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Nach einer Weile kam Hannah zurück, um Engelbert zu sagen, daß sein Besuch willkommen sei. Sie hielt ein Blatt in der Hand und zeigte Engelbert mehre Goldstücke, die sie soeben von der Fremden erhalten hatte.
Ich soll mit dem Dampfboot einen Boten in die nächste Stadt schicken, sagte Hannah; der soll aus dem besten Modewaarenmagazin holen, was Alles auf diesem Zettel geschrieben steht. Da sehen Sie die Ueppigkeit!
Engelbert warf seine Augen auf das Blatt, welches Hannah ihm mit einem vorwurfsvollen Blicke zeigte, der aber leider an dem jungen Manne vollständig verloren ging; Engelbert sah nur, daß eine Reihe von Kleidungsstücken und Toilettebedürfnissen in einer sehr zierlichen, etwas ungesetzten Handschrift auf dem Zettel verzeichnet stand. Ohne ein Wort zu sagen, ging er die Treppe hinauf.
Die Fremde lag auf dem kleinen Divan ausgestreckt; das Fenster war geöffnet und ließ den süßesten Rebenduft mit den hellen, warmen Sonnenstrahlen eindringen. Das junge Mädchen lag so, daß sie die zauberisch schöne Aussicht, die sich ihr auf den Strom und die Berge bot, vor sich hatte.
Denken Sie, ich kann nicht fort! sagte sie, als Engelbert eintrat, mit großer Lebhaftigkeit – ich habe bei der geringsten Bewegung unausstehliche Schmerzen.
Das Letztere bedaure ich unendlich!
Und das Erstere desto mehr die würdige Dame, unter deren Schutz ich mich hier gestellt habe.
Sie meinen?
O, sie macht mir ein sehr böses Gesicht, die gute Haushälterin, daß ich nicht fort kann.
Ich hoffe nicht … fiel Engelbert ein und verrieth dabei, daß er sehr unangenehm berührt war von dieser Bemerkung – mein Bruder würde untröstlich sein, wenn nicht Alles geschähe, was irgend in seiner Macht steht, um Ihnen den Aufenthalt in seinem Hause weniger unangenehm und erträglicher zu machen.
O nein, befürchten Sie nichts, versetzte das junge Mädchen mit einem fröhlichen Lachen, das nur eine ganz unbefangene Heiterkeit zum Grunde haben konnte. Nein, nein, das ist mir gerade eine Freude, daß ich mich unter dem Schutze einer so gestrengen Duenna befinde, die auf ein Haar aussieht wie die Haushälterin, welche vor dem sechsten Capitel meines »Don Quixote« abgebildet steht. Ich möchte sagen, sie ist zu der sorglosen Heiterkeit nöthig, die mich in diesem allerliebsten Asyl erfüllt, in das ich gerathen bin, als hätte mich ein Windhauch wie eine Blütenflocke durch's offene Fenster hier in dies einzige Giebelzimmerchen geworfen. Denn sehen Sie, es wäre ein Uebermaß von Romantik, das für ein junges Mädchen doch etwas Beängstigendes haben müßte, wenn ich mich nicht in Hannah's Zügen vergewissern könnte, daß dieses Uebermaß durch das volle Maß von Würde und Ernst aufgewogen wird, unter deren schützenden Flügeln ich stehe.
Bei allem Dem beklagen Sie sich, Fräulein!
O, wie hätte ich ein Recht dazu! Es ist mir – meinen Schmerz, der doch auch nicht bis über den Knöchel an mir hinaufreicht, ausgenommen – nie in meinem Leben so wohl geworden, wie in diesem kleinen, stillen, rebenumblühten Pfarrhause mit der wundervollen Aussicht aus seinen Fenstern. Es ist ein Aufenthalt, den ein Dichter erfunden zu haben scheint, so reizend ist er.
Sie haben früher wohl wenig auf dem Lande gelebt? fragte Engelbert.
Doch, zuweilen! versetzte sie.
Aber eine so schöne Gegend wie unsere Rheinufer ist Ihnen neu?
