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Die Familie, mit deren Schicksalen wir uns in diesen Blättern beschäftigten, war gerettet – die Oesterreicher hatten des edeln Freiherrn Zuversicht glänzend gerechtfertigt. Sein Herz jauchzte, daß all seine Lieben um ihn standen, unverletzt und wohl, und daß es seine alten Waffenbrüder waren, denen er es verdankte. Aber ohne einen empfindlichen Verlust sollte der Tag für ihn nicht vorübergehen. Die von den Franzosen muthwillig entzündete Feuersbrunst hatte sich von der Gärtnerwohnung über das Hauptgebäude erstreckt und ein Flügel des Herrenhauses brannte lichterloh. Das Gesinde, die österreichischen Soldaten, das herbeieilende Landvolk suchten aus Kräften zu löschen und zu retten. Die Bewohner waren im Innern beschäftigt, die werthvollsten Gegenstände in Sicherheit zu bringen. Nur die zwei Verwundeten konnten nichts beitragen zur Hülfe; man hatte Karl und Cölestine aus dem Getümmel fort in einen stillen Pavillon gesandt, der am Ende des Gartens lag.
Während Cölestine hier auf einem Armsessel ruhte, dessen grüner Maroquinüberzug ihr fieberndes Haupt trug, wie grüner Blättergrund eine erbleichende Rose, hatte sich Karl auf einen Schemel ihr zu Füßen gesetzt. Sein gesunder Arm ruhte auf ihren Knien. Sein Herz war voll, bis zum Ueberströmen voll. Er hätte es um sein Leben gern in ihre Seele ausgeschüttet. Aber er hielt es nieder mit aller Kraft, welche ihm geblieben war nach den Erschütterungen der verflossenen Stunde. Er hätte ihre Entschlossenheit, ihren Muth, ihre Seelenstärke bis in den Himmel erheben mögen: aber er hatte ja einst an dieser Entschlossenheit, an dieser Stärke gezweifelt! Sollte er sie zu seiner Beschämung es ahnen lassen, wie er sich an ihr versündigt, wie wenig er gewußt, welche Macht im Herzen der schüchternsten, weichsten, schwärmerischesten Frauen liegen kann, sobald eine wahre und große Gefahr die verborgenen Springfedern ihres Charakters berührt?
Er hätte so gern von seinem Glück zu ihr gesprochen, jetzt am Segen seiner Aeltern nicht mehr zweifeln zu dürfen, wenn er Hand in Hand mit Cölestinen vor sie trete. Aber sollte er diese Versicherung jetzt wie eine Belohnung darbringen, jetzt, wo er seine Geliebte hoch erhaben über sich sah – wo er fürchten mußte, daß sie mit Verachtung auf den Stolz seiner Aeltern niederblicken würde, bei der Erklärung, sie sei jetzt würdig, eine – Schwalborn zu heißen! Sollte er etwas sagen, das wie eine lächerliche Anmaßung klang? – Nein, er brachte nichts über seine Lippen, als jene kurzen Ausrufe der Liebe, welche über dem Grunde der Leidenschaft aufsteigen, wie die Perlen aus dem schäumenden Römer, oder welche die hellen Funken sind, die um das Feuer de 'Seele sprühen.
Liebst du mich denn noch, Cölestine?
Sie legte ihre Hand auf seine glühende Stirn.
Und wollen wir uns nie, nie mehr trennen?
Cölestine erhob ihr Haupt und blickte ihn groß und fragend an.
Nie mehr trennen? Sie schüttelte das Haupt.
Nun? was schüttelst du leise und traurig den Kopf?
Du trägst ein anderes Bild in deiner Seele, Karl – ein Bild, das strahlender und schöner ist als ich – das täglich leuchtender hervortreten würde, je blässer und farbloser von Tag zu Tag ich dir erschiene. Ich bin zu stolz, mich in ein solches Loos zu schicken! Nein, ich kann nie die Deine werden!
Karl fuhr erschrocken, fast entrüstet empor.
Cölestine, rief er aus – eine tiefere Kränkung, ein furchtbareres Unrecht ist nie einem Menschen zugefügt worden!
Sie verhüllte ihr Gesicht. Ich kann nicht anders.
Das ist nicht allein grausam, das ist rachsüchtig, das ist boshaft –
Cölestine machte eine Bewegung mit der Hand, als wolle sie seine Vorwürfe abwehren:
Rachsüchtig! als ob ich selbst nicht am Rande der Verzweiflung stände bei der Befriedigung dieser Rachsucht – als ob ich mir dabei nicht das Grab und die Ruhe des Vernichtetseins wünschte!
