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Drittes Kapitel.

Wir wollen, während Karl sich in seinem Zufluchtsort der Ruhe hingibt, in eine andere Gegend der großen Stadt wandern, um uns nach Lambert umzusehen.

Nachdem Lambert jene That in Wien vollführt, deren Zeugen wir waren, hatte er diese Stadt wieder verlassen. Die Sophistereien seines Freiheitsfanatismus, welche ihm in der Zerstörung eines Werkzeugs der Reaction ein Verdienst zeigten; die Hoffnungen seines Ehrgeizes, welche ihn in jener That den Schlüssel zu dem Vertrauen, zu der Freundschaft der Fürstin K. erblicken ließen – alles das war bald geschwunden und verflogen. Der Kaiser starb und das Verbrechen war umsonst begangen: die Fürstin verabscheute den Unberufenen, der sich mit so plumper Faust in ein Gewebe behutsamer Intrigue gedrängt hatte. Lambert fühlte sein Gewissen rege werden. Ein Erfolg hätte es schlafend erhalten: die Niederlage weckte es. Wien war ihm nun mit jedem Tage verhaßter geworden. Er dachte mit innerster Scheu an einen Zufall, der ihm Bianca begegnen ließe. Er wendete sich nach Paris zurück. Seine Anstellung hatte er aufgegeben; – wovon er lebte in Paris?– wer weiß es, wovon die Menschen, die sich in die Strudel der Revolutionen stürzen und darin umherschwimmen, leben? Von der Wühlerei, der Exaltation, vom Zorne! – Doch hatte Lambert durch ein Abenteuer, welches ihm auf der Reise von Wien nach Paris zugestoßen und das wir später mittheilen werden, eine Art amtlichen Auftrags und eine Summe Geldes bekommen. Auch besaß er ja einen reichen Gönner in Paris, den Baron Cloots. Bei diesem hatte er auch die Bekanntschaft Theroigne's de Mericourt gemacht.

Von den Frauen der eigentlichen heißen Revolutionszeit war Theroigne de Mericourt eine der merkwürdigsten. Weder die Roland, noch die Tallien, die beide die edlere Seite der Theilnahme der Frauen an der Revolution repräsentiren, waren bekanntlich große Heilige. Man mag daraus abnehmen, welchen Lebenswandel jene Frauen führten, die als die Typen der bodenlosen sittlichen Versunkenheit, der grauenhaften Verwirrung aller moralischen Begriffe in jenen Tagen betrachtet werden können. Doch mußte man Theroigne zugestehen, daß es weibliche Wesen gab, die sie später überholten und es noch weiter brachten als sie. Sie war die Girondistin der Verworfenheit. Auch fiel sie mit den Girondisten, als sie am 31. Mai 1794 auch ihren Einfluß zur Bewältigung des Stromes, der selbst ihrer abenteuerlichen Einbildungskraft zu groß wurde, aufbot. Der »Berg« der Verworfenheit, Rosa Lacombe, mit den »Strickerinnen Robespierre's«, den Furien der Guillotine, bemächtigten sich ihrer und unterwarfen sie einer entehrenden Mishandlung, in deren Folge sie wahnsinnig wurde.

