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1785 bis 1787.
In Körner hatte Schiller endlich den rechten Freund und Geistesgenossen erhalten, und man würde diesen viel zu niedrig anschlagen, wenn man ihn nur als an Streichers Stelle getreten betrachten wollte. Der letztere, zwar durch Mutterwitz und unverdorbene Naturanlage, wie durch unschätzbare sittliche Eigenschaften höchster Achtung werth, stand doch seiner ganzen Persönlichkeit nach, an Geistesgepräge und Bildung, so weit unter seinem bewunderten Freunde, daß kein Bund zu gleichen Bedingungen möglich war, was wohl das erste Buch dieser Biographie ohne ausdrückliche Erläuterung anschaulich gemacht hat. Auch würden wir, wenn Streicher Schillers Freund nur halb in dem Sinne gewesen wäre, wie der angebetete junge Dichter das Ideal Streichers war, vom Bande dieser Freundschaft nicht erst aus dem Munde dieses Letztern etwas vernommen haben. Vielmehr gehörte der Musicus zu den Naturen, deren Tribut sich auch das gutmüthigste Genie doch gewissermassen nur gefallen läßt, und die den Lohn ihrer Aufopferung mehr in ihrem eigenen Bewußtseyn finden müssen, als in dem Herzen desjenigen, dem sie mit der größten Selbstverläugnung dienen. Unter den akademischen Freunden Schillers im engern Sinne fanden sich welche, deren Freundschaft, nach Werth und Wärme, die Probe gehalten hat; aber so lange sie mit ihm zusammenlebten, war weder ihr noch sein Geist und Charakter formirt genug, daß ihr Einfluß auf sein inneres Leben ein wesentlicher hätte seyn können. Reinwald endlich, so heilsam seine Verbindung mit Schiller für diesen letztern war, konnte doch als kränklicher Stubengelehrter nicht das Herz eines Dichters so ausfüllen, noch seine Phantasie so beschäftigen, wie von einer die Seele beherrschenden Freundschaft verlangt wird. Bei Körner dagegen waren alle Bedingungen zu einem solchen Geisterbunde gegeben. Von seiner Seite war durch Schiller das überwiegende Gewicht seines Genius in die Wagschale gelegt worden; deßwegen hatte sich auch Körner zuerst, und zwar zu seinen Füßen, eingestellt. Als sie sich aber zusammengefunden, da häufte sich auch von Seiten Körners so mancherlei in der andern Schale: Geburt und damit zusammenhängende Weltbildung und freie Bewegung, häusliches Glück als ein Asyl für den Freund, harmonische Ausbildung des Geistes, geregeltere Studien, endlich ein gemachter Charakter, an welchem Schiller selbst sich halten konnte – so daß sich fortan beide Wagschalen in ihrer Freundschaft das Gleichgewicht hielten. Wollen wir Schillers eigene Gedanken über die Freundschaft hierherziehen, so hatte er endlich nicht die gleichtönende, aber die harmonische Seele gefunden, er hatte an einem Freunde Vortrefflichkeiten entdeckt, auf welche er nach dem von ihm aufgestellten Gesetze der Liebe, ein Eigenthumsrecht geltend machen durfte.