Ich war früher nie am Rhein, wenigstens hier nicht, wo er so schön ist! antwortete sie, und dabei warf sie einen eigenthümlich schelmischen Blick auf Engelbert.
Und doch, fuhr dieser fort, soll die Donau, die ich nicht kenne, noch großartigere Scenerien aufweisen.
Hören Sie mir einen östreichischen Dialekt an?
Ich habe es geglaubt; aber was ist in meinen Worten, worüber Sie sich im Stillen lustig machen?
Thue ich das? Und bei dieser Frage brach die Heiterkeit des jungen Mädchens in ein nicht mehr zu unterdrückendes Lachen aus.
Engelbert fühlte sich diesem seltsamen Benehmen gegenüber verlegen; es war ein so kecker Uebermuth, eine so liebenswürdige Ueberlegenheit des Geistes in dem jungen Mädchen, daß er sich in dem Maße stärker bestrickt fühlte, in welchem sie ihm mit allem ihrem Wesen räthselhafter wurde. Die Kunst oder die Gabe sich in eine ganz unerwartete fremde Situation mit heiterster Unbefangenheit zu finden, war ihm in solchem Maße nie vorgekommen. Es mußte ein sehr reines Bewußtsein und ein sehr unverkümmertes Selbstgefühl hinter dieser Heiterkeit stecken.
Seien Sie mir nicht böse, sagte sie nun begütigend. Es ist abscheulich von mir, ich weiß es … aber Sie machen einen so komischen Eindruck auf mich …
Ich? wodurch? fragte Engelbert, jetzt in der That verletzt, weil er dem lieblichen Geschöpf gegenüber von einer ziemlich gesteigerten Reizbarkeit war.
Die Fremde lachte noch ein mal. Weil Sie mich an eine Gestalt erinnern, welche ich auf dem letzten Maskenballe gesehen habe, dem ich das Glück hatte, von einer Loge zuschauen zu dürfen.
Und diese Gestalt hatte Aehnlichkeit mit mir? Was stellte sie vor?
O, alles Mögliche! Die Lösung der orientalischen Frage, die Zukunft der deutschen Einheit und die Wahrheit der Prophezeiungen des Nostradamus.
Und das alles erkennen Sie in mir wieder? fragte Engelbert. Sie machen mir ein großes Compliment, wenn meine diplomatische Miene den Schlüssel zu allem Dem verräth.
Nein, nein, das nicht. Meine Figur war nämlich nichts als – ein großes Fragezeichen! sagte die Fremde.
Ein Fragezeichen! Und welche Aehnlichkeit habe ich damit?
Brauche ich das zu sagen? Sie sind jeder Zoll ein Fragezeichen! Kennen Sie Rückert's Vers:
O, daß ein leichtbeschwingter Wind
Mich spielend nahm' auf die Flügel,
Und trüge dahin mich frühlingslind
Zur Stadt der sieben Hügel,
Ich kenne ihn, und Sie citiren nicht richtig; es heißt:
Uns Beide nahm' auf die Flügel.
In der That? lachte sie weiter. Wenn ich Sie nun aber nicht mit mir nehmen wollte?
Das freilich ist etwas Anderes: dem souveränen Willen eines so schönen Mundes muß sich auch die Poesie beugen!
Was wissen Männer, was wissen Sie von Poesie?
Sind Sie grausam genug, uns insgesammt aus dem Paradiese werfen zu wollen?
Daß Sie verdienen, hinausgewiesen zu werden, wollte ich Ihnen eben beweisen, wenn Sie mich nicht immer unterbrächen!
Ich schweige und höre!