Theroigne war die Freundin einer ganzen Reihe von Männern, von Mirabeau bis auf Ronsin, die das Schicksal Frankreichs in ihren Händen hatten. Aber doch faßte sie nebenbei ein Interesse für Lambert. Die blonde deutsche Natur, versetzt mit so viel Verwegenheit und rachsüchtigem Ehrgeiz, zog sie an. Ein Mitglied der Nationalversammlung, Romme, hatte ihren rastlosen, alle Schranken niedertretenden Geist auf das Gebiet des deutschen Illuminaten- und Rosenkreuzerwesens gezogen. Aber der mystische Romme war ihr bald langweilig geworden, sie hatte sich mit ihm überworfen und glaubte nun in Lambert einen Ersatz für ihren Lehrer zu finden. Ihre ersten gegenseitigen Mittheilungen zeigten eine auffallende Uebereinstimmung in den Schicksalen der beiden Menschen. Sie hieß eigentlich Lambertine, und wie er der Sohn eines Bauern, war sie die Tochter eines wohlhabenden Landmannes, der ihr eine sorgsame Erziehung hatte geben lassen. Wie sein Schicksal bestimmt worden war durch die Verschmutzung, welche seine jugendliche Leidenschaft von Seiten eines adeligen Fräuleins erfuhr, hatte das ihre seine Richtung bekommen durch eine Leidenschaft für einen deutschen Junker, der sie verführt und dann verlassen hatte. Sie hatte sich darauf heimlich aus dem Hause ihres Vaters entfernt, wie Lambert es gethan; wie er, war auch sie von dem Strudel angezogen, in den die Gesellschaft in Frankreich sich gestürzt hatte. Aber völlig verschiedene Schicksale waren es, welche sie beide in Paris gefunden hatten, eben so entgegengesetzt wie das, was sie zu suchen gekommen. Lambert wollte eine freie Bahn für seinen Ehrgeiz; er fand das Gegentheil: die Masse drohte ihn zu verschlingen. Theroigne wollte nichts, als das Schauspiel genießen, wie sie am Uebermuth der Aristokratie blutig gerächt werde. Sie fand das, was Lambert suchte: die Woge der Revolution hob sie hoch empor aus der Masse und die Geschichte schrieb ihren Namen auf. Sie besaß eben, was Lambert fehlte, ein überlegenes Genie, einen kochenden Geist und eine Beredtsamkeit, welche die Sturmglocke der Emeute wurde. Ihre Seele glühte von einem revolutionairen Fieber, das alle, denen sie nahte, ansteckte. So war eine Art von Pöbeldictatur ihr zugefallen, und an der Spitze ihrer bewaffneten Section übte sie eine bedeutende Macht, ja ein Recht über Leben und Tod.

Lambert fand sich genug geschmeichelt durch die Freundschaft eines solchen Weibes, um sie sich für eine kurze Zeit gefallen zu lassen. Im Grunde flößte sie ihm einen Widerwillen, einen innern Schauder ein. Aber er unterdrückte dies Gefühl und gab sich dem Reize hin, den ein so totales Umstürzen der Natur, wie dies Weib es in sich gewagt, eine Zeitlang für die meisten Männer hat, – eine Eigenschaft, die ihnen wenig zur Ehre gereicht. Dann zog sie ihn an, weil sie einem Bedürfniß seines Innern entgegenkam. Nach seiner Rückkehr aus Wien war eine bloße politische Revolution nicht mehr im Stande, ihm zu genügen. Um sein Zerwürfniß mit sich selber zu heilen, bedurfte er mehr: es mußten dazu auch die moralischen Grundlagen der Gesellschaft ebenso wie die politischen umgekehrt werden. Diesen Umsturz aber hatte gerade Theroigne mit einer heroischen Virtuosität längst in sich vollzogen – theoretisch und praktisch. Mit ihrem Geiste, mit ihrer Phantasie, mit dem überwältigenden Bilderreichthum ihrer Reden, der ans Visionenhafte streifte, wußte sie ihn hoch hinauszuheben über die Erinnerungen an seine Schuld. Seine Scrupel erschienen ihm lächerlich, kindisch, sobald sie nur zehn Worte gesprochen hatte.

Schon einige Monate hatte das Verhältniß Theroigne's zu ihm gedauert: es war ein Wunder, sie war nie so lange einem Manne attachirt gewesen. Aber Lambert begann unter dieser Treue zu leiden. Theroigne vernichtete ihn – er fühlte wie sie gleich einem Vampyr ihn aussauge, es blieb nichts von seinem Willen, von seinem Ich übrig, welches der Geist dieses gewaltigen Weibes umspann und zerdrückte. Er fühlte sich unglücklich und sah doch keinen Ausweg zur Rettung. Sie verlassen – das hätte er mit dem Tode büßen können!