Als Schiller schon auf Jahre dieser erprobten Verbindung zurück zu blicken im Stande war, schrieb er in einem spätern Briefe an zwei Freundinnen (seine künftige Frau und Schwägerin) vom 20. Nov. 1788: »daß Ihnen Körners Briefe sein Wesen vergegenwärtigt haben, freut mich sehr. Es ist kein imposanter Charakter, aber desto haltbarer und zuverlässiger auf der Probe. Ich habe sein Herz noch nie auf einem falschen Klang überrascht; sein Verstand ist richtig, uneingenommen und kühn; in seinem ganzen Wesen ist eine schöne Mischung von Feuer und Kälte.« Und in einem noch spätern Briefe an seine Geliebte (Lotte von Lengefeld) vom 4. Dez. 1788: »Es ist mir gar lieb, zu hören, daß mein guter Körner Ihre Eroberung gemacht hat. Ich wollte, wir hätten ihn hier. Mein Herz und Geist würden sich an ihm wärmen, und er scheint jetzt auch eine wohlthätige Geistesfriktion nöthig zu haben. Sie haben sehr recht, wenn Sie sagen, daß nichts über das Vergnügen gehe, Jemand auf der Welt zu wissen, auf den man sich ganz verlassen kann. Und dieß ist Körner für mich. Es ist selten, daß sich eine gewisse Freiheit in der Moralität und in Beurtheilung fremder Handlungen oder Menschen mit dem zartesten moralischen Gefühl und mit einer instinktartigen Herzensgüte verbindet, wie bei ihm. Er hat ein freies, kühnes und philosophisch aufgeklärtes Gewissen für die Tugenden Anderer, und ein ängstliches für sich selbst. Gerade das Gegentheil dessen, was man alle Tage sieht, wo sich die Menschen Alles, und den Nebenmenschen Nichts vergeben. Freier als er von Anmaßung ist Niemand; aber er braucht einen Freund, der ihn seinen eigenen Werth kennen lehrt, um ihm diese so nöthige Zuversicht zu sich selbst, das, was die Freude am Leben und die Kraft zum Handeln ausmacht, zu geben. Er ist dort in einer Wüste der Geister. Die Kursachsen sind nicht die liebenswürdigsten von unsern Landsleuten.«
Die letzten Worte dieses spätem Briefes gehören auch hierher, sofern sie beweisen, daß Schiller, abgesehen vom Umgange mit seinen Freunden, sich in Dresden nicht heimisch fühlte. Inzwischen hatte auf das nicht unbefangene Urtheil über die Kursachsen vielleicht auch ein besonderes Mißgeschick Einfluß, das seinem Herzen in dieser Hauptstadt begegnen mußte.Die erste Nachricht von dieser Neigung und ihrem Schicksal verdanken wir der Frau von Wolzogen (I, 22). Vollständiger hat uns jetzt Dr. Heinrich Döring aus K. A. Böttigers Nachlaß und den öffentlichen Mitteilungen der im Jahr 1838 in bittrer Armuth zu Hamburg verstorbenen Künstlerin, Frau Sophie Albrecht, über das ganze Verhältniß unterrichtet, und wir bedienen uns zum Theil seiner Worte.
Schiller, der so lange auf dem Lande nur der Natur, dem Studium und der Poesie gelebt, scheint sich in der spätern Zeit seines Dresdener Aufenthaltes der großen Gesellschaft wieder hingegeben zu haben. Er lebte Tage über in der Zerstreuung, und benutzte oft erst die Nächte zu literarischen Arbeiten, wodurch er, schon früher angegriffen, vielleicht den Grund zu seiner späteren Kränklichkeit legte. Auch schöne Mädchen zogen jetzt die Augen des entfesselten Dichters wieder auf sich. Schon in einem Briefe vom 1. Juni 1786 schreibt er an einen Schauspieldirektor Koch in Berlin: »Als wir uns hier trennten, ist mir von einem Mädchen, das Sie gesehen haben, der Kopf so warm geworden, daß ich Ihre Adresse in Berlin darüber vergessen habe. Wir sind ja allzumal Sünder, und Sie werden ja wohl auch an die Zeiten zurückdenken, wo Sie von ein paar Augen aus dem Concept gebracht wurden.«
Aber eine ernstlichere, ja glühende Leidenschaft sollte sich des Dichters in dem letzten Jahre, das er in Dresden zubrachte, bemächtigen. Unsre Leser erinnern sich aus dem ersten Buche des herzlichen, freundschaftlichen Verhältnisses, das sich im Mai 1784 zwischen Schiller und dem Albrechtschen Ehepaar, während der erstere in Frankfurt zu Besuche war, entsponnen hatte. Sophie Albrecht, die Schiller damals mit aller Gewalt von der Bühne abhalten wollte, hatte dem besorgten Freunde zum Trotz diese Laufbahn doch betreten, und nun, nach dritthalb Jahren, war sie eine gefeierte Künstlerin, und eine der ersten Zierden des Dresdner