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1788 bis 1789.
Dieser stille Fleiß übte sich mit Lust und Wärme an der Uebersetzung des Euripides, mit einiger Winterkälte am Geisterseher, dem er, noch im December, »kein großes Interesse abgewonnen hatte.« »Mein Euripides gibt mir noch viel Vergnügen,« spricht er, »und ein großer Theil davon kommt auch auf sein Alterthum. Den Menschen sich so ewig selbst gleich zu finden, dieselben Leidenschaften, dieselben Collisionen der Leidenschaften, dieselbe Sprache der Leidenschaften! Bei dieser unendlichen Mannigfaltigkeit immer doch diese Aehnlichkeit, diese Einheit derselben Menschenform! Oft ist die Ausführung so, daß kein anderer Dichter sie besser machen könnte; zuweilen aber verbittert er mir Genuß und Mühe durch viele Langeweile. Im Lesen ginge sie noch an; aber sie übersetzen zu müssen, und zwar gewissenhaft! Oft macht mir das Schlechtere die meiste Mühe. Im nächsten Monat werden Sie wohl die Früchte meines jetzigen Fleißes zu lesen bekommen. Wieland gebe ich eine Uebersetzung vom Agamemnon des Aeschylus in den Merkur; das ist aber erst gegen den März. Auf den will ich alle Mühe verwenden, weil dieses Stück eines der schönsten ist, die je aus einem Dichterkopfe gegangen sind.« (4. Dec.)
Seine Arbeit am Geisterseher führte ihn auf allgemeine Gedanken über den Roman und das Drama: »Der Vorzug der Wahrheit, den die Geschichte vor dem Roman voraus hat, könnte sie schon allein über ihn erheben. Es fragt sich nur, ob die innere Wahrheit, die ich die philosophische und Kunstwahrheit nennen will, und welche in ihrer ganzen Fülle im Roman oder in einer andern poetischen Darstellung herrschen muß, nicht eben so viel Werth hat, als die historische. Daß ein Mensch in solchen Lagen so empfindet, handelt und sich ausdrückt, ist ein großes wichtiges Faktum für den Menschen, und das muß der dramatische oder Romandichter leisten. Die innere Uebereinstimmung, die Wahrheit wird gefühlt und eingestanden, ohne daß die Begebenheit wirklich vorgefallen seyn muß. Man lernt auf diesem Weg die Menschen und nicht den Menschen kennen, die Gattung, und nicht das sich so leicht verlierende Individuum. In diesem großen Felde ist der Dichter Herr und Meister; aber gerade der Geschichtschreiber ist oft in den Fall gesetzt, diese wichtigere Art von Wahrheit seiner historischen Richtigkeit nachzusetzen, oder ihr mit einer gewissen Unbehülflichkeit anzupassen, welches noch schlimmer ist. Ihm fehlt die Freiheit, mit der sich der Künstler mit schöner Leichtigkeit und Grazie bewegt, und am Ende hat er weder die eine noch die andere befriedigt.«
Wie viele Gedanken mußte Schiller erobern, welche die Erben seines Nachdenkens jetzt längst besitzen und genießen!
Gegen Mitte Januars 1789 wich die grausame Kälte, und Schiller schrieb am 26. dieses Monats: »Endlich habe ich mich doch wieder mit der Natur zusammengefühlt, und, nach einem lebendigen Begräbniß auf meinem Zimmer von fast vierzehn Tagen, wieder im Freien geathmet. Mein Herz war leer und mein Kopf zusammengedrückt – ich hatte diese Stärkung höchst nöthig.« Die liebliche Luft und der geöffnete Boden versetzt ihn in den Rudolstädter Sommer zurück, und jetzt erschien ihm selbst die Beschäftigung mit dem Geisterseher, die früher sein Inneres nur oberflächlich berührt hatte, wenigstens momentan als eine angenehme. Da entstand jenes ganz in Kant getauchte philosophische Gespräch, welches er damals nöthig zu haben glaubte, um die freigeisterische Periode, die er seinen Prinzen durchwandern ließ, dem Leser vor Augen zu stellen. »Bei dieser Gelegenheit habe ich nun selbst einige Ideen bei mir entwickelt, die Sie darin wohl errathen werden (denn GottDerselbe Gott, den das System des Prinzen entbehren zu können glaubt: »Meine Moralität und Glückseligkeit bedürfen nicht des Glaubens an ein vernünftig geordnetes Ganze, an eine unendliche Gerechtigkeit und Güte, an eine persönliche Fortdauer – also keiner Religion.