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1784
Schiller fand seinen Trost für die Vereitlung eines Lieblingsplanes da, wo er ihn suchen sollte, in der Produktion. Sein versöhnliches Gemüth verschmerzte auch bald die Kränkung, die ihm Dalberg durch die Zurückweisung seiner Idee angethan. Als dieser im August 1784 von Mannheim abwesend war, verwünschte er den Sommer, der den klugen Rathgeber aus seiner Sphäre gezogen, und fühlte seinem Genius einen leidigen Zwang auferlegt. Er vermißte die elastische Feder, die seine Phantasie und Schöpfungskraft in Schwung bringen und erhalten sollte, und sah mit Vergnügen die Blätter fallen und den Herbst kommen, der ihm den Vertrauten seiner poetischen Gedanken zurückbringen sollte.
Denn nachdem er sich einige Zeit mit den Gedanken an einen Conradin, an einen zweiten Theil der Räuber, an eine Bearbeitung von Shakspeare's Macbeth und Timon für die deutsche Bühne getragen, so war er jetzt endlich für Don Carlos entschieden. Er »ist ein herrliches Sujet,« schreibt er an Dalberg den 24. August, »vorzüglich für mich. Carlos, Philipp, die Königin und Alba öffnen mir ein unendliches Feld. Ich kann mir es jetzt nicht verbergen, daß ich so eigensinnig, vielleicht so eitel war, um in einer entgegengesetzten Sphäre zu glänzen, meine Phantasie in die Schranken des bürgerlichen Kothurns einzwängen zu wollen, da die hohe Tragödie ein so fruchtbares Feld, und für mich, möchte ich sagen, da ist; da ich in diesem Fache größer und glänzender erscheinen, und mehr Dank und Erstaunen wirken kann, als in keinem andern, da ich hier vielleicht nicht erreicht, in andern übertroffen werden könnte.«Noch am 7. Juni war dieser poetische Durchbruch bei dem Dichter nicht erfolgt. Damals schrieb er noch an Dalberg: »Carlos würde nichts weniger als ein politisches Stück, sondern eigentlich ein Familiengemälde in einem fürstlichen Hause; und die Situation eines Vaters, der mit seinem Sohne so unglücklich eifert, die schrecklichere Situation eines Sohnes, der bei allen Ansprüchen auf das größte Königreich der Welt ohne Hoffnung liebt, und endlich aufgeopfert ist, müßten, denke ich, interessant ausfallen.«
Als Schiller diese Worte schrieb, hatte er das volle Bewußtseyn seiner Kraft und seiner Bestimmung; es lautete wie Prahlerei, aber es war die Wahrheit, die er aussprach, und der Erfolg hat seine Prophezeihung bestätigt.
In diesem Gefühl seiner Weihe ging er an die Arbeit, die sein Freund Streicher mit Bewunderung vorrücken sah. Seine Gespräche verbreiteten sich nicht allein über den Plan selbst, sondern auch über die ganz neue Art von Sprache, die er dabei gebrauchen müsse, die er mit all' dem Rhythmus und Wohllaut ausstatten wollte, wofür er ein so empfindliches Ohr hatte. »Froh bin ich,« schrieb er an Dalberg, »daß ich nunmehr Meister über den Jamben bin: es kann nicht fehlen, daß der Vers meinem Carlos sehr viel Würde und Glanz geben wird.« Seine Freude über den Erfolg dieses Versmaßes war so groß, daß er kaum die Abendstunde erwarten konnte, in welcher er dem Jugendfreunde, wie einst in Stuttgart, das, was er den Tag über fertig gebracht hatte, vorlesen konnte. Dieser fand »jeden Vers vortrefflich, jedes Wort, jeden Ausdruck erschöpfend; alles war groß, alles schön, jeder Gedanke von Adel.« Er beschwor den Dichter, sich bei ähnlichen Gegenständen nie mehr zur Prosa herabzulassen.
Glückliche Zeit, wo der Jambe das edle, aus dichterischem Vollblut erzeugte Roß war, dessen Künste dem zuschauenden Naturkind Ehrfurcht und Bewunderung einflößte – wer muß nicht mit Wehmuth auf dich zurückblicken, der jetzt denselben Vers, als abgelebte Mähre, seit Jahrzehenden von jedem dramatischen Stümper in die Schwemme reiten sieht!
