht, wie nur der Motz lachen kann!
Ja, es ist der Motz, der ihn bei seinem Wortbruch ertappt hat! Ohne Grenzen ist seine Schadenfreude, und er lacht und schreit: »Er hat geschnupft! Er hat Sein Wort gebrochen! Ich will's Ihm aber auch brechen und mir heute nacht einen Rausch antrinken, daß drei Wochen lang von nichts anderem geredet wird als von meinem Rausch und Seinem Ehrenwort! Behüt Euch Gott, Herr Pfarrer!«
Ein Donnerschlag ist auf Flattichs Haupt niedergegangen! Er hat gerade noch die Kraft, die verwünschte Dose auf das Mistgebirge zu schleudern, das seinen Garten von dem des Motzen trennt, dann eilt er in die Arme Margaretens, die mit dem Essen schon auf ihn wartet.
Er straft sich aber selber und schiebt das Mahl beiseite, obwohl sie sein Leibgericht gekocht hat.
Während sie nun allein essen muß und bald die Lust daran verliert, sitzt er neben ihr und beichtet sein Mißgeschick.
Die Tränen sind ihm nahe, dem unglücklichen Mann!
Sie weiß ihn gut zu trösten und rät ihm verständig, sein Wort nicht an jeden Tunichtgut zu verpfänden!
»Der Motz«, sagt sie, »hat es nur darauf angelegt, sein eigenes Wort zu brechen!«
»Und ich hab ihn dazu verleitet!« klagt er sich verzweifelt an.
»Wär's denn nicht wieder gutzumachen?« fragte sie.
Das überlegt er sich ruhig, und nach einer guten Weile weiß er genau, was er tun muß.
*
Wundern wir uns darum nicht, wenn wir Flattich am Abend des Tages im Wirtshaus ›Zum letzten Pfennig‹ wiedersehen! Es ist eine böse Kneipe. Der Boden hat schon lange keinen Besen mehr gespürt, die Stubendecke ist ein schwarzer Spinnenhimmel. Nicht ohne Grund hat Flattich seine hohen Stulpenstiefel angelegt, am liebsten wäre er zu Roß in die Kneipe eingeritten, so starrt es dort von Unrat!
Er muß nicht lange warten, da kommt auch schon der Motz und mit ihm eine Bande von noch viel schlimmeren Mötzen, die ihm wie Kletten anhängen.
Als sie den Pfarrer sehen, setzen sie sich zu ihm an den Tisch und haben große Freude, daß er sich bei ihnen zeigt, denn in der Kirche hätte man doch keine Gelegenheit sich kennenzulernen, spotten sie!
Ein anderer Daniel sitzt unser Pfarrer in dieser Löwengrube, hört wohl das Fauchen und das Bellen, das Zähneblecken und Zischen, läßt es sich aber nicht nahegehen! Er hat nur den Motz im Auge. Der fängt gleich mit einem Schnaps an, und Flattich tut es ihm nach. Als der Motz nun seinen inneren Lüdrian vorgewärmt hat und den Wein kommen läßt, bietet ihm Flattich auch darin Widerpart und läßt gleichfalls Wein kommen.
Damit setzt er sich bei beiden Wichten so in Respekt, daß sie aufhören zu spotten, ja, sie gehorchen ihm aufs Wort, als er sie bittet, ihn mit dem Motz allein zu lassen, dessentwegen er gekommen sei. Nun sitzen sich die beiden stumm gegenüber und jeder hat das Gefühl, daß er dem andern das Wort gebrochen hat.
Immer wenn der Motz trinkt, hebt Flattich das Glas und prostet ihm zu, nimmt einen kleinen Schluck und stellt das Glas wieder auf den Tisch. Dem Motz macht es anfänglich Vergnügen, sich mit dem Pfarrer zu messen, aber mit der Zeit steigt ihm doch der Zorn auf, als er merkt, daß ihn der Pfarrer necken will, und nun fängt er an wie ein Grenadier zu bürsten.
Flattich hält wacker mit. Dem Motz entgeht nur, daß der Pfarrer jedesmal, wenn er einen Schluck genommen hat, das Glas kurze Zeit unter den Tisch hält und den Rest in seinen hohen Stiefel gießt, den er sich vom Fuß gezogen hat.
Das ist zwar ein unlauteres Spiel, aber in manchen Fällen ist es erlaubt!
Nach einer guten Weile wird der Becherbold verdrossen und läßt den Kopf hängen. Das hat zweierlei Grund: Es ärgert ihn, daß er dem Prediger im Weinbürsten nicht gewachsen sein soll, überdies spürt er schon ein ziemliches Gewicht am Kopf!
Freundlich ermuntert ihn Flattich weiterzutrinken, und als der Motz unwillig aufbegehrt, spottet er: »Jetzt weiß ich endlich, woher Sein Mißgeschick kommt! Er verträgt noch weniger als ein Huhn! Er muß das Trinken sein lassen!«
Und gutmütig fährt er fort: »Warum trinkt Er überhaupt? Was mir nicht schmeckt, tue ich nicht! Auch muß ich Ihm sagen, daß Er einen schlechten Geschmack hat, sowohl was den Wein angeht wie das Lokal! – So! Und jetzt lasse ich Ihn sitzen in seiner Spelunke!
Will Er aber nach Seinem Wein noch ein gebratenes Göckelchen essen, dann komme Er zu mir auf meine Stube ins Pfarrhaus! Wir warten schon lange auf Seinen lieben Besuch!«
So viel Liebe, Güte und schönen Versprechungen kann der Nachbar Motz doch nicht widerstehen, strahlt dem Pfarrer all seine Liebe und Güte wieder zurück und steht sogleich auf.
Flattich zahlt ihm die Zeche gern.
Beim Hinausgehen spuckt der Motz noch einmal tüchtig auf den Schmutzboden der elenden Kneipe, und es scheint, als hätte er vom schlechten Leben endlich genug!
*
Das ist Johann Friedrich Flattichs Alltag!
Man muß zugeben, daß er reich genug ist an Schwankungen und Wechselfällen, an Niederlagen und den bescheidenen Siegen, die das Herz beglücken!
Schrittweise kämpft der Menschenhelfer um sein Reich. Den ungeschmeidigen Erdenkloß nimmt er liebevoll in die Hand, befreit ihn von Steinen und krausem Wurzelgeflecht, und er hat keine Angst, sich an ihm zu beschmutzen ...