Wobei soll ich dir schwören – wozu meine Seele verdammen, daß ich nie –
Still, ich sah dich heute noch leichenblaß werden bei dem Namen dessen, der an Bianca frevelte!
Sentimentale kranke Seele! sagte Karl bitter. Wie kann man so groß, so erhaben, so bewundernswerth sein, wie du es vor ein paar Stunden warest, und zugleich so kleinlich, so kindisch unversöhnlich, so strafwürdig thöricht jetzt!
Ein schmerzliches Zucken überflog Cölestinens schöne blasse Züge.
Sollen denn ewig jene boshaften Spötter Recht haben, welche in den Frauencharakteren ein chaotisches Durcheinander edler Regungen und unvernünftiger Instincte, schöner Hingabe und unüberwindlichen Eigensinns sehen? Bedenkst du denn nicht, daß du einem Nichts, weniger als einem Nichts, einer Laune das ganze Lebensglück eines Menschen opfern willst, es in bittere Verzweiflung verwandelst?
Cölestine konnte nicht länger vom Munde des Geliebten die tiefste und klarste Empfindung ihres Herzens schmähen hören. Sie erhob sich und warf sich lautschluchzend an seine Brust, an diese theure Brust, in der so gar kein Verständniß für sie herrschte!
Schilt mich nicht! ich kann nicht anders!
Es liegt in jedem Frauengemüth eine Region, in welche nur schwer das Verständniß des Mannes eindringt. Karl entdeckte diese Region jetzt zum ersten Male und stand rathlos, verzweifelnd an ihrer Schwelle.
Nach einer Weile öffnete sich die Thür und geräuschlos trat der Domherr ein. Trotz allen Erschütterungen dieses Morgens schlug das gute Herz des schwärmerischen Onkels Desibod doch vor Freude hoch auf, als er Karl und Cölestine einander in den Armen liegen sah und nun daran dachte, wie jetzt sicherlich Niemand mehr sie trennen werde – wie seine stolze Schwägerin selbst jetzt der Retterin ihres Hauses freudig ihren mütterlichen Segen geben werde. Die Schäferei und die Empfindsamkeit hatte er in der Angst der Prüfungsstunde freilich abgeschworen: aber dies galt nur für die Bücherwelt, im Leben da behielten sie für ihn ihr volles Recht!
So recht, Kinder, rief er aus – Euer Glück fehlte nur noch, um mein Lebensglück zu besiegeln – jetzt ist ja Alles gut – aber was haben Sie, Cölestine – sind das die Thränen des Schmerzes oder die schönern Zähren verklärter Empfindung? Freudenthränen, hoffe ich, denn jetzt wird Alles gut. Die Flammen sind eben gelöscht – zwar ein Flügel des Hauses ist niedergebrannt, aber –
Aber –? fragte Karl.
Du wirst schon sehen, was ich mit dem Aber meine – es stecken viel runde Thaler in dem Aber – warte nur, Karlchen, mein Herzblatt!
Der Domherr rieb sich aus Freude die Hände, ohne daß Karl eine Erklärung aus ihm herausbringen konnte, wie er es so lustig finde, einen Theil seines Vaterhauses niedergebrannt und in Schutt und Asche liegen zu sehen.
Still, still, mein Junge, sagte der Domherr. Da kommt die Fürstin, welche dich sehen will.
Die Fürstin –?
Die Thür des Pavillons öffnete sich noch einmal und herein trat der Freiherr von Schwalborn, der eine schlanke Frauengestalt in Reitkleidern am Arme führte; Frau von Schwalborn und eine andere jüngere Dame, ebenfalls in Reitkleidern, folgten.
Sie, Durchlaucht? – sagte Karl, indem er froh überrascht der Fürstin entgegenging und ihre Hand küßte; Sie überraschen uns in einem Augenblicke, worin Sie mein armes Vaterhaus in einer Verwirrung finden –
O, danken Sie Gott, daß sie nicht größer ist, diese Verwirrung! Ich habe sehr für Sie gefürchtet, als ich von meinem Manne hörte, daß er Ihnen Hülfe gegen ein Streifcorps senden müsse.
Der alte Freiherr machte der Fürstin ein tiefes altmodisches Compliment, um ihr für diese Theilnahme am Schicksale seines Hauses zu danken.