« Schiller hat übrigens dieses System hauptsächlich dadurch verdammt, daß er seinen Bekenner verzweifeln und – katholisch werden läßt. bewahre mich, daß ich ganz so denken sollte, wie der Prinz in der Verfinsterung seines Gemüths); auch glaube ich, wird Ihnen die Darstellung durch die Klarheit gefallen. Jetzt bin ich eben bei der schönen Griechin; und um mir ein Ideal zu holen, werde ich die nächste Redoute nicht versäumen. Ich möchte gern ein recht romantisches Ideal von einer liebenswürdigen Schönheit schildern; aber dieß muß zugleich so beschaffen seyn, daß es – eine eingelernte Rolle ist, denn meine liebenswürdige Griechin ist eine abgefeimte Betrügerin. Schicken Sie mir doch in Ihrem nächsten Briefe ein Portrait, wie Sie wünschen, daß sie seyn soll, wie sie Ihnen recht wohl gefiele, und auch Sie betrügen könnte. Auch Lottchen bitte ich darum! Ich erfahre dann bei dieser Gelegenheit Ihre Ideale von weiblicher Vortrefflichkeit (nicht von der stillen nämlich, sondern von der erobernden) . . . Sie sehen, daß ich Alles anwende, um mir meine gegenwärtige Beschäftigung lieb zu machen.«
Drei Dinge lehrt uns dieser Brief: daß es zu viel behauptet ist, wenn man sagt, die Ansichten des Prinzen seyen damals auch beinahe die Ansichten Schillers gewesen; daß das Ideal der schönen Betrügerin im Geisterseher nicht von der Fräulein Julie von A. in Dresden entlehnt war, wie vermuthet wird; und daß dieser Geisterseher nicht Schillers volle Liebe hatte.
Das letztere erhellt noch deutlicher aus einer andern Briefstelle (12. Febr. 1789), in welcher zwischen »einem Roman oder einer Erzählung, wo man jedem Schritte, den der Dichter im menschlichen Herzen thut, ruhig und aufmerksam nachgeht,« und »dem Interesse einer Farce, wie der Geisterseher doch eigentlich nur ist,« unterschieden wird. »Der Leser des Geistersehers muß gleichsam einen stillschweigenden Vertrag mit dem Verfasser machen, wodurch der letztere sich anheischig macht, seine Imagination wunderbar in Bewegung zu setzen, der Leser aber wechselseitig verspricht, es in der Delikatesse und Wahrheit nicht so genau zu nehmen.«
Nach diesen Aeußerungen wird man sich nicht mehr wundern, daß der Roman, der eine Art von psychologischem Räthsel war, das sich der Dichter aufgegeben, von Schiller nicht vollendet worden ist.Er erschien zuerst Leipz. 1789. Diese Dichtung schildert uns eine religiöse Verirrung auf einem Wege, den die Geschichte des menschlichen Herzens, wenn je, gewiß nur ausnahmsweise betreten hat, mit einem Hokus-pokus, der uns jetzt, wo jeder Physikant viel glänzendere Kunststücke machen könnte, etwas armselig erscheint. Hoffmeister hat dieselbe sorgfältig zergliedert,II, 18–34. und vergegenwärtigt sich, in dem Gemälde der Jugendzeit des Prinzen, Schillers eigenen, in früheren Jahren erduldeten Religionszwang und jene Erziehung, in welcher er auch den spanischen Prinzen aufwachsen läßt. Geistesunmündigkeit, Befreiung von der Autorität, Zweifelsucht, sittlichreligiöser Unglaube und endlich Aufgeben seiner selbst bei innerem Unfrieden und äußeren Bedrängnissen jeder Art sind die Perioden dieser tragischen Geschichte. Der Kritiker glaubt, daß Schiller in so fern eine neue Gattung des Romans durch den Geisterseher aufgebracht, als das Wunderbare, Geheimnißvolle, Unbegreifliche, worin sich die Geschichte bewegt, als ein Symbol des Übersinnlichen behandelt ist. Auch hat dieser Roman nicht nur eine, keineswegs unbedeutende Fortsetzung (durch C. F. Follenius), sondern in einem Jugendwerke eines unsrer größten lebenden Dichter, dem William Lovell (1795), einen gattungsverwandten Nachfolger erlebt. Und Ludwig Tieck versichert uns, daß der Geisterseher der Torso eines vortrefflichen Romans sey. Mit diesen Zeugnissen möge er hier beruhen.