Nun wohl – jener leichtbeschwingte Wind hat meine Seelenwünsche erfüllt. Er hat mich auf seine Flügel genommen. Er hat mich zwar nicht auf die sieben Hügel, aber auf die sonnigsten Rebenhügel am schönen Rhein getragen; da weile ich, von allen Sorgen, von allem Hemmniß frei, frei, zu thun, zu denken, zu sprechen, wie mir gefällt – frei wie der Vogel in der Luft; von Niemand gekannt, von Niemand genannt – und doch auch wieder aufs trefflichste gehütet, unter dem Dache der Ehrbarkeit und Frömmigkeit und Religion. Nun aber, während ich so recht schwelge im süßen Sichgehenlassen, treten Sie vor mich, in jedem Zuge des Gesichts ein großes ernstes Fragezeichen! Muß ich da nicht an meine lange Maske mit dem gekrümmten Rücken, mit dem vorgebeugten Kopf und der großen Brille denken? Und gibt es etwas Prosaischeres, als hinter einem schönen dichterischen Gedanken, wie das Heute für mich ist, ein philisterhaftes Fragezeichen machen? Ich habe mich oft genug in den Zeitungen darüber geärgert; wenn etwas recht Hübsches, recht Merkwürdiges, recht Ergötzliches darin steht, dann hat der Zeitungsschreiber ein Fragezeichen dahinter gemacht, in zwei steifen Klammern, die wol bedeuten, daß er rechts und links neben seinem Verstande einen kleinen Verschlag hat, über den er nicht hinaussehen kann um die Sache zu begreifen. Und nun soll ich nicht sagen, daß die Männer keine Poesie haben? Müßten Sie nicht, wenn Sie etwas davon in sich trügen, zu mir sprechen: »Was geht es mich an, wer Sie sind, ich habe Sie nicht verpflichtet, um mir zum Dank Ihre kleine uninteressante Lebensgeschichte erzählen zu lassen! Sie sind wahrscheinlich ein armes Geschöpf, um das sich Niemand kümmert, eine Gouvernante, welche sich von einer Gesellschaft verirrt hat, die nicht weiter nach ihr forscht, weil sie Gott dankt, daß sie das unbrauchbare Geschöpf los geworden ist; oder eine Waise wie Rosine im Figaro, die ihrem saubern Vormund, ihrem Doctor Bartolo entlaufen ist … aber sagen Sie mir nichts, gar nichts, keine Silbe, lassen Sie mich lieber glauben, da oben neben dem Kapellchen sei mir eine verwünschte Prinzessin erschienen …«
Eine rechte Prinzessin – weshalb eine verwünschte? fiel Engelbert ein.
Weil Sie mich sicherlich schon zehn mal verwünscht haben, daß ich Ihre Neugierde nicht befriedige – also für eine verwünschte Prinzessin würden Sie mich halten wollen, wenn Sie ein poetisches Gemüth wären, oder, auch das erlaube ich Ihnen, für eine böse Zauberin, die durch eine ganze Reihe von kleinen Bosheiten Sie für Ihre Neugierde bestrafen will, wie Fee Niniane den Alles wissen wollenden Merlin unter dem blühenden Weißdornstrauch.
Wissen Sie denn, fiel Engelbert ein, ob ich Sie nicht für so etwas halte wie eine Fee, – eine Fee, welche so wenig an unsere harte prosaische Erde gewöhnt ist, daß sie sich beim ersten Schritte darauf den Fuß verstauchte?
Wie galant! lachte das junge Mädchen – und das gegen eine Fremde, deren Paß Sie nicht einmal gesehen haben, weil sie vielleicht gar keinen hat … hüten Sie sich, Herr Diplomat.
Ich brauche Ihren Paß nicht zu sehen, ich brauche auch nicht Sie mit Fragen zu belästigen, wie Sie mir schuldgeben, um zu sehen …
O bitte, keine Complimente, sagte die Fremde, indem sie die Lippe des reizenden Mundes ein wenig zum Schmollen verzog – dann hört meine gute Laune auf, und erschrocken, daß ich mich habe so gehen lassen können, muß ich ernst und steif den Herrn Legationssecretär Forst … so heißen Sie ja wol …
Wald, mein Fräulein.
Also Wald – Pardon! – empfangen.
Ich habe Ihnen keineswegs ein Compliment machen wollen; was ich sagen wollte, war nichts Anderes, als daß ich Ihnen Alles ohnehin an den Händen absehe.
Sind Sie ein Chiromant?
Statt aller Antwort stand Engelbert von dem Sessel auf, den er neben dem Divan der Fremden eingenommen, und holte einen ganz kleinen runden Tisch herbei, den Hannah gestern heraufgetragen und ans Fenster gestellt hatte, damit er als Gueridon diene. Bitte, sagte der junge Mann, den Tisch neben den Divan stellend, legen Sie einmal Ihre Hand darauf.