Sie bewohnte einige luxuriös eingerichtete Zimmer im Marais. Dort war sie ihren Getreuen, den Emeutenhelden des Faubourg Saint Antoine, nahe. Ihre Wohnung hatte jene Mischung von Pracht, Schmutz, Unordnung und Reichthum, wie es sich vom Aufenthalt eines solchen Wesens erwarten ließ. Männer- und Frauenkleider, Bücher und Waffen lagen auf den Meublen umher: eine große Dogge streckte sich auf einem Sopha aus und stierte mit gläsernen Augen seine Herrin an; man hatte sie bei den Orgien, die in diesem Salon gefeiert wurden, so oft mit Champagner trunken gemacht, daß sie die mäßige Dosis Verstand, die ihr die Natur gegeben, verloren hatte.

Als Theroigne, von Lambert begleitet, aus der Sitzung des Cordelierclubs heimgekehrt war, warf sie sich ermüdet in einen Lehnstuhl und hieß Lambert die Fenster schließen. Auf dem Wege war sie schweigsam und in sich gekehrt gewesen. Ich mag nichts mehr hören und sehen von der Welt! Zum Teufel mit ihr! Sie ist ekelhaft! sagte sie jetzt.

Was hat dir die Welt gethan, Lambertine, daß du in ein Kloster gehen willst?

Ich bin ihrer überdrüssig.

Weßhalb, Aebtissin Theroigne?

O Lambert, wenn du wüßtest, was ich gewollt habe!

Eine Heilige werden?

Du bist wahrhaftig nahe daran. Zwar keine Heilige, aber etwas Größeres – eine Judith! Ich habe das menschliche Geschlecht an einem Tyrannen rächen wollen. Ich habe den König verführen wollen, um ihm dann, wenn er im Bette des Lasters schlummerte, den Kopf abzuschneiden. Auf einem Triumphwagen, das blutige Haupt des Holofernes der Tuilerien in der Hand, wäre ich durch ganz Frankreich gefahren! Welcher Siegeszug! Welche glorreiche That! Das ist jetzt alles vorüber. Sie haben ihn in den Tempel eingesperrt; sie haben mich um meine Unsterblichkeit gebracht!

Schieb ihn auf, deinen Vorsatz – wir werden noch der Tyrannen genug bekommen, sagte Lambert; dein Plan scheint mir ohnehin nicht sehr reiflich überlegt, und wenn er überhaupt älter ist als etwa zehn Minuten, so mache ich mich anheischig, den betreffenden Triumphwagen, den du besteigen wirst, durch ganz Frankreich zu ziehen!

Du bist dreist, Knabe! sagte Theroigne, sich müde in ihren Sessel zurücklehnend und ohne irgend einen Versuch zu machen, ihren plötzlichen Einfall länger als einen langgehegten Vorsatz auszugeben.

Lambert ging eine Weile schweigend im Zimmer auf und ab.

Du denkst darüber nach, wie du dich an dem insolenten Junker rächen willst? hob Theroigne nach einer Weile wieder an.

Ich will mich mit ihm schlagen! versetzte Lambert.

Theroigne brach in ein lautes, spöttisches Gelächter aus.

Schlagen! welche gothische, feodale Idee! Und glaubst du, deine Theroigne würde dies dulden, süßer Knabe?

Ich bin kein Knabe und werde dich nicht in die Verlegenheit bringen, dich für oder wider meinen Entschluß auszusprechen, indem ich dich nicht frage.

Theroigne lachte noch einmal.

Höre, Lambert!

Was willst du?

Schiebe das Tabouret dort neben meinen Sessel. Setze dich hierher – so – ich habe dir etwas zu sagen.

Lambert that, wie sie wollte.

Sag' mir, ist es um eines Weibes willen, daß der Aristokrat sich mit dir schlagen will?

Du wolltest mir etwas sagen, Lambertine.