Seien Sie dafür nicht zu gerührt, sagte lachend die Fürstin – Sie können immerhin ein starkes Stück meiner Theilnahme auf die Rechnung einer ganz gewöhnlichen weiblichen Neugier schreiben. Sie verstehen mich, Herr von Schwalborn! fuhr sie mit schalkhaftem Blicke, zu Karl gewandt, fort.
Statt der Antwort nahm Karl die Hand Cölestinens und stellte sie der Fürstin vor.
Entschuldigen Sie, meine Braut – er sprach das Wort mit großem Nachdruck – sie ist verwundet.
Armes Mädchen, sagte die Fürstin, indem sie Cölestinens Hand in die beiden ihrigen nahm und herzlich drückte – ja, Sie sind es, die ich kennen lernen wollte. Wir Frauen sind immer neugierig, ein weibliches Wesen kennen zu lernen, für welches ein Mann, wie Ihr eigensinniger Freund es gethan hat, alle Lockungen des Ehrgeizes und der Eitelkeit, alle verführerischen Reize der Schönheit, alle Aussichten auf Emporsteigen zu Rang und Macht mit Füßen treten kann. Ja, ja, vergessen Sie ihm das nicht – lassen Sie es sich von mir gesagt sein, wenn er selbst zu bescheiden dazu ist, Ihr allzeit getreuer Seladon!
Es lag ein gewisser Spott in dem Tone, womit die Fürstin K. – die Frau der wiener Gesellschaft – diese Worte sprach. Aber Cölestine war nicht in der Stimmung, diesen Spott zu erfassen, der eine Versicherung begleitete, welche ihr das Leben wiedergab. Sie wußte nicht, was sie antworten sollte, und als nun gar Karl sie der Begleiterin der Fürstin vorstellte mit den Worten:
Fräulein Tondini! da versagte ihr vollends die Stimme beim hohen, stürmischen Aufschlagen ihres Herzens.
Bianca Tondini war allerdings noch schön; sie hatte noch eine schlanke Gestalt, voll Anmuth der Bewegung, sie hatte eine Stimme voll tiefen Wohlklangs. Aber der Glanz, das Blendende ihrer Erscheinung war doch dahin, und was Cölestine am sichersten beruhigte, war die ungetrübte, helle Seelenruhe, womit Bianca und Karl sich begrüßten.
Ein Händedruck Cölestinens sagte es Karl, was in ihr vorgegangen, und daß von diesem Augenblicke an nichts mehr sie trenne!
Der Freiherr hatte Erfrischungen in den Pavillon bringen lassen. Er bat in den gewähltesten Ausdrücken, welche »zu seiner Zeit« die Geltung eleganter Wendungen besessen, die Fürstin, es sich gefallen zu lassen mit dem, was das Haus eines Landedelmanns nach solchen Schreckensscenen zu bieten vermöge. Die Fürstin gewährte seine Bitte. Sie erzählte, wie glücklich es sich getroffen, daß die Vorhut der Heeresabtheilung, welche der Fürst K. befehligte, eben aufgebrochen und im Vorrücken begriffen gewesen, als ein Bauer die Nachricht von dem tollkühnen Ueberfall des Herrnhauses durch eine französische Truppe gebracht; und wie sie selbst deßhalb in erster Morgenfrühe schon zu Pferde gewesen, um der vorrückenden Heeressäule zu folgen.
Wer hätte das gedacht, sagte Karl lächelnd, die für Völkerfreiheit und Aufklärung schwärmende Fürstin K., die nichts Höheres kannte, als Joseph's II. edeln Zorn gegen Pfaffentrug und Junkerdünkel, dieselbe Fürstin einst noch in Nacht und Morgengrauen ausrücken zu sehen, um die Heere der Freiheit und Gleichheit zu vernichten!
O, diese Zeit läßt uns Vieles sehen, woran wir früher nicht gedacht haben!
Damit war das Gespräch unmittelbar auf die Politik gelenkt. Auch Bianca nahm eifrig daran Theil.
Zu dem Schlimmsten, was wir sehen, sagte sie, gehört der Zusammenbruch aller Ideale. Das schöne Bild einer nach Gottesbewußtsein ringenden und immer höher zur Humanität sich aufschwingenden Menschheit löst sich jetzt, wo diese Menschheit in Gährung gerathen ist, in das Bild einer widrig chaotischen Masse von Leidenschaft, Unvernunft und Frivolität auf!
Der Domherr wollte gegen dieses wegwerfende Urtheil, welches sein gutes Herz verwundete, Protest erheben. Aber als er seine Augen auf die Züge Bianca's heftete, schwieg er.