Im August war in die Versammlung des spanischen Hofes, die der Geist des Dichters zusammenberufen, der Botschafter noch nicht eingetreten, den das männlicher gewordene Selbst und die tiefere Weltbetrachtung des Dichters, seiner weicheren Natur gegenüber, die in Don Carlos dargestellt ist, an das werdende Stück abordnete. Bald aber fand sich auch der Marquis Posa ein, und »wider die natürliche Anlage des Stücks hob sich, der vorherrschenden Empfindung des Dichters entsprechend, diese Gestalt allmählig zur bedeutendsten Person der ganzen Tragödie empor.«Hoffmeister I, 249. 253.
Doch selbst mitten in dieser begeisternden Arbeit, an Jupiters Tisch eingeladen, und in seinem Himmel lebend, wurde der Dichter schmerzlich an die ungleiche »Theilung der Erde« unter die Menschen erinnert. Noch immer hatte er seine, durch den Druck der Räuber contrahirte Stuttgarter Schuld nicht bezahlen können. Sein Bürge, hart vom Gläubiger bedrängt, war auf der Flucht von diesem in Mannheim ergriffen und verhaftet worden und Schiller in der größten Noth, wie er die Summe herbeischaffen sollte. Der Edelmuth eines achtungswerthen Mannes, bei welchem Streicher wohnte, des Baumeisters Anton Hölzel, welcher nicht reich, nicht einmal wohlhabend war, schaffte – da die Zeit, sich an seine Eltern zu wenden, für Schiller zu kurz war – die Mittel herbei und rettete den Bedrängten aus der Haft, wie den kummervollen Dichter aus der Verlegenheit.
Schiller, der jetzt ernstlich darauf dachte, der nicht abgewälzten, sondern neu aufgelegten Last ledig zu werden und seine Einkünfte etwas zu vermehren, nahm den Plan einer Zeitschrift wieder auf, die aber, neben den Vorstellungen des Mannheimer Theaters, auch Gegenstände der Wissenschaft berücksichtigen sollte.
Im deutschen Museum vom 12. December 1784 wurde die Rheinische Thalia angekündigt, die »jedem Gegenstande offen stehen sollte, der dem Menschen im Allgemeinen interessant ist und unmittelbar mit seiner Glückseligkeit zusammenhängt. Alles, was fähig ist, den sittlichen Sinn zu verfeinern, was im Gebiete des Schönen liegt, Alles, was Herz und Geschmack veredeln, Leidenschaften reinigen und allgemeine Volksbildung bewirken kann,« war in ihrem Plane begriffen.
In dieser Ankündigung war es, daß er von seinem fürstlichen Erzieher auf das Publikum provocirte, und sich ihm, mit den Worten, die wir früher schon angeführt haben, in die Arme warf. »Nunmehr sind alle meine Verbindungen aufgelöst,« sagt er. »Das Publikum ist mir jetzt Alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter. Ihm allein gehöre ich jetzt an. Vor diesem, und keinem andern Tribunal werd' ich mich stellen. Dieses nur fürcht' und verehr' ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen, als den Ausspruch der Welt; an keinen andern Thron zu appelliren, als an die menschliche Seele.«
»Zwischen dem Publikum und ihm eine Freundschaft zu knüpfen« war nach seinem Schlußgeständnisse eine vorzügliche Absicht bei der Herausgabe der Thalia.
1785.
Diesem neuen Freunde nun legte er allmählig in den vier ersten Heften der Thalia die ersten drei Akte des ihm unter der Hand zu wahrhaft epischer Breite gedeihenden Don Carlos vor in einer Gestalt, die ihn für die Bühne freilich unbrauchbar machte, deren Ueberbleibsel aber uns Eduard Boas, »als eine wahre Fundgrube für Dramatiker und Bühnenkünstler« und einen unerwarteten Sammelplatz der Charaktere des Stücks für den Layen, mit dankenswerther Sorgfalt hergestellt hat. Jener »frühere Entwurf gestattet uns einen Blick in die geistige Werkstatt des Dichters, wo wir sein Stück entstehen und wachsen sehen, wie Gold und Krystalle tief im geheimnißvollen Schoos der Gebirge.«Eduard Boas Nachträge zu Schillers sammtlichen Werken, II, S. IX, 310 ff.