Ja, ich wollte es – und was ich dir sage, das laß in dir begraben sein, als wenn es auf dem Grunde der See läge. Verräthst du ein Wort davon – nur durch eine Miene, einen Blick, so lass' ich dich erdrosseln. Kümmere dich um deinen Feind nicht. Ehe zwei oder drei Tage vergehen, wird er nebst allen Verdächtigen, allen Royalisten, allen Verschwörern, allem contrerevolutionairen Gesindel, so viel in Paris steckt, eingekerkert sein.

Was habt Ihr vor?

Es ist Danton, der es mir anvertraut hat: er ist die Seele des Ganzen. Man wird Paris reinigen: man wird es durchsuchen, man wird alle der Revolution feindlichen Elemente wie mit Besen zusammenkehren, in die Gefängnisse werfen und dort der Freiheit Hekatomben schlachten.

Lambert blickte die Sprechende an, ohne ein Wort der Erwiderung zu finden. Theroigne fuhr fort, ihm die Einzelheiten des schrecklichen Anschlags mitzutheilen.

Lambert sprang endlich erschrocken auf.

Ihr seid fürchterliche Menschen! sagte er.

Man wird bei der Gelegenheit auch deinen Aristokraten wiederfinden, schloß Theroigne ihre Mittheilung, und du wirst, ohne daß du dich bemühest, an ihm gerächt werden. Bist du nicht zufrieden? Was willst du mehr? Er und sein Geschlecht haben dich entwürdigt, sie haben dich als einen Leibeigenen zu mishandeln gewagt: ein ganzes Volk erhebt sich jetzt, dich zu rächen. Er verfolgt dich bis hierher, er hat sich wie ein Herr auf die Spur eines verlaufenen Sklaven gemacht und dabei sich bis in die Burg der Freiheit gewagt – die Freiheit zertritt ihn! Laß ihn zertreten!

Du hast Recht, Lambertine! versetzte Lambert nach einer Weile stillen Nachdenkens. Ich will deinem Rathe folgen. Aber was du mir anvertraut hast, hat mich erschüttert. Laß mich heimgehen. Ich muß allein sein und über die Opfer nachsinnen, welche die Freiheit verlangt und die wir unsrer menschlichen Schwäche abkämpfen müssen.

So geh, du sentimentaler Narr!

Lambert verließ sie. Ueber Theroigne's Züge glitt ein eigenthümlicher Zug von Wildheit und in ihren Augen blitzte ein dämonisches Feuer, während sie dem Scheidenden nachsah. Als er die Thür hinter sich geschlossen, sprang sie auf, elastisch, geschmeidig wie eine Tigerin:

Dieser Bettler wagt es, meiner überdrüssig zu sein, ehe ich für gut finde, ihn wegzuwerfen! rief sie aus. Er hat mir ein Märchen aufgebunden. Wie würde ein Aristokrat heute noch wagen, einen Jacobiner anzufallen, ihn herauszufodern! Er sei sein Gutsunterthan gewesen, er hätte ihn beleidigt, sagt Lambert. Welche Vorwände! Es steht ein anderer Grund hinter diesem impertinenten Wagniß des Aristokraten und der einzige Grund, den Lambert mir nicht gestehen wird und kann, – ist ein Weib! – Wart', ich werde sie finden, und dann wehe ihr und ihm!

Sie zog die Karte Karl's, welche sie Lambert abgenommen hatte, aus ihrem Busen und betrachtete sie lange, in Gedanken versunken.

Wir werden sehen – sagte sie dann: dies Blatt wird hinreichen, euch zu finden!

Sie zog eine Klingel. Gleich darauf trat ein langer, hagerer Mensch in blauer Blouse, mit grauem Barte und einer starken Narbe, die seine Wange durchfurchte, in das Zimmer. Theroigne sprach einige Worte mit ihm, reichte ihm die Karte und dann verließ der Sansculotte rasch das Haus.

*


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