Theaters. Schiller, der alte Hausfreund, hatte sich auch jetzt wieder bei ihr eingestellt und sich in ihren schmucken Apartements wie häuslich niedergelassen. Seine Freundin pflegte zahlreiche Besuche von der eleganten Welt beiderlei Geschlechts zu empfangen. Eines Abends, als Schiller eben sich bei der Künstlerin eingefunden, erschien dort, nach der Aufführung der Ariadne auf Naxos, die Wittwe eines pensionirten sächsischen Officiers,Der Name ist seitdem genannt worden. Bei den nachfolgenden Einzelnheiten aber bleibt er besser weg. begleitet von ihren beiden erwachsenen Töchtern. Die ältere von diesen, Julie, eine hohe blauäugige Blondine, machte einen plötzlichen, tiefen Eindruck auf den Dichter. »Er stand vor ihr,« sagt Döring, »mit einer wortlosen Andacht des Gefühls und wehrte nicht der Flamme, die heimlich und verzehrend in seiner Brust aufloderte.«
Das Aufflammen seiner Leidenschaft war der Freundin nicht entgangen. Als der Besuch sich entfernt, überließ sie sich der kleinen weiblichen Freude, den Verzückten über seinen Zustand zu necken. Schiller läugnete hartnäckig; aber so wie er auf einer öffentlichen Redoute, im Winter von 1786 auf 1787, Gelegenheit fand, näherte er sich dem Fräulein. Der Mutter, erzählt Frau von Wolzogen, schien die Eroberung eines schon damals als ausgezeichnet anerkannten Dichters zu schmeicheln, und die Gewalt der Reize ihrer Tochter zu verbürgen. Nach den ergänzenden Nachrichten soll die Pension der Wittwe zu ihrem Luxus nicht hingereicht, und die gewissenlose Mutter die Schönheit ihrer Töchter zu unerlaubtem Gewinne benützt haben. Männer aus allen Ständen wurden angelockt, und werthvolle Geschenke wurden ihnen auf ziemlich unverschämte Weise abgepreßt. Auch der unerfahrene leidenschaftliche Jüngling war bald von diesem Zaubernetze umstrickt. Das arme Mädchen folgte in ihrer Handlungsweise den Eingebungen der Mutter. Ob Julie je wirklich etwas für den Dichter empfunden, bleibt ungewiß. Sinnlichen Augen konnte die damalige Erscheinung des Dichters nicht behagen. »Schillers gewöhnliche Kleidung,« so schildert ihn Sophie Albrecht, »bestand in einem dürftigen, grauen Rocke, und der Zubehör entsprach in Stoff und Anordnung keineswegs auch nur den bescheidensten Anforderungen des Schönheitssinnes. Neben diesen Mängeln der Toilette machte seine reizlose Gestalt und der häufige Gebrauch des Spanioltabaks einen ungünstigen Eindruck,Wer am 8. Mai 1839 unter Schillers Statue stand, über sich des Dichters verklärte Riesengestalt, dem wird es schwer, durch obige Worte seinen Heros »in den Rauch des irdischen Wesens« zu hüllen und der menschlichen Nichtigkeit einen so schweren Tribut zu bezahlen.
Inzwischen erinnert die Schilderung der alten Freundin lebhaft an das Gemälde, das Horaz von einem Manne entwirft, dessen Aeußeres auch vernachlässigt war,
– – – – nicht ganz für die feinen
Nasen der heutigen Welt; man kann fein lachen, daß Staffeln
Bäurisch entstellen das Haar, daß das Kleid ihm schlottert, und klappend
Hängt am Fuße der Schuh. Doch ist es ein Trefflicher: bessern
Mann nicht findest du wo. Doch birgt ein erhabener Geist sich
Hinter dem lässig behandelten Leib! – (Satir. 1. 3.)
Und nach der Versicherung eines Scholiasten war der so Geschilderte – der größte römische Dichter; es war Virgil!
Auch erschien nicht jedermann Schillers Gestalt und äußerliches Wesen damals so unangenehm. Wir verweisen in dieser Hinsicht auf die unten anzuführende Schilderung seiner Schwägerin. Wer ihn wahrhaft liebte und bewunderte, der gewann an dem Herrlichen Alles lieb. »An dem Manne ist Alles liebenswürdig,« pflegte ein Jenenser Schüler von ihm zu sagen, »selbst sein Schnupftabaksfleckchen unter der Nase kleidet ihn hold,« (Bei Heinrich Voß, Briefe II, 59.)
Die in unserem Text unterstrichenen Worte scheinen die Auffassung Thorwaldsens von dem Bilde des Dichters zu rechtfertigen; aber ein classischer Zeuge schreibt dem Verf. (28. Nov. 1839): »Nie habe ich an Schiller, er mochte gehen, stehen oder sizen, solche kopfhängerische Senkung des Hauptes, solch verdrießliches Gesicht erblickt.
Huic Deus os sublime dedit coelumque tueri
Jussit et erectos ad sidera tollere vultus.