Hier ist ein reiner Seelenspiegel durch menschliche Schlechtigkeit getrübt – sagte er sich – da hilft kein Widerspruch!
Sehen Sie auch so düster, wie meine theure Bianca? fragte die Fürstin Karl.
Beinahe – aber noch würde ich nicht wagen, es zu gestehen. Das Wort Menschheit hat noch einen goldenen Klang für mich. Aber ich ahne, daß es Herzen geben kann, edle und hochschlagende Herzen, welche der Gedanke an die Menschen mit Verachtung und Haß erfüllt. Mein Leben umschließt erst zwei große Erfahrungen. Als ich Wien verließ nach dem Tode Joseph's II., nahm ich die Ueberzeugung mit, daß die Zeit der Herrscher zu Ende, und daß ein persönlicher Wille es nicht mehr vermöge, die Staaten jener Vollkommenheit des socialen Zustandes zuzuführen, welche der Mensch in der politischen Gesellschaft zu fodern sich berechtigt glaubt. Ich habe von jenem Augenblicke an meine Hoffnung auf das Volk, auf seinen eingebornen gesunden Verstand und auf seinen Instinct gesetzt. Aber die Revolution hat mir gezeigt, daß das Volk noch weniger im Stande ist, sein eigenes Heil zu finden. Sich selbst überlassen, stürzt es sich aus der maßvollen Freiheit in die ungemessene, aus dieser in die Anarchie. So kommen wir weder durch die Fürsten noch durch das Volk zum endlichen Ziele.
Und wo bleibt uns übrig, unser Ziel zu suchen?
Ohne Zweifel bei einer tüchtigen Aristokratie, fiel der alte Freiherr von Schwalborn rasch ein – bei der alten Vermittlerin zwischen beiden.
Das heißt bei der Aristokratie der Intelligenz, sagte Bianca.
Ja, ja, das ist's! rief laut der Domherr aus, der begann, ein ganz besonderes Interesse für Bianca zu fassen. Gleich nachher aber blickte er verstohlen nach seiner Schwägerin hinüber, in deren Stirnfalten eine so ketzerische Aeußerung ein dunkles Ungewitter heraufbeschworen hatte.
Sie haben Recht, nahm die Fürstin das Wort. Auf der Seite der Fürsten stehen Unvernunft, Leidenschaft und böse Gelüste, und auf der Seite des Volks stehen ganz dieselben dunkeln Mächte, welche das Reich des Rechts und der Wahrheit auf Erden für ewig unmöglich zu machen scheinen, mag man den Fürsten, mag man dem Demos die Herrschaft geben. Darum sollte man die Aristokratie der Bildung und der Intelligenz auf die Höhenpunkte der Gesellschaft stellen. Aber leider wird ja diese Aristokratie von beiden Seiten gleich unerbittlich gehaßt. Und so müssen wir denn voll Entsagung dem wüsten Schauspiele des Ringens unserer Tage zuschauen und uns darauf beschränken, die ideelle Macht jener Aristokratie im Stillen aus allen Kräften zu stärken. Wir dürfen ja die Hoffnung auf ihren endlichen Sieg nicht fahren lassen. Vielleicht kommt eine Zeit, wo der Taumel unserer Tage vorübergegangen ist, wo die thörichte Weisheit verlacht wird, welche jetzt durch Umsturz und Dreinschlagen und Schreckensgesetze einen Zustand möglichsten Glücks und Wohllebens für Alle herbeiführen will, während doch Glück und Wohlleben durch neue Staatsformen nicht geschaffen, sondern nur anders vertheilt werden können.
Die Menschen vergessen, daß sie überhaupt nicht für Glück und Wohlleben geschaffen sind, sagte Bianca; sie vergessen, daß neben dem Sommer der Winter, neben der Gesundheit der Schmerz steht. Aber der Dichtertraum von der ewig blühenden Atlantis ist leider eine politische Doctrin geworden, ideale Gedanken der Weisen sind als Gährungsstoff unter eine rohe Masse geworfen; ist es ein Wunder, wenn der Wahnsinn aus so unglücklicher Verbindung des Feinsten und Abstraktesten mit dem Rohesten und Handgreiflichsten entsteht? Man hat das zarte Edelweiß, welches nur in dem reinen Aether der höchsten Gedankenalpen blüht, in den Sumpf geworfen und da ist eine Giftpflanze daraus geworden!
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