Die Fremde that es; Engelbert schien Form und Züge der feinen weißen Finger mit den rosenrothen Nägeln sehr genau zu studiren. Seine eigenen Hände hatte er beide wie absichtslos ebenfalls auf den Tisch gelegt.
Nun? fragte nach einer Weile die junge Dame. Sie studiren lange; was sagt Ihnen meine Hand?
So außerordentlich viel, daß Sie mir Zeit lassen müssen, es zu ordnen und zu deuten.
Haben Sie es jetzt geordnet? fragte sie nach einer abermaligen Pause.
Noch nicht – noch einen Augenblick Geduld! Die Züge sind so räthselhaft – sie deuten auf ein so vielverschlungenes Schicksal, daß auch die erfahrenste Zigeunermutter nicht daraus klug würde.
Wenn Sie Ihr Orakel nicht jetzt beginnen, so ziehe ich meine Hand fort.
Mein Gott, wie ungeduldig Sie sind … es wird gleich beginnen, mein Orakel, und – sehen Sie, da beginnt es!
Ah! sagte die junge Dame verwundert, denn unter ihren und Engelbert's Händen hob sich der kleine Tisch in die Höhe.
Das ist ja merkwürdig, sagte sie und hatte die Freude eines Kindes an der seltsamen Erscheinung.
Haben Sie es nie gesehen?
Nein, obwol ich natürlich viel davon hörte; aber es gelang noch keinem meiner Bekannten.
Sie sollen noch mehr davon hören, von diesem Tische!
Der Tisch wiegte sich auf zwei von den drei Füßen, welche die dünne Säule trugen, auf der die Platte ruhte; er senkte sich jetzt und begann mit dem dritten, eben noch erhobenen Fuße auf die Erde zu klopfen. Engelbert murmelte dabei Buchstaben leise vor sich hin.
Was machen Sie jetzt? fragte die Fremde.
Er antwortete nicht; – nach einer Weile sagte er: Verzeihung, ich konnte nicht antworten, weil ich auf die Buchstaben Acht geben mußte.
Welche Buchstaben?
Die, welche der Tisch mir angab als Antwort auf meine Frage.
Und was haben Sie gefragt, und was hat er geantwortet?
Darf ich noch einen Augenblick um Geduld bitten?
Die Fremde sah mit gespannten Blicken Engelbert eine Weile zu.
Ich gestehe Ihnen, daß ich nicht daran geglaubt habe! sagte sie dann.
So geht es Ihnen wie den Gelehrten, antwortete Engelbert. Diese Leute, von denen Goethe sagt: Einem Gelehrten von Profession traue ich zu, daß er seine fünf Sinne ableugnet, – diese Leute glauben auch nicht daran!
O, eine solche Gelehrte bin ich nicht – aber muß ich noch immer meine Hände auf dem Tische halten?
Ich bitte darum! meine Hände allein brächten die Bewegung nicht zu Stande.
Engelbert murmelte wieder Buchstaben; es dauerte geraume Zeit; dann sah er triumphirend das junge Mädchen an.
Ich weiß Alles!
Nun, mein Herr Nekromant oder Chiromant – was wissen Sie?
Als ich den Tisch nach Ihrem Namen fragte, hat er zuerst ein mal geklopft, das heißt A. Dann hat er aufs neue begonnen und wieder geklopft, erst a – dann b, dann c, dann d, dann e, dann f, dann g. Bei G hat er aufgehört.
In der That? fragte das junge Mädchen, offenbar überrascht.
Und um Ihnen gleich Alles zu sagen – Sie heißen Agathe von Falkach, Sie haben die Reise hierher in Begleitung eines Mannes gemacht …
Die Fremde hatte ihre Hand rasch von dem Tische zurückgezogen und auffallend die Farbe gewechselt.
Eines Mannes, der mit Ihnen verwandt war, aber nicht Falkach, sondern Fredersdorf heißt, und der im Begriffe war, sich mit Ihnen nach M*** zu begeben.