Wieland beurtheilte in einem Briefe vom 8. März 1785 die Probescenen aus dem ersten Hefte der Thalia mit folgenden Worten: »Herrn Schiller's größter Fehler, – ein Fehler, um den ihn mancher deutsche Schriftsteller zu beneiden Ursache hat – ist wirklich nur, daß er noch zu reich ist, zu viel sagt, zu voll an Gedanken und Bildern ist, und sich noch nicht genug zum Herrn über seine Einbildungskraft und seinen Witz gemacht hat. Sein allzugroßer Ueberfluß zeigt sich auch in der Länge der Scenen: ich erschrecke, wenn ich überrechne, wie groß sein Stück werden und wie lang es spielen muß, da der erste Akt schon fünfthalb Bogen ausfüllt. Fühlen, wenn es genug ist, und aufhören können, auch das ist schon eine große Kunst. Das größte Stück des Sophokles hat kaum so viel Verse, als Herrn Schiller's erster Akt.«
Schiller wehrte sich gegen dieses und ähnliches Urtheil. Am Schluß des zweiten Akts erklärte er entschieden: »Der Carlos könne und solle kein Theaterstück werden,« und er war noch 1788 dieser Meinung. Später jedoch zur Einsicht gekommen, daß ein Drama erst auf der Bühne wahrhaft lebendig werde, paßte er auch dieses Stück der hergebrachten Theaterform enger an, und opferte manche schöne Stelle, manchen Charakterzug,Ebendas. S. 311. die bisher im Mausoleum der Thalia schlummerten. Indessen ist auch so die Breite des Stücks noch sehr fühlbar, und wer über seiner Vorstellung einen Theil der Nacht durchsitzt, empfindet, wie scherzweise gesagt worden ist, a posteriori die Mängel seiner Anlage.
Ehe wir von dem begonnenen Don Carlos scheiden, sey uns ein Wort des Bedaurens gestattet, daß unser nationalster Dichter beim ersten freieren Aufschwunge seines tragischen Talentes dem Spanier den deutschen Konradin aufgeopfert hat, und daß derjenige unsrer Zeitgenossen, der von einer gerechten Nachwelt dereinst auch im Heiligthum der dramatischen Muse mit Göthe und Schiller verehrt werden wird, beim ersten Akte dieses hohen, heimathlichen Trauerspiels stehen geblieben ist. In demselben Jahre, da Schiller sich mit dem Gedanken Konradins trug, hatte ein großer, deutscher Maler diesen mit Friedrich von Oestreich im Gefängnisse zu Neapel Schach spielend, in dem Augenblicke, wo ihnen das Todesurtheil gebracht wird, dargestellt.Das Bild ist noch jetzt eine Zierde des Schlosses Friedenstein in Gotha. Er verweilte sinnend auch bei der Scene, wo Konradin, nachdem sich beide Freunde, wie Pylades und Orestes, um den Tod gestritten und Friedrich endlich zuerst enthauptet worden, den Kopf des Freundes aufnahm, an die Brust drückte, küßte und sprach: tausend, tausend Dank für deine treue Liebe und Freundschaft! Und wie er dann, von menschlicher Entrüstung übermannt, wild sich an Karl von Anjou wandte und in die Scheltworte ausbrach: du H – bube, weißt du nicht, was du heute für Unrecht thust? – »davon wäre,« schrieb Wilhelm Tischbein aus Rom am 15. November 1783,An Merk, siehe dessen Briefe S. 408 ff. vergl. 415. 437. 512. »auch ein schönes Bild zu machen, als er im Zorn dasteht und den König schilt. Aber es wäre abscheulich zu sehen, weil der Todte dabei liegt.« Was die Malerei nicht leisten konnte, Schiller's Poesie würde es geleistet haben, und das hinter der Scene Verborgene hätte die Schilderung eines Boten in ein unvergängliches Gemälde zusammengefaßt.