Aber hierin fehlen fast alle Bildnisse Schillers; nur Danneckers kolossale Büste hat ihn mir so vergegenwärtigt, wie er leibte und lebte.«
Der Wahrheit die Ehre vor Allem. den das tiefgesenkte, immer sinnende Haupt noch vermehrte.« Nur auf seiner schönen Stirne und in dem glänzenden Auge sprachen erhebende Zeichen von den großen Gedanken, die eben damals in den stillen Nächten das Manuscript seines Don Carlos füllten.
Wenigstens quälte Julie den entbrannten Dichter durch berechnete Sprödigkeit, auch als er längst Erlaubniß erhalten hatte, ihr Haus zu besuchen, und während er durch werthvolle Geschenke, selbst in baaren Summen, die seiner Garderobe sehr widersprachen, und von Göschen durch Vorschüsse auf den Don Carlos herbeigeschafft wurden, ihre Neigung zu gewinnen suchte, spottete sie heimlich seiner. Ja, die falsche Geliebte hatte ihrem Verehrer »die Weisung gegeben, daß, wenn er Licht in einem gewissen Zimmer sehe, er nicht ins Haus kommen dürfe, weil sie da in Familiengesellschaft sey. Seine Freunde wußten, daß sie dann von der Mutter begünstigte Anbeter empfing. Der Kampf zwischen Vernunft und Leidenschaft begann; aber ein Zauberblick der Liebe riß ihn wieder hin.«
Endlich drangen die Freunde auf seine Entfernung, und Schiller ging, mit dem halben Gefühle der Einsicht in eine Verirrung, der erfahrenen Täuschung und Enttäuschung, im Sommer 1787 nach Weimar.Leben Schillers von Frau von Wolzogen I, 229 ff. Sie gibt den Frühling an. Machte Schiller vielleicht einen Umweg? Die Trennung soll dem Mädchen viele Thränen gekostet haben, denn wahrscheinlich war sie nicht ganz freiwillige Betrügerin.
Schiller selbst schied von der Geliebten mit einer Art von Stammbuchblatt,Wenn das Datum richtig ist. Das Gedicht ist ächt und stammt von der, an die es gerichtet ist. Vergl. Dörings älteres Leben Schillers S. 120. welches nicht ganz geeignet ist, uns glauben zu machen, daß er den Betrug, der mit ihm gespielt worden, durchschaut habe, das aber für uns den Uebergang zu einem Wort über die fernere Gestaltung seiner Liederpoesie machen soll.
Am 2. Mai 1787.
Ein treffend Bild von diesem Leben,
Ein Maskenball, hat dich zur Freundin mir gegeben.
Mein erster Anblick war – Betrug.
Doch unsern Bund, geschlossen unter Scherzen,
Bestätigte die Sympathie der Herzen.
Ein Blick war uns genug;
Und durch die Larve, die ich trug,
Las dieser Blick in meinem Herzen,
Das warm in meinem Busen schlug.
Der Anfang unsrer Freundschaft war nur – Schein,
Die Fortsetzung soll Wahrheit seyn.
In dieses Lebens buntem Lottospiele
Sind es so oft nur Nieten, die wir ziehn.
Der Freundschaft stolzes Siegel tragen viele,
Die in der Prüfungsstunde treulos fliehn.
Oft sehen wir das Bild, das unsre Träume malen.
Aus Menschenaugen uns entgegenstralen:
Der, rufen wir, der muß es seyn!
Wir hoffen es, – und es ist Stein!
Den edlen Trieb, der weichgeschaffne Seelen
Magnetisch an einander hängt,
Der uns bei fremden Leiden uns zu quälen,
Bei fremdem Glück zu jauchzen drängt –
Der uns des Lebens schwere Lasten tragen,
Des Todes Schrecken selbst besiegen lehrt,
Durch den wir uns der Gottheit näher wagen,
Und leichter sichIn Dörings Abdruck steht hier »selbst,« was aber die Construktion ganz stört. Das Obige ist Conjektur. das Paradies entbehrt –
Den edlen Trieb, du hast ihn ganz empfunden,
Der Freundschaft seltnes, schönes Loos ist dein.
Den höchsten Schatz, der Tausenden verschwunden,
Hast du gesucht – hast du gefunden,
Die Freundin eines Freunds zu seyn.
Auch mir bewahre diesen stolzen Namen,
Ein Platz in deinem Herzen bleibe mein.
Spät führte das Verhängniß uns zusammen,
Doch ewig soll das Bündniß seyn.
Ich kann dir nichts als treue Freundschaft geben,
Mein Herz allein ist mein Verdienst;
Dich zu verdienen will ich streben –
Dein Herz bleibt mir, wenn du das meine kennst.