Das junge Mädchen war im höchsten Grade bewegt.
Das ist in der That wunderbar! sagte sie.
Aber es ist Alles richtig? nicht wahr?
Sie antwortete nicht.
Sagen Sie mir jetzt auch, fiel sie lebhaft ein, woher kam ich?
Haben Sie die Güte, Ihre Hände wieder auf den Tisch zu legen! Ich allein bin nicht magnetisch, oder was es ist, genug, um ihn zu bewegen, wie ich Ihnen sagte.
O, ich werde mich schön hüten, antwortete sie, offenbar beruhigt aufathmend, weil der Tisch nichts ohne ihren Willen ausplaudern konnte, – glauben Sie, ich würde Ihnen bei Ihren Zauberkünsten noch beistehen?
Dann vermag ich nichts! sagte Engelbert.
Gott sei gelobt – so ist man doch nicht ganz in Ihre Hand gegeben, mein junger Herr! Aber wenn Sie nun Ihren Bruder oder seine Duenna zu Hülfe rufen?
Engelbert schüttelte den Kopf.
Auch dann würden wir nichts Zuverlässiges erfahren, was nicht entweder ich oder mein Bruder oder die »Duenna« schon wüßte.
Das junge Mädchen fand nun die Heiterkeit wieder, welche bis jetzt dem überraschenden Eindrucke des Phänomens, das sie zum ersten male gesehen, gewichen war.
Nun, sagte sie, es ist doch ehrlich und redlich von Ihnen, daß Sie mich nicht ängstigen, indem Sie den Tisch für eine kleine hölzerne Allwissenheit ausgeben. Aber für die Treulosigkeit, womit Sie mich bewogen, in aller Harmlosigkeit Ihnen meine Hand zu Ihrem bösen Streiche zu reichen, verdienten Sie eine Strafe!
Lassen Sie mir eine durch den Tisch auferlegen.
Würde er das thun?
Sicherlich, Fräulein Agathe von Falkach!
Sie legte leise erröthend ihre Hände wieder auf den Tisch.
Engelbert that es ebenfalls.
Nach einer Pause hob sich der Tisch wieder, und als Agathe nun die Frage aussprach: Wie soll ich ihn strafen? klopfte er die Antwort:
Schweigen!
Sie lachte hell auf. O, das ist schön, rief sie aus – ich verlange nichts Besseres. Und einmal im Zuge und von ihrer Lebhaftigkeit hingerissen, fuhr sie zum Tische gewendet fort:
Ist er so grenzenlos neugierig?
Der Tisch klopfte sehr rasch – so lebendig wie nie vorher – seine Antwort; es war offenbar ein perfider, schadenfroher kleiner Kobold in dem Tische:
Grenzenlos verliebt! klopfte er.
Agathe zog ihre Hand zurück, als ob sie plötzlich den Biß einer Schlange gefühlt – auch Engelbert ließ seine Hände von der Platte gleiten; beide junge Leute waren von der tiefsten Röthe übergossen und Engelbert sah Agathe mit einem Blicke an, in welchem sich eine unbeschreibliche Verlegenheit malte.
Sie faßte sich zuerst.
Es ist abscheulich, sagte sie, Sie haben den Tisch mit den Händen klopfen machen, was Sie wollten – es ist Alles Lug und Trug – aber ich sehe, Sie wollen gehen, – darf ich Sie bitten, die ehrliche Hannah zu mir zu senden? Ich möchte ihr etwas sagen …
Engelbert war aufgestanden.
Es ist nicht Lug und Trug, sagte er und suchte, aber ohne großen Erfolg, in scherzhaftem Tone zu sprechen; was der Tisch über Ihren Namen gesagt hat, ist die reine Wahrheit.
Sie schüttelte den Kopf.
Nichts, nichts, nichts, ich will von dem Tische nichts mehr hören!
Und wollen ihm doch gehorchen!
Indem ich »schweige« und Ihre Neugier nicht befriedige? Ja, das will ich – das will ich – auch keine Silbe sollen Sie jetzt zur Strafe von mir erfahren!
Engelbert hatte etwas von seiner Fassung wiedergefunden.
Dann muß ich andere Mittel in Bewegung setzen, sagte er lächelnd.
Welche? Haben Sie noch mehr solcher Zauberstücke in Vorrath?
Das ist mein Geheimniß!
O Ihre Geheimnisse! Meinethalben! Geheimniß um Geheimniß – ich fodere Ihre Geheimnisse heraus – mir sollen Sie die meinen nicht ablocken, das gelobe ich Ihnen, mein Herr Wald, – und … Sie wollten die große Güte haben und mir Hannah heraufsenden!
Engelbert ging, von einem vornehmen Kopfnicken verabschiedet, und nachdem er Hannah zur Fremden gesandt hatte, trat er in das Wohnzimmer seines Bruders.
Nun? fragte Gustav Wald – du kommst aus einer sehr lebhaften Unterhaltung, mein Junge – du hast einen ganz rothen Kopf davon.
Daran kannst du sehen, daß ich es nicht habe an Anstrengung fehlen lassen, durchzusetzen, was wir beschlossen hatten – trotz aller Anstrengung aber habe ich gar nichts durchgesetzt – ich weiß von der Fremden so gut wie gar nichts, nichts als den bloßen Namen, und den weiß ich nur durch ein so unsicheres Ding, wie ein klopfender Tisch ist …
In der That?
Und was noch besser – das junge Mädchen lebt in dem naiven Wahne, sie sei hier, bei einem ehrwürdigen Pfarrer unter dem Schutze seiner Haushälterin, aufs allervortrefflichste aufgehoben; vielleicht bleibt sie noch wochenlang – wenn nicht etwa du den Muth hast, ihr reinen Wein einzuschenken.
Ich? sagte Gustav erschrocken. Behüte Gott!
Es bleibt dir aber nichts Anderes übrig, antwortete Engelbert, sich an seines Bruders Entsetzen ergötzend. Du bist der Hausherr, du der Wirth – du mußt mit ihr reden.
O, ich wäre der rechte Mann dazu! rief Gustav aus.
Engelbert achtete auf sein Widerstreben nicht. Nur, fuhr er fort, sieh dich wohl vor – denn wahrhaftig, sie ist eine kleine Hexe; ein so übermüthiges, so geistreiches und zugleich so keckes Geschöpf ist mir noch nicht vorgekommen.
Und das kannst du bewundern, keck, bei einem Frauenzimmer? fragte Gustav, seinen Bruder etwas mistrauisch ansehend.
Versteh mich wohl! Ihre Keckheit hat nichts, was nicht ganz anmuthig mädchenhaft wäre; ich will es auch nicht gerade Keckheit nennen, es ist eben ein Etwas, das entsprungen sein muß aus dem Gefühl des Wohlseins, der Herzensgüte und der Ueberlegenheit, welche große Bildung und große Sicherheit in den Umgangsformen der Gesellschaft geben. Ich habe mehre junge Mädchen von ebenso großer Bildung und ebenso großer Sicherheit kennen gelernt, aber nie eines, welches, ihrer angeborenen Anmuth froh, so sehr sich hätte gehen lassen dürfen!
Der Pfarrer schüttelte den Kopf.
Es ist aber bei allem Dem eine misliche Geschichte, sagte er.
Engelbert zuckte die Achseln.
Am Ende nicht so sehr, wie du denkst. Du hast dir von Hannah etwas einreden lassen. Apropos, sie klagt über Hannah – deine Haushälterin sei unfreundlich gegen sie!
Gustav Wald wollte antworten, als Hannah ins Zimmer trat.
Herr Pastor, sagte sie, die fremde Dame läßt anfragen, ob sie nicht die Ehre haben könnte, den Herrn Pastor auf einen Augenblick bei sich zu sehen.
Wen? mich? fragte Gustav erschrocken.
Hannah nickte blos, aber mit dem schadenfrohesten Gesichte von der Welt.
Du hörst es, sagte Engelbert – nun geh denn und mache es besser als ich!
Soll ich den Sonntagsfrack bringen, Herr Pastor? fragte Hannah, die sehr wohl wußte, wie viel es ihrem Herrn koste, in dieses feierliche Kleidungsstück zu fahren und einen Besuch zu machen – und nun gar bei einer jungen Dame!
Gustav betheuerte, es sei unmöglich – er habe seit fünf Jahren nicht mehr mit einer Dame gesprochen – er wisse sich gar nicht zu benehmen; er mache sich ein Gewissen daraus, um Engelbert's willen, der Fremden nicht zu zeigen, welch unbeholfenen, verwilderten Bruder der gewandte Legationssecretär habe …
Engelbert wollte nichts hören und lachte laut auf über das Gesicht, welches sein Bruder machte. Für Gustav Wald ging die Sache jedoch über den Scherz hinaus. Es wurde ihm überaus unbehaglich zu Muthe. Er stellte seine Pfeife bald in die Ecke, bald nahm er sie wieder; er ordnete bald hastig sein Halstuch, und bald ergriff er ebenso hastig sein spanisches Rohr mit dem weißen Elfenbeinknopf, um, wie er sagte, einen Krankenbesuch zu machen, der gar keinen Augenblick Aufschub mehr ertrage.
Es kann dir Alles nichts helfen, rief Engelbert; du mußt, willst du ihr nicht als ein Mensch ohne Erziehung gelten!
Hier ist der Frack, Herr Pastor! sagte Hannah, aus dem Nebenzimmer tretend, das leidige schwarze Tuchgeschöpf auf dem Arm.
Gustav Wald konnte nicht mehr ausweichen. Aber es ging ihm jetzt wie den Furchtsamen, die ins Feuer müssen. Er wollte gehen; o, er genirte sich ja nicht im mindesten; er fuhr in die Aermel des Fracks, daß die Nähte platzten, so energisch betrug er sich dabei. Er war entschlossen, mit der Fremden ernst zu reden und ihr rund heraus die Wahrheit zu sagen. Er sah gar nicht ein, daß es irgend Gründe in der Welt geben könne, ihr die Wahrheit zu verheimlichen. Er wollte dieser kleinen Abenteurerin schon deutlich genug zu verstehen gehen, daß selbst in der romantischsten Siedelei am romantischen Rheine nicht Platz mehr für eine solche Romantik des Erscheinens und Auftretens sei. Er wollte sehr höflich und freundlich sein: er wollte um Alles in der Welt nicht die Pflichten der Gastlichkeit gegen eine Leidende aus den Augen setzen; aber er sah denn doch nicht ein, weshalb er sich für nichts und wieder nichts den Frieden des Hauses stören, seine Haushälterin vertreiben, seinen Ruf bösen Zungen preisgeben lassen sollte – kurz, er wollte sehr offen sein, und so schritt er denn hastig zur Thür hinaus.
Gustav, Gustav! – rief ihm Engelbert nach.
Was hast du?
Willst du denn wirklich so im Frack zu ihr? Weißt du denn nicht, daß es sich nicht schickt, einen Morgenbesuch im Frack zu machen?
Ah! jetzt soll ich ihn wieder ausziehen? Weshalb habt ihr mich denn hineingeschwatzt? sagte Gustav Wald unwillig.
Nicht im Frack? I warum nicht gar im Schlafrock, Herr Engelbert! – Kommen sie nur, Herr Pfarrer, der Herr Bruder will Sie nur necken und zum Besten haben! mischte sich Hannah in die Debatte – es ist ein schlechter Spaß von dem Herrn Bruder …
Ich versichere dir auf Treu' und Glauben, es ist wider allen Anstand! fiel Engelbert ein.
I gehen Sie doch, Herr Engelbert, Sie verstören ihn ja noch ganz, den Herrn Pastor! Glauben Sie doch nicht, daß wir hier so aus aller Welt wären, um uns so etwas aufbinden zu lassen; man hat auch Sitt' und Lebensart gelernt, und im Frack macht man Visiten, und jetzt kommen Sie, Herr Pastor, und machen Sie nur nicht zu viel Complimente mit der Mamsell, und … und …
Engelbert hörte Hannah's Redefluß nicht weiter, denn bereits waren Beide, sie sowol wie Gustav Wald, draußen, und gleich darauf krachte die hölzerne Treppe nach oben unter den Schnallenschuhen des geistlichen Herrn.
So geht es den Leuten, welche sich zu Verkündern der Wahrheit hergeben: statt Andern unsere Weisheit beizubringen, setzen wir nur uns selbst ins Licht von Thoren! sagte lachend Engelbert und ging in den Garten hinaus, um dort seines Bruders Rückkunft abzuwarten.
Es verging eine geraume Zeit; eine Viertelstunde – eine halbe – Engelbert hörte, während er zwischen den Gartenbeeten auf- und abschritt, durch das offene Giebelfenster oben das wohllautende Organ der Fremden und feines Bruders tiefere, gesetzte Stimme fortwährend in lebhaftem, heiterm Zusammenplaudern. Endlich kam Gustav Wald herunter und raschen Schrittes in den Garten.
Nun? fragte Engelbert, gespannt ihm entgegeneilend.
Wahrhaftig – du hast Recht, ein liebenswürdigeres Geschöpf kann es nicht geben!
Hast du ihr gesagt …
Du hättest hören sollen, mit welcher Anmuth sie mich um Verzeihung bat, daß sie gezwungen sei, unter mein friedliches Dach so viel Unruhe und Last zu bringen; wie sie darauf bestand, ich müsse ihr erlauben, es dadurch gut zu machen, daß ich etwas für einige meiner Kranken, Leidenden oder Armen in der Gemeinde von ihr annehme; und wie theilnehmend sie sich nach meinen Pfarrkindern erkundigte, ob sie fleißig und zufrieden seien, wie sie lebten, ob viel Dürftige unter ihnen, ob Anstalten für die Notleidenden da seien …
Hast du ihr zu verstehen gegeben …
Dann hat sie mir hunderterlei Dinge erzählt: von Ungarn, wie dort die Pfarrer auf dem Lande leben, vom Fronleichnam in Wien, von Sacre-Coeur in Paris, von Pater Ravignan's Predigten, und weiß der Himmel, was Alles – gerade als ob sie sich ihr ganzes Leben um nichts Anderes als Kirchen, Klöster und Processionen gekümmert hätte – obwol sie angab, daß sie Protestantin sei!
Aber du wolltest ihr ja sagen …
Ach, lieber Gott, dazu bot sich auch nicht der Schatten einer Möglichkeit! fiel Gustav Wald ein – und wenn auch, ich hätte es in der That nicht gewagt!
Engelbert lachte laut auf.
Nun wahrhaftig, die Sache wird humoristisch. Zwei Männer, die sich so oft zusammen in den höchsten Lüften der Speculation gewiegt und über göttlichen <span class=«greek«>íï?ò</span> und menschliche Logik zu Gericht gesetzt haben, und die jetzt nicht wagen, mit einem jungen Mädchen zu reden …
Engelbert lachte so laut, daß, wäre Gustav nicht so harmloser Natur gewesen, er sehr wohl hätte merken können, wie noch etwas mehr dasein müsse, was die Heiterkeit seines Bruders errege, als allein die Freude an der komischen Rathlosigkeit der beiden klugen Männer. Und das war es in der That – der Gedanke, daß Gustav die Fremde verletzen und daß sie dann sogleich abreisen werde, hatte für Engelbert etwas Schreckliches gehabt. Von dieser Last war nun für heute sein Herz befreit.
Aber durchaus nicht sah es so beruhigt in dem Herzen des Pfarrers aus. Für den ersten Augenblick freilich, und so lange die überaus lebhafte Aufregung dauerte, in welche ihn das anziehende Gespräch der Fremden versetzt hatte, war er noch unbekümmert; nach und nach aber stieg der Gedanke an Hannah, der bis dahin nebelhaft verschwommen im Hintergrunde geblieben, wieder in erschreckender Klarheit vor ihm auf; was wird Hannah sagen, wenn wir immer noch nicht weiter sind? war die Frage, die Gustav Wald erschrocken an das Schicksal richtete … obwol es gar nicht nöthig war, daß das Schicksal kam, um sie ihm zu beantworten, denn Gustav wußte die Antwort sich sehr wohl selbst zu geben!